BGH: Zur Schadensersatzhöhe und Beweislastverteilung bei Vernichtung eines Datenbestandes auf einem gewerblich genutzten PC

veröffentlicht am 22. Februar 2009

BGH, Urteil vom 09.12.2008, Az. VI ZR 173/07
§§ 249 Satz 2 a. F., 251 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB

Der BGH hatte in diesem Fall zu der Frage Stellung zu nehmen, welcher Schaden zu ersetzen ist, wenn der Datenbestand auf einem gewerblich genutzten PC unwillentlich gelöscht wird. Zentraler Gegenstand der Entscheidung ist die Beweislastverteilung bei derartigen Schäden. Folgendes war geschehen: Der Kläger war Inhaber eines Ingenieurbüros und befasste sich mit der Planung von Steuerungsanlagen im Industriebereich. Der 12-jährige Sohn eines freien Mitarbeiter des Klägers versuchte anlässlich eines Bürobesuchs am 22.03.1997, auf dem Betriebsrechner des Klägers ein Computerspiel zu installieren. Kurze Zeit danach wurde festgestellt, dass der auf der Festplatte des Systems befindliche Datenbestand weitgehend zerstört bzw. unbrauchbar geworden war. Eine Datensicherung war zuvor nicht durchgeführt worden. Für die Datenwiederherstellung und den Ersatz der Festplatte wurde ein Schaden von über 950.000,00 DM ermittelt. Das LG Frankfurt a.M. hatte der Klage stattgegeben; das OLG Frankfurt a.M. hat sie bis auf den Ersatz der Festplatte abgelehnt.

Die in der Vorinstanz ermittelte Schadenverantwortung der Beklagten für 70 % des Gesamtschadens hat der BGH bestätigt. Im weiteren wurde jedoch beanstandet, dass vom Oberlandesgericht nicht zwischen dem Anspruch auf Ersatz von Wiederherstellungskosten im Sinne des § 249 Satz 2 BGB a. F. und einem Wertersatzanspruch im Sinne des § 251 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB differenziert worden sei. Eine Wiederherstellung von Dateien gemäß § 249 Satz 2 BGB a.F. käme in Betracht, soweit die Dateien aufgrund einer in anderer Form noch vorhandenen Vorlage (z. B. durch Eingabe noch auf Papier vorhandener Konstruktionszeichnungen) „technisch“ reproduzierbar wären. Nach § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB könne der Ersatzpflichtige den Gläubiger in Geld entschädigen, wenn die Herstellung nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich sei. Die dem Schuldner durch § 251 Abs. 2 BGB eingeräumte Ersetzungsbefugnis, so der Bundesgerichtshof, habe aber lediglich den Zweck, die Höhe der Ersatzpflicht nach oben zu begrenzen, wenn dem Schädiger eine Naturalrestitution im Sinne des § 249 BGB wegen unverhältnismäßiger Kosten im Vergleich zum Wert der Sache unzumutbar sei. Wolle der Schädiger mit seiner Ersetzungsbefugnis aus § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB den vom Geschädigten geltend gemachten Anspruch auf Naturalrestitution aus § 249 BGB wegen Unverhältnismäßigkeit auf den Wertersatz begrenzen, trage er nach allgemeinen Grundsätzen – weil für ihn günstig – die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB. Entsprechendes gelte im Rahmen des § 251 Abs. 1 BGB für den vom Schädiger erhobenen Einwand der Unmöglichkeit gegenüber einer vom Geschädigten geltend gemachten Naturalrestitution im Sinne des § 249 BGB bzw. der Kosten hierfür. Dabei treffe den Geschädigten ebenso wie im Rahmen des § 251 Abs. 2 BGB lediglich eine sekundäre Darlegungslast, soweit es sich um Tatsachen handelt, die sich – weil sie aus der Sphäre des Geschädigten stammen – der Kenntnis des Schädigers naturgemäß entzögen. Nur wenn unter Berücksichtigung dieser Grundsätze zur Überzeugung des Berufungsgerichts im Rahmen des § 287 ZPO feststünde, dass die schadensbedingte Vermögenseinbuße des Geschädigten im Sinne des § 251 BGB mit „Null“ zu bewerten wäre, käme ein völliger Ausschluss eines Schadensersatzanspruches über § 251 BGB in Betracht. Hiervon könne jedoch aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ausgegangen werden. Das Berufungsgericht habe den für die Beurteilung der Unverhältnismäßigkeit im Sinne des § 251 Abs. 2 BGB maßgeblichen Vergleichswert verkannt und zu hohe Anforderungen an die (sekundäre) Darlegungslast des Klägers gestellt.

Der Wert eines Bestandes von gespeicherten Daten für einen Betrieb lasse sich, so der BGH weiter, nicht nur – wie das Berufungsgericht angenommen habe – nach den konkreten Kosten bemessen, die der Kläger seit dem Schadensereignis für die Rekonstruktion von verlorenen Daten aufgewendet habe. Vielmehr sei auch von Bedeutung, inwieweit durch ihr Fehlen Betriebsabläufe gestört und erschwert würden. Der Kläger habe diesbezüglich vorgetragen, dass in den Dateien Pläne von Steuerungsanlagen gespeichert gewesen seien, die über einen längeren Zeitraum hinweg benötigt würden, um vorhandene Anlagen umzubauen, zu reparieren oder neue Anlagen zu bauen. Der Aufwand, völlig neue Pläne herzustellen, sei in diesen Fällen ungleich höher als derjenige, auf bereits vorhandene Pläne zurückzugreifen. Mit der Frage, inwieweit der Verlust der Pläne voraussichtlich zu Störungen des Betriebsablaufs und dadurch zu zeitlichem und personellen Mehraufwand führen könne, habe sich das Berufungsgericht im Rahmen der nach § 287 ZPO erforderlichen Schätzung einer Vermögenseinbuße des Klägers im Sinne des § 251 BGB auseinandersetzen und gegebenenfalls nach weiterem Sachvortrag des Klägers einen Sachverständigen hinzuziehen müssen.

Daneben könne es bei der Schadensschätzung im Rahmen einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung im Sinne des § 287 ZPO eine Rolle spielen, welchen Aufwand der Kläger in der Vergangenheit seit dem Schadensereignis über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg tatsächlich betrieben habe, um verlorene Dateien zu rekonstruieren. Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang substantiierten Vortrag des Klägers vermisst habe, welche konkreten Kosten für welche konkreten Dateirekonstruktionen bisher entstanden seien, könne dem nicht gefolgt werden. Vielmehr könne es, so die Karlsruher Richter, für eine Schätzung ausreichen, die entsprechenden (Mehr-)Leistungen der Mitarbeiter des Klägers für die Rekonstruktion von konkret benötigten Dateien darzulegen. Diese könnten zu einer Bewertung des eingetretenen Schadens auch dann herangezogen werden, wenn die entsprechenden Arbeitszeiten im Unternehmen des Klägers nicht zusätzlich vergütet worden seien. Ebenso wie im Rahmen des § 249 Satz 2 BGB a. F. sei es insoweit auch bei einer Schätzung des Vermögensschadens im Rahmen des § 251 BGB ohne Bedeutung, ob der Geschädigte den Schaden selbst behoben habe oder ihn durch Dritte hat beheben lassen. Bei einem Anspruch nach § 249 BGB könne nämlich der Zeitaufwand im eigenen Unternehmen, der nicht lediglich der Schadensermittlung oder außergerichtlichen Abwicklung des Schadensersatzanspruchs diene, sondern der Schadensbeseitigung selbst, ersatzfähig sein.

Der Kläger habe dazu vorgetragen, in den vergangenen zehn Jahren mit ca. 300 Dateien rund 10 % des ursprünglich vorhandenen Datenbestandes rekonstruiert zu haben. Er habe hierzu erläutert, dass er – aus Geldmangel – bisher nur die von Auftraggebern verlangten Rekonstruktionen durchgeführt habe. Er habe weiter vorgetragen, von den 225 Arbeitsstunden aus dem Jahre 1997, die er konkret unter Bezugnahme auf die Anlage 7 zu seinem Schriftsatz vom 23.08.2001 geltend gemacht habe, entfielen eine erhebliche Anzahl auf die erneute Eingabe verlorener Dateien. Dabei habe er die damit beschäftigten Mitarbeiter als Zeugen benannt und unter Bezugnahme auf die als Anlage beigefügten Stundennachweise aufgelistet, welcher Mitarbeiter wann für welches Projekt Pläne wiederhergestellt habe. Zumindest insoweit habe der Kläger schlüssig eine teilweise Rekonstruktion der beschädigten bzw. zerstörten Dateien dargetan, die – neben dem noch zu ermittelnden Wert des Datenbestandes für den Betrieb des Klägers – Grundlage für eine Schätzung seines Schadens nach § 287 ZPO hätte sein können.

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