EuGH: Kein Wertersatz des Verkäufers bei Austausch

veröffentlicht am 1. Mai 2008

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtEuGH, Urteil vom 17.04.2008 (Erste Kammer), Az. C-404/06
§§ 439, 346, 100 BGB; Art. 3, 5 und 8 der EU-Richtlinie 1999/44/EG vom 25.05.1999

Der Europäische Gerichtshof hat am 17.04.2008 entschieden, dass bei Ersatzlieferung einer neuen Sache während der Gewährleistungszeit für die mangelhafte Sache kein Wertersatz für die Zeit der Nutzung geltend gemacht werden kann. Der EuGH entschied, dass nach der EURichtlinie für Verbrauchsgüter der Verkäufer für jede Vertragswidrigkeit zum Zeitpunkt der Lieferung seiner Ware haftbar sei und aus diesem Grund sowohl Reparatur als auch Ersatzlieferung für den Kunden unentgeltlich erfolgen müsse. Durch Verlangen einer Abnutzungsgebühr würde gerade die Unentgeltlichkeit dieser Gewährleistungshandlung umgangen.

Europäischer Gerichtshof

Urteil

In der Rechtssache C?404/06

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. August 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 28. September 2006, in dem Verfahren

Quelle AG

gegen

Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter A. Tizzano, A. Borg Barthet, M. Ileši? und E. Levits,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Oktober 2007,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Quelle AG, vertreten durch Rechtsanwalt A. Piekenbrock,

– des Bundesverbands der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände, vertreten durch Rechtsanwälte P. Wassermann und J. Kummer,

– der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Kemper als Bevollmächtigte,

– der spanischen Regierung, vertreten durch N. Díaz Abad als Bevollmächtigte,

– der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Aresu, B. Schima und I. Kaufmann-Bühler als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 15. November 2007

folgendes

Urteil:

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. L 171, S. 12, im Folgenden: Richtlinie).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Quelle AG (im Folgenden: Quelle), einem Versandhandelsunternehmen, und dem Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (im Folgenden: Bundesverband), einem qualifizierten Verbraucherverband, den Frau Brüning, eine Kundin von Quelle, zur Durchsetzung ihrer Ansprüche ermächtigt hat.

Rechtlicher Rahmen:

Gemeinschaftsrecht

Die Richtlinie wurde auf der Grundlage von Art. 95 EG erlassen. In ihrem ersten Erwägungsgrund wird daran erinnert, dass die Europäische Gemeinschaft nach Art. 153 Abs. 1 und 3 EG durch die Maßnahmen, die sie nach Art. 95 EG erlässt, einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus leistet.

Art. 3 („Rechte des Verbrauchers“) der Richtlinie sieht vor:

„(1) Der Verkäufer haftet dem Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit, die zum Zeitpunkt der Lieferung des Verbrauchsgutes besteht.

(2) Bei Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher entweder Anspruch auf die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung nach Maßgabe des Absatzes 3 oder auf angemessene Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung in Bezug auf das betreffende Verbrauchsgut nach Maßgabe der Absätze 5 und 6.

(3) Zunächst kann der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist.

Eine Abhilfe gilt als unverhältnismäßig, wenn sie dem Verkäufer Kosten verursachen würde, die … verglichen mit der alternativen Abhilfemöglichkeit unzumutbar wären.

Die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung muss innerhalb einer angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen, wobei die Art des Verbrauchsgutes sowie der Zweck, für den der Verbraucher das Verbrauchsgut benötigte, zu berücksichtigen sind.

(4) Der Begriff ‚unentgeltlich‘ in den Absätzen 2 und 3 umfasst die für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes notwendigen Kosten, insbesondere Versand-, Arbeits- und Materialkosten.

(5) Der Verbraucher kann eine angemessene Minderung des Kaufpreises oder eine Vertragsauflösung verlangen,

– wenn der Verbraucher weder Anspruch auf Nachbesserung noch auf Ersatzlieferung hat

oder

– wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat

oder

– wenn der Verkäufer nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher Abhilfe geschaffen hat.

…“

Nach dem 15. Erwägungsgrund der Richtlinie „[können die] Mitgliedstaaten … vorsehen, dass eine dem Verbraucher zu leistende Erstattung gemindert werden kann, um der Benutzung der Ware Rechnung zu tragen, die durch den Verbraucher seit ihrer Lieferung erfolgt ist. Die Regelungen über die Modalitäten der Durchführung der Vertragsauflösung können im innerstaatlichen Recht festgelegt werden.“

Art. 5 („Fristen“) Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie lautet:

„Der Verkäufer haftet nach Artikel 3, wenn die Vertragswidrigkeit binnen zwei Jahren nach der Lieferung des Verbrauchsgutes offenbar wird.“

Art. 8 („Innerstaatliches Recht und Mindestschutz“) Abs. 2 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können in dem unter diese Richtlinie fallenden Bereich mit dem Vertrag in Einklang stehende strengere Bestimmungen erlassen oder aufrechterhalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen.“

Nationales Recht

Zu den Bestimmungen des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB), die zur Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht erlassen wurden, gehören insbesondere die §§ 439 und 346.

§ 439 („Nacherfüllung“) Abs. 4 BGB lautet:

„Liefert der Verkäufer zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache, so kann er vom Käufer Rückgewähr der mangelhaften Sache nach Maßgabe der §§ 346 bis 348 verlangen.“

§ 346 („Wirkungen des Rücktritts“) Abs. 1 bis 3 BGB bestimmt:

„(1) Hat sich eine Vertragspartei vertraglich den Rücktritt vorbehalten oder steht ihr ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu, so sind im Falle des Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.

(2) Statt der Rückgewähr oder Herausgabe hat der Schuldner Wertersatz zu leisten, soweit

1. die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist,

2. er den empfangenen Gegenstand verbraucht, veräußert, belastet, verarbeitet oder umgestaltet hat,

3. der empfangene Gegenstand sich verschlechtert hat oder untergegangen ist; jedoch bleibt die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme entstandene Verschlechterung außer Betracht.

Ist im Vertrag eine Gegenleistung bestimmt, ist sie bei der Berechnung des Wertersatzes zugrunde zu legen; ist Wertersatz für den Gebrauchsvorteil eines Darlehens zu leisten, kann nachgewiesen werden, dass der Wert des Gebrauchsvorteils niedriger war.

(3) Die Pflicht zum Wertersatz entfällt,

1. wenn sich der zum Rücktritt berechtigende Mangel erst während der Verarbeitung oder Umgestaltung des Gegenstandes gezeigt hat,

2. soweit der Gläubiger die Verschlechterung oder den Untergang zu vertreten hat oder der Schaden bei ihm gleichfalls eingetreten wäre,

3. wenn im Falle eines gesetzlichen Rücktrittsrechts die Verschlechterung oder der Untergang beim Berechtigten eingetreten ist, obwohl dieser diejenige Sorgfalt beobachtet hat, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt.

Eine verbleibende Bereicherung ist herauszugeben.“

§ 100 („Nutzungen“) BGB bestimmt:

„Nutzungen sind die Früchte einer Sache oder eines Rechts sowie die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache oder des Rechts gewährt.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage:

Im August 2002 lieferte Quelle Frau Brüning ein „Herd-Set“ für ihren privaten Gebrauch. Anfang 2004 stellte Frau Brüning fest, dass das Gerät vertragswidrig war. Da eine Reparatur nicht möglich war, gab Frau Brüning das Gerät an Quelle zurück, die es durch ein neues Gerät ersetzte. Quelle verlangte jedoch von Frau Brüning die Zahlung von 69,97 Euro als Wertersatz für die Vorteile, die sie aus der Nutzung des ursprünglich gelieferten Geräts gezogen hatte.

Der Bundesverband verlangte, gestützt auf die Ermächtigung durch Frau Brüning, die Rückzahlung dieses Betrags an die Käuferin. Daneben beantragte er, Quelle zu verurteilen, es zu unterlassen, im Fall einer Ersatzlieferung für eine dem Kaufvertrag nicht entsprechende Ware (im Folgenden: vertragswidriges Verbrauchsgut) deren Nutzung in Rechnung zu stellen.

Das Gericht erster Instanz gab dem Zahlungsantrag statt und wies den Antrag auf Verurteilung von Quelle zur Unterlassung der Inrechnungstellung der Nutzung vertragswidriger Verbrauchsgüter zurück. Die sowohl von Quelle als auch vom Bundesverband gegen diese Entscheidung eingelegten Berufungen wurden zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof, bei dem Revision eingelegt wurde, stellt fest, aus § 439 Abs. 4 in Verbindung mit § 346 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB ergebe sich, dass der Verkäufer im Fall der Ersatzlieferung für eine mangelhafte Sache Anspruch auf Wertersatz für die Vorteile habe, die der Käufer aus der Nutzung dieser Sache bis zu deren Austausch durch eine neue Sache gezogen habe.

Der Bundesgerichtshof äußert zwar Bedenken gegen die dem Käufer damit auferlegte einseitige Belastung, weist aber darauf hin, dass er keine Möglichkeit sehe, die nationale Regelung im Wege der Auslegung zu korrigieren. Eine Auslegung in dem Sinne, dass der Verkäufer vom Käufer keinen Wertersatz für die Nutzung der ausgetauschten Sache verlangen könne, widerspreche nämlich dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen des BGB sowie dem zum Ausdruck gebrachten eindeutigen Willen des Gesetzgebers und sei nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes, wonach die Rechtsprechung an Recht und Gesetz gebunden ist, unzulässig.

Da der Bundesgerichtshof aber Zweifel an der Vereinbarkeit der Bestimmungen des BGB mit dem Gemeinschaftsrecht hat, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 oder des Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie dahin auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die besagt, dass der Verkäufer im Falle der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts durch Ersatzlieferung von dem Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des zunächst gelieferten vertragswidrigen Verbrauchsguts verlangen kann?

Zur Vorlagefrage:

Mit dieser Frage möchte dasvorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges Verbrauchsgut geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die Nutzung dieses Gutes bis zu seinem Austausch durch ein neues Verbrauchsgut zu verlangen.

Zur Zulässigkeit

Quelle hat in der Sitzung geltend gemacht, dass die Vorlagefrage nicht zulässig sei, weil das vorlegende Gericht darauf hingewiesen habe, dass die zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen nationalen Bestimmungen nur eine einzige Auslegung zuließen und das deutsche Verfassungsrecht ihm eine Auslegung contra legem untersage. Sollte der Gerichtshof Art. 3 der Richtlinie in einem anderen Sinne auslegen, könnte das vorlegende Gericht seiner Antwort mithin nicht Rechnung tragen.

Hierzu ist daran zu erinnern, dass in einem Verfahren nach Art. 234 EG, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen hat. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffen (vgl. u. a. Urteile vom 22. Juni 2006, Conseil général de la Vienne, C?419/04, Slg. 2006, I?5645, Randnr. 19, und vom 18. Juli 2007, Lucchini, C?119/05, Slg. 2007, I?6199, Randnr. 43).

Der Gerichtshof kann die Entscheidung über eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile Conseil général de la Vienne, Randnr. 20, und Lucchini, Randnr. 44).

Das ist hier nicht der Fall.

Die Ungewissheit, ob es dem nationalen Gericht, nachdem der Gerichtshof eine Vorlagefrage zur Auslegung einer Richtlinie beantwortet hat, möglich ist, das nationale Recht unter Beachtung der vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a., C?397/01 bis C?403/01, Slg. 2004, I?8835, Randnrn. 113 bis 116, und vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a., C?212/04, Slg. 2006, I?6057, Randnrn. 110 bis 112) im Licht dieser Antwort auszulegen, kann sich auf die Verpflichtung des Gerichtshofs, über die Frage zu befinden, nicht auswirken. Ein anderes Ergebnis wäre mit dem Zweck der dem Gerichtshof durch Art. 234 EG zuerkannten Befugnisse nicht vereinbar, die im Wesentlichen eine einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die nationalen Gerichte gewährleisten sollen (Urteile vom 6. Dezember 2005, Gaston Schul Douane-expediteur, C?461/03, Slg. 2005, I?10513, Randnr. 21, sowie vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA, C?344/04, Slg. 2006, I?403, Randnr. 27).

Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

Zur Beantwortung der Frage:

Nach Auffassung des Bundesverbands, der spanischen und der österreichischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften stellt Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie klar, dass nicht nur die Nachbesserung eines vertragswidrigen Verbrauchsguts durch den Verkäufer, sondern gegebenenfalls auch der Austausch dieses Gutes durch ein vertragsgemäßes Verbrauchsgut für den Verbraucher unentgeltlich erfolgen müssen. Das Erfordernis der Unentgeltlichkeit sei ein untrennbares Ganzes, das den Käufer vor drohenden finanziellen Belastungen schützen solle, die ihn von der Geltendmachung seiner Rechte abhalten könnten.

Die deutsche Regierung führt aus, dass der Wortlaut der Richtlinie nicht die Frage regle, ob der Verkäufer im Fall des Austauschs eines vertragswidrigen Verbrauchsguts eine Entschädigung für dessen Nutzung verlangen könne. Bei systematischer Auslegung komme im 15. Erwägungsgrund der Richtlinie ein ganz allgemeiner Rechtsgrundsatz zum Ausdruck, wonach die Frage, wann der Verbraucher die Benutzung eines Verbrauchsguts zu vergüten habe, den Mitgliedstaaten zur Regelung überlassen sei.

Vorab ist daran zu erinnern, dass nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie der Verkäufer dem Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit haftet, die zum Zeitpunkt der Lieferung des Verbrauchsguts besteht.

Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie nennt die Ansprüche, die der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit des gelieferten Verbrauchsguts gegen den Verkäufer hat. Zunächst kann der Verbraucher die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts verlangen. Kann er die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands nicht erlangen, so kann er in einem zweiten Schritt eine Minderung des Kaufpreises oder die Vertragsauflösung verlangen.

Zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts bestimmt Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie, dass der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsguts oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen kann, sofern nicht die Erfüllung seiner Forderung unmöglich oder die Forderung unverhältnismäßig ist.

Die deutsche Regierung trägt vor, dass sowohl im Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Verbrauchsgüterkauf und ?garantien (96/C 307/09) (ABl. 1996, C 307, S. 8 ) als auch im Geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Verbrauchsgüterkauf und -garantien (98/C 148/11) (ABl. 1998, C 148, S. 12), die beide von der Kommission vorgelegt wurden, nur von einer „unentgeltlichen Instandsetzung“ oder einer „Ersatzleistung“ die Rede sei. Dieses Schweigen zu den finanziellen Folgen einer Ersatzleistung belege, dass die Frage eines Nutzungsersatzes nicht durch die Richtlinie habe geregelt werden sollen.

Dieser Umstand ist jedoch völlig unbeachtlich, da im endgültigen Text die Formulierung „unentgeltliche Nachbesserung … oder … unentgeltliche Ersatzlieferung“ aus dem Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 51/98, vom Rat festgelegt am 24. September 1998 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie (ABl. C 333, S. 46), beibehalten wurde, was den Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers zum Ausdruck bringt, den Schutz des Verbrauchers zu verstärken.

Der Begriff „unentgeltlich“ als solcher umfasst nach der Definition in Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie „die für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes notwendigen Kosten, insbesondere Versand-, Arbeits- und Materialkosten“. Aus der Verwendung des Adverbs „insbesondere“ durch den Gemeinschaftsgesetzgeber ergibt sich, dass diese Aufzählung nur Beispiele enthält und nicht abschließend ist.

Der von der deutschen Regierung angeführte Umstand, dass die Presseerklärung C/99/77 des Vermittlungsausschusses Parlament – Rat vom 18. März 1999 betreffend die Einigung über Garantien für Verbrauchsgüter den Begriff „unentgeltlich“ einschränkend auslegt, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich. Nach ständiger Rechtsprechung kann eine in ein Protokoll des Rates aufgenommene Erklärung, wenn sie in einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts keinen Ausdruck gefunden hat, zur Auslegung dieser Vorschrift nicht herangezogen werden (vgl. u. a. Urteile vom 26. Februar 1991, Antonissen, C?292/89, Slg. 1991, I?745, Randnr. 18, und vom 10. Januar 2006, Skov und Bilka, C?402/03, Slg. 2006, I?199, Randnr. 42).

Demnach geht sowohl aus dem Wortlaut als auch aus den einschlägigen Vorarbeiten der Richtlinie hervor, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Unentgeltlichkeit der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts durch den Verkäufer zu einem wesentlichen Bestandteil des durch diese Richtlinie gewährleisteten Verbraucherschutzes machen wollte.

Diese dem Verkäufer auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts unentgeltlich zu bewirken, sei es durch Nachbesserung, sei es durch Austausch des vertragswidrigen Verbrauchsguts, soll den Verbraucher vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn, wie die Generalanwältin in Nr. 49 ihrer Schlussanträge erläutert hat, in Ermangelung eines solchen Schutzes davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu machen. Diese vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewollte Garantie der Unentgeltlichkeit bedeutet, dass jede finanzielle Forderung des Verkäufers im Rahmen der Erfüllung seiner Verpflichtung zur Herstellung des vertragsmäßigen Zustands des Verbrauchsguts, auf das sich der Vertrag bezieht, ausgeschlossen ist.

Diese Auslegung wird dadurch bestätigt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 der Richtlinie seinem Willen Ausdruck verliehen hat, einen wirksamen Verbraucherschutz zu gewährleisten. Nach dieser Bestimmung hat nämlich die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung nicht nur innerhalb einer angemessenen Frist, sondern auch ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zu erfolgen.

Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck der Richtlinie, mit der, wie aus ihrem ersten Erwägungsgrund hervorgeht, ein Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus geleistet werden soll. Wie sich aus ihrem Art. 8 Abs. 2 ergibt, sieht die Richtlinie einen Mindestschutz vor, und die Mitgliedstaaten können zwar strengere Bestimmungen erlassen, dürfen aber nicht die vom Gemeinschaftsgesetzgeber vorgesehenen Garantien beeinträchtigen.

Die weiteren Argumente, die die deutsche Regierung gegen eine solche Auslegung anführt, sind nicht geeignet, diese in Frage zu stellen.

Was zum einen die Bedeutung angeht, die dem 15. Erwägungsgrund der Richtlinie beizumessen ist, der gestattet, die Benutzung der vertragswidrigen Ware durch den Verbraucher zu berücksichtigen, ist darauf hinzuweisen, dass sich der erste Teil dieses Erwägungsgrundes auf eine dem Verbraucher zu leistende „Erstattung“ bezieht, während der zweite Teil die „Modalitäten der Durchführung der Vertragsauflösung“ betrifft. Diese Worte stimmen mit denen überein, die im Gemeinsamen Standpunkt des Rates verwendet werden, auf den sich auch die deutsche Regierung bezogen hat.

Diese Terminologie lässt klar erkennen, dass der 15. Erwägungsgrund nur den in Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie vorgesehenen Fall der Vertragsauflösung betrifft, in dem der Verkäufer dem Verbraucher gemäß dem Grundsatz der gegenseitigen Herausgabe der erlangten Vorteile den Kaufpreis des Verbrauchsguts erstatten muss. Anders als die deutsche Regierung meint, kann der 15. Erwägungsgrund somit nicht als allgemeiner Grundsatz verstanden werden, der die Mitgliedstaaten ermächtigt, in sämtlichen Fällen, in denen sie dies wünschen, einschließlich des Falls, in dem lediglich gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie eine Ersatzlieferung verlangt wird, die Benutzung eines vertragswidrigen Verbrauchsguts durch den Verbraucher zu berücksichtigen.

Was zum anderen das Vorbringen der deutschen Regierung angeht, es stelle eine ungerechtfertigte Bereicherung dar, wenn der Verbraucher aufgrund des Austauschs eines vertragswidrigen Verbrauchsguts über ein neues Verbrauchsgut verfüge, ohne dass er eine finanzielle Entschädigung hätte leisten müssen, ist daran zu erinnern, dass nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie der Verkäufer dem Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit haftet, die zum Zeitpunkt der Lieferung des Verbrauchsguts besteht.

Wenn der Verkäufer ein vertragswidriges Verbrauchsgut liefert, erfüllt er die Verpflichtung, die er im Kaufvertrag eingegangen ist, nicht ordnungsgemäß und muss daher die Folgen dieser Schlechterfüllung tragen. Der Verbraucher, der seinerseits den Kaufpreis gezahlt und damit seine vertragliche Verpflichtung ordnungsgemäß erfüllt hat, wird durch die Erlangung eines neuen Verbrauchsguts als Ersatz für das vertragswidrige Verbrauchsgut nicht ungerechtfertigt bereichert. Er erhält lediglich verspätet ein den Vertragsbestimmungen entsprechendes Verbrauchsgut, wie er es bereits zu Beginn hätte erhalten müssen.

Im Übrigen werden die finanziellen Interessen des Verkäufers zum einen durch die Verjährungsfrist von zwei Jahren nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie und zum anderen durch die ihm in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie eröffnete Möglichkeit geschützt, die Ersatzlieferung zu verweigern, wenn sich diese Abhilfe als unverhältnismäßig erweist, weil sie ihm unzumutbare Kosten verursachen würde.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges Verbrauchsgut geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des vertragswidrigen Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch ein neues Verbrauchsgut zu verlangen.

Kosten:

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges Verbrauchsgut geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des vertragswidrigen Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch ein neues Verbrauchsgut zu verlangen.

Unterschriften

(*) Verfahrenssprache: Deutsch

Quelle: http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=DE&Submit=rechercher&numaff=C-404/06

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