LG Kiel, Urteil vom 29.11.2011, Az. 2 O 136/11
§ 307 Abs. 1 BGB, § 309 Nr. 5 BGB
Das LG Kiel hat auf die Klage eines Verbraucherverbands entschieden, dass eine AGB-Klausel in Handy-Verträgen, die bei 3monatiger Nichtnutzung (kein Telefonat, keine SMS) des vereinbarten Tarifs eine gesonderte „Nichtnutzungsgebühr“ vorsieht, unzulässig ist. Darüber hinaus sei es auch rechtswidrig, in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Pfandgebühr für nach Vertragsende nicht zurückgesandte SIM-Karten zu erheben. Durch diese Klauseln würden Verbraucher nach Auffassung des Gerichts unangemessen benachteiligt. Bei der Gebühr für die Nichtnutzung liege keine Gegenleistung des Betreibers vor; bei dem erhobenen „Pfand“ handele es sich eigentlich um einen pauschalen Schadensersatz. Zum Volltext der Entscheidung:
Landgericht Kiel
Urteil
Das Versäumnisurteil vom 4. August 2011 bleibt aufrechterhalten.
Die Beklagte trägt auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollsteckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Unterlassung nach Maßgabe des Unterlassungsklagegesetzes (UKlaG).
Der Kläger ist Verbraucherverband und in die beim Bundesjustizamt geführte Liste gemäß § 4 UKlaG eingetragen. Zu seinen satzungsgemäßen Aufgaben gehört es u. a., die Interessen der Verbraucher wahrzunehmen und den Verbraucherschutz zu fördern.
Die Beklagte vertreibt am Markt Telekommunikationsdienstleistungen. Hierbei verwendet sie unterschiedliche Marken, u. a. auch eine solche mit der Bezeichnung „T…“.
Zu dem Tarif „Vario 50/Vario 50 SMS T-Mobile“ existiert eine Preisliste mit Tarifbestimmungen (Anlage K 1). In ihr wird als Paketpreis ein Betrag von 14,95 € pro Monat genannt. Der Hinweis auf den Paketpreis ist versehen mit einer Fußnote. In dieser Fußnote heißt es:
„Wird in 3 aufeinander folgenden Monaten kein Anruf getätigt bzw. keine SMS versendet, wird dem Kunden eine Nichtnutzungsgebühr in Höhe von € 4,95 monatlich in Rechnung gestellt.“
Im Rahmen der Angebote unter der Marke „T…“ verwendet die Beklagte ein gesondertes Bedingungswerk, wobei wegen der Einzelheiten auf die Anlage K 2 verwiesen wird. Dort heißt es u. a.:
„Die zur Verfügung gestellte SIM-Karte bleibt im Eigentum der T… . Für die SIM-Karte wird eine Pfandgebühr fällig. Die Höhe der Pfandgebühr richtet sich nach der jeweils bei Vertragsabschluss gültigen Service- und Preisliste. Sie wird dem Kunden nur dann mit der Endabrechnung in Rechnung gestellt, wenn er diese nicht innerhalb von 14 Tagen nach Vertragsende an Talkline zurücksendet.“
Ferner heißt es in der dazugehörigen Preisliste (Anlage K 3):
„SIM-Karten-Pfand je Karte 9,97€
(für den Verbleib der SIM .. Karte beim Kunden)“
in Verbindung mit folgendem Fußnotentext:
„Die Pfandgebühr wird fällig, soweit Sie uns die zur Verfügung gestellte SIM-Karte nicht innerhalb von 14 Tagen nach Vertragsende zurücksenden.“
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger Unterlassung der Einbeziehung der vorstehend genannten Klauseln in Verträge über Mobilfunkleistungen mit Verbrauchern, ferner pauschalierten Schadensersatz in Höhe von 200,00 € für vorgerichtliche Abmahntätigkeit.
Auf Antrag des Klägers ist am 4. August 2011 ein entsprechendes Versäumnisurteil ergangen. Gegen dieses am 10. August 2011 zugestellte Versäumnisurteil hat die Beklagte mit einem am 12. August 2011 bei Gericht eingegangen Schriftsatz Einspruch eingelegt.
Der Kläger macht geltend, die beanstandeten Klauseln würden einer Inhaltskontrolle nicht standhalten. Die Erhebung der Nichtnutzungsgebühr führe dazu, dass der Kunde einer zusätzlichen Zahlungspflicht nachkommen müsse, obwohl die Beklagte keine Gegenleistung erbringe. Dies störe in erheblicher Weise das Äquivalenzverhältnis. Die Erhebung der Pfandgebühr sei ebenfalls nicht zulässig, denn in Wirklichkeit handele es sich um pauschalierten Schadensersatz, was gegen die Vorschrift des § 309 Nr. 5 BGB verstoße.
Der Kläger beantragt,
das Versäumnisurteil vom 4. August 2011 aufrechtzuerhalten.
Die Beklagte beantragt,
das Versäumnisurteil von 4. August 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte meint, die Klausel, die die Nichtnutzungsgebühr erhebe, sei schon einer Inhaltskontrolle nicht zugänglich, weil es sich um eine reine Preisabrede handele. Sie sei aber auch inhaltlich nicht zu beanstanden, insbesondere führe sie nicht zu einer Aquivalenzverschiebung. Die weiteren Klauseln, die die Erhebung der Pfandgebühr betreffen würden, seien ebenfalls einer Inhaltskontrolle entzogen. Sie seien aber auch nicht unwirksam. Die Klauseln seien so zu verstehen, dass der Kunde ein Pfand leiste und nicht etwa Schadensersatz. Die Beklagte behauptet, dieses Pfand würde dem Kunden auch bei Überschreitung der genannten Frist erstattet werden, sofern er die SIM-Karte zurücksenden sollte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des gegenseitigen Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze mit allen Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden (§ 339 Abs. 1 ZPO). Dies hat zur Folge, dass der Prozess in die Lage zurückversetzt wird, in der er sich vor Eintritt der Versäumnis befand (§ 342 ZPO).
Die zulässige Klage ist begründet. Das Versäumnisurteil vom 4. August 2011 ist daher aufrechtzuerhalten (§ 343 Satz 1 ZPO).
Dem Kläger, der als Verbraucherverband gemäß §§ 3, 4 UKlaG klagebefugt ist, stehen die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung (§ 1 UKlaG) zu.
Nach dieser Vorschrift kann derjenige, der in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Bestimmungen, die nach den §§ 307 bis 309 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) unwirksam sind, verwendet, auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
I.
Die Klausel, wonach im Falle der Nichtnutzung von Mobilfunkdiensten während eines Zeitraumes von drei aufeinander folgenden Monaten eine Nichtnutzungsgebühr in Höhe von 4,95 € monatlich anfällt, ist gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, weil sie die Kunden der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
Die streitige Klausel ist einer Inhaltskontrolle nach den §§ 307 bis 309 BGB zugänglich. Zutreffend ist zwar, dass die Vertragsparteien Leistung und Gegenleistung grundsätzlich frei bestimmen können. Daher sind Preisklauseln, die die Höhe des Entgelts konkret festlegen, nicht kontrollfähig. In diesem Bereich fehlen gesetzliche Regelungen, die bei Unwirksamkeit der AGB ersatzweise herangezogen werden könnten. Außerhalb dieses engen Bereiches der eigentlichen Preisabrede sind sämtliche Preisklauseln, die die Bemessung des Entgelts, die Veränderung oder Erhöhung des Preises, die Zahlungsbedingungen u. s. w. regeln, kontrollfähig. Derartige Vereinbarungen beeinflussen den festgesetzten Preis mittelbar, weshalb nach dem Schutzzweck der AGB-Normen die Angemessenheitsprüfung erforderlich ist. Maßstab für die Inhaltskontrolle bildet das dispositive Recht, insbesondere das Äquivalenzprinzip und vor allem auch die nach Gegenstand und Zweck des Vertrages berechtigte Erwartung des Vertragspartners über den Vertragsinhalt und die Vertragsgestaltung (vgl. Erman/Roloff, BGB. 13. Aufl. 2011, § 307 Rn. 45).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die fragliche Klausel von einer Inhaltskontrolle nicht ausgenommen. Eine unmittelbar die Preisgestaltung betreffende Regelung liegt nicht vor. Das wäre nur dann der Fall, wenn der zu entrichtenden Gebühr eine konkrete Leistung der Beklagten gegenüberstünde. Das ist hier aber nicht zu erkennen. Der Kunde soll vielmehr für eine „Nichtleistung“, nämlich für die Nichtinanspruchnahme des Mobilfunknetzes ein Entgelt erbringen. So spricht auch die Klausel selbst von einer „Nichtnutzergebühr“. Zwar macht die Beklagte geltend, diese Gebühr sei ein Bestandteil ihrer allgemeinen Preiskalkulation. Es gebe einen fixen und einen variablen Teil der Kosten. Das Nichtnutzungsentgelt zähle zu den variablen Kosten. Das ändert allerdings nichts daran, dass ein Leistungselement, das den Preisaufschlag rechtfertigen würde, hier nicht erkennbar ist. Es handelt sich um eine Preiserhöhung, die in einer Fußnote versteckt ist.
Daraus folgt zugleich, dass die Klausel auch einer Inhaltskontrolle nicht standhält. Sie legt dem Kunden der Beklagten ein zusätzliches Entgelt für den Fall auf, dass er die Mobilfunkleistungen nicht in Anspruch nimmt. Damit wird die Regel, dass grundsätzlich nur durch die Inanspruchnahme solcher Leistungen eine Zahlungsverpflichtung entsteht, ins Gegenteil verkehrt. Die einzige Leistung der Beklagten besteht hier allenfalls in der Bereithaltung des Anschlusses. Die dafür anfallenden Kosten sind jedoch bereits mit dem monatlichen Paketpreis in Höhe von 14,95 € abgegolten, ebenso etwaige Anschaffungskosten für das Telefon. Es wird also eine zusätzliche Zahlung für eine Leistung verlangt, die die Beklagte ohnehin schon schuldet, was jedoch mit den berechtigten Erwartungen der Kunden keinesfalls in Einklang gebracht werden kann. Denn das Bereithalten eines Anschlusses ist grundsätzlich auch dann ohne zusätzliche Gebühr zu leisten, wenn dieser über längere Zeit nicht genutzt wird. Folglich verletzt die streitige Klausel das Äquivalenzprinzip und benachteiligt die betroffenen Kunden unangemessen, weil sie ein zusätzliches Entgelt entrichten müssen, aber hierfür nichts erhalten. Dieses zusätzliche Entgelt ist auch nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil der Beklagten infolge der Nichtinanspruchnahme ihrer Dienste ein Schaden entstünde. Sie räumt selbst ein, dass dies nicht der Fall sei. Vielmehr trägt sie vor, Zweck der Regelung sei es, den aktiven Nutzer zu belohnen. Dieses als Rechtfertigung für die Existenz der Klausel vorgebrachte Argument erschließt sich aber nicht. Die Begründung ist schon vom Ansatz her falsch, weil die Klausel keine Belohnung für ein aktives, sondern eine Bestrafung für ein passives Verhalten enthält. Eine Belohnung für aktives Verhalten wäre allenfalls dann gegeben, wenn die Beklagte im Falle der tatsächlichen Nutzung einen Nachlass gewähren würde. Das ist hier aber gerade nicht der Fall. Im Übrigen erschließt es sich der Kammer auch nicht, weshalb in den Augen der Beklagten ein Kunde, der innerhalb einer Zeitspanne von drei Monaten nur eine SMS schreibt oder nur einen Anruf tätigt, ein „aktiver“ Nutzer sein soll. Die Beklagte hat allenfalls Interesse an solchen Kunden, die den Vertrag über die vereinbarten Inklusivleistungen hinaus nutzen, weil dann weitere Kosten anfallen.
II.
Auch die weiteren Klauseln, die für den Fall des Verbleibs der SIM-Karte beim Kunden eine „Pfandgebühr“ in Höhe von 9,97 € je Karte vorsehen, sind unwirksam (8. 2. und 8.3. im Tenor des Versäumnisurteils). Sie sind einer Inhaltskontrolle zugänglich, weil sie mit der unmittelbaren Preisgestaltung nichts zu tun haben. Sie regeln entweder einen Anspruch auf Pfand- bzw. Schadensersatzzahlung und betreffen daher allenfalls mittelbar das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung.
Die Klauseln verstoßen gegen § 309 Nr. 5 BGB, weil sie eine unzulässige Pauschalierung eines Schadensersatzanspruchs beinhalten. Maßgeblich ist im Verbandsprozess bekanntlich die kundenfeindlichste Auslegung einer AGB-Klausel, da dies zu einem erhöhten Schutz des Vertragspartners führt (vgl. Beck’scher Online-Kommentar/Schmidt, BGB, Stand: 1. März 2011, § 305 c Rn. 56). Wendet man diese Kriterien auf den vorliegenden Fall an, so ergibt die kundenfeindlichste Auslegung, dass der Kunde bei nicht rechtzeitiger Rückgabe der SIM-Karte einen pauschalierten Schadensersatz schuldet. Für eine Pfandzahlung wäre nämlich charakteristisch, wenn das Pfand zu Beginn des Vertragsverhältnisses erhoben werden würde. Das ist hier aber nicht der Fall, weil der Zahlungsanspruch erst mit der Endabrechnung berechnet wird, sofern der Kunde die SIM-Karte nicht binnen einer Frist von 14 Tagen nach Vertragsende zurücksendet. Einen Hinweis darauf, dass der Kunde die „Pfandgebühr“ zurückerstattet erhält, falls er seiner Verpflichtung zur Rücksendung der SIM-Karte zu einem späteren Zeitpunkt nachkommen sollte, enthalten die Klauseln ebenfalls nicht. Auch dies spricht gegen die Annahme einer „bloßen“ Pfandzahlung, selbst wenn dies in der Praxis von der Beklagten anders gehandhabt werden sollte.
Ob die fraglichen Klauseln gegen § 309 Nr. 5 a) BGB verstoßen, kann dahinstehen. Dafür mag zwar sprechen, dass die SIM-Karte nach Beendigung des Vertragsverhältnisses in aller Regel völlig wertlos ist, so dass ein Betrag von 9,97 € den nachdem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden erheblich übersteigen dürfte. Auch die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der SIM-Karte dürfte es nicht rechtfertigen, den Kunden nach Vertragsende mit solchen Kosten zu belasten. Denn die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung besteht erst recht während des laufenden Vertrages, sofern die SIM-Karte in die falschen Hände fällt. Das alles bedarf jedoch keiner Entscheidung, weil die Klauseln in jedem Fall gegen § 309 Nr. 5 b) BGB verstoßen, da dem Kunden nicht ausdrücklich der Nachweis gestattet wird, ein Schaden sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die geforderte Pauschale.
III.
Der Anspruch auf Zahlung der mit der Klage geltend gemachten Kostenpauschale ist nach alledem ebenfalls gerechtfertigt. Die Pauschale ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Im Wettbewerbsrecht werden Verbänden, die Wettbewerbsverstöße abmahnen, ähnliche Beträge zuerkannt (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl. 2011, § 12 Rn. 1.98). Die Verzinsung folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
IV.
Die Androhung der Ordnungsmittel beruht auf § 890 ZPO.
Die Kostenentscheidung findet ihre rechtliche Grundlage in § 91 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollsteckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Auf das Urteil hingewiesen hat openjur.de.