LG Köln, Urteil vom 18.08.2010, Az. 26 O 260/08
– Aufgehoben durch OLG Köln, Urteil vom 02.03.2011, Az. 6 U 165/10 –
§ 307 Abs. 1 BGB
Das LG Köln hat – anders als das OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.03.2007, Az. I-18 U 163/06 – entschieden, dass ein Speditionsunternehmen ihm anvertraute Pakete auch ohne vorherige Einwilligung des Versenders an „Ersatzempfänger“ aushändigen darf. Das Speditionsunternehmen hatte sich in seinen AGB unter anderem vorbehalten, die Pakete an „andere, in den Räumen des Empfängers anwesende Personen, sowie dessen Hausbewohner und Nachbarn [auszuliefern], sofern den Umständen nach angenommen werden kann, dass sie zur Annahme der Sendungen berechtigt sind“. Das Oberlandesgericht hatte noch argumentiert, dass den Empfänger und den Nachbarn nicht zwingend eine persönliche Beziehung oder ein besonderes Vertrauensverhältnis verbinde; vielmehr sei allgemein und gerichtsbekannt, dass Nachbarn untereinander nicht selten gleichgültig oder sogar verfeindet seien. Auch sei der Begriff „Nachbar“ nicht hinreichend bestimmt. Dieser Wertung vermochte sich die Kammer nicht anzuschließen. Dies gelte jedenfalls für den Bereich der Zustellung von Postpaketen, da im Hinblick auf das Massengeschäft Paketzustellung davon auszugehen sei, dass die Zustellung an Ersatzempfänger in Person von Nachbarn und Hausbewohnern Ausdruck einer anerkannten Verkehrsübung und der Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs sei. Die Verkehrssitte finde trotz fehlender ausdrücklicher Erwähnung bei der Interessenabwägung im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB Beachtung. Zudem sei bei der Abwägung im Rahmen des § 307 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen, dass die Aushändigung der Sendung an einen Ersatzempfänger bei fehlender gegenteiliger Weisung des Absenders oder Empfängers gemäß § 2 Ziff. 4 PUDLV gestattet sei. Zum Volltext der Entscheidung:
Landgericht Köln
Urteil
…
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen geltend. Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrnehmung von Verbraucherinteressen durch Beratung und Aufklärung gehört.
Die streitgegenständliche Regelung in § 4 Abs. 3 der AGB Paket/Express National (im Folgenden: AGB) lautet:
„§ 4 Leistungen der B
(…)
(3) B darf Sendungen, die nicht in der in Absatz 2 genannten Weise abgeliefert werden können, einem Ersatzempfänger aushändigen. Dies gilt nicht für Sendungen mit dem Service „Eigenhändig“, Express-Sendungen mit dem Service „Transportversicherung 25.000,- EURO“ und EXPRESS BRIEFE mit dem Service „Transportversicherung 2.500,- EURO“. Ersatzempfänger sind
1. Angehörige des Empfängers oder des Ehegatten, oder
2. andere, in den Räumen des Empfängers anwesende Personen, sowie dessen Hausbewohner und Nachbarn, sofern den Umständen nach angenommen werden kann, dass sie zur Annahme der Sendungen berechtigt sind; EXPRESS BRIEFE werden nicht an Hausbewohner und Nachbarn ausgehändigt. (…)“
Mit Schreiben vom 15.07.2008 forderte der Kläger die Beklagte zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung hinsichtlich der Verwendung von § 4 Abs. 3 AGB betreffend die Aushändigung von Sendungen an Nachbarn und Hausbewohner als Ersatzempfänger auf.
Der Kläger trägt unter Berufung auf entsprechende Studien vor, der Klage liege eine Vielzahl von Verbraucherbeschwerden zugrunde. Der Kläger ist der Ansicht, § 4 Abs. 3 AGB sei im Hinblick auf die dort gestattete Ersatzzustellung an Nachbarn und Hausbewohner des Sendungsempfängers unangemessen benachteiligend. Dies gelte insbesondere wegen der Gefahr der Aushändigung von Sendungen an unbefugte Personen und der damit verbundenen Gefahr des Abhandenkommens. Die Klausel sei insoweit gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen unvereinbarer Abweichung von dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in §§ 407 Abs. 1, 418 Abs. 3 HGB unwirksam. Der Kreis der Nachbarn und Hausbewohner sei zudem zu unbestimmt, weswegen die Klausel auch gegen das Transparenzgebot in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstoße.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, der Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft es zu unterlassen, die nachfolgenden oder dieser inhaltsgleichen Bestimmungen in Bezug auf Beförderungsverträge zu verwenden, sofern nicht der Vertrag mit einer Person abgeschlossen wird, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt (Unternehmer):
„§ 4 Leistungen der B
(3) B darf Sendungen (, die nicht in der in Absatz 2 genannten Weise abgeliefert werden können,) einem Ersatzempfänger aushändigen. (Dies gilt nicht für Sendungen mit dem Service „Eigenhändig“, Express-Sendungen mit dem Service „Transportversicherung 25.000,- Euro“.) Ersatzempfänger sind
(1. Angehörige des Empfängers oder des Ehegatten, oder
(2. andere, in den Räumen des Empfängers anwesende Personen, sowie)
dessen Hausbewohner und Nachbarn, sofern den Umständen nach angenommen werden kann, dass sie zur Annahme der Sendungen berechtigt sind
(; EXPRESS BRIEFE werden nicht an Hausbewohner und Nachbarn ausgehändigt)“
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 200,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, mangels Vertragsabschlusses mit Verbrauchern sei sie nicht passivlegitimiert, da im Privatkundenbereich Verträge in Vertretung der Q AG geschlossen würden. Die Zahl der Beschwerden zum Thema Ersatzzustellung sei verschwindend gering. Die Beklagte ist der Ansicht, es liege schon keine Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber dem Sendungsempfänger vor, da Vertragspartner des Postbeförderungsvertrages allein der Absender sei. Zudem stehe § 4 Abs. 3 AGB in Einklang mit § 2 der Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV). Diese Vorschrift sehe wie die Vorgängervorschrift in § 51 Abs. 2 Ziff. 4 Postordnung die Möglichkeit der Ersatzzustellung an Hausbewohner und Nachbarn vor. Die angegriffene Klausel sei auch inhaltlich hinreichend klar und verständlich.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten und zu denAkten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Unterlassung der Verwendung von § 4 Abs. 3 AGB im Hinblick auf die Ersatzzustellung von Sendungen an Nachbarn und Hausbewohner zu, §§ 1, 2, 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG.
Dies folgt nicht bereits daraus, dass die Beklagte die angegriffene Klausel nicht im Verbraucherbereich verwendet (§§ 1, 2 UKlaG). Die Verwendung gegenüber Verbrauchern ergibt sich daraus, dass sich der Internetauftritt der Beklagten in Bezug auf die Versendung von Paketen gerade auch an Privatkunden richtet. Entsprechend dem Vortrag des Klägers und im Übrigen gerichtsbekannt bietet die Internetseite der Beklagten die Möglichkeit der Online-Frankierung und hält in den dort aufrufbaren Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine speziell an Verbraucher gerichtete Widerrufsbelehrung vor. Die von der Beklagten zunächst behauptete Vertreterstellung für die Q AG im Privatkundenbereich ändert aufgrund der Online-Frankiermöglichkeit für Privatkunden und der Abrufbarkeit der Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf der Internetseite nichts daran, dass die Beklagte jedenfalls in einem Teilbereich ihrer Tätigkeit Allgemeine Geschäftsbedingungen gegenüber Verbrauchern verwendet. Auch hat die Beklagte insoweit eingeräumt, dass die Vertreterstellung auf der Homepage nicht deutlich zum Ausdruck komme.
Auch steht einem Unterlassungsanspruch des Klägers nicht schon der Umstand entgegen, dass die Klausel über die Zustellung an Ersatzempfänger lediglich in den jeweiligen Vertrag zwischen dem Absender und der Beklagten einbezogen wird, die Unwirksamkeit nach dem Vortrag des Klägers aber gleichwohl aus nachteiligen Auswirkungen für den jeweiligen Sendungsempfänger resultiert. Der Kläger beruft sich vornehmlich auf die Wahrnehmung der Verbraucherschutzrechte der Sendungsempfänger. Die Interessen der Sendungsempfänger als Dritten finden vorliegend jedoch mittelbar über die Interessen des Absenders Berücksichtigung. Bei den Sendungsempfängern handelt es sich um in den Vertrag einbezogene Dritte, deren Interessen typischerweise von dem vertragschließenden Absender wahrzunehmen sind (vgl. Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 5. Aufl. 2009, § 307 Rn. 166). Dies gilt insbesondere mit Blick auf spezielle Zustellarten wie etwa Express-Sendung oder Eigenhändigkeitsvermerk, die seitens des Absenders bei entsprechendem Willen des Sendungsempfängers zu beauftragen sind. Hinsichtlich der mittelbaren Berücksichtigung der Empfängerinteressen ist zudem auch die Vorschrift über den Gefahrübergang beim Versendungskauf in § 447 BGB heranzuziehen. Der in § 447 BGB geregelte Gefahrübergang durch Übergabe der Sache an die zur Ausführung der Versendung bestimmte Person geht zulasten des Empfängers und ist ein typischer Anwendungsfall des Rechtsinstituts der Drittschadensliquidation. Letzteres dient der Wahrung der Interessen des geschädigten Dritten/Sendungsempfängers, der sich den durch Beiziehung seines Schadens bestehenden Schadensersatzanspruch des Versenders abtreten lassen kann. Über die Grundsätze der Drittschadensliquidation sind Drittinteressen des auf Seiten des Absenders stehenden Sendungsempfängers mittelbar auch bei der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu berücksichtigen (vgl. Wolf/Lindacher/Pfeiffer, a. a. O., Rn. 172). § 447 BGB ist gemäß § 474 Abs. 2 S. 2 BGB zwar nicht im Vertragsverhältnis zwischen Unternehmer und Verbraucher anzuwenden, greift aber gleichwohl bei der Abwicklung von Kaufverträgen zwischen Privaten ein. Die durch die Möglichkeit einer Ersatzzustellung an Nachbarn und Hausbewohner entstehenden etwaigen Nachteile für den Empfänger können daher grundsätzlich auch im Vertragsverhältnis zwischen Absender und Zusteller zu einer unangemessenen Benachteiligung führen.
Das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs des Klägers scheidet aus dem Grund aus, dass die in § 4 Abs. 3 AGB geregelte Möglichkeit der Ersatzzustellung an Nachbarn und Hausbewohner nicht nach den §§ 307 bis 309 BGB unwirksam ist, § 1 UKlaG. Die Klausel in § 4 Abs. 3 AGB ist auch unter Berücksichtigung der Interessen des Sendungsempfängers weder wegen unangemessener Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB noch wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam.
Nach Auffassung des OLG Düsseldorf (Urteil vom 14.03.2007, Az. I-18 U 163/06, juris Rn. 6 ff.) sind Allgemeine Geschäftsbedingungen eines Frachtführers unwirksam, wonach dieser statt an den vertragsmäßigen Empfänger auch an dessen Nachbarn zustellen darf. Zur Begründung wird angeführt, dass auch ein Nachbar im engsten Sinne ein Dritter sei, den sich der frachtbriefmäßige Empfänger nicht aussuchen konnte und mit dem ihn nicht zwingend eine persönliche Beziehung oder ein besonderes Vertrauensverhältnis verbinde; allgemein und gerichtsbekannt seien Nachbarn untereinander nicht selten gleichgültig oder sogar verfeindet.
Dieser Wertung vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Dies gilt jedenfalls für den Bereich der Zustellung von Postpaketen, da im Hinblick auf das Massengeschäft Paketzustellung davon auszugehen ist, dass die Zustellung an Ersatzempfänger in Person von Nachbarn und Hausbewohnern Ausdruck einer anerkannten Verkehrsübung und der Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs ist.
Die Verkehrssitte findet trotz fehlender ausdrücklicher Erwähnung bei der Interessenabwägung im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB Beachtung (BGH 30.10.1984, Az. VIII ARZ 1/84, BGHZ 92, S. 363, 368; 01.07.1987, Az. VIII ARZ 9/86, NJW 1987, S. 2575, 2576; 07.06.1989, Az. VIII ZR 91/88, BGHZ 108, S. 1, 6;).
Nach Auffassung der Kammer entspricht es einer weithin anerkannten Verkehrssitte, dass ein Paket bei Nichtantreffen des Empfängers bei dessen Nachbarn abgegeben und ein entsprechender Hinweis in den Briefkasten eingeworfen wird. Dies steht im Einklang mit dem Interesse des Empfängers, die Sendung unweit von seiner Wohnung und nicht erst im nächsten Service-Center und nur zu den dort geltenden Öffnungszeiten entgegennehmen zu können. Dies gilt jedenfalls bei eindeutiger Kenntlichmachung des verwahrenden Nachbarn oder Hausbewohners. Zudem hat der Absender bei „sensiblen“ Sendungen, die ausschließlich dem Empfänger ausgehändigt werden sollen, die Möglichkeit, die Ersatzzustellung durch den Vermerk „Eigenhändig“ auszuschließen.
Dass es nichtsdestotrotz aufgrund Missbrauchs der Ersatzempfänger und fehlender Sorgfalt der Zustellpersonen im Einzelfall zu Sendungsverlusten kommen kann, ist auch angesichts des verobjektivierten Prüfungsmaßstabs bei der Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen hinzunehmen. § 4 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Hs. 2 AGB erfordert zudem eine Abwägung des Zustellers in jedem Einzelfall, da es danach darauf ankommt, ob den Umständen nach angenommen werden kann, dass Nachbarn oder Hausbewohner zur Annahme der Sendungen berechtigt sind. In aller Regel ist von einer Annahmeberechtigung nur bei einem nah entfernt wohnenden Nachbarn, der dem Sendungsempfänger zumeist näher bekannt sein dürfte, auszugehen. Entgegen der Auffassung des OLG Düsseldorf (Urt. v. 14.03.2007, a. a. O., Rn. 7) wird ein Großteil der (auch städtischen) Bevölkerung bemüht sein, im Hinblick auf ein geordnetes Zusammenleben ein möglichst gutes Verhältnis zu Nachbarn und Hausbewohnern zu pflegen.
Zwar kann eine AGB-Klausel unangemessen sein, wenn die den Klauselinhalt gestattende Verkehrssitte missbräuchlich ist (BGH 05.06.1984, Az. X ZR 75/83, BGHZ 91, S. 316, 319; 17.01.1989, Az. XI ZR 54/88, BGHZ 106, S. 259, 267; OLG Hamm 08.06.1989, Az. 18 U 186/88, NJW-RR 1990, S. 567, 570). Vom Vorliegen einer missbräuchlichen Verkehrssitte ist hier jedoch nicht auszugehen. Unangemessen ist eine Benachteiligung nur dann, wenn der Verwender ohne Berücksichtigung der Belange des Vertragspartners eigene Interessen missbräuchlich durchzusetzen versucht (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 69. Aufl. 2010, § 307 Rn. 8 m.w.N.). Durch die Möglichkeit der Ersatzzustellung an Nachbarn und Hausbewohner wird zwar auch das Interesse der Beklagten an einer effektiven, schnellen und kostensparenden Zustellung gewahrt. Diese Kriterien prägen jedoch gleichermaßen auch die Belange des jeweiligen Sendungsempfängers und dienen nicht ausschließlich und eigennützig den ökonomischen Zielen der Beklagten. Das darüber hinausgehende Interesse des Empfängers an einer sicheren Zustellung ohne Sendungsverlust mag bei Aushändigung der Sendung an Nachbarn oder Hausbewohner im Einzelfall verletzt werden. Dies kann jedoch insbesondere unter Berücksichtigung des Bestehens besonderer Zustellarten, bei deren Vereinbarung die Sendung ausschließlich dem Empfänger ausgehändigt werden darf, nicht zur Annahme einer missbräuchlichen Interessendurchsetzung durch die Beklagte führen.
Zudem ist bei der Abwägung im Rahmen des § 307 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen, dass die Aushändigung der Sendung an einen Ersatzempfänger bei fehlender gegenteiliger Weisung des Absenders oder Empfängers gemäß § 2 Ziff. 4 PUDLV gestattet ist. Im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung nach § 307 Abs. 1 BGB sind die sich aus der Gesamtheit der Rechtsordnung ergebenden Bewertungskriterien einzubeziehen (BGH 24.07.2008, Az. VII ZR 55/07, BGHZ 178, S. 1 ff.). Die Vorschrift des § 2 Ziff. 4 PUDLV ist entgegen der Ansicht des Klägers bei der vorliegenden Beurteilung auch in inhaltlicher Hinsicht einschlägig. Zwar sind darin Nachbarn und Hausbewohner nicht ausdrücklich als Ersatzempfänger benannt. Die Einbeziehung von Nachbarn und Hausbewohnern ergibt sich jedoch aus der Regelung in § 51 Abs. 2 Ziff. 4 PostO, die als Vorgängervorschrift zu § 2 Ziff. 4 PUDLV bei der Auslegung Berücksichtigung finden muss. Die Regelung in § 51 Abs. 2 Ziff. 4 PostO stellt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keinen Verstoß gegen das Postgeheimnis dar (Beschl. v. 15.03.1984, Az. 7 B 167/82, NJW 1984, S. 2112 f.). Dabei wird die Zulässigkeit der Zustellung an Ersatzempfänger in Person von Nachbarn und Hausbewohnern gerade auch unter Hinweis auf die Umstände bei der Massendienstleistung und der Möglichkeit der Kennzeichnung einer Sendung mit „Eigenhändig“ festgestellt. Dass der Verordnungsgeber mit dem Erlass der PUDLV auch in Anbetracht der Privatisierung der Postdienstleistungen weiterhin an der Möglichkeit der Ersatzzustellung an Nachbarn und Hausbewohner festgehalten hat, spricht gegen das Vorliegen einer unangemessenen Benachteiligung. Auch der materiellgesetzlichen Regelung liegt eine Abwägung der widerstreitenden Interessen und insbesondere die Berücksichtigung der Interessen der Sendungsempfänger zugrunde.
An dieser Einschätzung vermag auch die mit nachgelassenem Schriftsatz des Klägers vom 02.07.2010 erneut geltend gemachte Vielzahl von Beschwerden und Bürgereingaben nichts zu ändern. Dieser Vortrag erscheint insbesondere angesichts der Entgegnung der Beklagten, die Beschwerdezahl beziehe sich auf die Zustellung insgesamt, als zu pauschal. Zum anderen sind der seitens des Klägers vorgelegte Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur und ähnliche Studien lediglich geeignet, den Verordnungsgeber zu einer Präzisierung der entsprechenden Vorschriften der PUDLV und die Beklagte sowie weitere Zustelldienste zu einer Verbesserung des Zustellservice durch verstärkte Kontrolle der Zustellung im Einzelfall anzuhalten. Eine generelle Abschaffung der Zustellung an Ersatzempfänger wie Nachbarn und Hausbewohner, die durch die Unwirksamkeitserklärung entsprechender Allgemeiner Geschäftsbedingungen de facto eintreten würde, ist dadurch nicht angezeigt und allem Anschein nach auch nicht bezweckt.
Die Klausel in § 4 Abs. 3 AGB verstößt hinsichtlich der Möglichkeit der Ersatzzustellung an Nachbarn und Hausbewohner ferner nicht gegen das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
Nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Maßgeblich ist die Sichtweise eines typischen Vertragspartners des Klauselverwenders, wobei die Transparenzanforderungen nicht überspannt werden dürfen (vgl. BGH 10.07.1990, Az. XI ZR 275/89, BGHZ 112, S. 115, 119; 10.03.1993, Az. VIII ZR 95/92, NJW 1993, S. 2052, 2054). Grundsätzlich steht auch einer Übernahme unbestimmter und der Auslegung bedürfender Rechtsbegriffe nichts entgegen (BGH 02.02.1994, Az. VIII ZR 262/92, NJW 1994, S. 1004; Palandt-Grüneberg, a. a. O., § 307 Rn. 18)
Das OLG Düsseldorf hat in seiner o.g. Entscheidung im Hinblick auf den Begriff „Nachbar“ einen Verstoß gegen das Transparenzgebot angenommen, da weder das Klauselwerk eine eigene Definition enthalte, noch Rechts- und Umgangssprache zu einer verlässlichen Begriffsbestimmung verhülfen (Urt. v. 14.03.2007, a. a. O., Rn. 6). Dem mag zuzugeben sein, dass der Rechtsterminus „Nachbar“ insbesondere mit Blick auf das öffentliche Baurecht zum Teil nicht nur angrenzende, sondern auch räumlich weiter entfernte Grundstücke erfasst.
Der Begriff „Nachbar“ ist jedoch nach Auffassung der Kammer jedenfalls unter Berücksichtigung des insoweit maßgeblichen Sprachgebrauchs des täglichen Lebens hinreichend bestimmt. Gleiches gilt für den Begriff „Hausbewohner“. Beide Termini sind sowohl im Bereich von Ein- als auch von Mehrfamilienhäusern hinreichend klar und verständlich. Im Hinblick auf Mehrfamilienhäuser decken sich die Begriffe, da sowohl unter „Nachbar“ als auch unter „Hausbewohner“ allein die in demselben Haus wohnenden bzw. geschäftstreibenden Personen zu verstehen sind. Bewohner und Geschäftstreibende der angrenzenden Häuser fallen insoweit nicht unter den Nachbarbegriff.
Bei Einfamilienhäusern sind unter „Nachbar“ jeweils die in den angrenzenden und gegenüberliegenden Häusern, demgegenüber unter „Hausbewohner“ allein die in demselben Wohnhaus lebenden Personen zu fassen. Mit entsprechender Begründung vermochte auch das AG Bonn (Urt. v. 13.03.2008, Az. 9 C 484/07) die Bedenken des OLG Düsseldorf zumindest für die Zustellung von Postpaketen nicht zu teilen.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen in Gestalt der Abmahnpauschale in Höhe von 200,- € gemäß §§ 5 UKlaG, 12 Abs. 1 S. 2 UWG. Ein Erstattungsanspruch besteht nur, soweit die vorgerichtliche Abmahnung berechtigt ist. Dies ist vorliegend mangels Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Klausel nach §§ 307 ff. BGB nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 und 2, 709 S. 2 ZPO.
Streitwert: bis 4.000,00 EUR