LG Leipzig: Die Anforderungen an die Wiederholungsgefahr im Deliktsrecht liegen höher als im Wettbewerbsrecht / Unerbetene Fax-Werbung

veröffentlicht am 3. Mai 2012

Rechtsanwalt Dr. Ole DammLG Leipzig, Urteil vom 12.03.2004, Az. 16 S 4165/03
§ 823 BGB, § 1004 BGB

Das LG Leipzig hat entschieden, dass die Anforderungen an das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr im Deliktsrecht (hier: unerbetene Fax-Werbung) höher anzusetzen sind als im Wettbewerbsrecht (vorliegend standen die Parteien nicht im Wettbewerb zu einander). Während im Wettbewerbsrecht die Verletzungshandlungen in der Regel dadurch geprägt seien, dass der Verletzer starke wirtschaftliche Interessen verfolgt, sei die Motivation des Verletzers im deliktischen Bereich vielfältiger Art. Dem sei bei der Bemessung der Anforderung an die Entkräftung der Vermutung der Wiederholungsgefahr Rechnung zu tragen. Im Deliktsrecht könne der Schwere des Eingriffs, den Umständen der Verletzungshandlung, dem fallbezogenen Grund der Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung und vor allem der Motivation des Verletzers für die Entkräftung der Vermutung der Wiederholungsgefahr durchaus ein erhebliches Gewicht zukommen. Zum Volltext der Entscheidung:

Landgericht Leipzig

In dem Verfahren

gegen

erlässt das Landgericht Leipzig – 16. Zivilkammer – durch … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20.2.2004 folgendes

Urteil

1.
Die Berufung des Klägers Amtsgerichts Leipzig (Aktenzeichen: 10 C 3661/03) gegen das Urteil des vom 26.06.2003 wird zurückgewiesen.

2.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert für die Berufung wird auf 601,00 EUR festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Darstellung im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 26.06.2003 (BI. 33-35 d. A.) Bezug genommen.

Ergänzend ist auszuführen, dass erstinstanzlich unbestritten blieb, dass der Beklagte vor der Werbeaktion, zu der das streitgegenständliche Werbefax gehörte, seinen Mitarbeiter ausdrücklich angewiesen hat, vor Versendung des Faxes bei den vorgesehenen Empfängern der Faxwerbung anzurufen, ob sie mit der Zusendung des Informationsschreibens einverstanden sind.

Gegen das die Klage abweisende Urteil des Amtsgerichts Leipz ig vom 26.06.2003 hat der Kläger Berufung eingelegt. Der Kläger/Berufungskläger hat in der Berufungsinstanz erstmals bestritten, dass der Beklagte die erstinstanzlich vorgebrachten und unter Beweis gestellten Maßnahmen zur Vermeidung einer erneuten Übersendung von Werbefaxen an den Kläger ergriffen hat.

In der Berufungsinstanz hat der Kläger/Berufungskläger beantragt,

auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 26.06.2003 (Az.: 10 C 3661/03) aufgehoben.

Der Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, für jeden Fall der Zuwiderhandlung unter Androhung eines Ordnungsgelds bis zu 250.000,00 Euro oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, zu untersagen,

im Geschäftsverkehr zum Zwecke der Werbung per Telefaxschreiben mit dem Kläger Kontakt aufzunehmen, ohne dessen Einverständnis eingeholt zu haben oder ohne, dass dieses vermutet werden kann.

Der Beklagte/Berufungsbeklagte hat in der Berufungsinstanz beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Parteien in 1. Instanz und 2. Instanz zur Akte gereichten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen. Die mündliche Verhandlung wurde am 20.02.2004 durchgeführt.

II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.

A.
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere übersteigt der Wert
des Beschwerdegegenstandes 600,00 Euro, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Bei Unterlassungsansprüchen ist die gemäß § 3 ZPO zu schätzende Beeinträchtigung, die von dem beanstandeten Verhalten des Gegners verständlicherweise zu besorgen ist und die mit der jeweils begehrten Maßnahme beseitigt werden soll, wertbestimmend.

Vorliegend begehrt der Kläger, dass es der Beklagte unterlässt, weitere „Werbefaxe“ an den Kläger zu versenden. Vorliegend wurde das Faxgerät des Klägers durch das Werbefax des Beklagten für ca. 33 Sekunden blockiert. Hierdurch ist dem Kläger ein Schaden, in Form eines verbrauchten Blatt Papiers und Tintenschwärze entstanden. Bei der Thematik von unerwünschten Werbefaxen handelt es sich aber auch außerhalb des Wettbewerbsrechts um ein Problem, bei welchem das imaterielle Interesse des Betroffenen, nicht von Werbung per Telefax belästigt zu werden, im Vordergrund steht. Da es sich vorliegend jedoch nicht um eine Wettbewerbssache handelt, bei der der lautere Wettbewerb geschützt werden soll, ist vorliegend allein maßgebend das Interesse des Klägers, in Zukunft vom Beklagten nicht mehr mit Werbefaxen belästigt zu werden. Dieses Interesse schätzt die Kammer im Hinblick darauf, dass der Kläger Rechtsanwalt ist und die Werbefaxe in seiner Rechtsanwaltskanzlei auflaufen, mit dem Wert der Zeit, die durch diese Beeinträchtigung vergeudet wird. Unter Zugrundelegung eines anwaltlichen Stundensatzes von 300,00 EUR, dem Umstand, dass das einseitige Werbefax des Beklagten leicht als Werbung erkennbar war und es dem Kläger darum geht, weitere Belästigungen zu verhindern, schätzt die Kammer den Wert der Beschwer einschließlich des materiellen Schadens auf 601,00 EUR.

B.
Der Kläger hat zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, dem 20.02.2004, auf den vorliegend abzustellen ist (Staudinger/Gursky, BGB, 1999, § 1004, Rdnr. 209), keinen Anspruch auf Unterlassung mehr.

1.
Der Kläger kann einen Anspruch aus § 1 UWG nicht geltend machen, weil er insoweit nicht aktiv legitimiert ist. Die Parteien stehen vorliegend nicht miteinander im Wettbewerb, sodass weder ein konkretes noch ein abstraktes Wettbewerbsverhältnis besteht.

2.
Ein Anspruch des Klägers aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB scheitert letztlich daran, dass vorliegend keine Wiederholungsgefahr mehr besteht.

Zwar besteht grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr, d. h . eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Störer den Angriff wiederholen wird, wenn – wie vorliegend durch die Übersendung eines Werbefaxes – bereits ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Eigentum bzw. den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers vorgenommen wurde (vgl. BGHZ 31,308, BGH NJW 1997,62 [63J, OLG München NJW-RR 2003, 1487). Auch sind an den Wegfall dieser Vermutung (Wiederholungsgefahr) strenge Anforderungen zu stellen.

Im Wettbewerbsrecht wurden diese Anforderungen konkretisiert. So kann der Störer die tatsächliche Vermutung nur durch die Abgabe einer unbedingten, unwiderruflichen und strafbewehrten Unterlassungserklärung widerlegen (vgl. Baumbach/Hefermehl, UWG, 21. AufI., Einleitung UWG, Rdnr. 263). Die Rechtsprechung, die diesen Grundsatz für den Bereich des Wettbewerbsrechts entwickelt hat, hat jedoch stets eingeräumt, dass auch ohne eine solche Erklärung die Verneinung der Wiederholungsgefahr in ungewöhnlichen Ausnahmefällen denkbar ist (BGH NJW 1994, 1281). Der Grundsatz, dass die Wiederholungsgefahr nur dann entfällt, wenn der Verletzer dem Verletzten eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgibt, gilt auch für den deliktischen Unterlassungsanspruch, jedoch nicht in gleicher Strenge. Während im Wettbewerbsrecht die Verletzungshandlungen in der Regel dadurch geprägt sind, dass der Verletzer starke wirtschaftliche Interessen verfolgt, ist die Motivation des Verletzers im deliktischen Bereich vielfältiger Art. Dem ist bei der Bemessung der Anforderung an die Entkräftung der Vermutung der Wiederholungsgefahr Rechnung zu tragen. Im Deliktrecht kann der Schwere des Eingriffs, den Umständen der Verletzungshandlung, dem fallbezogenen Grund der Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung und vor allem der Motivation des Verletzers für die Entkräftung der Vermutung der Wiederholungsgefahr durchaus ein erhebliches Gewicht zukommen (vgl. OLG Frankfurt/Main, NJW 2002, 1277 [1278J).

Die Anwendung dieser Grundsätze für das Deliktrecht führt vorliegend dazu, dass die Vermutung der Wiederholungsgefahr bei den gemäß §§ 529, 531 ZPO von der Kammer seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legenden tatsächlichen Feststellungen entkräftet ist.

Unbestritten – in 1. Instanz – hat der Beklagte vorgebracht, dass er seinen Mitarbeiter vor der Werbeaktion, zu der das streitgegenständliche Werbefax gehörte, angewiesen hat, vor Vorsendung des Faxes bei dem vorgesehenen Empfänger der Faxwerbung anzurufen und zu klären, ob diese mit der Zusendung des Informationsschreibens einverstanden sind. Im Nachgang zur klageweisen Inanspruchnahme des Beklagten hat der Beklagte erneut seinen Mitarbeiter angewiesen, ein Einverständnis vor Zusendung von Werbematerial beim Werbeempfänger einzuholen. Weiter hat der Beklagte dem Mitarbeiter arbeitsrechtliche Konsequenzen angedroht und sich von diesem eine strafbewehrte Unterlassungserklärung geben lassen.

Soweit der Kläger dieses Vorbringen erstmals in der Berufungsinstanz bestritten hat, ist er mit diesem insoweit gemäß §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.

Nach § 531 Abs. 2 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur zuzulassen, wenn sie einen Gesichtssichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszugs erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist, infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurde oder im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf eine Nachlässigkeit der Partei beruht.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 29.04.2003, welcher am selben Tag beim Amtsgericht Leipzig einging, vorgetragen, welche Maßnahmen er ergriffen hat, um sicher zu stellen, dass eine erneute Übersendung von Werbefaxen an den Kläger unterbleibt. Dieser Schriftsatz ist dem Beklagten ausweislich der Akte am 02.05.2003 zugesandt worden. Ausweislich des Protokolls der öffentlichen Sitzung vom 12.06.2003 hat das erstinstanzliche Gericht darauf hingewiesen, dass es nach dem letzten Schriftsatz der Beklagtenseite vom 29.04.2003 davon ausgeht, dass zum jetzigen Zeitpunkt die Wiederholungsgefahr weggefallen ist. Ein Bestreiten des Vorbringens des Beklagten im Schriftsatz vom 29.04.2003 erfolgte im erstinstanzlichen Verfahren ausweislich der Akte nicht. Insofern ist weder erkennbar, dass das erstinstanzliche Gericht einen Gesichtspunkt übersehen oder für unerheblich gehalten hat, noch ist dem erstinstanzlichen Richter einen Verfahrensmangel vorzuwerfen. Da auch vom Kläger nicht vorgebracht wurde, weshalb das Bestreiten erst in der Berufungsinstanz erfolgte, konnte dieses Vorbringen auch nicht gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zugelassen werden. Denn der Kläger hat nicht dargetan, dass dieses Bestreiten im ersten Rechtszug unterlassen wurde, weil dafür ein Fehler des Gerichts oder kein eigenes Verschulden ursächlich war.

Die Annahme einer Wiederholungsgefahr ist angesichts der von der Kammer zugrunde zu legenden Tatsachen ausgeschlossen. Denn der Verletzer darf dann nicht mehr verurteilt werden, wenn er nachweist, dass Maßnahmen getroffen worden sind, die nach menschlicher Voraussicht eine Wiederholung ausschließen. Vorliegend ist nach menschlicher Voraussicht eine Wiederholung auszuschließen. Beim Beklagten handelt es sich um den Inhaber einer Einzelfirma, welche sich mit Umzügen beschäftigt. Die Werbemaßnahme wurde vom einzigen Mitarbeiter durchgeführt und diente der Firma . Insoweit erscheint die nochmalige Belehrung des Mitarbeiters, die Androhung von arbeitsrechtlichen Konsequenzen und die Abforderung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung vom Mitarbeiter durch den Beklagten ausreichend zu sein, um sicher zu stellen, dass der Mitarbeiter weitere Übersendungen von Werbefaxen an den Kläger unterlässt.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Vorliegend handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, der keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der Sache ist auch eine Entscheidung des Revisionsgerichts wegen der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass die tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der Wiederholungsgefahr widerlegt werden kann und dass eine solche Widerlegung nicht nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung erfolgen kann (vgl. BGH NJW, 1994 1281).

Der Streitwert war – wie geschehen – gemäß § 3 ZPO festzusetzen.

I