LG München I, Urteil vom 05.09.2014, Az. 21 S 24208/13
§ 19a UrhG, § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG, § 97a Abs. 1 S. 2 UrhG, § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG
Das LG München I hat entschieden, dass eine erfolgreiche Verteidigung gegen eine Filesharing-Klage (hier: auf Erstattung der Abmahnkosten) seitens des Inhabers des Internetanschlusses einer qualifizierten Einlassung bedarf, um die ihm obliegende sog. sekundäre Beweislast zu erfüllen. Der Beklagte hatte im vorliegenden Fall zwar vorgetragen, dass er zu den beiden Tatzeitpunkten nicht zuhause gewesen sei und sein PC ausgeschaltet gewesen sei. Zudem hatte er angegeben, welche weiteren Personen selbständig Zugang zu seinem Internetanschluss hatten. Dies sei jedoch nur eine pauschale Angabe. Der Beklagte hätte konkret, d.h. verletzungsbezogen, darlegen müssen, ob und warum diese anderen Personen als Täter in Betracht kommen. Um seiner Nachforschungspflicht nachzukommen, hätte er von vornherein darlegen müssen, inwieweit er versucht habe, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, um herauszufinden, ob sie jeweils als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. Hierzu hätte er beispielsweise Nachforschungen anstellen müssen, wo sich die potenziellen Täter zu den beiden Tatzeitpunkten aufgehalten haben und ob sie zu den maßgeblichen Zeitpunkten konkret – und nicht nur theoretisch – Zugang zum Internetanschluss gehabt haben. Zum Volltext der Entscheidung:
Landgericht München I
Urteil
I.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 11.10.2013, Az.: 172 C 17900/13, wie berichtigt mit Beschluss vom 28.11.2013, dahingehend abgeändert, dass der Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin EUR 1.151,80 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 12.07.2013 zu zahlen.
II.
Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Rechtsstreits.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts München vom 11.10.2013, Az.: 172 C 17900/13 (Bl. 60/65 d. A.), wie berichtigt mit Beschluss vom 28.11.2013 (Bl. 69/71 d. A.), Bezug genommen.
Die Klägerin greift mit ihrer Berufung das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich an und verfolgt dessen Abänderung.
In der Berufungsinstanz macht die Klägerin geltend, das Erstgericht sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Ansprüche der Klägerin auf Schadensersatz und Ersatz der vorgerichtlichen Kosten nicht bestehen.
Das Ersturteil nehme unzutreffender Weise an, dass bloße Behauptungen des Beklagten ausreichend seien, die gegen ihn sprechende tatsächliche Vermutung zu erschüttern, und der Beklagte die von ihm behaupteten Tatsachen nicht beweisen müsse.
Ferner seien die Behauptungen des Beklagten, er sei zu den beiden Tatzeitpunkten wegen eines Tanzkurses in der Tanzschule … in Frankfurt jeweils nicht zuhause gewesen und habe seinen Laptop ausgeschaltet bei sich gehabt, nicht plausibel.
Der Beklagte habe nicht substantiiert vorgetragen, was er unternommen habe, um Rechtsverletzungen über seinen Anschluss zu verhindern. Dadurch sei der Klägerin hinsichtlich einer Störerhaftung des Beklagten ein Vortrag zur Verletzung von Prüfpflichten durch den Beklagten nicht möglich gewesen.
Eine Beweisaufnahme sei erstinstanzlich rechtsfehlerhaft unterblieben. Die bloße Angabe von Namen weiterer in Frage kommender „Täter“ ohne ladungsfähige Anschrift durch den Beklagten sei kein ausreichend substantiierter Vortrag des Beklagten sowie kein taugliches Beweisangebot.
Das erstinstanzliche Gericht gehe ferner rechtsfehlerhaft davon aus, dass sich für den Beklagten aus der tatsächlichen Vermutung eine sekundäre Darlegungslast ergebe und dass der Beklagte der sekundären Darlegungslast sogar in doppelter Hinsicht genügt habe.
Die Klägerin beantragt:
Unter Abänderung des angefochtenen Urteils wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin EUR 1.151,80 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu bezahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte entgegnet, die durch die Klägerin angegriffene Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts sei im Ergebnis zu Recht ergangen. Die zulässige Klage sei unbegründet, da der Klägerin weder Ansprüche auf Lizenzschaden noch auf Erstattung von Rechtsverfolgungskosten zustünden.
Eine täterschaftliche Haftung des Beklagten bestehe nicht.
Die Klägerin vermenge die Begriffe des Anscheinsbeweises, der tatsächlichen Vermutung sowie der sekundären Beweislast.
Die tatsächliche Vermutung sei im Streitfall entkräftet, da er substantiiert vorgetragen habe, dass sein Internetanschluss durch mehrere Personen, nämlich seine Nachbarn Herrn D. und Herrn B. sowie seine damalige Freundin, Frau A., genutzt worden sei und daher mehrere Personen als Täter der Urheberrechtsverletzung in Betracht kämen.
Ferner habe er die streitgegenständliche Datei nicht auf seinem Computer gefunden.
Der Beklagte führt aus, dass auch keine Haftung als Störer gegeben sei, da er sich mit den Nutzern des Anschlusses einig war, dass der Anschluss nicht zu illegalen Zwecken genutzt werden solle. Er habe alles ihm Zumutbare getan, um Urheberrechtsverletzungen von seinem Internetanschluss aus zu vermeiden.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.06.2014 (Bl. 109/111 d. A.) sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie ebenfalls Erfolg, da der Beklagte als Täter auf Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten in Höhe von EUR 651,80 sowie auf Schadensersatz in Höhe von EUR 500,00, jeweils nebst Zinsen aus §§ 97 Abs. 1 Satz 1, 97a Abs. 1 Satz 2 und 97 Abs. 2 Satz 1, 19a UrhG haftet.
1.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten für die Abmahnung vom 11.01.2013 aus § 97a Abs. 1 Satz 2 UrhG zu.
a)
Der Erstattungsanspruch nach § 97 a Abs. 1 Satz 2 UrhG setzt voraus, dass die Abmahnung des Verletzten berechtigt ist. Dies war vorliegend der Fall, da der Beklagte der Klägerin als Täter auf Unterlassung aus §§ 97 Abs. 1 Satz 1, 19a UrhG haftet.
b)
Die Klägerin trägt nach allgemeinen Grundsätzen als Anspruchstellerin die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Erstattung von Abmahnkosten erfüllt sind. Danach ist es grundsätzlich ihre Sache, darzulegen und nachzuweisen, dass der Beklagte für die von ihr behauptete Urheberrechtsverletzung als Täter verantwortlich ist (vgl. BGH GRUR 2013, 511 Rn. 32 – Morpheus; BGH GRUR 2014, 657 Rn. 14 – BearShare).
c)
Im vorliegenden Fall spricht nicht bereits eine tatsächliche Vermutung für die Täterschaft des Beklagten. Der Beklagte hat vorgetragen, dass er den Anschluss seinen Nachbarn Herrn D. und Herrn B. sowie seiner damaligen Freundin, Frau A., bewusst zur Nutzung überlassen habe und diese Personen den Anschluss zu den beiden streitgegenständlichen Zeitpunkten, dem 02.12.2012 um 19:42:33 Uhr und dem 09.12.2012 um 21:35:49 Uhr, benutzen konnten.
aa)
Wird ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, so spricht zwar grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist (BGH NJW 2010, 2061, Rn. 12 – Sommer unseres Lebens).
bb)
Diese tatsächliche Vermutung greift jedoch dann nicht, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung auch andere Personen diesen Anschluss benutzen konnten, entweder weil der Anschluss nicht hinreichend gesichert war oder weil er bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde (BGH GRUR 2014, 657 Rn. 14 – BearShare). Dann muss – wie im vorliegenden Fall aufgrund der bewussten Überlassung an die beiden Nachbarn und die Freundin des Beklagten – die tatsächliche Vermutung nicht mehr erschüttert werden.
d)
Der Beklagte ist aber seiner – unabhängig vom Eingreifen einer tatsächlichen Vermutung bestehenden – sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen.
Steht der Beweisführer – wie regelmäßig der Rechteinhaber in Bezug auf Vorgänge in der Sphäre des Anschlussinhabers – außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs, kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache und die Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden. Den Inhaber eines Anschlusses trifft insoweit eine sekundäre Darlegungslast (BGH NJW 2010, 2061, Rn. 12 – Sommer unseres Lebens; BGH GRUR 2014, 657 Rn. 16f. – BearShare).
Dieser genügt er grundsätzlich dann, wenn er vorträgt, ob andere Personen selbständig Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet (BGH GRUR 2014, 657 Rn. 18 – BearShare). Eine Umkehr der Beweislast ist mit der sekundären Darlegungslast ebenso wenig verbunden wie eine über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast gemäß § 138 Abs. 1 und 2 ZPO hinausgehende Verpflichtung des Anschlussinhabers, der Klägerin alle für ihren Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen (BGH GRUR 2014, 657 Rn. 18 – BearShare).
Der Beklagte hat im vorliegenden Fall zwar vorgetragen, dass er zu den beiden Tatzeitpunkten nicht zuhause gewesen sei und seinen PC ausgeschaltet dabei gehabt habe. Zudem hat er angegeben, welche weiteren Personen selbständig Zugang zu seinem Internetanschluss hatten. Er genügt jedoch durch diese pauschale Angabe den an die sekundäre Darlegungslast zu stellenden Anforderungen nicht. Vielmehr hätte er konkret, d.h. verletzungsbezogen, darlegen müssen, ob und warum diese anderen Personen als Täter in Betracht kommen. Um seiner Nachforschungspflicht nachzukommen, hätte er von vornherein darlegen müssen, inwieweit er versucht hat, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, um herauszufinden, ob sie jeweils als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. Hierzu hätte er beispielsweise Nachforschungen anstellen müssen, wo sich die potenziellen Täter zu den beiden Tatzeitpunkten aufgehalten haben und ob sie zu den maßgeblichen Zeitpunkten konkret – und nicht nur theoretisch – Zugang zum Internetanschluss gehabt haben. Der Beklagte ist daher bei Anlegung eines nach Auffassung der Kammer gebotenen strengen Maßstabs an den Detailgrad und die Plausibilität des Sachvortrags seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen.
Auch die im nachgelassenen Schriftsatz vom 16.07.2014 (Bl. 113/118 d. A.) enthaltenen Ausführungen des Beklagten, wonach er die drei Personen nach Erhalt der Abmahnung sowie Herrn D. am 13.01.2014 erneut befragt habe und diese die Rechtsverletzung bestritten hätten, ändern hieran nichts. Der Beklagte hätte sich insoweit nicht mit Schutzbehauptungen zufrieden geben dürfen, sondern darlegen müssen, welche konkreten Maßnahmen und Aufklärungsversuche er – außer dem Auslesen des angeblich nicht mehr vorhandenen Routerprotokolls – zu unternehmen versucht hat, um sich über den Aufenthaltsort der weiteren Nutzer, deren Zugriff auf das Internet zu den Verletzungszeitpunkten, die Verwendung von Tauschbörsensoftware u.ä. Kenntnis zu verschaffen.
e)
Da es sich bei dem streitgegenständlichen Recht um ein Filmwerk handelt, ist der Abmahnung entsprechend der ständigen Rechtsprechung der Kammer ein Streitwert von EUR 10.000,00 zugrunde zu legen. Danach ergibt sich bei einem Gebührensatz von 1,3 eine Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV-RVG in Höhe von EUR 631,80 zuzüglich einer Pauschale von EUR 20,00 für Post- und Telekommunikation gemäß Nr. 7002 VV-RVG und somit ein Aufwendungsersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten nach § 97a Abs. 1 Satz 2 UrhG in Höhe von EUR 651,80.
2.
Der Beklagte haftet der Klägerin ferner gemäß §§ 97 Abs. 1 Satz 1, 19a UrhG auf Schadensersatz in Höhe von EUR 500,00, da er die Urheberrechtsverletzung schuldhaft begangen hat.
a)
Der Beklagte hat die Rechtsverletzung wenigstens fahrlässig begangen, da sich, wer einen fremden urheberrechtlich geschützten Gegenstand nutzen will, über den Bestand des Schutzes wie auch über den Umfang seiner Nutzungsberechtigung Gewissheit verschaffen muss.
b)
Die Klägerin kann ihren Schadensersatzanspruch – wie geschehen – gemäß § 97 Abs. 2 Satz 3 UrhG nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie berechnen. Für den konkreten Film ist die von der Klägerin im Prozess geltend gemachte Höhe des Schadensersatzes von EUR 500,00 angemessen. Die Kammer schätzt den Betrag gemäß § 287 Abs. 1 ZPO auf der Basis der von der Klägerin in der Klageschrift (dortige Seiten 12 bis 14) und im Schriftsatz vom 07.10.2013 (dortige Seiten 4 und 5) mitgeteilten Schätzgrundlagen. Hierbei ist neben einem Endverkaufspreis von ca. EUR 20,00 je DVD insbesondere zu berücksichtigen, dass der Lizenzbetrag die lawinenartige Verbreitung von Daten in einem Filesharing-Netzwerk, die hieraus folgende theoretische Notwendigkeit einer umfassenden Erteilung von Unterlizenzen sowie den zeitlich und räumlich unbeschränkten Geltungsbereich der Lizenz abbilden muss.
3.
Auf eine Störerhaftung des Beklagten kommt es nicht an, da eine Haftung des Beklagten als Täter bereits hinsichtlich der Abmahnkosten und des geltend gemachten Schadensersatzanspruches feststeht.
4.
Die Ausführungen in dem als „Berufungstriplik“ bezeichneten nicht nachgelassenen Schriftsatz der Klagepartei vom 25.08.2014 waren nach § 296a ZPO unberücksichtigt zu lassen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erfordern. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung unter Anwendung der vom BGH zuletzt in der Entscheidung vom 08.01.2014 – I ZR 169/12 (BearShare) aufgestellten Grundsätze.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nach § 26 Nr. 8 EGZPO nicht statthaft.