OLG Frankfurt a.M.: Der Geschäftsführer einer GmbH, der ein anderes Unternehmen treuhänderisch führt, haftet für dortige unbekannte Wettbewerbsverstöße, wenn er das andere Unternehmen nicht ausreichend überwacht

veröffentlicht am 9. Juli 2011

Rechtsanwalt Dr. Ole DammOLG Frankfurt a.M., Urteil vom 05.05.2011, AZ. 6 U 92/10
§§ 3; 5 UWG

Das OLG Frankfurt a.M. hat entschieden, dass die Geschäftsführerin eines Unternehmens, die auf Grund einer „Vereinbarung über treuhänderische Geschäftsführung“ vom 18.12.2007 als Direktorin eines anderen Unternehmen fungiert, die Aufgabe trifft, die Geschäfte des anderen Unternehmens selbst zu führen oder zumindest die geschäftsführende Tätigkeit Dritter für dieses Unternehmen zu überwachen. Kommt sie dieser Pflicht nicht nach, haftet sie für die Wettbewerbsverstöße, die das andere Unternehmen begeht. Zum Volltext der Entscheidung:

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Urteil

Die Berufung der Beklagten gegen das am 26.03.2010 verkündete Urteil der 12. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 60.000,00 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Verantwortung der Beklagten für eine von der Klägerin als Verstoß gegen §§ 3, 5 UWG erachteten Aussendung (rechnungsähnlich aufgemachtes Angebotsschreiben für die Eintragung in einem Branchenbuch). In dem vorangegangenen Eilverfahren (Beschluss vom 14.05.2009, Az. 6 W 64/09) hatte der Senat die Auffassung der Klägerin geteilt. Dies wird von der Beklagten in dem vorliegenden Verfahren nicht beanstandet.

Die Beklagte hatte von der beanstandeten Aussendung keine Kenntnis. Sie war „director“ der A . Diese Gesellschaft wiederum fungierte aufgrund der „Vereinbarung über treuhänderische Geschäftsführung“ vom 18. Dezember 2007 (Anlage B 2) als „director“ der B, von der die streitgegenständlichen Aussendungen letztlich an Gewerbetreibende in Deutschland versandt wurden. Die Beklagte hat den Treuhandvertrag gekündigt, nachdem sie von der Aussendung Kenntnis erlangt hat. Ihren Geschäftssitz hatten sowohl die A als auch die B im Vereinigten Königreich. Die Beklagte hat – nach eigenen Angaben – ihren (Erst-) Wohnsitz ebenfalls im Vereinigten Königreich. Die Zustellung an die Klägerin konnte an einer Adresse in Deutschland erfolgen.

Die Beklagte hat sich darauf berufen, die A sei lediglich treuhänderisch als Direktor der B tätig gewesen. Wirtschaftlich und im Innenverhältnis sei der Treugeber alleiniger Direktor der Gesellschaft und habe die Geschäfte eigenverantwortlich geführt. Sie hat geltend gemacht, für die Aussendung deshalb nicht verantwortlich zu sein. Darüber hinaus hat die Beklagte die Unzuständigkeit der deutschen Gerichte gerügt und die Auffassung vertreten, der Rechtsstreit sei nach englischem Recht zu entscheiden.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

Die Beklagte beantragt, das am 26.03.2010 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main in dem Verfahren mit dem Aktenzeichen 3-12 O 121/09 wird aufgehoben und die Klage wird als unzulässig bzw. hilfsweise unbegründet abgewiesen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

In der Berufungsinstanz wiederholen und vertiefen die Parteien ihren erstinstanzlichen Vortrag. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die erstinstanzliche Entscheidung und im Übrigen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.

Für seine Entscheidung hatte der Senat von der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte und der Anwendbarkeit des materiellen deutschen Rechts auszugehen.

Innerhalb der EU richtet sich die internationale Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) – Zöller, ZPO, 28. Aufl., Anhang I, S. 2974 ff. Sie gilt nach ihrem Art. 1 für alle Zivil- und Handelssachen und ist in allen Mitgliedstaaten – außer Dänemark – ab dem 01.03.2002 anwendbar. In den danach beigetretenen Mitgliedstaaten gilt sie ab dem Beitrittsdatum (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl. Anhang I Rd 1).

Grundsätzlich sind nach Art. 2 EuGVVO Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates haben, vor den Gerichten dieses Mitgliedstaates zu verklagen. Dabei genügt auch ein in einem Mitgliedstaat bestehender Zweitwohnsitz (Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., Anhang I Art. 2 Rd 7).

Die Beklagte hat ihren (Haupt-)Wohnsitz nach eigenem Bekunden in England. Gleichwohl konnte an sie – durch Niederlegung in den Briefkasten – in O1 zugestellt werden, wo sie eine Zeitwohnung besitzt. Der Behauptung der Klägerin, dass die Beklagte „offensichtlich“ deutsche Staatsbürgerin ist, hat sie nicht widersprochen. Daraus folgt, dass die internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 2 Nr. 1 EuGVVO selbst dann zu bejahen ist, wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dass sie ihren Hauptwohnsitz im Vereinigten Königreich hat.

Darüber hinaus ergibt sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte auch aus Art. 5 Ziffer 3 EuGVVO. Diese Vorschrift sieht für Ansprüche aus unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, nach Wahl des Klägers auch den Gerichtsstand des Ortes der unerlaubten Handlung vor. Der hier streitgegenständliche Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht ist eine unerlaubte Handlung, die in Deutschland begangen wurde. Denn die Aussendungen erfolgten in Deutschland und sind auf Eintragungen in Branchenbücher für deutsche Städte bezogen.

Es ist auch deutsches Wettbewerbsrecht anwendbar.

Die Frage, welches Recht anzuwenden ist, richtet sich nach Art. 38 bis 42 EGBGB. Die sog. ROM II-Verordnung vom 11.07.2007 gilt nur, wenn das schadensbegründende Ereignis nach dem 11.01.2009 liegt, Art. 31, 32 Rom II (vgl.: BGH, Urteil vom 11.02.2010, Az. I ZR 85/08 – GRUR 2010, 1146 Tz 10 – Ausschreibung in Bulgarien; Palandt/Thorn; BGB, 70. Aufl. Vorb. Zu Art 1 Rom II, Rd 1). Das schadensbegründende Ereignis im vorliegenden Fall war die Versendung des beanstandeten „Brancheneintragungsantrags“ am 07.05.2008.

Es gilt somit Art. 40 EGBGB. Danach richtet sich die Beurteilung einer Wettbewerbshandlung nach dem Recht des Ortes, an dem die wettbewerbsrechtlichen Interessen der Mitbewerber aufeinander treffen, also nach dem Recht des Marktorts. Geht es um die wettbewerbsrechtliche Beurteilung eines Verhaltens bei der Gewinnung von Kunden, ist Marktort der Ort, an dem auf die Entschließung des Kunden eingewirkt werden soll. Dort soll das Wettbewerbsrecht unlauteres Konkurrenzverhalten verhindern; auf diesen Ort bezieht sich auch das durch das Wettbewerbsrecht ebenfalls geschützte Interesse der Allgemeinheit an einem lauteren Wettbewerb. Die für das allgemeine Deliktsrecht in Art. 40 Abs. 2 EGBGB vorgesehene Sonderanknüpfung an das gemeinsame Heimatrecht von Verletzer und Verletztem gilt im Bereich des Wettbewerbsrechts nicht (BGH „Ausschreibung in Bulgarien“ a.a.O., Tz 11).

Nach dem Marktortprinzip setzt die Anwendung deutschen Wettbewerbsrechts voraus, dass die wettbewerbsrechtlichen Interessen der Mitbewerber im Inland aufeinandertreffen (BGH, „Ausschreibung in Bulgarien“, Tz 12). Das ist hier aus den bereits genannten Gründen der Fall.

Die Beklagte kann als „director“ der A für die von der Klägerin zutreffend und von der Beklagten unbeanstandet als wettbewerbswidrig eingestufte Aussendung gemäß der Anlage K 1 auch auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Denn sie hat, obgleich sie die streitgegenständlichen Aussendungen weder selbst veranlasst hat noch festgestellt werden kann, dass sie von diesen Vorgängen überhaupt Kenntnis hatte, für den von Dritten begangenen Wettbewerbsverstoß nach den vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Halzband“ (Urteil vom 11.03.2009, Az. I ZR 114/06GRUR 2009, 597) entwickelten Grundsätzen einzustehen. Nach diesem Haftungsmodell werden demjenigen, der ihm obliegende Sicherungsmaßnahmen vollständig unterlässt, Rechtsverletzungen eines Dritten, die auf der unzureichenden Sicherung beruhen, als eigenes täterschaftliches Handeln zugerechnet (a.a.O. Tz 16, 20). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Die der Beklagten vorzuwerfende Pflichtverletzung liegt in der vollständig unterlassenen Überwachung der Geschäftstätigkeit der B. Als Direktorin der A, die wiederum aufgrund der „Vereinbarung über treuhänderische Geschäftsführung“ vom 18.12.2007 (Anlage B 2) als Direktorin der B fungiert hat, wäre es Aufgabe der Beklagten gewesen, die Geschäfte dieses Unternehmens selbst zu führen oder zumindest die geschäftsführende Tätigkeit Dritter für dieses Unternehmens zu überwachen. Dieser Aufgabe ist die Beklagte unstreitig nicht nachgekommen. Nach Ziff. I.1. der zitierten Vereinbarung galt vielmehr, dass die A als Treuhänder für Herrn C als Treugeber lediglich „nach außen treuhänderisch“ als Director der B auftritt. In Zif. 2. dieser Klausel heißt es: „Im Außenverhältnis ist allein der Treuhänder Director der vorgenannten Gesellschaft. Wirtschaftlich und im Innenverhältnis ist jedoch der Treugeber alleiniger Director der Gesellschaft.“ Dies hatte zur Folge, dass eine Möglichkeit zur Einflussnahme der A oder der Beklagten als deren Direktorin auf die geschäftlichen Handlungen der B von vornherein weder vorgesehen war noch von ihr wahrgenommen wurde. Darin liegt ein erheblicher die Haftung des Organs der Gesellschaft auslösender Organisationsmangel. Dies gilt auch dann, wenn – was zugunsten der Beklagten unterstellt werden kann – die treuhänderische Geschäftsführung nach englischem Recht grundsätzlich zulässig sein sollte. Denn auch dies entbindet die Beklagte nicht von der Verantwortung für die Einhaltung der lauterkeitsrechtlichen Vorschriften. Das Unterlassen jeglicher Überwachung der Geschäftsführung war auch für ursächlich für den begangenen Wettbewerbsverstoß, weil der Beklagten bei Einhaltung der sie treffenden Überwachungspflicht die streitgegenständliche Aussendung, die für das Geschäft der B von zentraler Bedeutung war.

Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, besteht trotz der Kündigung des „Treuhandvertrages“ durch die Beklagte die Gefahr einer Wiederholung des Wettbewerbsverstoßes. Insoweit kann nicht anderes gelten als bei der Aufgabe des Geschäftsbetriebes, der nach gefestigter Auffassung ebenfalls grundsätzlich nicht zum Wegfall der Wiederholungsgefahr führt, weil die Wiederaufnahme einer Geschäftstätigkeit nach Aufgabe des Geschäftsbetriebs nicht ausgeschlossen ist (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl. § 8 Rd 1.39a). Die erneute Aufnahme einer treuhänderischen Geschäftsführung unter ähnlichen Bedingungen ist jederzeit möglich.

Der darüber hinaus geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten sowie der Kosten für das Abschlussschreiben besteht ebenfalls in der vom Landgericht zugesprochenen Höhe.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die in § 543 Abs. 2 ZPO genannten Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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