OLG Hamm: Heinrich, die Abmahnkurbel bricht! / Zur 459sten rechtsmissbräuchlichen Abmahnung

veröffentlicht am 11. Juni 2009

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtOLG Hamm, Urteil vom 28.04.2009, Az. 4 U 216/08
§ 8 Abs. 4 UWG

Das OLG Hamm hat erneut entschieden, dass u.a. ein Missverhältnis zwischen der Zahl der Abmahnungen und dem Umfang des Geschäftsbetriebes für die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Abmahnung spricht. Dies ist nicht die erste Entscheidung in dieser Hinsicht (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 24.03.2009, Az. 4 U 211/08 [Link: OLG Hamm II]).

Die Antragstellerin habe im maßgeblichen Zeitraum in einem Umfang abgemahnt, der nicht mehr im Verhältnis zu ihrer eigenen Geschäftstätigkeit gestanden habe. Es handele sich bei ihr um einen eher kleinen Betrieb mit ca. 3 Angestellten sowie Aushilfen bei Bedarf mit einem Jahresumsatz von – nach Aktenlage – jedenfalls nicht mehr als 100.000,00 EUR. Die Antragsgegnerin habe Umsätze der Antragstellerin bei der Internethandelsplattform in 90 Tagen – vom 24.08.2008 bis 21.11.2008 – in Höhe von 19.296,00 EUR mitgeteilt. Die Antragstellerin habe dies nicht, jedenfalls nicht erheblich bestritten, obwohl ihr dies in Kenntnis ihres eigenen Geschäftsumfangs auch unter Vorlage einer Bilanz o.ä. ein Leichtes gewesen wäre. Hochgerechnet auf ein Jahr seien dies knapp 80.000,00 EUR. Auch habe die Antragstellerin nicht vorgetragen, dass und in welchem Umfang sie Umsätze aus ihrem Ladengeschäft erziele. Die Mitteilung der verkauften Stückzahlen, zumal aus einem späteren Zeitpunkt, gebe hierüber keine hinreichende Auskunft. Gleichzeitig sei durch die eigenen Verfahren vor dem Senat gerichtsbekannt eine überaus große Abmahntätigkeit der Antragstellerin. Gesichert seien jedenfalls 81 Abmahn- und Vertragsstrafeverfahren bis Ende 2008, wobei die Antragstellerin wiederum nicht ausgeräumt habe, ob und welche Verfahren konkret dort vermeintlich zu Unrecht aufgelistet worden wären. Soweit sie in dem Parallelverfahren 4 U 9/09 im Senatstermin ebenfalls vom 28.04.2009 durch ihren Prozessbevollmächtigten ausgeführt habe, es habe sich hiervon neben den 30 Abmahnungen auf der Internethandelsplattform F nur um gut 30 weitere Abmahnungen gehandelt, so bliebe nach wie vor eine erhebliche Abmahndichte gerade im maßgeblichen Zeitraum Mitte bis Ende 2008.

Eine außergewöhnlich hohe Abmahntätigkeit der Antragstellerin sei dem Senat aus seinen Berufungs- und Beschwerdeverfahren gerichtsbekannt. Wenn man die Kosten für nur rd. 60 Abmahnungen, wie eingeräumt, mit den angegebenen Streitwerten bezogen auf ein gerichtliches Verfahren und ein etwaiges Berufungsverfahren und die damit verbundenen Prozessrisiken gegenrechne, so sei damit jedenfalls ein Volumen erreicht, das der Größenordnung nach die eigene Geschäftstätigkeit der Höhe nach deutlich übersteige, ohne dass dies punktgenau errechnet werden könne und müsse. Die Kostenrisiken aus den fraglichen Abmahnvorgängen seien für die Antragstellerin immens. Diese seien mit ihrem eigentlichen Geschäftsumfang und dem Begehren nach einem sauberen Wettbewerb nicht mehr in Einklang zu bringen. Umgekehrt zeige dies auch die Höhe der geforderten Abmahnkosten. Wenn man nur die geforderten Kosten für 60 Abmahnungen mit überschlägig 859,80 EUR (wie bei der vorliegenden Abmahnung) hochrechne, so komme man auf einen Betrag von jedenfalls 51.588,00 EUR für einen im Kern begrenzten Zeitraum. Dieses Verhältnis Umsatz und Kosten erweise sich insgesamt als unverhältnismäßig.

„Ganz wesentlich und durchschlagend“ sei der Umstand, dass die Antragstellerin mit ihren Abmahnungen neben den Abmahnkosten durch die Einschaltung ihres Anwalts (hier in Höhe von 859,80 EUR) systematisch einen pauschalen Schadensersatz von 100,00 EUR gegen die jeweiligen Empfänger geltend gemacht habe. Dieser Ersatzbetrag sei als fällig dargestellt worden, obwohl sich bei den vorliegenden Massengeschäften beim Verkauf von einschlägigen Verbraucherartikeln mit einer großen Vielzahl von Mitbewerbern erfahrungsgemäß kaum eine konkrete Schadensberechnung habe anstellen, geschweige denn beweisen lassen. Die Antragstellerin sei dabei keineswegs zu der Einforderung einer solchen Kostenpauschale berechtigt gewesen.

Weitere Indizien seien zu berücksichtigen. Die Kostenrechnungen sei mit der Androhung gestellt worden, dass im Falle einer gerichtlichen Festsetzung des Gebührenstreitwerts nicht auszuschließen sei, „dass ein Gericht ein weitaus höheren Gegenstandswert ansetzen“ würde, obwohl die angesetzten Werte bereits regelmäßig den vom Senat üblicherweise festgesetzten Werten entsprochen hätten. Zweck der Abmahnung sei es, den Verletzter zu einem wettbewerbsgemäßen Verhalten anzuhalten. Insofern sei dieser Hinweis einerseits überflüssig, andererseits verständlich nur vor dem Hintergrund, dass es nicht primär um das Abstellen der in Rede stehenden Wettbewerbsverstöße gegangen sei.

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