OLG Saarbrücken: Darf der Rechtsanwalt auch mit dem Pkw zum auswärtigen Termin anreisen?

veröffentlicht am 21. Januar 2013

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtOLG Saarbrücken, Beschluss vom 08.01.2009, Az. 5 W 262/08
§ 91 Abs. 1 S. 1, S. 2 ZPO; Nr. 7003 VV RVG, Nr. 7005 Nr. 2 VV RVG

Das OLG Saarbrücken hat entschieden, dass ein Rechtsanwalt grundsätzlich nicht zu prüfen braucht, ob die Benutzung eines anderen Verkehrsmittels billiger gewesen wäre als die Benutzung des eigenen Pkw. Es obliegt dem Anwalt lediglich, unter mehreren gleich gearteten Maßnahmen die kostengünstigste auszuwählen. Vgl. auch (hier). Zum Volltext der Entscheidung:


Oberlandesgericht Saarbrücken

Urteil

1.
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 28.01.2008 – Az. 16 O 70/07 – wird zurückgewiesen.

2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.

3.
Der Beschwerdewert beträgt 349,60 EUR.

Gründe

I.
Die Klägerin ist ein auf dem Gebiet der Energielieferung tätiges C.-Unternehmen mit Sitz in B1. Sie beauftragte die – sie ständig in Rechtsstreitigkeiten über Wärmelieferungsverträge vertretenden – Rechtsanwälte D1, D2, K. und B. aus B2 mit der gerichtlichen Verfolgung von Ansprüchen gegenüber der Beklagten aus einem ursprünglich zwischen einer Firma W. W. GmbH und einer Firma E. W. GmbH geschlossenen Wärmeliefervertrag. Die Prozessbevollmächtigten nahmen in dem vor dem Landgericht Saarbrücken geführten Rechtsstreit am 12.06.2007 und am 09.10.2007 Verhandlungstermine wahr. In dem am 23.10.2007 verkündeten Urteil des Landgerichts wurden die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt.

Mit Schriftsatz vom 30.10.2007 begehrte die Klägerin zunächst die Festsetzung ihrer Kosten auf einen Gesamtbetrag von 865 EUR. Hierauf erging ein Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26.11.2007, in dem die zu erstattenden Kosten – unter Hinzusetzung verrechneter Gerichtskosten von 408 EUR – antragsgemäß festgesetzt wurden. Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 29.11.2007 begehrte die Klägerin die Festsetzung weiterer Kosten in Höhe von insgesamt 349,60 EUR. Diese setzen sich zusammen aus den Fahrtkosten für zwei Geschäftsreisen bei Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs für eine Strecke von jeweils 466 km gemäß Nr. 7003 der Anlage 1 zum RVG (2 x 139,80 EUR) sowie auf zweimal angefallenes Abwesenheitsgeld für eine Geschäftsreise von zwischen vier und acht Stunden gemäß Nr. 7005 Ziff. 2 der Anlage 1 zum RVG (2 x 35 EUR).

Die Rechtspflegerin beim Landgericht Saarbrücken hat mit Beschluss vom 28.01.2008 auch die weiteren Kosten von 349,60 EUR festgesetzt.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer am 31.01.2008 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Sie trägt vor, es sei davon auszugehen, dass die Klägerin ihre in B2 niedergelassenen und damit nicht in ihrer Nähe ansässigen Rechtsanwälte schriftlich informiert habe, so dass nicht einzusehen sei, weshalb nicht genauso gut ein in Saarbrücken ansässiger Anwalt hätte mandatiert werden können. Außerdem hält sie die Kosten deshalb für überhöht, weil anstelle des eigenen PKW öffentliche Verkehrsmittel hätten benutzt werden können.

Die Klägerin beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen. Sie beruft sich unter anderem darauf, dass sie nicht gezwungen sei, einen Prozessbevollmächtigten unmittelbar an ihrem eigenen Geschäftssitz zu konsultieren. Außerdem werde sie – von der Beklagten unbestritten – in einer Vielzahl von Klageverfahren im K.-/ B2-Raum von derselben Anwaltssozietät vertreten, so dass ihr eine Beauftragung anderer Rechtsanwälten in Saarbrücken im hier gegebenen Fall nicht zuzumuten gewesen sei.

Die Rechtspflegerin des Landgerichts hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

II.
Die gemäß §§ 104 Abs. 3, 567, 569, 571 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten ist unbegründet.

1.
Die im angefochtenen Beschluss vom 28.01.2008 festgesetzten Fahrtkosten gemäß Nr. 7003 der Anlage 1 zum RVG und das Tage- und Abwesenheitsgeld gemäß Ziff. 7005 Nr. 2 der Anlage 1 zum RVG wurden zu Recht festgesetzt. Diese stehen im Zusammenhang mit zwei Reisen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu den Verhandlungsterminen des Landgerichts, welche als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig anzusehen sind (§ 91 Abs. 1 S. 1, S. 2 ZPO). Die Kosten sind der Höhe nach – von der Beklagten insoweit nicht in Zweifel gezogen – zutreffend berechnet worden.

a.
Ob aufgewendete Prozesskosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, entscheidet sich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte zu ergreifen. Es obliegt ihr lediglich, unter mehreren gleich gearteten Maßnahmen die kostengünstigste auszuwählen (BGH, Beschl. v. 11.11.2003 – VI ZB 41/03NJW-RR 2004, 430).

b.
Für Reisekosten des Rechtsanwalts gilt der Grundsatz, dass diejenige Partei, die vor einem auswärtigen Gericht klagt oder verklagt wird, einen an ihrem Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt beauftragen kann. Sie darf in aller Regel berechtigterweise annehmen, ihr Rechtsanwalt sei zur sachgemäßen Beratung auf ihre persönlich und mündlich erteilten Informationen angewiesen (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02NJW 2003, 898). Da das Kostenfestsetzungsverfahren ein auf möglichst unkomplizierte Abwicklung angewiesenes Massenverfahren ist, sind bei der Prüfung der Erstattungsfähigkeit solcher Kosten keine übermäßig differenzierten Einzelfallbetrachtungen geboten (vgl. BGH, Beschl. v. 25.01.2007 – V ZB 85/06NJW 2007, 2048).

(1)
Für bestimmte Fallgruppen anerkennt die Rechtsprechung Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort niedergelassenen Rechtsanwalts allerdings nicht, nämlich dann, wenn sich schon im Zeitpunkt der Beauftragung ein eingehendes Mandantengespräch als für die Prozessführung nicht erforderlich darstellt. Solches kommt insbesondere in Betracht in Betracht bei gewerblichen Unternehmen, die über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügen. Zwar hat die Klägerin eine Rechtsabteilung eingerichtet. Diese ist aber – von der Beklagten unwidersprochen – in erster Linie mit Inkassoaufgaben betraut. Für die Bearbeitung einer problematischen Rechtsstreitigkeit – wie sie hier schon wegen der Komplexität der Vertragsverhältnisse und der streitigen Fragen der Rechtsnachfolge gegeben war – ist sie nicht zuständig. Dass die Klägerin für solche Angelegenheiten keine eigenen Mitarbeiter mit einer für die Bearbeitung von Rechtsfällen erforderlichen Sachkunde beschäftigt und einsetzt, sondern sich insoweit ihrer Hausanwälte bedient, ist ihr organisatorisch unbenommen, von der Beklagten als Prozessgegnerin hinzunehmen und gereicht der Klägerin im Rahmen der Erstattungsfähigkeit der Prozesskosten nicht zum Nachteil (in diesem Sinne OLG Bremen, OLGR Bremen 2006, 305; vgl. dazu, dass einer Partei nicht entgegengehalten werden kann, sie habe zweckmäßigerweise eine eigene Rechtsabteilung einrichten müssen, BGH, Beschl. v. 11.11.2003 – VI ZB 41/03NJW-RR 2004, 430; siehe auch BGH, Beschl. v. 14.09. 2004 – VI ZB 37/04NJW-RR 2005, 707).

(2)
Allerdings sind die Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht unmittelbar an deren Geschäftsort B1 ansässig, sondern in B2. Dies steht indessen unter den konkreten Umständen der Erstattungsfähigkeit der Reisekosten nicht entgegen. Reisekosten eines weder am Gerichtsort noch am Geschäfts- oder Wohnort der Partei ansässigen Prozessbevollmächtigten zur Terminswahrung sind jedenfalls insoweit zu erstatten, als sie sich im Rahmen der erstattungsfähigen Reisekosten halten, die angefallen wären, wenn die Partei einen Prozessbevollmächtigten am Gerichtsort oder an ihrem Geschäfts- oder Wohnort beauftragt hätte (BGH, Beschl. v. 14.09. 2004 – VI ZB 37/04NJW-RR 2005, 707 – Beschl. v. 11.03.2004 – VII ZB 27/03NJW-RR 2004, 858; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 21.10.2005 – 2 W 295/05 -). Da der Geschäftssitz der Klägerin in B1 weiter von Saarbrücken entfernt ist als der Sitz der Sozietät ihrer Prozessbevollmächtigten in B2, sind durch deren Beauftragung keine Mehrkosten gegenüber der Beauftragung eines in B1 ansässigen Rechtsanwalts angefallen (siehe zu einem gleichgelagerten Fall auch BGH, Beschl. v. 21.01.2004 – IV ZB 32/03RuS 2005, 91).

(3)
Der Einwand der Beklagten, es sei davon auszugehen, dass die Klägerin ihre Bevollmächtigten schriftlich und nicht in persönlichem Mandantengespräch unterrichtet habe, so dass man auch einen Anwalt in Saarbrücken hätte beauftragen können, verfängt nicht. Das Unternehmen der Klägerin ist unstreitig Partei einer Vielzahl von Klageverfahren betreffend Forderungen aus Wärmelieferungsverträgen, auch im K./ B2 Raum, in dem sich die Kanzlei ihrer Hausanwälte befindet. In all diesen Fällen lässt sie sich von diesen vertreten. Die Klägerin hat daher ein berechtigtes Interesse daran, auf ihre mit der nicht unkomplizierten Materie allgemein vertrauten Rechtsanwälte zurückzugreifen, anstatt weitere Mühen zur Unterrichtung eines neuen Rechtsanwalts auf sich zu nehmen (vgl. zu einer solchen Erwägung mit Blick auf die Beibehaltung eines bereits vorgerichtlich tätig gewesenen Rechtsanwalts BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02NJW 2003, 898), gleichviel ob sie Informationen mündlich oder schriftlich weitergibt. Das Bedürfnis, sich durch den Rechtsanwalt ihres Vertrauens auch vor auswärtigen Gerichten vertreten zu lassen, ist ebenso gewichtig wie ein etwaiger Bedarf an persönlichem und mündlichem Kontakt zwischen Partei und Anwalt. Das Vertrauensverhältnis zwischen diesen dient der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und war ein entscheidender Grund für die Änderung des Lokalisationsprinzips und der Singularzulassung. Dem muss auch im Rahmen der Kostenerstattung Rechnung getragen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 28.06.2006 – IV ZB 44/05NJW 2006, 3008).

Ob dies auch dann gälte, wenn höhere Kosten im Raum stünden, weil der Sitz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin weiter vom Gerichtsitz entfernt wäre als deren Geschäftsort, bedarf keiner Entscheidung (auch hierzu BGH, Beschl. v. 28.06.2006 – IV ZB 44/05NJW 2006, 3008).

c.
Die Notwendigkeit der angefallenen Reisekosten steht entgegen der Rechtsansicht der Beklagten nicht entgegen, dass die Kosten für die Nutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels möglicherweise geringer ausgefallen wären. Der Anwalt kann grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob er eine Geschäftsreise im eigenen Kraftfahrzeug durchführen will. Er braucht – in den Grenzen des hier nicht im Raum stehenden Missbrauchs – grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die Benutzung eines anderen Verkehrsmittels billiger wäre (vgl. OLG Stuttgart, NJOZ 2005, 2282; Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl. 2007, VV 7003 Rdnr. 11).

2.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordern (§ 574 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 ZPO).

Auf die Entscheidung hingewiesen wurde im Beck-Blog (hier).

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