AG Düsseldorf: Zum Reiserücktritt, wenn das Urlaubsland vom RKI als COVID19/Corona-Risikogebiet eingestuft wird

veröffentlicht am 13. April 2021

AG Düsseldorf, Urteil vom 08.02.2021, Az. 37 C 471/20
§ 651h Abs. 3 BGB, § 495a ZPO

Das AG Düsseldorf hat entschieden, dass bereits die Einstufung des Urlaubslandes (hier: Türkei) als COVID-19/Corona-Risikogebiet durch das Robert-Koch-Institut (RKI) ausreicht, um entschädigungslos von der Reise zurücktreten zu können. Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes („Außenministeriums“) bedürfe es nicht. Die Einschätzung durch die zuständige Fachbehörde sei mit den Erkenntnismöglichkeiten des durchschnittlichen Verbrauchers regelmäßig nicht zu widerlegen. Zum Volltext der Entscheidung:


Rücktritt von Reise wegen Corona?

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Amtsgericht Düsseldorf

Urteil

In dem Rechtsstreit

hat das Amtsgericht Düsseldorf im vereinfachten Verfahren gemäß § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung am 08.03.2021 durch ….für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 331,00 EUR (in Worten: dreihunderteinunddreißig Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.01.2021 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Ohne Tatbestand (gemäß § 313a Abs. 1 ZPO).
 
Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Gemäß § 651 Buchst. h Abs. 1 S. 1 BGB ist der Kläger jederzeit zum Rücktritt vom Reisevertrag berechtigt mit der Folge der Rückzahlung des angezahlten Reisepreises.

Die Voraussetzungen eines aufrechenbaren Entschädigungsanspruchs der Beklagten nach S.3 liegen nicht vor, weil die Voraussetzungen einer Entschädigungslosigkeit des Rücktritts vom Vertrag gemäß § 651h Abs. 3 vorliegen. Voraussetzung dafür ist, dass am Bestimmungsort der Reise oder in unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände, auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Für die Feststellung, ob eine solche Beeinträchtigung voraussichtlich gegeben ist, kommt es auf den Zeitpunkt des erklärten Rücktritts an. Spätere Veränderungen auch zum negativen hin sind ebenso unbeachtlich, wie ein im Zeitpunkt seiner Erklärung begründeter entschädigungsloser Rücktritt nicht dadurch nachträglich entschädigungspflichtig wird, dass entgegen der Erwartungen die außergewöhnlichen beeinträchtigenden Umstände doch nicht eingetreten sind. Es ist also im Positiven wie im Negativen allein auf den Rücktrittszeitpunkt abzustellen (MüKoBGB/Tonner, 8. Aufl. 2020, BGB § 651h Rn. 42).

Der beeinträchtigende Umstand ergibt sich daraus, dass die gesamte Türkei bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts am 10.09.2020 (geplanter Reisezeitraum: 24.10.2020 bis 31.10.2020) durch das Robert-Koch-Institut als Risikogebiet eingestuft worden ist. Dass eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts für die Zielprovinz Antalya nicht bestanden hat, ist unerheblich. Durch die Einstufung der gesamten Türkei als Risikogebiet seitens des Robert-Koch-Instituts hat dieses festgestellt, dass „ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit einer bestimmten bedrohlichen übertragbaren Krankheit“ gemäß § 2 Nr. 17 IfSG bestanden hat. Von dem Reisenden konnte vorliegend nicht verlangt werden, dass er sich und seine Familie diesem durch das Robert Koch Institut bereits festgestellten „erhöhten Risiko“ aussetzt. Die aufgrund der Einstufung der gesamten Türkei als Risikogebiet durch das Robert-Koch-Institut seitens des Klägers getroffene Prognoseentscheidung ist folglich nicht zu beanstanden. Zwar kann von einer solchen Einstufung als Risikogebiet durch eine Bundesoberbehörde nicht per se in jedem Fall auf einen außergewöhnlichen Umstand geschlossen werden. Der Einstufung einer nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 BGA-NachfG gerade für die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten geschaffenen fachlich zuständigen Bundesoberbehörde kommt aber eine solch starke Indizwirkung zu, die von einem Reiseveranstalter schwierig zu widerlegen sein dürfte und insbesondere im konkreten Fall auch nicht widerlegt worden ist (vgl. allgemein zur Widerlegung der Indizwirkung einer Reisewarnung auch MüKoBGB/Tonner BGB § 651h Rn. 43). Durch die Einstufung des Robert-Koch-Instituts als Risikogebiet hat dieses ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit SARS-CoV2 festgestellt. Die Indizwirkung dieser Feststellung wäre nur abzulehnen, wenn mit den Erkenntnismöglichkeiten des durchschnittlichen Verbrauchers erkennbar war, dass dennoch kein erhöhtes Risiko bestand. Die fehlende Reisewarnung genügt dafür nicht, da die Einstufungen des fachlich zuständigen Robert-Koch-Instituts sachnäher sind. Es kommt auch nicht darauf an, welche konkrete 7-Tages-Inzidenz pro 100000 Einwohner im gesamten Reiseland oder im speziellen Urlaubszielgebiet bestanden hat, da entsprechende Recherchen einem Verbraucher nicht zumutbar sind. Es ist gerade Zweck der Einstufung als Risikogebiet durch das Robert-Koch-Institut, als Verbraucher nicht eigenständig zu Infektionsgefahren im Zielgebiet recherchieren zu müssen. Hinsichtlich des Grads der Gefahr muss es nicht überwiegend wahrscheinlich sein, dass sich das Risiko einer Erkrankung verwirklicht. Es genügt, dass gewisse, nicht fernliegende und von der Hand zu weisende, objektive und nicht nur auf Ängsten des Kündigenden beruhende Umstände für den gegenteiligen Geschehensablauf sprechen, auch wenn der Nichteintritt der Gefahr überwiegend wahrscheinlich ist (MüKoBGB/Tonner, 8. Aufl. 2020, BGB § 651h Rn. 44). Für diese Voraussetzungen genügt die behördliche Einstufung als Risikogebiet. Überdies hat das Landgericht in einem Hinweisbeschluss im Verfahren 22 S 394/20 ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB gegeben seien, wenn die Gefahr einer Infektion am Reiseort im Vergleich zur Infektionsgefahr im Heimatland signifikant erhöht sei. Auch diese zusätzliche Voraussetzung ist zum 10.09.2020 gegeben. Zu diesem Zeitpunkt betrug gemäß täglichen Lagebericht des Robert-Koch-Instituts die 7-Tage-Inzidenz auf 100000 Einwohner in Deutschland 11,2 und war damit deutlich von dem 50er-Wert der Einstufung als Risikogebiet entfernt.

Der Rücktritt war auch nicht verfrüht. Erfolgt der Rücktritt deutlich im Voraus, kommt es darauf an, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise zu diesem Zeitpunkt schon mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden konnte. Ein fester maximaler Zeitraum der Prognosemöglichkeit besteht dabei nicht. Jedoch ist es grundsätzlich dem Reisenden zumutbar, bei Unklarheit über die weitere Entwicklung der Umstände am Reiseort noch so lange zuzuwarten, bis die Reise unmittelbar bevorsteht. Regelmäßig wird man dabei eine Frist von vier Wochen als angemessen anzusehen haben (Führich NJW 2020, 2137 Rn. 14). Dies bedeutet aber nicht zwingend, dass eine außerhalb der Frist von vier Wochen abgegebene Rücktrittserklärung stets mangels Prognosemöglichkeit die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB nicht erfüllt. Vielmehr muss auf den Einzelfall des beeinträchtigenden Umstands abgestellt werden und untersucht werden, ob dieser entgegen dem Regelfall auch schon mehr als vier Wochen vor Reiseantritt mit ausreichender Wahrscheinlichkeit bei Durchführung der Reise gegeben sein würde, wie es hier der Fall ist. Es war bereits zu diesem Zeitpunkt, ca. 6 Wochen vor Reisebeginn, mit hinreichender Sicherheit möglich zu prognostizieren, dass zum Reisezeitpunkt die geschilderte Beeinträchtigung fortbestehen wird, wie es dann auch tatsächlich der Fall war. Angesichts der Tatsache, dass Atemwegserkrankungen typischerweise in den Herbst- und Wintermonaten stärker verbreitet sind, lag es sehr nahe, dass ein im September bestehender Status als Risikogebiet aller Voraussicht nach nicht bis Mitte Oktober aufgehoben sein wird.

Die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB entfallen auch nicht, weil die anwaltlich vertretene Klägerin lediglich erklärt hat, aufgrund eines außergewöhnlichen Umstands zurückzutreten. Auch ohne ausdrückliche Benennung war für die Beklagte erkennbar, dass der Rücktritt wegen den Infektionsrisiken der COVID19-Pandemie erfolgt, da dieser außergewöhnliche Umstand in ständiger Diskussion war und ohne weitere Benennung offensichtlich ist, dass dieser Umstand gemeint ist, da dieser offensichtlich ist, während ein anderer nicht ersichtlich ist.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Die Berufung ist nicht zuzulassen. Die Entscheidung bewegt sich im Rahmen der vom Landgericht mitgeteilten Rechtsauffassung, der entschädigungslose Rücktritt nach §651h Abs. 3 BGB setze ein im Vergleich zum Inland erhöhtes Erkrankungsrisiko voraus.

Der Streitwert wird auf 331,00 EUR festgesetzt.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder

2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Düsseldorf, Werdener Straße 1, 40227 Düsseldorf, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.

Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Düsseldorf zu begründen.

Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Düsseldorf durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:

Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.

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