AG Lörrach: Vertrag nach Cold-Call für Eintrag in Firmenverzeichnis kann angefochten werden / 2023

veröffentlicht am 10. Juli 2023

Cold-Call
AG Lörrach, Urteil vom 25.05.2023, AZ. 3 C 444/22

§ 119 BGB, § 142 BGB, § 670 BGB, § 677 BGB, , § 683 BGB, § 7 UWG

Das AG Lörrach hat entschieden, dass ein im Wege des sog. Cold-Callings zustande gekommener SEO-Vertrag wirksam auf Grund eines Inhaltsirrtums angefochten werden kann, wenn der angerufene Unternehmer fehlerhaft davon ausgeht, dass der Anrufer in einem Vertragsverhältnis mit Google steht, der Anrufer im Zusammenhang mit dem Google-Account des Unternehmers direkten Zugriff darauf hat und dahingehend Dienstleistungen anbietet und der Unternehmer überdies davon ausgeht, dass ein bestehender Vertrag modifiziert wird, den der Unternehmer bereits mit Google unterhält. Zum Volltext der Entscheidung:


Amtsgericht Lörrach

Urteil

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 3.567,62 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine vertragliche Vergütung.

Die Klägerin befasste sich mit Firmenverzeichniseinträgen und Dienstleistungen zur Steigerung der Webpräsenz in Suchmaschinen. Am 15.03.2021 telefonierte der Beklagtenvertreter mit einer Mitarbeiterin der Klägerin. Dabei wurde er ohne vorherige Absprache und Ankündigung angerufen. Dabei fand zunächst ein Vorgespräch statt. Anschließend wurde das Telefonat mit Einverständnis des Beklagten aufgenommen. Mit E-Mail vom 19.03.2021 erklärte der Beklagte den Widerruf und Kündigung gegenüber der Klägerin (AS 64). Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.03.2021 wurde der Vertrag vom Prozessbevollmächtigten des Beklagten angefochten. Die Klägerin hat die von der Beklagten angegeben Daten übernommen und entsprechend verarbeitet zur Verbesserung der Webpräsenz.

Die Klägerin trägt vor, dass ein Vertrag mit einer Vergütung in Höhe von 3.567,62 € zustande gekommen sei durch das Telefonat. Die Tonaufnahme des Telefonats gebe das tatsächlich geführte Telefonat wieder (auf die Verschriftlichung auf AS 37-38 wird verwiesen). Ein Anfechtungsgrund liege nicht vor, weil die Beklagte weder getäuscht worden sei, noch sich im Irrtum befunden habe. Eine Kündigung gehe ins Leere, da die Leistung nach § 648 BGB bereits vollständig erbracht worden sei.

Die Klägerin beantragt,

1. Die beklagte Partei wird verurteilt, an die klägerische Partei 3.567,62 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.04.2021 zu zahlen.

2. Die klägerische Partei von den außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten der Rechtsanwaltskanzlei H. in Höhe von 200,70 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten trägt vor, dass der Vertrag nicht zustande gekommen sei. Es sei nicht über den Geldpreis geredet worden. Außerdem gab sich die Klägerin als das Unternehmen Google aus.

Am 24.04.2023 fand mündliche Hauptverhandlung statt. Auf das Protokoll wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

A) Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Parteien schlossen wirksam einen Vertrag (I)), dieser wurde wirksam von der Beklagten angefochten (II)), weshalb die Klägerin keine Ansprüche daraus ableiten kann. Sie hat auch keinen Anspruch aufgrund gesetzliches Anspruchsgrundlagen (III)).

I) Entgegen dem Vorbringen der Beklagten kam der geltend gemachte Vertrag zustande. Es bestehen keine Zweifel daran, dass die Telefonaufzeichnung das Gespräch wiedergibt. Davon ist das Gericht nach § 286 ZPO überzeugt. Man könnte annehmen, dass solch eine Sprachaufzeichnung gefälscht worden ist. Die Umstände des Einzelfalls sprechen allerdings dagegen. Die Beklagte machte geltend, dass sie davon ausging, dass sich die Gesprächspartnerin als Mitarbeiterin von Google ausgab. Allerdings widersprach sich der Vertreter der Beklagten in seiner persönlichen Anhörung, weil er einmal sagte, dass er fest davon ausging, dass er mit einer Mitarbeiterin von Google sprach, dann sagte er, dass ihm dies zumindest vermittelt wurde und anschließend gab er zu, dass auch ein anderer Firmenname gefallen sei. Im Übrigen versendete der Vertreter der Beklagten am 19.03.2021 eine E-Mail an die Klägerin. Damit musste im Telefonat zumindest an einer Stelle deutlich geworden sein, dass es sich um die Klägerin handelt. Genau dies geht auch aus der Tonaufzeichnung hervor. Dahingehend ist die Aussage des Beklagtenvertreters nicht glaubhaft. Auch die Aussage des Beklagtenvertreters, dass über keine Geldsumme gesprochen wurde ist nicht glaubhaft. Dahingehend ist die Tonaufzeichnung richtig. Der Beklagtenvertreter wollte mit E-Mail vom 19.03.2021 den Vertrag kündigen oder widerrufen. Dies ergibt nur Sinn, wenn kein kostenloser Vertrag geschlossen wurde und die Beklagte Kosten fürchtete.

Bei der ganzen Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass der Beklagtenvertreter unerwartet angerufen wurde durch einen Cold-Call. Schon von Gesetzeswegen werden diese sehr stark eingeschränkt (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG). Dies liegt dem Umstand zugrunde, dass man in solch einer Situation mental nicht auf Vertragsverhandlungen vorbereitet ist und deshalb zu Zusagen verleitet werden kann, die man normalerweise nicht abgeben würde. Es ist auch hier davon auszugehen, dass der Beklagtenvertreter in der Situation überfordert war und sich eben nicht mehr ganz genau an das Gespräch erinnern kann. Deshalb sind seine Aussagen unglaubhaft. Alle übrigen Umstände sprechen dafür, dass die Tonaufzeichnung das Gespräch korrekt wiedergibt.

Aus der Telefonaufzeichnung ergibt sich auch ein entsprechender Vertragsschluss. Die Mitarbeiterin der Klägerin trug die essentialia negotii vor, nämlich Preis und Leistungsumfang. Der Beklagtenvertreter stimmte dem zu. Der Vertrag konnte fernmündlich zustande kommen (§ 147 Abs. 1 S. 2 BGB; LG Kleve, Urteil vom 8. Juli 2016 – 5 S 97/15 –, juris; LG Bonn, Urteil vom 5. August 2014 – 8 S 46/14 –, juris).

II) Die Beklagte hat den Vertrag mit E-Mail vom 19.03.2021 wirksam angefochten nach den §§ 119 Abs. 1; 121; 142 BGB.

1) Die E-Mail vom 19.03.2021 ist als Anfechtungserklärung auszulegen. Aus dieser E-Mail geht hervor, dass die Beklagte das Rechtsgeschäft unter allen rechtlichen Möglichkeiten beenden möchte. Dies ist durch eine Anfechtung möglich und nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133; 157 BGB) muss ein Dritter dies auch so verstehen, dass damit auch eine Anfechtung erklärt wird, auch wenn diese nicht explizit benannt wird. Dies ist so vor allem vor dem Hintergrund, dass die Beklagte einen offensichtlich nicht möglichen Widerruf erklären wollte, da sie keine Verbraucherin ist. Die E-Mail enthält auch die Aussage, dass die Beklagte sich vom Vertrag lösen will und auch ansonsten keinen Kontakt zu der Klägerin mehr haben möchte. Dies ist so auszulegen, dass die Beklagte alle möglichen Erklärungen abgibt, um sich vom Vertrag zu lösen. Darunter fällt auch die Anfechtung.

2) Die Beklagte hatte einen Anfechtungsgrund nach § 119 Abs. 1 BGB, weil sie unter einem Inhaltsirrtum litt. Der Geschäftsführer der Beklagten ging davon aus, dass sie in einem Vertragsverhältnis mit Google stand und die Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Google-Account direkten Zugriff darauf hatte und dahingehend Dienstleistungen anbot. Außerdem ging sie davon aus, dass ein bestehender Vertrag modifiziert wird, den sie bereits bei Google hatte. Dass sich die Beklagte darüber im Irrtum befand, steht zur Überzeugung des Gerichts fest. Zwar konnte der Beklagtenvertreter nicht glaubhaft über den Inhalt des Telefonats berichten. Allerdings konnte er glaubhaft darüber berichten, wovon er selbst während des Telefonats ausgegangen ist. Dies ergibt sich auch aus dem Umstand, dass es sich um einen Cold-Call handelte. Für dieses ist es typisch sich überrumpelt zu fühlen und Ungenauigkeiten in den Aussagen falsch zu verstehen. Nach diesem Bild gab der Beklagtenvertreter an, dass es ihm nicht klar war, für welches Unternehmen die Mitarbeiterin handelte und wie diese im Zusammenhang mit Google stand. Außerdem war ihm nicht klar, ob ein bestehender Vertrag fortgesetzt wird. Außerdem ging er davon aus, dass das alles im Zusammenhang mit seinem eigenen Google-Account steht und dieses Vertragsverhältnis modifiziert werden soll. Darüber berichtete der Beklagtenvertreter glaubhaft, weil diesbezüglich detailreich und widerspruchsfrei berichtete. Er machte auch seine Überforderungssituation glaubhaft. Er brachte dies auch in einen zeitlichen Zusammenhang mit seiner Firmenneugründung und dass er damals nicht so viel Geld hatte und sich nicht vorstellen konnte, damals über solch eine hohe Summe einen Vertrag abschließen zu wollen. Er berichtete auch detailreich, wie die Mitarbeiterin der Klägerin viele Informationen über ihn hatte oder dies zumindest vorgab und er deshalb davon ausging, dass diese Zugriff auf sein Google-Account hatte. Nach alldem ging er davon aus, dass ein Vertrag geschlossen wird der in direktem Zusammenhang mit seinen Google-Account stand.

3) Der Irrtum war kausal für den Vertragsschluss. Die Beklagte ging davon aus, dass mit dem Vertragsschluss sein Google-Account betroffen war und die Klägerin in direktem Zusammenhang mit Google stand. Außerdem ging er davon aus, dass es seinen bestehenden Vertrag mit Google betraf. Dies war alles aber nicht der Fall. Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte in diesem Wissen nicht diesen Vertrag abgeschlossen hätte. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Beklagte unabhängig davon, ein Interesse daran hatte ihre Webpräsenz zu verbessern durch die Klägerin.

4) Die Beklagte hat die Anfechtungsfrist nach § 121 BGB eingehalten. Die Beklagte handelte unverzüglich, nachdem sie von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangte. Der Beklagtenvertreter sagte glaubhaft aus, dass er nach dem Telefonat die Klägerin im Internet recherchierte und anschließend erst bemerkte, dass er keinen Vertrag über seinen Google-Account geschlossen hat. Anschließend hat er Probleme gehabt die Klägerin zu erreichen. Unter der ihm bekannte Telefonnummer war das nicht möglich. Im Internet fand er eine E-Mail Adresse zu der er seine E-Mail vom 19.03.2023 verschickte. Dies ist noch unverzüglich, da die Beklagte nicht schuldhaft zögerte. Nach Bemerken des Irrtums versuchte der Beklagtenvertreter die Klägerin sofort telefonisch zu erreichen. Dies gelang nicht. Anschließend musste er eine E-Mail Adresse herausfinden. Für diesen ganzen Prozess vergingen 4 Tage. Es ist ersichtlich, dass der Beklagtenvertreter die ihm möglichen Mittel ohne zu Zögern nutzte, um seine Anfechtung zu erklären. Die Verzögerungen beruhten darauf, dass die Klägerin telefonisch nicht erreichbar war und er davor nur telefonischen Kontakt hat und anschließend erst andere Kommunikationskanäle herausfinden musste. Außerdem war ihm auch eine kurze Überlegungszeit zuzubilligen. Vor diesem Hintergrund wurde der Vertrag nach 4 Tagen ohne schuldhaftes Zögern angefochten.

5) Nach § 142 BGB ist der Vertrag von Anfang an als nichtig anzusehen. Die Klägerin kann keinen Anspruch aus dem Vertrag geltend machen.

III) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch aus gesetzlichen Tatbeständen. Sie hat keinen Anspruch aus den §§ 670; 683; 677 BGB. Dafür hätte sie vortragen müssen, welche Aufwendungen sie hatte, die sie geltend machen würde. Für einen Anspruch aus §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1; 818 BGB hätte sie darlegen müssen, was die Beklagte erlangt hat. Es wurde nur geltend gemacht, dass Eintragungen stattgefunden haben. Inwiefern der Beklagte dadurch bereichert ist, wurde aber nicht vorgetragen. Nach Vortrag der Klägerin war gerade kein Erfolg der verbesserten Webpräsenz geschuldet. Es verbleibt also die Möglichkeit, dass die Leistung für die Beklagte wertlos war.

B) Die Klägerin hat nach § 91 ZPO die Kosten zu tragen, da sie dem Rechtsstreit unterlegen ist.

C) Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11; 711 ZPO.

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