AG Saarbrücken: Eine Videoüberwachungsanlage im Hauseingangsbereich kann zur Gefahrenabwehr zulässig sein

veröffentlicht am 6. Juni 2011

AG Saarbrücken, Urteil vom 21.04.2011, Az. 36 C 155/10
§§ 823, 1004 BGB; Artikel 1; 2; 14 GG; § 6 BDSG

Das AG Saarbrücken hat entschieden, dass die Installation einer Überwachungskamera im Hauseingangsbereich auf Beschluss einer Wohnungseigentümergemeinschaft nicht rechtswidrig in die Persönlichkeitsrechte eines mitbetroffenen Eigentümers eingreift, wenn damit erhebliche, in der Vergangenheit bereits eingetretene Straftaten, wie etwa Vandalismus, für die Zukunft verhindert werden sollen. Zum Volltext der Entscheidung:

Amtsgericht Saarbrücken

Urteil

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Der Streitwert wird festgesetzt auf 4.000,00 EUR.

Tatbestand

Der Kläger ist Mieter im Anwesen der Beklagten … in Saarbrücken. Er bewohnt dort das Appartement … seit dem Jahre 2007. Im Zeitraum von Dezember 2008 bis April 2010 verbüßte er eine Haftstrafe in der JVA Saarbrücken, seither bewohnt er wieder sein Appartement in der … . Im Sommer 2010 fiel im auf, dass im Eingangsbereich und im Bereich der Briefkastenanlage Video-Kameras installiert sind.

Die Installation der Überwachungskamera erfolgte im Jahre 2008, aufgrund einer Beschlussfassung der Wohnungseigentümer aus dem Jahre 2007. Anlass für die Beschlussfassung zur Installationen waren zahlreiche Einbrüche in das Hausanwesen und die darin befindlichen Eigentumswohnungen, Zerstörung von Wohnungseingangstüren, Zerstörung und Aufbrüche der Briefkastenanlage. Hieraus folgten Versicherungsleistungen in Höhe von jährlich rund 3.000,00 EUR. Nach der Installation der Überwachungskamera ging die Zahl der Einbrüche, Aufbrüche und sonstiger Delikte im Hausanwesen erheblich zurück. Die Briefkastenanlage wird seither nicht mehr aufgebrochen. Die Versicherungsleistungen sind in den folgenden Jahren stark zurückgegangen und beliefen sich auf rund 280.00 EUR im Jahre 2008, auf rund 1.350,00 EUR im Jahre 2009 und auf rund 1.040,00 EUR im Jahr 2010.

In der Anlage gibt es keine Verbindung der Videokameras mit Bildschirmen. Ein Auslesen der gespeicherten Bilder kann durch die Installationsfirma erfolgen, wenn dies durch Straftaten angezeigt ist und die Polizei Einsicht erhalten soll. Die Aufzeichnungen werden nach einer Woche durch neue Aufzeichnungen überspielt, die Daten werden dadurch gelöscht.

Der Kläger fühlt sich durch die Aufzeichnungen in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt und wünscht keine Beobachtung seiner Person oder seiner Besucher, die nach seiner Behauptung teilweise ausbleiben wegen der Videoaufzeichnungen. Er behauptet, dass es auch nach wie vor Einbrüche gebe und es zu Beschädigungen, auch der Aufzeichnungsanlage, komme. Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Kameras im Eingangsbereich, Briefkastenanlage der … in Saarbrücken, zu entfernen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, der Kläger sei durch die Videoanlage zum Eingang … nicht betroffen, da dieser Eingang nicht zu seinem Appartement in der … führe.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Beseitigung der installierten Videoanlage gemäß den §§ 823, 1004 BGB in Verbindung mit Artikel 1, 2 GG bzw. §§ 823. 1004 BGB in Verbindung mit § 6 BDSG.

1.
Durch die installierten Videoüberwachungsgeräte im Hauseingangsbereich der … ist das Persönlichkeitsrechts des Klägers nicht in einer Art und Weise beeinträchtigt, dass im Rahmen der Güterabwägung unter Berücksichtigung des Eigentumsschutzes der Miteigentümer der Beklagten nach Artikel 14 GG eine Beseitigung der Videoüberwachungsanlage verlangt werden kann.

Der Anspruch des Klägers auf Unterlassung der Videoaufzeichnungen und Rückbau der Videoaufzeichnungsanlage begründet sich aus dem Schutz des Persönlichkeitsrechts, welches in Artikel 1 und 2 GG verankert ist. Dieses allgemeine Persönlichkeitsrechts entfaltet seine Wirkung nicht nur als Schutznorm gegenüber staatlichen Eingriffen, sondern zeigt seine unmittelbaren Wirkungen auch gegenüber Privatpersonen (allgemein hierzu: BVerfGE 7, 198; Sprau in Palandt, BGB 69. Auflage, § 823 Rdn. 84 ff.). Durch die mit einem Bewegungsmelder versehene Videoaufzeichnungsanlage wird jede Person, die den Eingangsbereich des Anwesens betritt, gefilmt. Hierin liegt eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. Er weiß, dass jedes Betreten des Hauseingangsbereiches eine Videoaufzeichnung veranlasst. Es ist ihm nicht möglich, sein Appartement zu erreichen, ohne die Videoanlage auszulösen und eine Dokumentation seines Bewegungsprofils zuzulassen. Hierin liegt eine Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.

2.
Die Interessen der Beklagten und der Wohnungseigentümer der WEG … bestehen darin, ihr Eigentum vor unberechtigtem Zugriff und Straftaten zu schützen. Diese Interessen sind durch Artikel 14 GG geschützt. Unstreitig gab es in der Vergangenheit wöchentlich Ein- und Aufbrüche in Wohnungen rund der Briefkastenanlage. Hierdurch entstanden Beeinträchtigungen dies Privateigentums der betroffenen Wohnungseigentümer, die Wohnungseigentümergemeinschaft musste zuletzt Versicherungsleistungen in Höhe, von über 3.000,00 EUR pro Jahr in Anspruch nehmen. Das erstrebte Ziel, diese Verletzungen des Eigentums durch Straftaten zu unterbinden, durch die Installation der Videoüberwachungsanlage ist erreicht worden. Es kam zu einem erheblichen Rückgang der Ein- und Aufbruchsdelikte sowie sonstiger Straftaten. Die Briefkastenanlage wurde praktisch nicht mehr aufgebrochen. Auch die Versicherungsleistungen gingen erheblich zurück und erreichten kaum mehr 50% des früheren Niveaus. Das erstrebte Ziel der Wohnungseigentümer und der Beklagten, die Anzahl der Straftaten einzudämmen, ist erreicht worden.

3.
Hinsichtlich der Frage, ob der Kläger einen Beseitigungsanspruch hat oder nicht, kommt es auf die Abwägung der den Parteien jeweils zustehenden Rechte und berechtigten Interessen an (allgemein hierzu: BGH, NJW 1995, 1955; OLG Düsseldorf WuM 2010, 83; Wenke, Videoüberwachung in Miet-, Nachbarschafts- und WEG-Recht, WuM 2010, 72). Im Rahmen der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ist eine Güter- und Interessenabwägung durchzuführen. Diese führt im Ergebnis zur Klageabweisung, denn die Interessen der Wohnungseigentümer, die die Beklagte wahrnimmt und der Beklagten überwiegen das Beseitigungsinteresse des Klägers. Zwar erfolgt, ausgelöst durch einen Bewegungsmelder eine Aufzeichnung, wenn der Kläger oder einer seiner Besucher die Wohnungsanlage betritt oder verlässt. Diese Aufzeichnung wird jedoch maximal für eine Woche aufbewahrt und dann ersatzlos gelöscht. Es besteht deshalb nicht das Risiko, über einen längeren Zeitraum ein Bewegungsprofil des Klägers zu erhalten. Es besteht auch nicht die technische Möglichkeit, über einen Bildschirm die Personen zu beobachten, die die Wohnungsanlage betreten oder verlassen. Unbefugten ist somit der unmittelbare Zugang und das Betrachten der aufgenommenen Videos zur Erstellung eines Bewegungsprofils nicht möglich. Ohne Anlass erfolgt keine Überprüfung der aufgezeichneten Bilder. Einziger, unstreitiger Anlass für die Auslesung der aufgezeichneten Bilder ist die Verübung einer Straftat im Hausanwesen. Auf Anfrage der Polizei wird für ein bestimmtes, von dieser vorgegebenes Zeitfenster von der Installationsfirma eine Auslesung der aufgezeichneten Daten vorgenommen und auf DVD gebrannt. Diese Informationen werden sodann über die Verwaltung an die Polizei weitergegeben. Eine Information der Verwaltung ist auf diesem Wege zwar möglich, wird aber nach unstreitigen Angaben der Verwaltung nicht vorgenommen. Die Auslesung der Informationen erfolgt deshalb nur dann, wenn Ermittlungen wegen einer Straftat von der Polizei aufgenommen werden. Darüber hinaus gibt es unstreitig keinen Anlass, die aufgezeichneten Videodaten anzusehen oder auszulesen. Diese technischen und tatsächlichen Beschränkungen der Überprüfung der aufgezeichneten Videoinformationen begrenzen die Beeinträchtigung des Klägers durch die Videoaufnahmen. Er muss nicht fürchten, dass von ihm oder seinen Besuchern ein Bewegungsprofil erstellt und verbreitet wird. Ebenfalls zu berücksichtigen ist hinsichtlich der geltend gemachten subjektiven Beeinträchtigung des Klägers, dass sich dieser für einen Zeitraum von über einem Jahr durch die Videoaufzeichnung nicht beeinträchtigt fühlte. Denn bereits im Jahre 2008 wurde die Installation vorgenommen und bis zu seinem Haftantritt im Dezember 2008 hatte er die Videoaufzeichnungsanlage nicht einmal bemerkt. Auf Seiten der Beklauten sind die unstreitig eingetretenen Verbesserungen der Sicherheit in der Anlage in der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Es erfolgte ein erheblicher Rückgang der Delikte und in der Konsequenz der Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen. Der für die Wohnungseigentümer entstehende Schaden ist damit erheblich reduziert worden, die angestrebte Abschreckungswirkung hat ihr Ziel erreicht. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist es gerechtfertigt, die offen erkennbaren und durch technische Maßnahmen und tatsächliche Umsetzung gesicherten Videoaufzeichnungen zu Gunsten des Eigentumsschutzes der Wohnungseigentümer aufrechtzuerhalten. Das Persönlichkeitsrecht des Klägers ist unter Berücksichtigung dieser Umstände des Einzelfalles nach durchgeführter Güter- und Interessenabwägung nicht in einem für den Kläger nicht mehr hinnehmbaren Maße beeinträchtigt. Er hat deshalb keinen Anspruch auf Beseitigung der Videoaufzeichnungsanlage im Hausanwesen … .

4.
Eine andere Entscheidung rechtfertigt sich auch nicht gemäß dem § 823 BGB in Verbindung mit § 6 BSDG. Auch hier ist eine Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen zur Wahrung berechneter Interesse für konkret festgelegte Zwecke zulässig, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schützwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Auch im Rahmen dieser Interessenabwägung besteht kein Beseitigungsanspruch des Klägers.

5.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der Streitwert war auf 4.000,00 EUR gemäß § 3 ZPO zu schätzen.

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