AnwG Berlin: Zu den Voraussetzungen, unter denen die Umgehung des Gegenanwalts standeswidrig ist

veröffentlicht am 26. Februar 2010

Rechtsanwalt Dr. Ole DammAnwG Berlin, Beschluss vom 13.08.2009, Az. 2 AnwG 13/08
§§ 12, 74a BRAO

Das Anwaltsgericht Berlin hat festgestellt, dass die Rüge einer Rechtsanwaltskammer eines Rechtsanwaltskollegen wegen Umgehung des gegnerischen Anwalts nicht zu beanstanden ist, wenn dies ohne Gefahr im Verzug erfolgt oder der gegnerische Anwalt in eine solche direkte Kontaktaufnahme eingewilligt hat. Zur Begründung hatte der gerügte Rechtsanwalt angeführt, dass ein Verstoß gegen § 12 BORA bereits deshalb nicht gegeben sei, da der Beschwerdeführer selbst Rechtsanwalt sei. Zudem habe zum Zeitpunkt seines Schreibens Gefahr in Verzuge vorgelegen. Schließlich habe sich die Vollmacht des umgangenen Rechtsanwalts auf eine andere Angelegenheit bezogen; eine schriftliche Vollmacht sei nicht vorgelegt worden. Das Anwaltsgericht ließ die Argumentation des gerügten Anwalts nicht gelten.

Sinn und Zweck des Umgehungsverbote sei – neben dem Schutz des umgangenen Rechtsanwaltes – in erster Linie der Schutz des gegnerischen Mandanten; dieser soll davor geschützt werden, dass sein Rechtsanwalt umgangen und er persönlich angesprochen werde. In der Umgehung liege mithin eine Missachtung des dem Gegner zustehenden Rechts, sich durch seinen Rechtsanwalt beraten und vertreten zu lassen (vgl. Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Aufl. 2008, § 12 BRAO, Rdnr. 2 m.w.N.).

Entgegen der Auffassung des Rechtsanwalts sei das Umgehungsverbot des § 12 BRAO auch dann anwendbar, wenn es sich bei dem Beteiligten selbst um einen Rechtsanwalt handele. Dieses ergebe sich bereits unmittelbar aus dem Schutzzweck des Verbotes, welches nicht nur allein auf eine mögliche Überrumpelung des direkt angesprochenen Mandanten abstelle, sondern auch auf das Recht eines jeden, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, um nicht dem direkten Kontakt des Rechtsanwalts seines rechtlichen Kontrahenten ausgesetzt zu sein. Auf die juristische Vorbildung bzw. rechtliche Kenntnisse des direkt angesprochenen Mandanten komme es somit nicht an, zumal eine solche Abgrenzung in der Praxis nicht trennscharf durchführbar wäre.

Die Argumentation, die Vollmacht des umgangenen Rechtsanwalts habe sich auf eine andere Angelegenheit bezogen und es habe Gefahr im Verzuge vorgelegen, wurde aus fallspezifischen Gründen zurückgewiesen. Insbesondere habe der Rechtsanwalt verkannt, dass sich die Gefahr im Verzuge gerade für seinen eigenen Mandanten ergeben müsse, nicht aber für die Gegenseite (vgl. etwa Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl. 2008, § 12 BORA Rdnr. 7; Hartung/Römermann a.a.O., Rdnr. 14). Vorliegend scheine sich der Rechtsanwalt bei der „Gefahr im Verzug“ aber auf den Schutz des Beschwerdeführers berufen zu haben, wofür die Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 2 S. 1 BORA keinen Raum lasse. Schließlich habe der Rechtsanwalt auch nicht unverzüglich nach der direkten Kontaktaufnahme den Gegenanwalt hiervon unterrichtet, wie es § 12 Abs. 2 S. 2 BORA vorschreibe.

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