AnwGH NRW: Keine Veruntreuung von Fremdgeld, wenn Rechtsanwalt einen nicht benötigten Honorarvorschuss nicht unverzüglich zurückzahlt

veröffentlicht am 3. April 2013

AnwGH NRW, Beschluss vom 07.09.2012, Az. 2 AGH 8/12
§ 43a Abs. 5 BRAO
, § 115 b BRAO

Der AnwGH NRW hat entschieden, dass ein Rechtsanwalt, der nicht in Anspruch genommene Honorarvorschüsse nicht unverzüglich erstattet, nicht gegen § 43a Abs. 5 BRAO verstößt („Der Rechtsanwalt ist bei der Behandlung der ihm anvertrauten Vermögenswerte zu der erforderlichen Sorgfalt verpflichtet. Fremde Gelder sind unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen„). Im vorliegenden Fall ging es um monatliche, pauschale Vorauszah­lungen auf eine quartalsweise abzurechnende Anwaltstätigkeit (Beratung und/oder Prozessvertretung). Bei diesen Honorarvorauszahlungen handele es sich nicht um anvertraute, fremde Vermögenswerte i.S.v. § 43 a Abs. 5 S. 1 BRAO. Anvertraut seien einem Rechtsanwalt Vermögenswerte im Sinne der vorbezeichneten Vorschrift dann, wenn ihm die Verfügungsmacht über diese Vermögenswerte im Interesse des Man­danten eingeräumt würden, der Mandant also die Herausgabe an sich oder einen Dritten verlangen könne. Dies sei bei einem Honorarvorschuss nicht der Fall, denn über dieses Geld dürfe und solle der Rechtsanwalt im eigenen Interesse verfügen. Es sei ihm von seinem Auftraggeber zur Nutzung für eigene Zwecke übereignet worden. Zum Volltext der Entscheidung:

Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalen

Beschluss

Der Anschuldigungserzwingungsantrag der Antragstellerin vom 26.04.2012 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Antragsgegners werden der Antragstellerin auferlegt.

Gründe

I.
Dem Antrag der RAK I, durch gerichtliche Entscheidung die Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens anzuordnen (§ 122 Abs. 2 BRAO i.V.m. §§ 173 -175 StPO), liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Rechtsanwalt O (Antragsgegner) aus S war für die Firma E GmbH (im Weiteren: Firma N) im Bereich des öffentlichen Vergaberechts aufgrund einer unter dem 04.08.2008 geschlossenen Rahmenvereinbarung (vgl. Bl. 19 ff. d.A.) tätig. Nach Ziffer 1 dieser Vereinbarung war er mit 250,00 EUR/angefangener Stunde zu ver­güten. Zudem war eine pauschale Abrechnung von 7.000,00 EUR (netto) (entspricht 28 Stunden à 250,00 EUR) pro Monat für anwaltliche Beratung in sämtlichen Vergabever­fahren, sowie 3.500,00 EUR (netto) je prozessualer Vertretung in Nachprüfungsverfahren vereinbart worden. Die Vorauszahlungen wurden quartalsweise mit der tatsächlich verdienten Anwaltsvergütung verrechnet. Eine Unterdeckung sollte durch Nachzah­lung ausgeglichen, ein Überschuss durch den Antragsgegner erstattet werden. Diese Abrechnungsweise ergibt sich nicht unmittelbar aus der vorzitierten Rahmenverein­barung vom 04.08.2008, war jedoch möglicherweise zwischen dem Antragsgegner und seiner Auftraggeberin mündlich vereinbart worden, jedenfalls entsprach sie nach Aktenlage der tatsächlichen Übung.

Mit Schreiben vom 04.02.2011 rechnete der Antragsgegner für das 4. Quartal 2010 ab und teilte der Firma E zugleich mit, dass noch ein Restbetrag aus dem 3. Quartal 2010 zu erstatten sei. Insgesamt ergab sich danach ein Erstattungs­betrag zugunsten seiner Auftraggeberin in Höhe von 23.119,67 EUR (vgl. Bl. 22 f d.A.). Abschließend bat der Antragsgegner in dem vorbezeichneten Schreiben um Mitteilung, auf welches Konto und zu welchem Verwendungszweck der Erstattungsbetrag überwie­sen werden soll.

Per E-Mail vom 11.02.2011 teilte die Firma E dem Antragsgegner so­wohl die Bankverbindung als auch den anzugebenden Verwendungszweck mit (vgl. Bl. 24 d.A.).

Mit Schreiben vom 23.03.2011 mahnte die Firma E den Erstattungsbe­trag an und machte zugleich Verzugszinsen geltend (vgl. Bl. 25 f d.A.). Mit Schreiben vom 03.05.2011 forderte die Auftraggeberin den Antragsgegner erneut auf, den zu erstattenden Betrag zuzüglich Verzugszinsen bis zum 06.05.2011 zu zahlen, anderenfalls sie einen Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides stellen werde (vgl. Bl. 27 f d.A.).

Der Antragsgegner leistete schließlich drei Teilzahlungen in Höhe von einmal 3.119,67 EUR am 15.06.2011, und jeweils in Höhe von 5.000,00 EUR am 16.06. und 20.06.2011. Zudem versprach er, den Restbetrag in Höhe von 10.000,00 EUR bis zum 01.07.2011 zu überweisen. Zur Begründung für die verspätete Zahlung soll er finan­zielle Schwierigkeiten angegeben haben (vgl. die E-Mail-Korrespondenz Bl. 29 f d.A.).

Nachdem die 10.000,00 EUR nicht wie angekündigt bei der Firma E am 01.07.2011 eingegangen waren, wandte sich diese mit Schreiben vom 04.07.2011 (vgl. Bl. 17 f d.A.) an die Antragstellerin und erhob Beschwerde gegen RA O we­gen Verletzung berufsrechtlicher Pflichten. Zugleich leitete sie ein gerichtliches Mahnverfahren gegen RA O ein.

Auf entsprechende Aufforderung der Antragstellerin nahm der Antragsgegner mit Schreiben vom 18.08.2011 (Bl. 33 ff. d.A.) zu der Beschwerde Stellung. Danach habe er mehrfach bei der Firma E nach der einschlägigen Kon­toverbindung nebst Verwendungszweck fragen müssen, was zu einer ver­zögerten Erstattung geführt habe. Die Stückelung der rückerstatteten Beträge (3.119,00 EUR/ 5.000,00 EUR/5.000,00 EUR) resultiere aus den für die ausführende Mitarbeiterin eingerichteten Onlinebanking-Limitierungen. Wirtschaftliche Schwierigkeiten – wie sie von der Firma E gemutmaßt würden – bestünden nicht. Die finanzielle Lage seiner Kanzlei sei seit Jahren auf gutem und stabilem Niveau. Anfang August sei der Restbetrag in Höhe von 10.000,00 EUR durch ihn selbst an die Firma E angewiesen worden.

Die Antragstellerin hat sich darauf veranlasst gesehen, gegen den Antragsgegner ein anwaltsgerichtliches Verfahren i.S.v. § 115 b BRAO wegen Verstoßes gegen § 43 a Abs. 5 S. 2 BRAO einzuleiten, um ihn zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu wahren.

Demgegenüber sieht die Generalstaatsanwaltschaft I eine Berufspflichtverlet­zung als nicht gegeben. Bei den von der Firma E an den Antragsgegner überwiesenen Honorarvorschüssen handele es sich nicht um anvertraute Vermö­genswerte bzw. Fremdgelder. Die nach § 23 BORA erforderliche Abrechnung sei nach Aktenlage rechtzeitig erfolgt.

Unter dem 28.03.2012 – Eingang bei der Antragstellerin am 29.03.2012 – hat die Generalstaatsanwaltschaft den Antrag der Antragstellerin auf Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Ver­fahrens i.S.d. § 121 BRAO gegen den Antragsgegner zurückgewiesen (vgl. Bl. 15 f d.A.).

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrem Anschul-digungserzwingungsantrag vom 26.04.2012, der im Original beim hiesigen Anwaltsgerichtshof am 27.04.2012 eingegangen ist.

Sie beantragt, durch gerichtliche Entscheidung die Einleitung des anwaltsgerichtlichen Ver­fahrens gegen RA O aus S anzuordnen (§§ 122 Abs. 2, 3, 123 Abs. 3 BRAO).

II.
Der Anschuldigungserzwingungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.

1.
Der Anschuldigungserzwingungsantrag ist gemäß § 122 Abs. 2 BRAO zulässig.

a)
Die Antragstellerin hat binnen einen Monats, nachdem ihr die Generalstaatsanwalt­schaft durch Bescheid vom 28.03.2012 (Bl. 15 f) bekannt gemacht hatte, ihrem An­trag auf Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens gegen RA O keine Folge zu geben, die gerichtliche Entscheidung beim hiesigen Anwaltsgerichtshof be­antragt (§ 122 Abs. 2 S. 1 BRAO). Mithin ist ihr Anschuldigungserzwingungsantrag rechtzeitig eingegangen.

b)
Der Antrag ist auch in der gebotenen Form begründet worden. Er gibt die Tatsachen an, welche die Einleitung des anwaltsgerichtlichen Verfahrens begründen sollen, und die entsprechenden Beweismittel (vgl. § 122 Abs. 2 S. 2 BRAO).

2.
Der Anschuldigungserzwingungsantrag ist jedoch unbegründet.

a)
Das vorbeschriebene Verhalten des Antragsgegners stellt einen Verstoß gegen § 43 a Abs. 5 BRAO nicht dar. Es geht hier um monatliche, pauschale Vorauszah­lungen auf eine quartalsweise abzurechnende Anwaltstätigkeit (Beratung und/oder Prozessvertretung). Bei diesen Honorarvorauszahlungen handelt es sich nicht um anvertraute, fremde Vermögenswerte i.S.v. § 43 a Abs. 5 S. 1 BRAO. Anvertraut sind einem Rechtsanwalt Vermögenswerte im Sinne der vorbezeichneten Vorschrift dann, wenn ihm die Verfügungsmacht über diese Vermögenswerte im Interesse des Man­danten eingeräumt wurden, der Mandant also die Herausgabe an sich oder einen Dritten verlangen kann (vgl. Feuerich/Weylandt, BRAO, 7. Aufl., § 43 a, Rdnr. 89; Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 43 a Rdnr. 223 ff.). Dies ist bei einem Honorarvorschuss nicht der Fall, denn über dieses Geld darf und soll der Rechtsanwalt im eigenen Interesse verfügen. Es ist ihm von seinem Auftraggeber zur Nutzung für eigene Zwecke übereignet worden.

Aus eben solchem Grunde stellt der Honorarvorschuss auch kein Fremdgeld i.S.d. § 43 a Abs. 5 S. 2 BRAO dar, welches unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 24.11.2000, Az.: 2 StR 384/00).

Aus der Verpflichtung des Rechtsanwalts zur quartalsweisen Abrechnung und Er­stattung eines etwaigen Überschusses ergibt sich nichts anderes. Aus dem Ge­schäftsbesorgungsvertrag i.S.v. § 675 Abs. 1 BGB zwischen Rechtsanwalt und Auf­traggeber – hier der Antragsgegner einerseits und die Firma E andererseits – und der entgegen § 614 BGB erfolgten Vorschusszahlungen folgt denknotwendigerweise als vertragliche Nebenpflicht des Rechtsanwalts die Pflicht zur Ab­rechnung und Erstattung eines etwaigen Überschusses. Wegen dieser vertraglichen Verpflichtung wird aus einem durch den Rechtsanwalt „nicht verdienten“ und daher zu erstattenden Vorschuss kein Fremdgeld oder fremder Vermögenswert i.S.v. § 43 a Abs. 5 BRAO. Auch der nicht verdiente Vorschuss bleibt Geld des Rechtsanwalts bzw. des Auftragnehmers. Der Rechtsanwalt ist jedoch einem vertraglichen Rückzahlungsanspruch seines Auftraggebers ausgesetzt.

Für diese Auffassung streitet auch die aktuelle Fassung der Berufsordnung für Rechtsanwälte (Fassung vom 01.07.2010). Dort wird in § 4 Abs. 2 S. 6 BORA und § 23 BORA ausdrücklich zwischen Fremdgeldern und Honorarvorschüssen unter­schieden.

b)
Der Antragsgegner hat sich auch nicht eines Verstoßes gegen §§ 43, 113 BRAO i.V.m. § 23 BORA schuldig gemacht. § 23 BORA (Fassung vom 01.07.2010) lautet wie folgt:

„§ 23 Abrechnungsverhalten

Spätestens mit Beendigung des Mandats hat der Rechtsanwalt gegenüber dem Mandanten und/oder Gebührenschuldner über Honorarvorschüsse unverzüglich ab­zurechnen.“

Im vorliegenden Fall hatten nach Aktenlage der Antragsgegner und seine Auftragge­berin, die Firma E, eine quartalsweise Abrechnung über die monatlich pauschal überwiesenen Vorschüsse vereinbart. RA O rechnete mit Schreiben vom 04.02.2011 über das 3. und 4. Quartal 2010 ab.

(1)
Soweit es das 4. Quartal 2010 betrifft, dürfte die Abrechnung (noch) unverzüglich i.S.d. § 23 BORA erfolgt sein. Bei einer Kanzlei mit mehreren Anwälten ist die Er­stellung der Abrechnungsmitteilung innerhalb von ca. vier Wochen nach Ablauf eines Quartals noch unverzüglich. So müssen die zuständigen Büroangestellten zunächst die entsprechenden Aktenvorgänge in der Kanzlei suchen und zusammenstellen, bis die eigentliche Erstellung der Abrechnung überhaupt beginnen kann. Bereits diese Zuordnung dauert Zeit. Hinzu tritt im konkreten Fall der Umstand, dass der gesamte Büroablauf sich nach den Weihnachtsferien erst wieder einspielen musste.

(2)
Diese Überlegungen gelten nicht für das 3. Quartal 2010, für das der Antragsgegner im Schreiben vom 04.02.2011 einen Erstattungsbetrag in Höhe von 12.406,82 EUR an­gab (vgl. Bl. 22 d.A.). Das 3. Quartal 2010 endete mit dem 30.09.2010. Den Erstat­tungsbetrag gab RA O über vier Monate später mit dem vorbezeichneten Schreiben an, wenn nicht bereits vorher darüber eine Abrechnung erstellt und der Firma E mitgeteilt worden war. Letzteres wird zu Gunsten des Antrags­gegners angenommen.

(3)
Um die Feststellung dieses Verstoßes (2) geht es der Antragstellerin nicht, sondern um die vom Antragsgegner über mehr als sechs Monate hinausgezögerte Rückzahlung des zugunsten seiner Mandantin festgestellten Honorarüberschusses. Diese Rückzahlung erfolgte sicherlich nicht unverzüglich. Fraglich ist, ob die Auskeh­rung des festgestellten Überschusses auch unter eine Abrechnung i.S.d. § 23 BORA zu subsumieren ist.

In den einschlägigen Kommentaren zur Berufsordnung der Rechtsanwälte (Feuerich/Weylandt und Hartung) findet sich eine Definition von dem Begriff „abzu­rechnen“ nicht. In Palandt (Palandt-Sprau, 71. Aufl. 2012, § 782 Rdnr. 2) wird „abrechnen“ wie folgt definiert:

„Abrechnung ist jede unter Mitwirkung von Gläubiger und Schuldner stattfindende Feststellung eines Rechnungsergebnisses, sei es im laufenden Rechnungsverhältnis über wechselseitige Forderungen im Wege der Verrechnung oder im uneigentlichen Rechnungsverhältnis zur Feststellung eines einseitig geschuldeten Gesamtbetrages im Wege der Addition.“

In diesem – rein buchhalterischen – Sinne werden die Begriffe „Abrechnung“ und „abzurechnen“ auch im alltäglichen Sprachgebrauch verwendet, nämlich als ab­schließende Rechnung (vgl. Wikipedia unter Stichwort „Abrechnung“). Nicht umfasst von dem Begriff „Abrechnung“ ist also die Auszahlung des festgestell­ten Saldos oder Überschusses. Danach liegt tatsächlich eine Regelungslücke vor. Die verzögerte Auszahlung eines nach Abrechnung festgestellten Überschusses des Mandanten wird von § 23 BRAO nicht erfasst.

Eine Auslegung der Vorschrift dahingehend, dass nicht nur die unverzügliche Ab­rechnung, sondern auch die umgehende Auskehrung des festgestellten Überschus­ses an den Berechtigten zu erfolgen hat, dürfte wegen des Bestimmtheitsgebotes i.S.v. § 103 Abs. 2 GG nicht in Betracht kommen. Der Bestimmtheitsgrundsatz formuliert als spezielle Ausformung des Willkürverbots ein überragend wichtiges Prinzip rechtsstaatlicher Strafrechtspflege und enthält als Bestandteile das Be­stimmtheitsgebot, das Verbot der Rückwirkung, das Verbot der Analogie sowie die Bindung des Strafrechts an geschriebene Gesetze. Das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit von Straftatbeständen gilt als programmatische Grundnorm auch im Nebenstrafrecht, im Ordnungswidrigkeitenrecht sowie im Disziplinarrecht (vgl. Thomas Fischer, StGB, 58. Aufl., § 1 Rdnr. 2).

c)
Schließlich kommt auch eine Anschuldigung des Antragsgegners wegen Verstoßes gegen § 43 BRAO nicht in Betracht.

Nach dieser Vorschrift hat der Rechtsanwalt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Er hat sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen. Die Bedeutung dieser Norm ist allerdings umstritten.

Ein Teil der Literatur sieht in ihr lediglich eine sogenannte Transportnorm, welche nicht für sich allein und selbstständig, sondern nur in Verbindung mit anderen Normen mit berufsrechtlichem Gehalt anwendbar sei. Da alle besonderen Normen des anwaltlichen Berufsrechtes in der BRAO und in der BORA als lex specialis zu § 43 für sich allein stehen können, hat im praktischen Ergebnis nach dieser Auffas­sung § 43 BRAO nur noch Bedeutung, soweit diese Vorschrift auf gesetzlich geregelte Berufspflichten außerhalb der BRAO und der BORA, z.B. aus dem Straf­gesetzbuch, Bezug nimmt. Für die Rechtsanwälte soll insofern Rechtssicherheit her­gestellt werden, als sie sich Klarheit verschaffen können, welche beruflichen Pflich­ten zu beachten sind (vgl. Ausführungen unter b) (3)).

Neben der soeben dargestellten Auffassung wird aber auch die Meinung vertreten, § 43 BRAO könne für sich allein zu einer berufsrechtlichen Maßnahme führen und sei im Falle von Gesetzeslücken insoweit ein Auffangtatbestand. Diese Auffassung beruft sich vor allem darauf, dass es Beispiele für Gesetzeslücken im Rahmen be­rufsrechtlicher Pflichten gebe, die auf diese Weise geschlossen werden können (vgl. zum Ganzen Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 43 Rdnr. 21 u. 22 m.w.N. und Feuerich/Weylandt, 8. Aufl., § 43, Rdnr. 7).

Der Senat hat sich in seiner Entscheidung vom 07.09.2011 mit dem Aktenzeichen 2 AGH 48/10 (anwaltsgerichtliches Verfahren RA T./. RAK I betreffend die Aufhebung eines belehrenden Hinweises vom 21.04.2010) der zweiten Auffassung angeschlossen. Es gibt zahlreiche Lücken innerhalb der Normierung berufsrechtlicher Pflichten. Die Verpflichtung einer gewissenhaften Berufsausübung eines Anwalts lässt sich nicht nur über die BRAO bzw. BORA und über einige, ggf. einschlägige, Vorschriften im Strafgesetzbuch (z.B. §§ 263, 266, 352 StGB) erfas­sen. Dies zeigt der vorliegende Fall sehr deutlich. Daher ist § 43 BRAO nicht nur als sogenannte „Transportnorm“, sondern auch als Auffangtatbestand anzuwenden. Diese Handhabung entspricht auch seiner amtlichen Überschrift als „allgemeine Berufspflicht“.

Der Senat verkennt jedoch nicht, dass bei der Anwendung des § 43 BRAO zurück­haltend vorzugehen ist. So kann diese Vorschrift nicht als Auffangtatbestand zum Zweck der Ahndung von beruflichen Pflichtverletzungen subsidiär herangezogen werden, wenn der Gesetz- oder Satzungsgeber bewusst auf eine Statuierung einer Berufspflicht verzichtet hat.

So liegt der Fall jedoch hier. Denn in § 23 BRAO hat der Satzungsgeber ausdrücklich die unverzügliche Abrechnung über Honorarvorschüsse geregelt, die unverzügliche Auskehrung eines Überschusses an den Mandanten jedoch nicht, obwohl diese Regelung an dieser Stelle nahe lag und ein Leichtes gewesen wäre. Gleichwohl hat der Satzungsgeber an dieser Stelle die unverzügliche Auskehrung eines Überschus­ses nicht geregelt, was in dem Umstand begründet sein mag, dass der Mandant mit der Abrechnung über die Honorarvorschüsse eine vom Rechtsanwalt selbst ausge­stellte Urkunde erhält, die ihm die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens (z.B. Urkundsprozess § 592 ZPO) erheblich erleichtert. Daher ist anzunehmen, dass der Satzungsgeber diese Verpflichtung bewusst nicht als Berufspflicht statuieren wollte. Mithin ist auch eine Anwendung des § 43 BRAO als Auffangtatbestand hier nicht möglich.

Der Anschuldigungserzwingungsantrag ist daher zurückzuweisen.

III.
Die Kosten des Verfahrens sind gemäß § 116 BRAO i.V.m. § 177 StPO der Antragstellerin aufzuerlegen.

I