BGH: Das rechtliche Gehör ist verletzt, wenn ein Gericht überraschend und ohne vorherigen Hinweis eine bislang nicht erörterte Vorschrift seiner Entscheidung zu Grunde legt

veröffentlicht am 7. August 2013

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtBGH, Beschluss vom 16.05.2013, Az. VII ZR 63/11
§ 544 Abs. 7 ZPO; § 203 Satz 2 BGB

Der BGH hat entschieden, dass eine Verletzung rechtlichen Gehörs und damit ein Revisionsgrund vorliegt, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis eine Vorschrift zur Grundlage seiner Entscheidung macht, welche zuvor nicht erörtert wurde. Vorliegend war zwischen den Parteien in einer baurechtlichen Sache der Eintritt einer möglichen Verjährung streitig, welche auf Anwendung der Vorschrift § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 VOB/B beruhen sollte. Das Berufungsgericht hatte jedoch überraschend § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 VOB/B zu Grunde gelegt, ohne zuvor einen gerichtlichen Hinweis zur Stellungnahme zu erteilen. Zum Volltext der Entscheidung:



Bundesgerichtshof

Beschluss

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Mai 2013 durch … beschlossen:

Der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Das Urteil des 1. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 24. Februar 2011 wird gemäß
§ 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben, soweit darin zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 338.846,76 EUR

Gründe

I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen mangelhafter Errichtung von sog. „Tausalzsilos“ in Anspruch. Die Beklagte verteidigt sich dagegen insbesondere mit der Einrede der Verjährung.

Die Klägerin erteilte der Beklagten mit Schreiben vom 11.09.2001 – unter Einbeziehung der VOB/B 2000 (im Folgenden nur: VOB/B) den Auftrag zur Errichtung von sechs Tausalzsilos. Am 09.10.2002 erfolgte die Abnahme der Werkleistungen.

Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und eine Verjährung des Anspruchs auf Ersatz der Mängelbeseitigungskosten verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt, die zweijährige Verjährungsfrist sei mit Zugang der schriftlichen Mängelanzeige der Klägerin vom 23.06.2003 gemäß § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 VOB/B in Gang gesetzt worden, weswegen eine Verjährung frühestens zum 23.06.2005 eingetreten sein könne. Wegen zwischen den Parteien mindestens vom 19.08.2003 bis zum 03.11.2003 geführter Verhandlungen habe sich die Verjährungsfrist um den Hemmungszeitraum von zwei Monaten und 15 Tagen verlängert, § 203 Satz 1 BGB. Nach dem Ende der Hemmung sei gemäß § 203 Satz 2 BGB eine weitere Verlängerung der Verjährungsfrist um drei Monate eingetreten, was zur Folge habe, dass die am 03.11.2005 eingegangene Klage in unverjährter Zeit erhoben worden sei.

Die Berufung der Beklagten hat vor dem Berufungsgericht im Wesentlichen keinen Erfolg gehabt. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt.

II.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit hierin zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist, und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1.
Das Berufungsgericht meint, Ansprüche der Klägerin seien nicht verjährt. Im Unterschied zum Landgericht lässt es bei der Beurteilung der Verjährung die dreimonatige Ablaufhemmungsfrist des § 203 Satz 2 BGB unberücksichtigt, da diese nur dann relevant werde, wenn die nach dem Ende der Hemmung verbleibende Verjährungsfrist kürzer als drei Monate sei, was hier erkennbar nicht der Fall sei. Nach der Verjährungsfrist gemäß § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 VOB/B habe jedoch eine Verjährungsfrist gemäß § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 VOB/B eingesetzt. Die Beklagte habe vom 23. bis zum 25. Juli 2003 Mängelbeseitigungsleistungen, nämlich Nachspannarbeiten an den Spannringen der Silos, durchgeführt. Diese Leistungen habe die Klägerin mit Schreiben vom 22. August 2003 abgenommen. Die zweijährige Verjährungsfrist nach § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 VOB/B sei wegen zwischen den Parteien vom 20. August 2003 bis zum 4. November 2003 geführter Verhandlungen von Anfang an gehemmt gewesen und habe daher erst am 4. November 2003 zu laufen begonnen. Die Klage sei damit rechtzeitig erhoben worden.

2.
Das Berufungsgericht hat, wie die Beschwerde zu Recht rügt, den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es seine Beurteilung der Verjährung überraschend auf § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 VOB/B gestützt hat, ohne der Beklagten zuvor einen Hinweis gemäß § 139 ZPO zu erteilen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

a)
Nach Art. 103 Abs. 1 GG darf ein Gericht ohne vorherigen Hinweis nicht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte. Es hat in einem solchen Fall auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen und den Prozessbeteiligten eine Möglichkeit zur Stellungnahme zu eröffnen (BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 V ZR 200/06, NJW-RR 2007, 1221 Rn. 5 m.w.N.).

So liegt der Fall hier. Im erstinstanzlichen Verfahren und auch im Berufungsverfahren standen bei der Beurteilung der Verjährung allein die Frist des § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 VOB/B und die Frage im Vordergrund, ob die Parteien über Gewährleistungsansprüche i.S.d. § 203 Satz 1 BGB verhandelt haben und dadurch eine Hemmung der Verjährung eingetreten ist. Zwar hat die Klägerin in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 28. Februar 2006, Seite 2, ohne weitere Begründung ausgeführt, mit den Nachspannarbeiten habe eine neue Verjährungsfrist für die streitigen Mängel begonnen. Nachdem die Beklagte dem mit Schriftsatz vom 27. März 2006, Seite 2, entgegengetreten war, sind die Parteien im Laufe des Rechtsstreits auf diesen Gesichtspunkt jedoch nicht mehr zurückgekommen. Bei dieser Sachlage stellt es eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Überraschungsentscheidung dar, wenn das Berufungsgericht ohne vorherigen Hinweis die Beurteilung der Verjährung im Unterschied zum Landgericht auf § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 VOB/B stützt.

b)
Der Verstoß ist entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass die Klage, hätte die Beklagte Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme erhalten, aufgrund des in der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgten Vortrags der Beklagten wegen Verjährung der Ansprüche abgewiesen worden wäre.

aa)
Die vom Berufungsgericht angewandte Verjährungsfrist des § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 VOB/B kommt nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht in Betracht. Diese Frist kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erst nach Beendigung und Abnahme von vorgenommenen Mängelbeseitigungsleistungen beginnen (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2008 VII ZR 32/07, BGHZ 178, 123 Rn. 20, 25; BGH, Urteil vom 11. Juli 1985 VII ZR 14/84, NJW-RR 1986, 98; siehe auch Weyer in Kapellmann/ Messerschmidt, Kommentar zur VOB, 4. Aufl., § 13 VOB/B Rn. 239).

(1)
Sofern die Nachspannarbeiten der Beklagten als Mängelbeseitigungsleistungen anzusehen sein sollten, dürfte es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts an einer Abnahme durch die Klägerin fehlen. Mit Schreiben vom 23. Juni 2003 rügte die Klägerin das Verrutschen der Spannbänder und den Schiefstand eines Silos. Auch nach der Durchführung der Nachspannarbeiten an den Spannringen der Silos forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 11. August 2003 zur Beseitigung des Schiefstandes an (mittlerweile) zwei Silos auf und setzte der Beklagten mit Schreiben vom 22. August 2003 eine Nachfrist zur Einreichung eines Sanierungsvorschlages. Dies verdeutlicht, dass die Klägerin die Nachspannarbeiten gerade nicht als zur endgültigen Herstellung der Standsicherheit der Silos ausreichende Maßnahmen ansah und demzufolge in ihren Schreiben vom 11. und 22. August 2003 auch keine Abnahme einer vermeintlich durchgeführten Mängelbeseitigung liegen dürfte.

(2)
Allerdings könnte hierin die Abnahme von (vorläufigen) Sicherungsarbeiten gesehen werden. Versteht man die Nachspannarbeiten so, können sie aber keine Mängelbeseitigungsleistungen im Sinne von § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 VOB/B darstellen, die zum Lauf der dort genannten Verjährungsfrist führen würden.

bb)
Die vom Berufungsgericht vorgenommene Beurteilung der Verjährung stellt sich nach derzeitigem Sach- und Streitstand auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar.

Für die Beurteilung der Verjährung der Schadensersatzansprüche der Klägerin, insbesondere der Frage, ob diese im Jahr 2003 gehemmt war, ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der ab dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung maßgeblich, Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB.

(1)
Unter der Voraussetzung, dass die Nachspannarbeiten an den Spannringen der Silos keine Mängelbeseitigungsleistungen i.S.d. § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 VOB/B waren, endete die Verjährungsfrist spätestens am 11. September 2005 mit der Folge, dass die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung durchgreift.

Mit Zugang der schriftlichen, vermutlich per Fax erfolgten Mängelrüge der Klägerin vom 23. Juni 2003 bei der Beklagten begann gemäß § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 VOB/B der Lauf einer neuen zweijährigen Verjährungsfrist, die – einen Zugang bei der Beklagten am 23. Juni 2003 unterstellt – grundsätzlich am 23. Juni 2005 endete. Wird der vom Berufungsgericht angenommene und von der Beschwerde nicht beanstandete Hemmungszeitraum wegen zwischen den Parteien geführter Verhandlungen gemäß § 203 Satz 1 BGB im Umfang von zwei Monaten und 15 Tagen (20. August 2003 bis 4. November 2003) hinzugerechnet, würde diese Frist wie das Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat – am 7. September 2005 enden. Hinzugerechnet werden könnte gemäß § 203 Satz 1 BGB allenfalls noch ein weiterer Hemmungszeitraum im Umfang von vier Tagen wegen einer Überprüfung der gerügten Mängel durch die Beklagte im Anschluss an den Erhalt der schriftlichen Mängelrüge vom 23. Juni 2003 und der Ablehnung ihrer Mängelverantwortlichkeit durch die Beklagte mit Schreiben vom 27. Juni 2003 (siehe zur Fortgeltung der Hemmungstatbestände des § 639 Abs. 2 BGB a.F. über § 203 Satz 1 BGB n.F. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2006 VII ZR 194/05, BauR 2007, 380, 381 f. = NZBau 2007, 184 = ZfBR 2007, 142; BT-Drucks. 14/6040, S. 267 und BT-Drucks. 14/7052, S. 178, 180). Eine weitere Hemmung in der Zeit zwischen dem 27. Juni 2003 und dem 20. August 2003 kommt nicht in Betracht, da die Beklagte in dem zwischen den Parteien in diesem Zeitraum geführten Schriftverkehr von vornherein jegliche Mängelverantwortung ablehnte.

(2)
Unter der Annahme, die Nachspannarbeiten der Beklagten seien hingegen (erste) Mängelbeseitigungsleistungen, endete die Verjährungsfrist spätestens am 11. Oktober 2005 mit der Folge, dass die Einrede der Verjährung ebenfalls durchgreift.

Der Bundesgerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass im VOB/B-Vertrag dann, wenn es – wie hier – nicht zu einer Abnahme von Mängelbeseitigungsleistungen und damit nicht zu einer Anwendung von § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 VOB/B kommt, die gemäß § 639 Abs. 2 BGB a.F. während der Dauer der Mängelbeseitigung eingetretene Hemmung der Verjährung unter anderem endet, wenn der Auftragnehmer die (weitere) Mängelbeseitigung endgültig verweigert (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2008 VII ZR 32/07, BGHZ 178, 123 Rn. 17). Für eine Hemmung gemäß des hier anwendbaren § 203 Satz 1 BGB n.F. gilt nichts anderes (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2006 VII ZR 194/05, BauR 2007, 380, 381 f. = NZBau 2007, 184 = ZfBR 2007, 142). Nach diesen Grundsätzen trat, wenn die Nachspannarbeiten an den Spannringen der Silos als Mängelbeseitigungsleistungen bewertet werden, eine Verjährungshemmung vom Beginn dieser Arbeiten am 23. Juli 2003 längstens bis zur endgültigen Verweigerung von (weiteren) Gewährleistungsarbeiten durch die Beklagte am 4. November 2003 ein. Im Vergleich zur zuvor dargestellten Berechnung der Verjährungsfrist ergibt dies einen zusätzlichen Hemmungszeitraum von knapp einem Monat (nämlich vom 23. Juli 2003 bis zum 20. August 2003; der weitere Zeitraum bis zum 4. November 2003 ist bereits berücksichtigt) mit der Folge, dass die Gewährleistungsfrist spätestens am 11. Oktober 2005 endete.

Vorinstanzen:
LG Erfurt, Entscheidung vom 11.01.2010, Az. 9 O 2071/05
OLG Jena, Entscheidung vom 24.02.2011, Az. 1 U 92/10

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