BGH: Die Adresse eines Postdienstleisters ist keine ladungsfähige Adresse

veröffentlicht am 20. September 2023

BGH, Urteil vom 07.07.2023, Az. V ZR 210/22
§ 130 Nr. 1 Hs. 1 ZPO, § 171 S. 1 ZPO, § 177 ZPO, § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO

Der BGH hat entschieden, dass die Angabe der Adresse eines Postzustellers nicht die Angabe einer ladungsfähigen Adresse ersetzt. Eine solche Klage sei unulässig. Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift diene der Identifizierung des Klägers. Gleichzeitig dokumentiere dieser hiermit seine Bereitschaft, sich möglichen nachteiligen Folgen des Prozesses, insbesondere einer Kostentragungspflicht, zu stellen und damit den Prozess nicht aus dem Verborgenen heraus zu führen. Zudem werde dem Gericht nur hierdurch ermöglicht, das persönliche Erscheinen des Klägers anzuordnen, da die Ladung hierzu nach § 141 Abs. 2 S.2 Hs. 1 ZPO der Partei selbst mitzuteilen ist, auch wenn sie einen Prozessbevollmächtigten bestellt habe. Zum Volltext der Entscheidung:


Bundesgerichtshof

Urteil

Die Revision gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 06.10.2022 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Die Klägerin hat zwei Wohnsitze im Ausland; sie hat einen in Deutschland ansässigen Postdienstleister vertraglich verpflichtet, Post an sie weiterzuleiten. Sie selbst hält sich unter der Anschrift des Postdienstleisters nicht auf. Mit ihrer Anfechtungsklage will die Klägerin verschiedene in einer Versammlung im April 2021 gefasste Beschlüsse für ungültig erklären lassen. Als Adresse hat sie in der Klageschrift die Anschrift des Postdienstleisters angegeben. Ihre eigene Wohnanschrift hat sie im Verfahren nicht mitgeteilt. Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat keinen Erfolg gehabt. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

I.
Das Berufungsgericht hält die Berufung für unbegründet, weil die Klage wegen der fehlenden Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift der Klägerin unzulässig sei. Zu der ordnungsgemäßen Klageerhebung gehöre nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Angabe der ladungsfähigen Anschrift der klagenden Partei. Werde diese Angabe, obgleich möglich, schlechthin oder ohne zureichenden Grund verweigert, sei die Klage unzulässig. So liege es hier. Warum die Klägerin ihre Anschrift nicht mitgeteilt habe, habe sie weder erklärt noch sei dies sonst erkennbar. Die Klägerin führe daher den Rechtsstreit ohne nachvollziehbaren Grund aus dem Verborgenen heraus. Insofern bestehe die Vermutung, dass sie im Unterliegensfall Zwangsvollstreckungsversuche ins Leere laufen lassen und sich einer Kostentragungspflicht nicht stellen wolle. Auch seien Zustellungen an sie unter der Adresse des Postdienstleisters nicht möglich. Dass die Klägerin durch einen Prozessbevollmächtigen vertreten sei, ändere nichts an der Unzulässigkeit der Klage.

II.
Die Revision hat keinen Erfolg.

1. Allerdings ist die Revision – ebenso wie die Berufung – unbeschadet des Umstandes, dass die Klägerin auch in der Revisionsschrift nicht ihre Wohnanschrift angegeben hat, zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 1987 – IVb ZR 4/87, BGHZ 102, 332, 333 f.; Beschluss vom 1. April 2009 – XII ZB 46/08, NJW-RR 2009, 1009 Rn. 6).

2. Die Revision ist jedoch unbegründet. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klage sei unzulässig, weil die Klägerin nicht ihre Wohnanschrift, sondern lediglich die Adresse des Postdienstleisters angegeben habe, hält rechtlicher Nachprüfung stand. Eine ordnungsgemäße Klageerhebung setzt grundsätzlich die Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Klägers voraus; die Adresse eines Postdienstleisters, der lediglich mit der Weiterleitung der an den Kläger gerichteten Post beauftragt ist, reicht hierfür nicht aus.

a) Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO muss die Klageschrift die Bezeichnung der Parteien enthalten. Auf die Klageschrift sind gemäß § 253 Abs. 4 ZPO die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze anzuwenden. Nach § 130 Nr. 1 Halbsatz 1 ZPO sollen diese die Bezeichnung der Parteien und ihrer gesetzlichen Vertreter nach Namen, Stand oder Gewerbe, Wohnort und Parteistellung enthalten. Zu dieser in jeder Lage des Verfahrens und damit auch noch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfenden Sachurteilsvoraussetzung der ordnungsgemäßen Klageerhebung gehört unter Berücksichtigung der Bedeutung der Klageschrift für den Gang des Verfahrens nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auch die Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Klägers. Wird diese Angabe, obgleich möglich, schlechthin oder ohne zureichenden Grund – wie etwa schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen der Partei (vgl. hierzu BVerfG, BeckRS 1999, 15406 Rn. 1) – verweigert, ist die Klage grundsätzlich unzulässig, was auch dann gilt, wenn ein Kläger (wie hier) durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 1987 – IVb ZR 4/87, BGHZ 102, 332, 335 f.; Urteil vom 17. März 2004 – VIII ZR 107/02, NJW-RR 2004, 1503; Urteil vom 11. Dezember 2014 – I ZR 113/13, GRUR 2015, 694 Rn. 13; Urteil vom 28. Juni 2018 – I ZR 257/16, NJW-RR 2019, 61 Rn. 14; Urteil vom 6. April 2022 – VIII ZR 262/20, NJW-RR 2022, 714 Rn. 14; vgl. auch Senat, Urteil vom 4. März 2011 – V ZR 190/10, NJW 2011, 1738 Rn. 11). Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift dient der Identifizierung des Klägers. Gleichzeitig dokumentiert dieser hiermit seine Bereitschaft, sich möglichen nachteiligen Folgen des Prozesses, insbesondere einer Kostentragungspflicht, zu stellen und damit den Prozess nicht aus dem Verborgenen heraus zu führen. Zudem wird dem Gericht nur hierdurch ermöglicht, das persönliche Erscheinen des Klägers anzuordnen, da die Ladung hierzu nach § 141 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO der Partei selbst mitzuteilen ist, auch wenn sie einen Prozessbevollmächtigten bestellt hat (vgl. zur Ladung zum persönlichen Erscheinen BGH, Urteil vom 9. Dezember 1987 – IVb ZR 4/87, BGHZ 102, 332, 335).

b) Daran gemessen genügt die Angabe der Adresse des Postdienstleisters für eine ordnungsgemäße Klageerhebung nicht.

aa) Anders als die Revision geltend macht, stellt die Adresse des Postdienstleisters keine ladungsfähige Anschrift der Klägerin dar.

(1) Die ladungsfähige Anschrift ist nicht jede Anschrift, unter der eine Zustellung an den Zustelladressaten möglich ist, sondern eine solche, unter der der Zustelladressat tatsächlich zu erreichen ist und die ernsthafte Möglichkeit der Übergabe eines zuzustellenden Schriftstückes an ihn selbst besteht. Diese Definition knüpft an die Regelung des § 177 ZPO an, der von dem Leitbild der unmittelbaren Zustellung durch Übergabe an die Person, der zugestellt werden soll, ausgeht; die Ersatzzustellung stellt demgegenüber nur eine Hilfslösung dar (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 2000 – VI ZR 198/99, BGHZ 145, 358, 364 zur ladungsfähigen Anschrift des Beklagten; vgl. auch BVerwG, NJW 1999, 2608, 2609 mwN).

(2) Hiernach ist die Adresse des Postdienstleisters keine ladungsfähige Anschrift der Klägerin. Eine Zustellung nach § 177 ZPO durch Übergabe an die Klägerin scheidet unter der angegebenen Anschrift aus. Die Klägerin hält sich an der Adresse des Postdienstleisters nicht auf. Sie hat dort weder ihre Wohnung im Sinne ihres tatsächlichen Lebensmittelpunktes noch einen Geschäftsraum noch ist sie dort sonst anzutreffen.

bb) Die Klägerin hat auch keine Gründe benannt, warum ihr die Angabe eines Ortes, an dem sie sich tatsächlich aufhält, nicht möglich oder zumutbar wäre. Es hätte ihr oblegen, dem Gericht entsprechende Umstände zu unterbreiten (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 1987 – IVb ZR 4/87, BGHZ 102, 332, 336). Auch sonst sind keine Gründe ersichtlich, warum ihr die Angabe eines derartigen Ortes nicht möglich oder zumutbar wäre.

cc) Allerdings hat der Bundesgerichtshof unter bestimmten Voraussetzungen auch die Mitteilung einer Anschrift, die zwar keine ladungsfähige Anschrift in dem oben genannten Sinne darstellt, unter der aber an die klagende Partei wirksam Zustellungen vorgenommen werden können, als ausreichend angesehen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2018 – I ZR 257/16, NJW-RR 2019, 61 Rn. 18; Urteil vom 6. April 2022 – VIII ZR 262/20, NJW-RR 2022, 714 Rn. 15). Diese Rechtsprechung betraf indes jeweils Konstellationen, in denen die klagende Partei eine juristische Person war. Ob sich die in diesen Entscheidungen aufgestellten Grundsätze auch auf die Klage einer natürlichen Person wie der Klägerin übertragen lassen (zweifelnd BGH, Urteil vom 28. Juni 2018 – I ZR 257/16, NJW-RR 2019, 61 Rn. 17), kann dahinstehen. Denn jedenfalls liegen hier die von dem Bundesgerichtshof insofern aufgestellten Voraussetzungen nicht vor. Eine wirksame Zustellung an die Klägerin ist unter der von ihr angegebenen Anschrift nicht möglich.

(1) Dort kann keine Ersatzzustellung nach §§ 178 bis 181 ZPO erfolgen, da diese voraussetzt, dass eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, tatsächlich von dem Adressaten genutzt wird (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 2011 – III ZR 342/09, BGHZ 190, 99 Rn. 13; Beschluss vom 14. Mai 2019 – X ZR 94/18, NJW 2019, 2942 Rn. 9).

(2) Auch eine Zustellung an einen Zustellungsvertreter ist nicht möglich. Zwar kann nach § 171 Satz 1 ZPO an den rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter mit gleicher Wirkung wie an den Vertretenen zugestellt werden. Eine Vertretung in diesem Sinne setzt aber voraus, dass nach § 167 Abs. 1 BGB eine Vollmacht erteilt wurde, die sich auf die Entgegennahme zuzustellender Schriftstücke erstreckt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2016 – VI ZB 21/15, BGHZ 212, 1 Rn. 45). Eine Vollmacht, die sich auf die bloße Weiterleitung von Post beschränkt, reicht ebenso wenig aus wie eine Beauftragung als Postannahmestelle oder Empfangsbote (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2020 – II ZB 25/20, juris Rn. 15). Eine Empfangsvollmacht hat die Klägerin dem Postdienstleister nicht erteilt. Dieser ist (nur) mit der Weiterleitung der Post betraut, handelt mithin als Bote.

(3) Anders als die Revision meint, können schließlich die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum zurechenbar gesetzten Rechtsschein einer Wohnung (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 14. Mai 2019 – X ZR 94/18, NJW 2019, 2942 Rn. 11 mwN) keine Anwendung finden. Diese Rechtsprechung dient dem Schutz des Zustellenden, wenn der Zustellungsadressat einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat. Die Klägerin weigert sich als Zustellungsadressatin, ihre Wohnanschrift bekannt zu geben. Ein Grund, ihr dafür Vorteile zu gewähren, besteht nicht.

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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