BGH: Ein presserechtliches Zeugnisverweigerungsrecht ist bei bereits bekannten Informationen nicht gegeben

veröffentlicht am 14. Februar 2013

Rechtsanwalt Dr. Ole DammBGH, Beschluss vom 04.12.2012, Az. VI ZB 2/12
§ 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO

Der BGH hat entschieden, dass sich ein Journalist in einem Gerichtsverfahren nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO (Pressevertreter) berufen kann, wenn er bereits in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung der Vorinstanz umfassend zur Person eines Informanten und mit diesem geführten Gesprächen ausgesagt hat. Damit sei das Vertrauensverhältnis zu dem Informanten bereits offengelegt und der Zweck der Vorschrift, nämlich das Vertrauensverhältnis zwischen Presse und Rundfunk und ihren Informanten zu schützen, sei nicht mehr zu erreichen. Zum Volltext der Entscheidung:


Bundesgerichtshof

Beschluss

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Dezember 2012 durch … beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 4 und 5 gegen das Zwischenurteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 13. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens werden wie folgt verteilt:

Die weiteren Beteiligten zu 4 und 5 tragen die jeweils auf sie entfallenden Gerichtskosten sowie jeweils 1/5 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin; ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen sie selbst.

Die Klägerin trägt hinsichtlich der zurückgenommenen Rechtsbeschwerde gegen die weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 die auf sie entfallenden Gerichtskosten sowie 3/5 ihrer außergerichtlichen Kosten; die außergerichtlichen Kosten der weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 trägt sie in vollem Umfang.

Streitwert: 50.000 € (je 10.000 € hinsichtlich jedes Streitverhältnisses zwischen der Klägerin und jedem weiteren Beteiligten)

Gründe

I.
Im vorliegenden Rechtsstreit wenden sich die weiteren Beteiligten zu 4 und zu 5, ein Journalist und ein TV-Redakteur, unter Berufung auf § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO dagegen, als Zeugen vernommen zu werden.

Die Klägerin produziert und vermarktet Geflügelprodukte. 2007 geriet sie in den Verdacht, nicht einwandfreies Fleisch verarbeitet zu haben. Dem vorausgegangen waren betriebsbedingte Kündigungen von etwa 230 Mitarbeitern. Diese waren zum Teil in der Gewerkschaft NGG, der Beklagten zu 2, organisiert. Der Beklagte zu 1 ist der Geschäftsführer der Gewerkschaft in O.. Einige der gekündigten Mitarbeiter erhoben Kündigungsschutzklagen, an denen auch die Gewerkschaft beteiligt wurde. Nachdem der beschriebene Verdacht in diesem Zusammenhang dem Beklagten zu 1 zu Ohren gekommen war, veranlasste dieser die weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 (im Folgenden: Beteiligte zu 1 bis 3) dazu, insoweit eidesstattliche Versicherungen abzugeben. Dieser Sachverhalt wurde durch Berichte in Sendungen des NDR öffentlich bekannt, nachdem die weiteren Beteiligten zu 4 und zu 5 (im Folgenden: Beteiligte zu 4 und 5) mit den Beteiligten zu 1 bis 3 wegen des Verdachts Rücksprache gehalten hatten. Ein auf Anzeige des Beklagten zu 1 eingeleitetes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen die Klägerin wurde im Juni 2008 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der Beklagte zu 1 wurde im Januar 2009 wegen übler Nachrede erstinstanzlich zu einer Geldstrafe verurteilt, im Januar 2011 aber vom Oberlandesgericht O. freigesprochen.

Die Klägerin macht geltend, aufgrund der Ereignisse Verluste in Millionenhöhe erlitten zu haben. Ihre Schadensersatzklage gegen den NDR wurde im Juli 2011 vom Landgericht H. erstinstanzlich abgewiesen. In jenem Rechtsstreit hat das Landgericht u.a. die Beteiligten zu 4 und 5 ausführlich zu ihren Kontakten mit den Beteiligten zu 1 bis 3 und den dabei gewonnenen Erkenntnissen als Zeugen vernommen. Es hat seine Entscheidung u.a. auf die Aussagen dieser Zeugen gestützt.

Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin die Gewerkschaft NGG, die Beklagte zu 2, und deren Geschäftsführer in O., den Beklagten zu 1, auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat die gegen den Beklagten zu 1 gerichtete Klage abgewiesen, die Klage gegen die Beklagte zu 2 hat es hinsichtlich einiger Klageanträge dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Dagegen haben die Klägerin und die Beklagte zu 2 Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat am 28. Juni 2011 einen Beweisbeschluss erlassen. Danach soll Beweis erhoben werden über das Zustandekommen der eidesstattlichen Versicherungen der Beteiligten zu 1 bis 3 und über den Inhalt etwaiger zwischen den genannten Beteiligten und den Beteiligten zu 4 und 5 anschließend geführter Gespräche durch deren Vernehmung als Zeugen.

Sämtliche genannten Beteiligten haben das Zeugnis verweigert, die Beteiligten zu 1 bis 3 unter Berufung auf § 384 Nr. 2 ZPO, die Beteiligten zu 4 und 5 unter Berufung auf § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. Das Berufungsgericht hat durch Zwischenurteil die Zeugnisverweigerung der Beteiligten zu 1 bis 3 für berechtigt, die der Beteiligten zu 4 und 5 für unberechtigt erklärt. Dagegen haben die Klägerin und die Beteiligten zu 4 und zu 5 die vom Berufungsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Klägerin hat ihre Rechtsbeschwerde inzwischen zurückgenommen.

II.
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 4 und zu 5 ist statthaft, weil ein Zwischenurteil über die Rechtmäßigkeit der Zeugnisverweigerung grundsätzlich anfechtbar ist (vgl. § 387 Abs. 3 ZPO) und das Berufungsgericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (vgl. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO; BGH, Beschluss vom 8. April 2008 – VIII ZB 20/06, WM 2008, 1808, 1809). Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.

In der Sache hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg.

1.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, die Zeugnisverweigerung der Beteiligten zu 4 und zu 5 für unberechtigt zu erklären, wie folgt begründet:

Diese Zeugen könnten sich nicht mit Erfolg auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO berufen. Nach dieser Vorschrift seien zwar Personen, die in einem Rundfunksender arbeiteten, grundsätzlich berechtigt, Angaben zu ihren Informanten (den Beteiligten zu 1 bis 3) und dem Inhalt der von diesen Personen erlangten Auskünfte zu verweigern. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Zeugnisverweigerung bezüglich des Namens eines Informanten und des Inhalts des mit diesem geführten Gesprächs bestehe jedoch dann, wenn der Pressemitarbeiter den Informanten bereits öffentlich bekannt gegeben und über den Inhalt der mit diesem geführten Gespräche berichtet habe. Denn der Zweck des Zeugnisverweigerungsrechts liege im Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen den Medien und den privaten Informanten und – mittelbar – in der Gewährleistung einer institutionellen eigenständigen und funktionsfähigen Presse. Das Zeugnisverweigerungsrecht diene jedoch nicht dazu, Journalisten grundsätzlich von der Mitwirkung an der gerichtlichen Aufklärung von Rechtsverletzungen freizustellen. Diese Grundsätze gälten auch im Streitfall. Denn die Beteiligten zu 4 und 5 hätten zum Inhalt der Gespräche mit den Beteiligten zu 1 bis 3 vor dem Landgericht H. in öffentlicher Sitzung umfassend ausgesagt. Auch in einem solchen Fall sei nach Auffassung des Senats der Schutzbereich des § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nicht berührt.

2.
Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen.

a)
Die Pressefreiheit findet ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen (Art. 5 Abs. 2 GG). Dazu gehören auch die Prozessgesetze. Im Interesse der Pressefreiheit einerseits und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege andererseits enthält § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO für Presseangehörige eine Ausnahme von der allgemeinen Zeugnispflicht. Dies ist kein persönliches Privileg der Presseangehörigen. Der Zweck der Privilegierung liegt vielmehr unmittelbar in dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen der Presse und den privaten Informanten und mittelbar in der Gewährleistung einer institutionell eigenständigen und funktionsfähigen Presse. Die Privilegierung dient insbesondere nicht dazu, Journalisten grundsätzlich von der Mitwirkung an der gerichtlichen Aufklärung von Rechtsverletzungen freizustellen. Dementsprechend ist das Vertrauensverhältnis zwischen Presse und Informanten nur im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO geschützt, nicht aber ein umfassendes Recht zur Geheimhaltung von Tatsachen eingeräumt worden, die zur Rechtsverfolgung der von einer Presseveröffentlichung nachteilig betroffenen Personen erheblich sind (BVerfG, NJW 2002, 592 f. unter Hinweis auf BVerfGE 20, 162, 176; 36, 193, 204; 64, 108, 114 f.; 95, 28, 36).

b)
Mit Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass das Zeugnisverweigerungsrecht des § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO regelmäßig nicht auf einen Pressevertreter anzuwenden ist, der seine Beziehung zu bestimmten Informanten, über die er als Zeuge bekunden soll, namentlich und inhaltlich bereits offengelegt hat, sofern das Vertrauensverhältnis zu dem Informanten durch die Zeugenaussage nicht weiter als bereits geschehen beeinträchtigt wird. Dies ist entgegen der mit der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung nicht nur dann der Fall, wenn ein Pressevertreter sich selbst als Autor eines Artikels bezeichnet hat, in dem ein Gewährsmann namentlich und mit wörtlichen Zitaten benannt wird (so in dem Fall BVerfG, aaO).

Auch wenn ein Pressevertreter – ohne sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht (mit Erfolg) berufen zu haben – in einem Rechtsstreit in öffentlicher Sitzung umfangreich zur Person eines Informanten und zu den mit diesem geführten Gesprächen bekundet hat, ist das Vertrauensverhältnis zu dem Informanten offengelegt. Der Zweck des § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, das Vertrauensverhältnis zwischen Presse und Rundfunk und ihren Informanten zu schützen, so dass sie ihre Kontrollfunktion unter Einschaltung verlässlicher Informanten unter Wahrung des Redaktionsgeheimnisses wahrnehmen können, ist in diesem Fall nicht mehr zu erreichen.

c)
Dem kann die Rechtsbeschwerde nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Zeugenaussage in einem Gerichtsverfahren habe eine geringere Öffentlichkeitswirkung als etwa eine Presseveröffentlichung. Jedenfalls bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden ist dies kein überzeugender Gesichtspunkt. Denn hier geht es wiederum allein um die Aussage in einer mündlichen Verhandlung, so dass eine weitere Offenlegung des Verhältnisses zu den Informanten nicht zu besorgen ist.

d)
Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, die Aussagen der Beteiligten zu 4 und 5 vor dem Landgericht H. hätten dazu gedient, die Behauptungen der Klägerin hinsichtlich einer Schadensersatzpflicht des NDR – Arbeitgeber der Beschwerdeführer – zu widerlegen; eine Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Beschwerdeführern und den Informanten sei hiermit nicht verbunden gewesen. Dagegen fordere das Berufungsgericht nun von den Beteiligten zu 4 und 5 die gezielte Preisgabe der Informationen ihrer Informanten.

Dem ist entgegenzuhalten, dass eben diese Informationen bereits bei den ersten Zeugenaussagen der Beteiligten zu 4 und 5 preisgegeben wurden. § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO statuiert kein Zeugnisverweigerungsrecht von Pressemitarbeitern, das je nach dem intendierten Zweck der Zeugenaussage frei ausgeübt werden kann. Ist der Zweck der Vorschrift nicht mehr erreichbar, weil die Beziehung zu den Informanten namentlich und inhaltlich bereits offengelegt wurde, ist die Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht unzulässig.

e)
Bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden ist der Zweck des § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO im Übrigen aus einem weiteren Grund nicht zu erreichen. Die Aussagen der Beteiligten zu 4 und 5 vor dem Landgericht H. könnten gegebenenfalls im vorliegenden Rechtsstreit im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden. Die Zeugnisverweigerung eines Zeugen im Zivilprozess schließt – anders als im Strafprozess, § 252 StPO – die Verwertung von Niederschriften früherer in Kenntnis des Zeugnisverweigerungsrechts getätigter Aussagen nicht aus (vgl. OLG Köln, VersR 1993, 335 f.; BeckOK ZPO/Scheuch, Stand: Oktober 2012, § 383 Rn. 17; MünchKomm-ZPO/Damrau, 4. Aufl., § 383 Rn. 43; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 373 Rn. 9 und § 383 Rn. 6). Für ein Verwertungsverbot (vgl. dazu Senatsurteile vom 12. Februar 1985 – VI ZR 202/83, VersR 1985, 573; vom 10. Dezember 2002 – VI ZR 378/01, BGHZ 153, 165) ist hier nichts ersichtlich. Kommt es zur Verwertung der früheren Aussagen im Wege des Urkundenbeweises, ist das Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten zu 4 und 5 und den Beteiligten zu 1 bis 3 in gleicher Weise offengelegt, wie es bei der vom Berufungsgericht beabsichtigten Zeugenvernehmung der Fall sein wird.

Vorinstanzen:
LG Oldenburg, Entscheidung vom 21.12.2009, Az. 5 O 3480/08
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 13.12.2011, Az. 13 U 4/10

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