BGH: Eine Berechtigung zur Abmahnung wegen belästigender Werbung steht außer dem Empfänger auch Mitbewerbern und Verbänden zu

veröffentlicht am 30. September 2013

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtBGH, Urteil vom 20.03.2013, Az. I ZR 209/11
§ 7 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 UWG, § 7 Abs. 3 UWG, § 8 Abs. 3 UWG; Art. 13 Abs. 6 Satz 1 EU-RL 2002/58, Art. 15 EU-RL 2002/58, Art. 15a EU-RL 2002/58; Art. 169 AEUV; Art. 7 und Anlage I EU-RL 2009/22

Der BGH hat entschieden, dass auch Mitbewerber und Verbände Verstöße gegen § 7 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 und Abs. 3 UWG verfolgen können, also nicht nur der Betroffene, der durch unerwünschte Werbung belästigt wird. Eine solche Beschränkung ergebe sich nicht aus dem europäischen Recht. Die einschlägige Richtlinie 2009/22/EG hindere nach ihrem Art. 7 die Mitgliedstaaten nicht daran, Bestimmungen zu erlassen oder beizubehalten, die den qualifizierten Einrichtungen sowie sonstigen betroffenen Personen auf nationaler Ebene weitergehende Rechte zur Klageerhebung einräumen. Zum Volltext der Entscheidung:

Bundesgerichtshof

Urteil

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20.03.2013 durch … für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 18. Oktober 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht hinsichtlich der Widerklage zum Nachteil der Beklagten entschieden hat.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 28. Mai 2010 wird im vollen Umfang zurückgewiesen.

Die Klägerin hat 1/3 der Kosten des Rechtsstreits erster Instanz, 2/5 der Kosten des Berufungsverfahrens und die Kosten der Revision zu tragen. Der Beklagten werden 2/3 der Kosten des Rechtsstreits erster Instanz, 3/5 der Kosten des Berufungsverfahrens und die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens auferlegt.

Tatbestand

Die auf dem Gebiet der Telekommunikation miteinander in Wettbewerb stehenden Parteien haben im vorliegenden Rechtsstreit im Wege der Klage und der Widerklage Ansprüche wegen behaupteter wettbewerbswidriger Werbeanrufe geltend gemacht. Das Landgericht hat der auf insgesamt fünf Anrufe in der Zeit vom 9. Juni bis zum 5. August 2009 gestützten Widerklage, die allein Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, stattgegeben und die Klägerin antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr Verbraucher anzurufen oder anrufen zu lassen, um ihnen Telekommunikationsprodukte wie zum Beispiel Verträge über Telefonanschlüsse und/oder Verträge über Telefontarife und/oder Internetprodukte wie zum Beispiel Verträge über einen Internetzugang und/oder Verträge über Internettarife unabhängig davon anzubieten, ob der Anruf der Erweiterung oder der Aufnahme einer Vertragsbeziehung zu der Klägerin dient, solange der angerufene Verbraucher zuvor nicht sein ausdrückliches Einverständnis mit einem solchen Telefonanruf erklärt hat.

Ferner hat das Landgericht die Klägerin zur Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von 1.780,20 € verurteilt.

Die von der Klägerin eingelegte Berufung hatte insoweit Erfolg, als das Berufungsgericht die Unterlassungsverpflichtung der Klägerin auf Telekommunikationsdienstleistungen und auf Anrufe bei Verbrauchern, die der Erweiterung einer Vertragsbeziehung mit der Klägerin dienen, beschränkt und den Zahlungsanspruch auf 890,10 € reduziert hat.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihre ursprünglichen Widerklageanträge weiter und stützt sich dabei noch auf zwei der ursprünglich als wettbewerbswidrig geltend gemachten Werbeanrufe (bei den Zeugen R. und S. ).

Entscheidungsgründe

I.
Das Berufungsgericht hat die mit der Widerklage geltend gemachten Ansprüche der Beklagten aus § 8 Abs. 1, § 7 Abs. 2 Nr. 2 und § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG nur zum Teil als begründet angesehen und hierzu ausgeführt:

Die Beklagte habe einen Verstoß der Klägerin in Bezug auf die Bestandskundin S. mit dem Vortrag schlüssig dargelegt, ein Servicemitarbeiter der Klägerin habe Frau S. am 23. Juni 2009 auf ihrem Privatanschluss angerufen, um sie zum Wechsel auf ein DSL-Produkt zu überreden. Die Klägerin sei diesem Vortrag nicht in rechtserheblicher Weise entgegengetreten. Der Vorfall vom 23. Juni 2009 rechtfertige nach der Entscheidung „Verbotsantrag bei Telefonwerbung“ (BGH, Urteil vom 5. Oktober 2010 – I ZR 46/09, GRUR 2011, 433 Rn. 26 f. = WRP 2011, 576) nur ein Verbot, das auf Telekommunikationsdienstleistungen und Anrufe beschränkt sei, die lediglich der Erweiterung bestehender Vertragsbeziehungen dienten. Für ihre Behauptung, die Klägerin habe den nicht zu ihren Kunden gehörenden Zeugen R. am 9. Juni 2009 zu Werbezwecken anrufen lassen, sei die Beklagte den ihr obliegenden Beweis schuldig geblieben. Da die von der Beklagten ausgesprochene Abmahnung danach nur zur Hälfte berechtigt gewesen sei, könne sie ihre Abmahnkosten auch nur zur Hälfte ersetzt verlangen.

II.
Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt in dem Umfang, in dem das Berufungsgericht die Widerklage abgewiesen hat, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des der Widerklage im vollen Umfang stattgebenden Urteils des Landgerichts.

1.
Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass die Widerklage zulässig ist.

a)
Dies gilt auch insoweit, als die Beklagte keine Ausführungen zu der Frage gemacht hat, in welcher Reihenfolge sie ihre Widerklageanträge auf die mehreren nach ihrem Vortrag bei den Zeugen R. und S. eingegangenen Werbeanrufe stützte.

Entsprechende Ausführungen wären im Blick auf das Erfordernis gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, in der Klage oder – wie hier – Widerklage bestimmte Angaben zum Gegenstand und Grund des erhobenen Anspruchs zu machen, auch nach der inzwischen geänderten Rechtsprechung des Senats (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2012 , GRUR 2012, 630 Rn. 15 = WRP 2012, 824 – CON-VERSE II, mwN) nur dann veranlasst gewesen, wenn es sich dabei nicht um denselben Streitgegenstand gehandelt hätte. Mehrere zur Begründung eines Unterlassungsantrags vorgetragene gleichartige Verletzungshandlungen stellen allerdings einen einheitlichen Klagegrund dar (vgl. BGH, GRUR 2012, 630 Rn. 17 – CONVERSE II, mwN). Soweit die Klägerin die Gleichartigkeit der von der Beklagten mit der Widerklage geltend gemachten Wettbewerbsverstöße bestritten hat, handelt es sich um eine auch im Rahmen der Begründetheit der Klage bedeutsame Frage (vgl. unten unter II 2 b bb). Für die Zulässigkeit der Klage reicht es daher aus, dass die Beklagte zu dieser damit doppelrelevanten Tatsache einen schlüssigen Vortrag gehalten hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2009 – VIII ZB 42/08, BGHZ 183, 49 Rn. 14; Urteil vom 10. Juni 2010 – I ZR 106/08, TranspR 2010, 303 Rn. 22 = NJWRR 2010, 1546, jeweils mwN).

b)
Die Beklagte ist als Mitbewerberin der Klägerin entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung für den von ihr geltend gemachten Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1, § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG anspruchsberechtigt.

aa)
Im Schrifttum wird allerdings die Ansicht vertreten, aus der Regelung in Art. 13 Abs. 6 Satz 1 und Art. 15, 15a der Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG geänderten Fassung folge, dass Verstöße gegen § 7 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 und Abs. 3 UWG von Mitbewerbern und Verbänden allenfalls in Vertretung oder Prozessstandschaft für den von der unzulässigen Werbung betroffenen Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer verfolgt werden könnten. Aus einer Zusammenschau der genannten Bestimmungen ergebe sich eine Anweisung an die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass zum einen die von Verstößen betroffenen natürlichen und juristischen Personen dagegen gerichtlich vorgehen könnten und zum anderen die nationalen Behörden die Einstellung eines Verstoßes anordnen und gegebenenfalls auch strafrechtliche Sanktionen verhängen könnten. Dagegen sei keine Rede davon, dass Mitbewerber und Verbände ebenfalls gegen Verstöße vorgehen könnten. Dass insoweit keine Regelungslücke, sondern eine abschließende Regelung vorliege, folge zwingend aus der Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (Unterlassungsklagenrichtlinie). Diese Richtlinie bezwecke eine Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Unterlassungsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher, die unter die im Anhang I dieser Richtlinie aufgeführten Richtlinien fielen. In diesem Anhang I sei zwar die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, nicht jedoch die Richtlinie 2002/58/EG aufgeführt. Gegen die (zusätzliche) Anerkennung einer Klagebefugnis von Mitbewerbern und Verbänden spreche zudem, dass es der Entscheidung der betroffenen natürlichen oder juristischen Personen überlassen bleiben solle, ob die Beeinträchtigung ihrer Individualinteressen gerichtlich verboten werden solle oder nicht (Köhler, GRUR 2012, 1073, 1080 f.; ders., WRP 2012, 1329, 1332 bis 1334). Dem kann nicht zugestimmt werden.

bb)
Die Art. 13 Abs. 6 Satz 1, Art. 15 und 15a der Richtlinie 2002/58/EG enthalten insoweit keine abschließende Regelung.

(1)
Dies folgt allerdings nicht bereits aus Art. 169 Abs. 4 Satz 1 AEUV.

Nach dieser Bestimmung hindern Maßnahmen, die das Europäische Parlament und der Rat nach Art. 169 Abs. 3 AEUV gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Unterstützung, Ergänzung und Überwachung der Verbraucherschutzpolitik der Mitgliedstaaten nach Art. 169 Abs. 2 Buchst. b AEUV beschlossen haben, die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen. Ein auf diese Norm gestützter Sekundärrechtsakt bedarf keiner eigenen Mindeststandardklausel, weil der Mindeststandard bereits kraft Primärrechts gilt (Tonner in Tamm/Tonner, Ver-braucherrecht, 2012, § 4 Rn. 28).

Die Regelung des Art. 169 Abs. 4 Satz 1 AEUV gilt jedoch nicht für Maßnahmen, die die Union gemäß Art. 169 Abs. 2 Buchst. a AEUV im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts nach Art. 114 AEUV erlässt. Die Bestimmung des Art. 169 Abs. 4 Satz 1 AEUV ist über Art. 169 Abs. 3 AEUV auf Art. 169 Abs. 2 Buchst. b AEUV, nicht dagegen auch auf Art. 169 Abs. 2 Buchst. a AEUV rückbezogen. Die in dieser Bestimmung angesprochene Binnenmarktkompetenz kennt daher keine Mindeststandardklausel (Tonner aaO § 4 Rn. 29). Die Regelung des Art. 169 Abs. 4 Satz 1 AEUV gilt mithin nicht für die Richtlinien 2002/58/EG und 2009/22/EG, die beide insbesondere auf Art. 95 EG (jetzt: Art. 114 AEUV) gestützt und damit im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts erlassen worden sind.

(2)
Die Richtlinie 2009/22/EG, auf die sich die von der Revisionserwiderung für ihren Standpunkt herangezogene Ansicht im Schrifttum maßgeblich stützt, gibt – anders als ihr Titel vermuten lässt – schon kein geschlossenes System zur Regelung von Unterlassungsklagen vor, sondern will lediglich ein grenzüberschreitendes Vorgehen von Verbraucherschutzverbänden bei innergemeinschaftlichen Verstößen ermöglichen. Hierzu sieht Art. 4 der Richtlinie 2009/22/EG vor, dass die Mitgliedstaaten Vorkehrungen dafür treffen, dass bei einem gegen Verbraucherschutzbestimmungen verstoßenden Verhalten, das in einem Mitgliedstaat seinen Ursprung hat, die Verbraucherinteressen jedoch in einem anderen Mitgliedstaat beeinträchtigt, jede qualifizierte Einrichtung dieses anderen Mitgliedstaats das zuständige nationale Gericht oder die zuständige nationale Behörde im Ausgangsstaat anrufen kann (Witt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 11. Aufl., Vor § 1 UKlaG Rn. 6). Schon aus diesem Grund lassen sich aus der Richtlinie 2009/22/EG keine Schlüsse auf die Anspruchsberechtigung von Mitbewerbern und Verbänden bei einem reinen Inlandssachverhalt wie dem im Streitfall gegebenen ziehen.

Überdies hindert die Richtlinie 2009/22/EG nach ihrem Art. 7 die Mitgliedstaaten nicht daran, Bestimmungen zu erlassen oder beizubehalten, die den qualifizierten Einrichtungen sowie sonstigen betroffenen Personen auf nationaler Ebene weitergehende Rechte zur Klageerhebung einräumen. Auch aus diesem Grund lässt sich aus dem Umstand, dass die Richtlinie 2002/58/EG im Anhang I der Richtlinie 2009/22/EG nicht aufgeführt ist, nicht ableiten, dass der Beklagten die nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG erforderliche Klage- und Anspruchsbefugnis für den mit der Widerklage geltend gemachten Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1, § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG fehlt.

2.
Das Berufungsgericht hat die Widerklage zu Unrecht als nur teilweise begründet angesehen.

a)
Die Revision wendet sich allerdings vergeblich gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte sei den ihr obliegenden Beweis schuldig geblieben, dass die Klägerin auch den nicht zu ihrem Bestand gehörenden Zeugen R. zu Werbezwecken habe anrufen lassen.

aa)
Das Berufungsgericht hat zu diesem Vorgang ausgeführt, aufgrund der Aussage der Zeugen A. und R. stehe lediglich fest, dass unter der vom Zeugen R. notierten Rufnummer unter Verwendung des Unternehmenskennzeichens der Klägerin geworben worden sei, nicht dagegen, dass diese Werbung durch die Klägerin oder in deren Auftrag erfolgt sei. Aus anderen Verfahren sei bekannt, dass sich mehrfach Werber von Mitbewerbern als Mitarbeiter der Klägerin ausgegeben hätten; hierauf seien die Parteien in der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden. Die Zeugen P. und M. , die dem Vorfall „R. “ im Auftrag der Klägerin nachgegangen seien, hätten bekundet, dass ein entsprechender Werbeanruf in keinem der Systeme (der Klägerin) dokumentiert gewesen sei. Die Überprüfung der vom Zeugen R. notierten Rufnummer durch die Zeugin M. habe ergeben, dass diese Nummer weder einer Servicestelle der Klägerin noch sonst einem Anschlussinhaber habe zugeordnet werden können. Die Bekundungen der beiden zuletzt genannten Zeugen seien ungeachtet dessen nicht unglaubhaft, dass es sich bei diesen Zeugen um Mitarbeiter der Klägerin handele. Die sicherlich nicht vollständige Erfassung von Werbemaßnahmen der Klägerin erkläre nicht, weshalb die fragliche Nummer keinem der Servicecenter der Klägerin habe zugeordnet werden können. Es sei auch unwahrscheinlich, dass sich die Klägerin eines Servicecenters bediene, das bei ihr nicht registriert sei. Ein Anruf durch ein externes Callcenter der Klägerin liege ohnehin fern, da ein solches Callcenter mit Kontrollanrufen der Klägerin rechnen müsse und sich daher kaum als „Servicecenter der Deutschen Telekom AG“ bezeichnen werde.

bb)
Die Revision rügt ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe bei diesen Ausführungen die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Grundsätzen des Anscheinsbeweises verkannt; insbesondere habe es nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Anscheinsbeweis nur durch den vollen Beweis der Tatsachen erschüttert werden könne, die auf die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs schließen ließen. Im Streitfall fehlt es indessen schon an einer Grundvoraussetzung des Anscheinsbeweises, nämlich an einem typischen Geschehensablauf in dem Sinne, dass hinter einer Nummer, unter der sich ein „Servicecenter der Deutschen Telekom AG“ meldet und für Produkte der Klägerin wirbt, nach der Lebenserfahrung typischerweise auch tatsächlich die Klägerin steht. Ungeachtet dessen haben nach der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts die Aussagen der Zeugen P. und M. den vollen Beweis für die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des von der Beklagten behaupteten Geschehensablaufs erbracht.

Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht auch nicht dadurch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt, dass es auf seine eigene Kenntnis aus anderen Verfahren zurückgegriffen und darauf hingewiesen hat, es hätten sich schon öfters Werber der Konkurrenz als Mitarbeiter der Klägerin ausgegeben. Ausweislich der von der Revision nicht in Zweifel gezogenen Angaben im Berufungsurteil hat das Berufungsgericht diesen Punkt mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung erörtert.

b)
Mit Erfolg wendet sich die Revision aber gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Vorfall „S. “ rechtfertige nur ein Verbot, das auf Telekommunikationsdienstleistungen und auf Anrufe bei Verbrauchern beschränkt sei, die der Erweiterung einer (bestehenden) Vertragsbeziehung dienten.

aa)
Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, die Klägerin sei ein Telekommunikationsdienstleister, dessen Werbemaßnahmen demzufolge allein der Vermarktung der von ihm erbrachten Telekommunikationsdienstleistungen dienten. Soweit sie Telefongeräte, Splitter, Router und dergleichen anbiete, erfolge dies nur im Zusammenhang mit der Vermarktung dieser Dienstleistungen, soweit der Kunde zu deren Nutzung solche Geräte benötige. Da die von der Beklagten zur näheren Beschreibung des Begriffs „Telekommunikationsprodukte“ aufgelisteten Beispiele ausnahmslos Telekommunikationsdienstleistungen beträfen, habe auch der Begriff „Telekommunikationsprodukte“ im Widerklageantrag durch den darin als Minus enthaltenen Terminus „Telekommunikationsdienstleistungen“ ersetzt werden können.

Der Vorfall „S. “ unterscheide sich vom Werbeanruf eines Callcenters aber auch dadurch, dass ein solches Callcenter anders als die Klägerin, die über einen großen Endkundenbestand verfüge, seinem Wesen nach keine im Rahmen der Werbeaktion anzurufenden Bestandskunden habe. Wenn ein Unternehmen einen eigenen Kunden anrufe, um ihm eine Vertragsänderung anzudienen, weil dieser im Kundenverzeichnis fälschlicherweise als mit derartigen Anrufen einverstanden vermerkt sei, beruhe der Anruf auf einer Nachlässigkeit des Werbenden, die seine Bereitschaft, sich rechtstreu zu verhalten, nicht an sich in Frage stelle. Dagegen nehme derjenige, der potentielle Neukunden anrufe, bei denen keine Anhaltspunkte für ein Einverständnis vorlägen, den Gesetzesverstoß zumindest billigend in Kauf. Die wirtschaftliche Situation der Klägerin, die insoweit früher eine Monopolstellung gehabt habe, unterscheide sich grundlegend von der aller Mitbewerber; für ihr wirtschaftliches Wohlergehen sei in erster Linie die Pflege ihrer Bestandskundenbeziehungen entscheidend, nicht dagegen die Abwerbung von Kunden der Mitbewerber. Der Vorfall „S. “ rechtfertige daher nicht die Annahme, die Klägerin werde auch bereit sein, potentielle Neukunden anzurufen oder anrufen zu lassen, bei denen sie keine Erkenntnisse über die Erteilung eines Einverständnisses habe und ein solches auch weitaus ferner liege als bei eigenen Bestandskunden.

bb)
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Dies gilt sowohl insoweit, als das Berufungsgericht den auf Telekommunikationsprodukte bezogenen Unterlassungsantrag in der Widerklage nur als in Bezug auf Telekommunikationsdienstleistungen begründet angesehen hat, als auch insoweit, als es eine Begehungsgefahr auch nur für Anrufe bei Verbrauchern bejaht hat, die der Erweiterung einer Vertragsbeziehung zwischen diesen und der Klägerin dienten.

(1)
Das Berufungsgericht ist im Ausgangspunkt allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass Ansprüche auf Unterlassung über die konkrete Verletzungshandlung hinaus gegeben sein können, soweit in der erweiterten Form das Charakteristische der Verletzungshandlung noch zum Ausdruck kommt (vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 2010 – I ZR 46/09, GRUR 2011, 433 Rn. 26 = WRP 2011, 576 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung, mwN). Mit Recht hat es auch angenommen, dass das Charakteristische der Verletzungshandlung dann, wenn – wie hier – mit einem Telefonanruf gegenüber einem Verbraucher ohne dessen vorherige ausdrückliche Einwilligung geworben wird, grundsätzlich im unverlangten Werbeanruf besteht und es daher nicht darauf ankommt, wofür geworben wird, dass aber bei einem Werbeanruf eines Gewerbetreibenden für die Waren oder Dienstleistungen seines Geschäftsbetriebs die durch die Verletzungshandlung begründete Wiederholungsgefahr grundsätzlich nicht über den Unternehmensgegenstand hinausreicht (BGH, GRUR 2011, 433 Rn. 27 – Ver-botsantrag bei Telefonwerbung).

(2)
Nach diesen Grundsätzen lässt sich die sachliche Reichweite des vom Berufungsgericht als dem Grunde nach berechtigt angesehenen Verbots jedoch nicht wie von diesem angenommen auf Telekommunikationsdienstleistungen, das heißt auf „Telekommunikationsprodukte“ unter Ausschluss von „Telekommunikationswaren“ beschränken. Für eine solche Einschränkung besteht schon deshalb keine Grundlage, weil der Unternehmensgegenstand der Klägerin sich ausweislich des Handelsregisters auf die Betätigung im gesamten Bereich der Telekommunikation erstreckt. Außerdem liegt es auch dann, wenn die Klägerin von ihr als „Telekommunikationswaren“ bezeichnete Produkte, die sie vertreibt, bislang weder einzeln noch im Rahmen von Leistungspaketen im Wege der Telefonwerbung beworben hat, zumindest nicht fern, dass sie dies – zumal dann, wenn Konkurrenzunternehmen sich entsprechend verhalten – in Zukunft tun wird.

(3)
Ebenfalls zu eng ist auf der Grundlage der oben dargestellten Grundsätze die Sichtweise des Berufungsgerichts, eine Begehungsgefahr bestehe im Hinblick auf den festgestellten Wettbewerbsverstoß der Klägerin nur insoweit, als sie – wie bei dem festgestellten Verstoß – bei „Bestandskunden“ Telefonwerbung betreibe. Nachdem das Monopol, das früher zugunsten der Rechtsvorgängerin der Klägerin bestanden hat, bereits vor etlichen Jahren ausgelaufen ist und die Klägerin seither – wie allgemein bekannt ist – nicht wenige Kunden verloren hat, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie ihre werbende Tätigkeit auf den Erhalt der noch bestehenden Kundenbeziehungen und der Ausstattung der vorhandenen Kunden mit weiteren Telekommunikationsprodukten beschränkt und auch auf absehbare Zeit beschränken wird. Zwar wird die Gewinnung neuer Kunden im Wege der Telefonwerbung dadurch erschwert, dass sie jedenfalls bei Verbrauchern nur dann zulässig ist, wenn diese in eine entsprechende Werbung ausdrücklich eingewilligt haben. Der Erlangung einer solchen ausdrücklichen Einwilligung durch weitere – insoweit vorbereitende – Werbemaßnahmen stehen jedoch keine unüberwindlichen Schwierigkeiten entgegen. Es erscheint daher nicht als fernliegend, dass die Klägerin neue Kunden ebenso wie Bestandskunden auch dann ohne deren ausdrückliche Einwilligung anrufen (lassen) wird, wenn es sich dabei um Verbraucher handelt. Danach kann in Bezug auf potenzielle Kunden, zu denen die Klägerin bislang keine Geschäftsbeziehungen unterhalten hat, eine entsprechende Begehungsgefahr ebenfalls nicht verneint werden.

III.
Nach allem ist das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten aufzuheben, soweit dort hinsichtlich der Widerklage zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist. In diesem Umfang ist das der Widerklage im vollen Umfang stattgebende Urteil des Landgerichts wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 28.05.2010, Az. 38 O 70/09
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 18.10.2011, Az. I-20 U 96/10

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