BGH: Für die Fristwahrung kann jedes Telefaxgerät eines Behörden- und Gerichtsverbundes benutzt werden

veröffentlicht am 10. Juni 2013

Rechtsanwalt Dr. Ole DammBGH, Beschluss vom 23.04.2013, Az. VI ZB 27/12
§ 520 Abs. 3 ZPO

Der BGH hat entschieden, dass ein Berufungsschriftsatz an das Oberlandesgericht, welcher per Fax an das Landgericht geschickt wird, auch dann fristgerecht zugeht, wenn das Telefaxgerät des Landgerichts ebenso wie das des Oberlandesgerichts aufgrund Gemeinsamer Verfügung der Leiter der Justizbehörden in Frankfurt zu einer gemeinsamen Post- und Faxannahmestelle gehört, die als Geschäftsstelle sämtlicher angeschlossener Gerichte und Behörden in Frankfurt gilt. Zum Volltext der Entscheidung:

Bundesgerichtshof

Beschluss

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23.04.2013 durch … beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 30.04.2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 350.000 EUR

Gründe

I.
Der Beklagte wurde wegen eines Behandlungsfehlers zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 250.000 € verurteilt. Zudem wurde festgestellt, dass er zum Ersatz aller vergangenen und künftigen materiellen, nicht auf Dritte übergegangenen Schäden verpflichtet ist. Der Beklagte hat gegen das am 3. Februar 2011 zugestellte Urteil Berufung eingelegt und beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. Mit Verfügung vom 4. März 2011 wurde die Berufungsbegründungsfrist bis zum 4. Mai 2011 verlängert.

Am 4. Mai 2011 ging zwischen 23.20 Uhr und 23.30 Uhr per Telefax beim Landgericht Frankfurt am Main ein Schriftsatz ein, der eine Berufungsbegründung enthält. Im Adressfeld war keine Telefaxnummer angegeben, sondern „Per EGVP“. Der Schriftsatz war an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main adressiert und wurde diesem weitergeleitet; es lässt sich nicht erkennen, wann er dort eingegangen ist. Am 5. Mai 2011 übersandte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten eine Berufungsbegründung an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Oberlandesgerichts.

Nach gerichtlichem Hinweis vom 13. März 2012 auf eine mögliche Unzulässigkeit der Berufung wegen nicht fristgemäßer Einreichung der Berufungsbegründung beantragte der Beklagte am 27. März 2012 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sein Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung am Abend des 4. Mai 2011 fertiggestellt. Entgegen der ursprünglichen Planung sei der Versand nicht über EGVP erfolgt, sondern per Telefax. Für den Versand sei die Auswahl der Telefaxnummer von einer Gerichts-Faxliste erfolgt und von Hand eingegeben worden. Die beauftragte – zuverlässige – Rechtsanwaltsfachangestellte sei bei der Auswahl in der Zeile verrutscht und habe das Telefax versehentlich an das Landgericht gesendet. Dem Wiedereinsetzungsantrag war eine dies bestätigende eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten beigefügt.

Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Innerhalb der verlängerten Frist zur Begründung der Berufung sei eine Berufungsbegründung nicht beim Oberlandesgericht eingegangen. Es sei nicht feststellbar, dass die per Telefax beim Landgericht eingegangene Berufungsbegründung innerhalb der Frist zu dem Oberlandesgericht gelangt sei. Der Schriftsatz trage lediglich den Eingangsstempel des Landgerichts vom 4. Mai 2011. Die an das Berufungsgericht per EGVP übersandte Berufungsbegründung sei dort erst am 5. Mai 2011, mithin nach Ablauf der Frist, eingegangen. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem dem Beklagten zuzurechnenden Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten. Der Beklagte habe nicht vorgetragen, dass in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten eine allgemeine Büroanweisung zur Ausgangskontrolle von per Fax zu übermittelnden fristwahrenden Schriftsätzen bestehe, die der höchstrichterlichen Rechtsprechung entspreche. Auch die konkret erteilte Einzelanweisung habe diesen Grundsätzen nicht entsprochen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II.

1.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn eine Entscheidung des Senats ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

2.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a)
Vom Ausgangspunkt des Berufungsgerichts her, dass die Berufungsbegründungsfrist versäumt worden sei, entspricht der Beschluss des Oberlandesgerichts allerdings der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach muss der Rechtsanwalt bei Versendung von Schriftsätzen per Telefax durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass die Telefaxnummer des angeschriebenen Gerichts verwendet wird. Hierzu gehört, dass bei der erforderlichen Ausgangskontrolle in der Regel ein Sendebericht ausgedruckt und dieser auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer überprüft wird, um nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bereits bei der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufdecken zu können. Die Überprüfung der Richtigkeit der im Sendebericht ausgewiesenen Empfängernummer ist anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle vorzunehmen, aus dem bzw. der die Faxnummer des Gerichts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Juni 2012 – VI ZB 54/11, VersR 2012, 1411 Rn. 7 mwN).

b)
Es ist aber nicht auszuschließen, dass die angegriffene Entscheidung den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren und in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verletzt.

aa)
Beide Rechte werden den Parteien eines Zivilrechtsstreits durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG garantiert. Danach dürfen die Gerichte den Zugang zu den den Rechtsuchenden eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. BVerfG, NJW-RR 2008, 446 f. mwN).

bb)
Nach diesen Grundsätzen ist nicht ausgeschlossen, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen eines fairen Verfahrens und der Gewährleistung eines wirksamen Rechtsschutzes nicht vereinbar ist. Unter Umständen hat das Oberlandesgericht den Anspruch des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip schon deshalb verletzt, weil es die Berufungsbegründung des Beschwerdeführers als verspätet eingereicht angesehen und deshalb verworfen hat.

Gemäß der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Oktober 2007 (1 BvR 1784/05, auszugsweise abgedruckt in NJW-RR 2008, 446) gehört das Telefaxgerät des Landgerichts ebenso wie das des Oberlandesgerichts aufgrund Gemeinsamer Verfügung der Leiter der Justizbehörden in Frankfurt zu einer gemeinsamen Post- und Faxannahmestelle, die als Geschäftsstelle sämtlicher angeschlossener Gerichte und Behörden in Frankfurt gilt. Dabei ist die Annahme von Telefaxschreiben so geregelt, dass die besonders bestimmten Telefaxanschlüsse der beteiligten Behörden und Gerichte zugleich als Anschlüsse der anderen Behörden und Gerichte gelten und die bei einem dieser Anschlüsse eingehenden Telefaxschreiben als bei der Geschäftsstelle der jeweils angeschriebenen Behörden- oder Gerichtsstelle eingegangen anzusehen sind. Diese vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung wiedergegebene Regelung hat zur Folge, dass ein per Telefax übermittelter und – wie hier – zutreffend an das Oberlandesgericht adressierter Schriftsatz auch dann in die Verfügungsgewalt dieses Gerichts gelangt ist, wenn für die Übermittlung versehentlich die Faxnummer einer anderen in den Behörden- und Gerichtsverbund einbezogenen Stelle gewählt worden ist. Für die Rechtzeitigkeit des Eingangs eines fristwahrenden Schriftstücks ist allein entscheidend, dass es innerhalb der Frist tatsächlich in den Verfügungsbereich des zuständigen Gerichts gebracht worden und damit dem Zugriff des Absenders nicht mehr zugänglich ist (vgl. BVerfG, aaO, juris Rn. 6, 12 f.). Danach wäre die Berufungsbegründung beim Oberlandesgericht rechtzeitig eingegangen, als der Telefaxschriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 4. Mai 2011 zwischen 23.20 Uhr und 23.30 Uhr per Telefax bei der Telefaxstelle des Landgerichts Frankfurt am Main eingegangen ist.

Das Oberlandesgericht hat in dem angefochtenen Beschluss nicht festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Übersendung des Schriftsatzes eine von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts abweichende Regelung für die Justizbehörden in Frankfurt galt, und auch nicht dargelegt, dass es eine entsprechende Prüfung vorgenommen hat. Dazu hätte aber aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts und auch des Umstandes, dass mangels eines entsprechenden Eingangsstempels nicht feststellbar ist, wann die an das Landgericht Frankfurt am Main übersandte Berufungsbegründung beim Oberlandesgericht als zuständigem Berufungsgericht eingegangen ist, Anlass bestanden. Die Rechtsbeschwerde weist zu Recht darauf hin, dass das Fehlen eines Eingangsstempels des Oberlandesgerichts dadurch erklärt werden kann, dass nach der oben dargelegten Geschäftsordnungsregelung der an das Oberlandesgericht gerichtete Schriftsatz mit Eingang bei der Telefaxstelle des Landgerichts als beim Oberlandesgericht eingegangen anzusehen war. Deshalb hätte das Oberlandesgericht jedenfalls im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts der Frage nachgehen müssen, wie in Frankfurt am Main für die dortigen Justizbehörden die Telefaxannahme zum hier maßgeblichen Zeitpunkt organisiert war.

Der angefochtene Beschluss ist mithin aufzuheben, um dem Berufungsgericht die Möglichkeit zu geben, die unterlassene Prüfung nachzuholen und dann erneut über die Zulässigkeit der Berufung zu entscheiden.

Vorinstanzen:
LG Frankfurt/Main, Urteil vom 18.01.2011, Az. 2-18 O 230/04
OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 30.04.2012, Az. 8 U 42/11

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