BGH, Urteil vom 05.03.2015, Az. I ZR 185/13
§ 4 Nr. 11 UWG, § 1 Abs. 3 S.1 Nr. 7 AMPreisV, § 78 Abs. 3 S.1 Hs.1 AMG, Art. 12 Abs. 1 GG
Der BGH hat entschieden, dass die in § 78 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 AMG geregelte Pflicht des pharmazeutischen Unternehmers zur Sicherstellung eines einheitlichen Abgabepreises nicht besteht, wenn die Preise und Preisspannen der Arzneimittelpreisverordnung nach § 1 Abs. 3 oder 4 AMPreisV nicht eingehalten werden müssen. Zum Volltext der Entscheidung:
Bundesgerichtshof
Urteil
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 05.03.2015 durch … für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 05.09.2013 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Ulm vom 27.08.2012 abgeändert.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Beklagte ist ein Pharmaunternehmen, das Fertigarzneimittel in Form von Tabletten und Kapseln in unterschiedlichen Packungsgrößen vertreibt. Sie streitet mit der Klägerin, der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, darüber, ob sie den von ihr verlangten Abgabepreis für verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel sicherzustellen hat, wenn Apotheken für Patienten aus Fertigarzneimittelpackungen individuelle Blister herstellen und dazu die einzelnen Tabletten oder Kapseln aus den Packungen und, wenn sie bereits in Blister verpackt sind, aus diesen entnehmen, entsprechend einem Einnahmeplan über Automaten oder von Hand neu zusammenstellen und anschließend in Blistern verpacken. Auch wenn dabei in den von den Apotheken hergestellten Blistern nicht die Tabletten aus derselben Packung der Beklagten verwendet werden, wird im Ergebnis wenngleich zeitlich gestaffelt die Gesamtmenge des Fertigarzneimittels an den jeweiligen Patienten abgegeben. Die Anfertigung solcher patientenindividuell zusammengestellter Blister bietet sich vor allem bei Patienten, die unter Dauermedikation stehen, und für Alten- und Pflegeheime an, die andernfalls die jeweiligen Arzneimittel zu einnahmefertigen Tablettensets zusammenstellen müssten.
In einem von der Beklagten im Jahr 2011 gegenüber Apotheken verwendeten Mustervertrag heißt es unter § 3 Nr. 1: Die Preise für die von ratiopharm gelieferten Fertigarzneimittel zur Herstellung von patientenindividuellen Arzneimittelblistern sind entsprechend der Arzneimittelpreisverordnung frei verhandelbar.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass bei individuell für Patienten zusammengestellten Blistern keine Abgabe von Teilmengen erfolgt. Die Beklagte verstoße durch die Verhandlung von Preisen in den in Rede stehenden Fällen gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung und handele wettbewerbswidrig.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen,
1. im geschäftlichen Verkehr in Verträgen mit Apotheken die nachstehende Klausel wörtlich oder inhaltsgleich zu verwenden:
(Es folgt der Text des § 3 Nr. 1 des von der Beklagten im Jahr 2011 verwendeten Mustervertrags.)
und/oder
2. verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel zur Herstellung von patientenindividuellen Arzneimittelblistern an Apotheker zu Preisen unter Abweichung vom einheitlichen Herstellerabgabepreis zu liefern, die zuvor mit dem Apotheker frei verhandelt wurden.
Darüber hinaus hat die Klägerin den Ersatz von pauschalen Abmahnkosten in Höhe von 219,35 € nebst Zinsen begehrt.
Nach Ansicht der Beklagten besteht bei Fertigarzneimitteln, die für Blister bestimmt sind, die für Patienten individuell zusammengestellt sind, keine Preisbindung nach der Arzneimittelpreisverordnung, weil bei der Anfertigung von solchen Blistern aus einem Fertigarzneimittel Teilmengen entnommen werden, deren Darreichungsform, Zusammensetzung und Stärke unverändert bleibt.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben (OLG Stuttgart, WRP 2013, 1643). Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat die Klage als aus §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 78 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 AMG und § 1 Abs. 1 AMPreisV begründet angesehen und dazu ausgeführt:
Der Umstand, dass die Bestimmung des § 78 Abs. 1 Satz 3 AMG, nach der die den Großhandel betreffenden Preisbindungen auch für die Hersteller gälten, erst am 1. Januar 2012 in Kraft getreten sei, habe auf den streitgegenständlichen Unterlassungsanspruch keinen Einfluss. Diese neue gesetzliche Regelung habe die bisherige Rechtslage nur bestätigt.
Die Vorschriften der Arzneimittelpreisverordnung stünden der Annahme eines Verstoßes der Beklagten gegen die Preisbindung ebenfalls nicht entgegen. Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AMPreisV gelte nach ihrem Wortlaut nur für die Abgabe von Arzneimitteln durch den Apotheker. Ihre entsprechende Anwendung auf Verträge zwischen dem Hersteller und dem Apotheker scheide aus systematischen Gründen aus. Der Verordnungsgeber habe bei der Einfügung der Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AMPreisV die Besonderheiten im Blick gehabt, die für den Apotheker bei der Abgabe von Teilmengen wegen ärztlicher Verordnungen entstünden, die auf individuell hergestellte Arzneimittelblister und auf die Entnahme von Teilmengen von Fertigarzneimitteln bezogen seien.
Die Abweichung von der Preisbindung sei nicht zur Kompensation der den Apotheken durch die individuell hergestellten Arzneimittelblister entstehenden zusätzlichen Kosten gerechtfertigt. Das Sozialversicherungssystem oder der Selbstzahler müssten den mit der Herstellung eines auf den individuellen Patienten zugeschnittenen Blisters verbundenen Aufwand in einem Alten oder Pflegeheim über die Pflegesätze mitbezahlen. Zudem ließen das Arzneimittelgesetz und die Arzneimittelpreisverordnung die gesonderte Vergütung von Sonderleistungen des Apothekers zu, so dass ein Ausgleich der Zusatzkosten der Apotheken durch den Hersteller der Fertigarzneimittel nicht zwingend geboten sei. Die Beklagte habe nicht erklären können, welches wirtschaftliche Interesse sie über eine Kundenbindung hinaus daran habe, über individuelle Preisverhandlungen Herstellerrabatte an die Apotheken zu geben, die dort im Ergebnis zu einer Doppelkompensation führten.
II.
Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Abweisung der Klage. Die von der Klägerin auf der Grundlage der §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 78 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 AMG, § 1 Abs. 1 AMPreisV und § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG geltend gemachten Ansprüche stellen sich weder nach der Rechtslage, wie sie bis zum 31. Dezember 2011 bestanden hat (dazu unter II 1), noch nach der mit dem Inkrafttreten des § 78 Abs. 1 Satz 3 AMG am 1. Januar 2012 geänderten Rechtslage als begründet dar (dazu unter II 2).
1.
Die Beklagte hat nach den Bestimmungen, die bis zum 31. Dezember 2011 gegolten haben, gegen keine der vorstehend genannten Vorschriften des Arzneimittelgesetzes und der Arzneimittelpreisverordnung verstoßen.
a)
Nach § 78 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 AMG haben pharmazeutische Unternehmer im Sinne von § 4 Abs. 18 AMG für apothekenpflichtige Arzneimittel, für die nach § 78 Abs. 2 Satz 2 AMG ein einheitlicher Apothekenabgabepreis zu gewährleisten ist, einen einheitlichen Abgabepreis sicherzustellen, wenn für sie durch die gemäß § 78 Abs. 1 AMG erlassene Arzneimittelpreisverordnung Preise und Preisspannen bestimmt sind. Zu diesem Zweck werden im Humanarzneimittelbereich bei Fertigarzneimitteln im Sinne von § 4 Abs. 1 AMG gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 AMPreisV die Preisspannen des Großhandels bei der Abgabe im Wiederverkauf an Apotheken und gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3, 6 und 7 AMPreisV die Preisspannen und Preise der Apotheken bei der Abgabe im Wiederverkauf festgelegt. Davon ausgenommen sind nach § 1 Abs. 4 AMPreisV die Preisspannen und Preise für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel und nach § 1 Abs. 3 Satz 1 AMPreisV die Preisspannen und Preise der Apotheken in den dort aufgeführten Fällen der Arzneimittelabgabe. Danach muss der pharmazeutische Unternehmer einen einheitlichen Abgabepreis nur sicherstellen, wenn das Arzneimittel der Arzneimittelpreisverordnung unterfällt. Das ist bei den individuell für Patienten hergestellten Arzneimittelblistern nicht der Fall. Diese sind nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AMPreisV vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen.
b)
Keine Bindung der Preise der Apotheken besteht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AMPreisV bei der Abgabe von aus Fertigarzneimitteln entnommenen Teilmengen, soweit deren Darreichungsform, Zusammensetzung und Stärke unverändert bleibt. Diese Voraussetzungen sind nach dem Wortlaut der Norm vorliegend erfüllt. Die Apotheken geben die Fertigarzneimittel in Teilmengen ab. Dass im Zeitablauf die Gesamtmenge einer Arzneimittelpackung ausgeliefert wird, schließt die Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AMPreisV nicht aus. Für einen entsprechenden Ausschluss gibt der Wortlaut der Norm nichts her. Die Vorschrift erfordert auch nicht, dass die Abgabe der Teilmenge auf einer ärztlichen Verordnung beruht. Darreichungsform, Zusammensetzung und Stärke der in den von den Apotheken hergestellten Blistern abgegebenen Arzneimittel bleiben unverändert.
Eine einschränkende Auslegung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AMPreisV ist nicht im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Norm und ihren Sinn und Zweck geboten. Anders als die Revisionserwiderung meint, ist die Bestimmung weiter nicht einschränkend auszulegen, um Missbrauchsmöglichkeiten bei der Preisgestaltung zu begegnen.
Der Verordnungsgeber hatte bei der Fassung der Vorschrift zum einen Arzneimittelblister, die individuell für einen Patienten für einen bestimmten Zeitraum aufgrund einer ärztlichen Verordnung hergestellt werden, und zum anderen für aus Fertigarzneimitteln entnommene Teilmengen (Auseinzelung) im Blick (vgl. Begründung des Entwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes, BTDrucks. 16/3100, S. 200; Hofmann in Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2012, § 78 Rn. 53; Kutlu in Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl., § 1 AMPreisV Rn. 12; Sandrock/Nawroth in Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, 2010, § 9 Rn. 147; Grau/Kutlu, A&R 2009, 153, 157).
Dem lag die Erwägung zugrunde, dass eine vorherige Einstellung von Listenpreisen für individuell für Patienten hergestellte Arzneimittelblister oder die Aufstellung fester Berechnungsgrundlagen für die Abgabe von aus Fertigarzneimitteln entnommenen Teilmengen nicht praktikabel ist (vgl. Begründung des GKV-WSG, BT-Drucks. 16/3100, S. 200; Grau/Kutlu, A&R 2009, 153, 157). Ohne die Vorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AMPreisV müssten für unterschiedliche, individuell für Patienten hergestellte Arzneimittelblister jeweils eigene Listenpreise oder Berechnungsgrundlagen eingestellt werden, wenn bei ihrer Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt und sie gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 AMG Fertigarzneimittel sind, die gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1b Buchst. b AMG von der grundsätzlichen Zulassungspflicht nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG ausgenommen sind.
Diese Praktikabilitätserwägungen sprechen dafür, die Vorschrift nicht einengend auszulegen, um eine für Patienten sowie Alten- und Pflegeheime individuelle Zusammenstellung von Arzneimitteln in Blistern, die Fehlmedikationen durch falsche Arzneimitteleinnahme zu verhindern hilft, nicht zu behindern. Die dagegen von der Revisionserwiderung angeführten Missbrauchsmöglichkeiten zur Umgehung der Arzneimittelpreisbindung rechtfertigen ebenfalls keine einschränkende Auslegung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AMPreisV. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen getroffen, die zu dem Ergebnis führen, die mit der Arzneimittelpreisbindung verfolgten Ziele, im öffentlichen Interesse die gebotene flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen und das finanzielle Gleichgewicht des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung abzusichern, erforderten eine einschränkende Auslegung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AMPreisV. Die Revisionserwiderung zeigt ebenfalls keine entsprechenden Gesichtspunkte auf. Dass eine Verpackung in neue Blister für individuelle Patienten mit dem Ziel erfolgt, Preisvorschriften zu umgehen, hat das Berufungsgericht nicht angenommen. Für eine ernstzunehmende Gefahr eines solchen Verhaltens ist auch nichts ersichtlich.
c)
Soweit danach bei Fertigarzneimitteln, die dazu bestimmt sind, in individuell zusammengestellten Blistern abgegeben zu werden, gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AMPreisV im Verhältnis zwischen den Apotheken und den Verbrauchern keine Preisbindung besteht, kann auch im Verhältnis der pharmazeutischen Unternehmer zu den Apotheken kein Verbot der Gewährung von Rabatten bestehen, da die in § 78 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 AMG geregelte Pflicht der pharmazeutischen Unternehmer zur Sicherstellung eines einheitlichen Abgabepreises an das Bestehen einer solchen Preisbindung anknüpft (Grau/Kutlu, A&R 2009, 153, 157).
aa)
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die in § 78 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 AMG geregelte Verpflichtung der pharmazeutischen Unternehmer, für Arzneimittel nach § 78 Abs. 2 Satz 2 AMG, für die durch die Arzneimittelpreisverordnung Preise und Preisspannen bestimmt sind, einen einheitlichen Abgabepreis sicherzustellen, eine Beschränkung der durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsausübungsfreiheit darstellt, die einer entsprechenden Rechtfertigung bedarf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 1999 – 1 BvR 1126/94, BVerfGE 101, 331, 346 f., zur früheren Vergütungsregelung für Berufsbetreuer; Kammerbeschluss vom 19. März 2004 1 BvR 1319/02, NJW 2004, 3172, 3173, zur GOÄ; Kammerbeschluss vom 26. September 2005 – 1 BvR 82/03, NJW 2006, 495, zur HOAI; Beschluss vom 12. Dezember 2006 – 1 BvR 2576/04, BVerfGE 117, 163, 181, zu § 49b Abs. 2 BRAO; Kammerbeschluss vom 15. Juni 2009 – 1 BvR 1342/07, NJW-RR 2010, 259, 260, zur früheren BRAGO).
bb)
Eine solche Rechtfertigung besteht, soweit die Sicherstellung einheitlicher Abgabepreise der pharmazeutischen Unternehmer gemäß § 78 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 AMG notwendige Voraussetzung für die Gewährleistung einheitlicher Apothekenabgabepreise für Arzneimittel nach § 78 Abs. 2 Satz 2 AMG ist. Mit der Gewährleistung einheitlicher Apothekenabgabepreise soll im Hinblick auf die Beratungs- und Schlüsselfunktion der Apotheken ein Preiswettbewerb auf der Handelsstufe der Apotheken ausgeschlossen oder jedenfalls vermindert und dadurch im öffentlichen Interesse die gebotene flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sichergestellt und zudem das finanzielle Gleichgewicht des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung abgesichert werden (GmS-OGB, Beschluss vom 22. August 2012 – GmS-OGB 1/10, BGHZ 194, 354 Rn. 25 mwN).
cc)
Keine solche Rechtfertigung besteht dagegen dort, wo die Preise und Preisspannen der Arzneimittelpreisverordnung für Apotheken bei bestimmten Arzneimitteln oder bei der Abgabe von Arzneimitteln durch oder an bestimmte Personen oder zu bestimmten Zwecken nach § 1 Abs. 3 und 4 AMPreisV nicht eingehalten werden müssen. In diesen Fällen hat der Gesetzgeber aus unterschiedlichen Gründen (vgl. dazu Kutlu in Spickhoff aaO § 1 AMPreisV Rn. 6 bis 14) darauf verzichtet, einheitliche Apothekenabgabepreise für Arzneimittel durch die Festlegung der Preisspannen des Großhandels und der Preisspannen und Preise bei der Abgabe im Wiederverkauf zu gewährleisten. Dementsprechend besteht in solchen Fällen weder eine Verpflichtung der Apotheken, einen einheitlichen Apothekenabgabepreis zu verlangen, noch eine Verpflichtung der pharmazeutischen Unternehmer, ihrerseits einen einheitlichen Preis zu verlangen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob der einzelne in § 1 Abs. 3 und 4 AMPreisV geregelte Ausnahmetatbestand an eine bestimmte Stellung oder Funktion des Abgebenden oder Empfängers (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3a und 5 AMPreisV), an eine bestimmte Beschaffenheit des Arzneimittels (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, 3a, 4, 6 und 8 und insbesondere § 1 Abs. 4 AMPreisV) oder an eine besondere Zweckbestimmung anknüpft, wie das außer in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 bis 6 AMPreisV auch im Fall des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AMPreisV gegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 27. Oktober 2009 B 1 KR 7/09 R, SozR 42500 § 130a Nr. 4, juris Rn. 19 und 21 bis 28, zu § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und § 1 Abs. 4 AMPreisV; Urteil vom 29. April 2010 B 3 KR 3/09 R, SozR 42500 § 130a Nr. 6, juris Rn. 19 f. und 22 bis 25, zu § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AMPreisV; Dettling/Kieser/Ulshöfer, PharmR 2009, 421, 427 und Kutlu in Spickhoff aaO § 1 AMPreisV Rn. 14, jeweils zu § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 AMPreisV; aA Saalfrank/Wesser, A&R 2010, 19, 22).
dd)
Es sprechen auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber der Regelung des § 78 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 AMG über die Gewährleistung einheitlicher Apothekenabgabepreise für Arzneimittel hinaus eine weitere Funktion zugewiesen hat. Selbst wenn dies der Fall wäre, spräche im Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. oben Rn. 21) – nichts dafür, dass eine solche weitere Funktion in den in § 1 Abs. 3 und 4 AMPreisV geregelten Fällen, in denen die Apotheken keinen einheitlichen Apothekenabgabepreis zu gewährleisten haben, für sich allein die Verpflichtung der pharmazeutischen Unternehmer rechtfertigen könnte, gemäß § 78 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 AMG einen einheitlichen Abgabepreis einzuhalten.
ee)
Im Schrifttum wird allerdings teilweise die Ansicht vertreten, die Regelung des § 78 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 AMG verpflichte den pharmazeutischen Unternehmer im Ergebnis dazu, jedes apothekenpflichtige Arzneimittel bei jedem Inverkehrbringen in jeder Darreichungsform, jeder Stärke und jeder Packungsgröße stets zum gleichen Preis in Rechnung zu stellen (Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, 125. Lief. 2013, § 78 AMG Rn. 38 mwN; vgl. auch Saalfrank/Wesser, A&R 2010, 19, 20 und Hofmann in Kügel/Müller/Hofmann aaO § 78 Rn. 40). Dabei wird allerdings nicht genügend berücksichtigt, dass die Bestimmung des § 78 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 AMG nicht nur auf die in § 78 Abs. 2 Satz 2 AMG enthaltene Regelung („Arzneimittel nach Absatz 2 Satz 2“) bezogen ist, sondern die Anwendung der Arzneimittelpreisverordnung voraussetzt („Arzneimittel …, für die durch die Verordnung nach Absatz 1 Preise und Preisspannen bestimmt sind“). An diesem letzten Erfordernis fehlt es, wenn § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AMPreisV eingreift.
2.
Die mit Wirkung vom 1. Januar 2012 neu eingeführte Vorschrift des § 78 Abs. 1 Satz 3 AMG, wonach die Preisvorschriften für den Großhandel aufgrund von § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AMG für pharmazeutische Unternehmer bei der Abgabe an Apotheken gelten, die die Arzneimittel zur Abgabe an den Verbraucher beziehen, hat an der vorstehend dargestellten Rechtslage nichts geändert. Die Bestimmung stellt lediglich klar, dass die Großhandelszuschläge nach der Arzneimittelpreisverordnung einschließlich der Vorschriften zu den Möglichkeiten der Rabattgewährung an Apotheken im Direktvertrieb von pharmazeutischen Unternehmern an Apotheken oder durch andere natürliche oder juristische Personen gelten (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit [14. Ausschuss] zum Entwurf des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes, BT-Drucks. 17/8005, S. 135). Die Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 3 AMG knüpft damit an die Bestimmung des § 2 AMPreisV über die Großhandelszuschläge für Fertigarzneimittel an. Diese Bestimmung ist ihrerseits auf die Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AMPreisV über die Preisspannen des Großhandels bei der Abgabe von Fertigarzneimitteln im Wiederverkauf an Apotheken bezogen. Die dortige Regelung gilt jedoch nicht für die Preisspannen in den in § 1 Abs. 3 und 4 AMPreisV genannten Fällen. § 78 Abs. 1 Satz 3 AMG und § 2 AMPreisV sind deshalb nicht einschlägig, wenn der Anwendungsbereich der Arzneimittelpreisverordnung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AMPreisV nicht eröffnet ist.
III.
Nach den vorstehenden Ausführungen kann das Urteil des Berufungsgerichts keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist, ist in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Klage ist unter Abänderung des Urteils des Landgerichts abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Vorinstanzen:
LG Ulm, Entscheidung vom 27.08.2012, Az. 4 O 53/12
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 05.09.2013, Az. 2 U 155/12