BGH, Beschluss vom 25.08.2015, Az. X ZB 5/14
§ 11 RVG
Der BGH hat entschieden, dass die Vergütung des Patentanwalts gegen seinen Auftraggeber (!) nicht nach § 11 RVG festgesetzt werden kann. Der Patentanwalt sei weder ein Rechtsanwalt im Sinne der Norm, noch sei seine Vergütung gesetzlich bestimmt. Einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift stehen ihr Ausnahmecharakter und ihr Sinn und Zweck entgegen. § 11 RVG erlaube die Schaffung eines schnell erreichbaren Titels allein für den Rechtsanwalt, dessen Vergütung auf der Grundlage des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ohne Schwierigkeiten zu bestimmen sei. § 143 Abs. 3 PatG und § 140 Abs. 3 MarkenG sprächen gleichfalls nicht für eine Anwendung des § 11 RVG auf den Patentanwalt, da diese Vorschriften allein das Verhältnis zwischen den Prozessparteien beträfen, nicht aber das Verhältnis des Parteivertreters zum eigenen Mandanten. Zum Volltext der Entscheidung:
Bundesgerichtshof
Beschluss
…
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25.08.2015 durch … beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 17.06.2014 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Antragsteller wirkte für die Antragsgegnerin als Patentanwalt an einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit, in dem die Antragsgegnerin wegen Verletzung eines europäischen Patents auf Unterlassung in Anspruch genommen wurde. Die Parteien des Verfügungsverfahrens schlossen einen Vergleich, in dem die Kosten des Verfahrens und des Vergleichs gegeneinander aufgehoben wurden.
Der Antragsteller hat einen Antrag auf Festsetzung der Vergütung für seine Mitwirkung nach § 11 RVG gestellt, den das Landgericht zurückgewiesen hat. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller seinen Festsetzungsantrag weiter.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1.
Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Antragsteller könne keine Festsetzung nach § 11 RVG begehren, weil nach dem Wortlaut der Norm der Antrag eines Rechtsanwalts erforderlich sei; ein Patentanwalt sei kein Rechtsanwalt im Sinne der Vorschrift. Zudem erlaube § 11 RVG nur, eine gesetzlich bestimmte Vergütung festzusetzen. Da die Vergütung, die ein Patentanwalt für seine Mitwirkung in Rechtsstreitigkeiten vor den ordentlichen Gerichten verlangen könne, anders als die Vergütung eines Rechtsanwalts nicht gesetzlich geregelt sei, fehle es auch an dieser weiteren Voraussetzung.
Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf Patentanwälte sei nicht möglich. Die Beschränkung des § 11 RVG auf die Festsetzung und damit vereinfachte Titulierung einer durch Gesetz festgelegten Vergütung finde ihren Grund darin, dass die dem Rechtsanwalt nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz geschuldete Vergütung ohne besondere Schwierigkeiten im Festsetzungsverfahren durch den Rechtspfleger ermittelt werden könne. Selbst wenn der Vergütung des Patentanwalts das Vergütungsverzeichnis des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes oder die von der Patentanwaltskammer herausgegebene Gebührenordnung für Patentanwälte zugrunde gelegt werde, sei eine Festsetzung nach § 11 RVG nicht möglich. Denn die Festsetzung der Vergütung durch den Patentanwalt auf diese Weise müsse in jedem Fall darauf geprüft werden, ob sie nach §§ 315 Abs. 1, 316 BGB der Billigkeit entspreche. Diese Überprüfung vorzunehmen, sei mit dem Sinn und Zweck des vereinfachten Festsetzungsverfahrens nach § 11 RVG nicht vereinbar.
Auch § 143 Abs. 3 PatG rechtfertige keine abweichende Entscheidung, da diese Vorschrift nur die Frage betreffe, welche Kosten der Mandant des Patentanwalts von seinem Gegner im Rechtsstreit als Rechtsverteidigungskosten ersetzt verlangen könne.
2.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand. Das Beschwerdegericht hat zutreffend entschieden, dass die Vergütung des Antragstellers für seine Mitwirkung am gerichtlichen Verfahren als Patentanwalt nicht nach § 11 RVG festgesetzt werden kann.
a)
Ob ein Patentanwalt nach § 11 RVG die Festsetzung seiner Vergütung gegen seinen Auftraggeber verlangen kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
(1)
Nach einer Auffassung ist das in § 11 RVG vorgesehene Festsetzungsverfahren auch für den Patentanwalt eröffnet (BPatG [1. Senat], GRUR 2002, 732, zu § 19 BRAGO; Benkard/Rogge/Grabinski, 10. Aufl., § 143 PatG Rn. 19; Ingerl/Rohnke, 3. Aufl., § 140 MarkenG Rn. 55; Ströbele/Hacker, 11. Aufl., § 140 MarkenG Rn. 58; Hartmann, Kostengesetze, 45. Aufl., § 11 RVG Rn. 22, sofern der Patentanwalt nach dem RVG abrechnet; Kurtz, Mitt. 2009, 507 ff.).
Die gegenteilige Auffassung benachteilige den Patentanwalt gegenüber dem Rechtsanwalt und sei nach Aufhebung der Erstattungsbeschränkungen in § 140 Abs. 5 MarkenG aF und § 143 Abs. 5 PatG aF, wonach Patentanwaltskosten vom Prozessgegner nur bis zur Höhe einer vollen Gebühr nach § 11 BRAGO und in Höhe der notwendigen Auslagen zu erstatten waren, nicht mehr sachgerecht (Ingerl/Rohnke, aaO; Kurtz, Mitt. 2009, 507, 508). Zwar fehle es für den Patentanwalt an einer gesetzlichen Regelung, die die Vergütung der Höhe nach festlege, wie dies für Rechtsanwälte mangels anderweitiger Vereinbarung der Fall sei. Die dem Patentanwalt geschuldete Vergütung lasse sich aber in gleicher Weise einfach ermitteln, so dass ihm die Möglichkeit des Festsetzungsantrags zuzubilligen sei. Die Gebührensätze der Rechtsanwaltsgebührenordnung seien als Billigkeitsmaßstab für die Berechnung der Vergütung der patentanwaltlichen Tätigkeit jedenfalls im Patentnichtigkeitsverfahren heranzuziehen. Sofern der Patentanwalt sein ihm nach § 315 BGB zustehendes Leistungsbestimmungsrecht nach Maßgabe dieser Gebührensätze ausübe, sei die Gebührenberechnung nicht aufwendiger als die Berechnung der Rechtsanwaltsvergütung. Im Hinblick auf die gebührenrechtliche Gleichberechtigung von Rechts- und Patentanwälten, die in § 140 Abs. 3 MarkenG und § 143 Abs. 3 PatG zum Ausdruck komme, spreche § 11 RVG, anders als noch § 19 Abs. 1 BRAGO, zudem nicht mehr von der dem Rechtsanwalt zustehenden gesetzlichen Vergütung, sondern von der gesetzlichen Vergütung, die zu den Kosten des gerichtlichen Verfahrens gehöre (BPatG, GRUR 2002, 732, 733).
(2)
Nach der überwiegenden Auffassung, der sich das Beschwerdegericht angeschlossen hat, kann die Vergütung des Patentanwalts hingegen nicht nach § 11 RVG gegen den Auftraggeber festgesetzt werden (OLG Düsseldorf, InstGE 10, 57; OLG München, GRUR 1978, 450; Mitt. 2001, 91; BPatG [2. Senat], BPatGE 18, 164; Benkard/Schäfers, 10. Aufl., § 80 PatG Rn. 55; BeckOK-RVG/v. Seltmann, § 11 RVG Rn. 3; Mayer/Kroiß, 6. Aufl., § 11 RVG Rn. 8; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 21. Aufl., § 11 RVG Rn. 30; Hartung/Römermann, 2. Aufl., § 11 RVG Rn. 24).
Weder sei der Patentanwalt ein Rechtsanwalt im Sinne der Norm, noch sei seine Vergütung gesetzlich bestimmt. Einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift stünden ihr Ausnahmecharakter und ihr Sinn und Zweck entgegen. § 11 RVG erlaube die Schaffung eines schnell erreichbaren Titels allein für den Rechtsanwalt, dessen Vergütung auf der Grundlage des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ohne Schwierigkeiten zu bestimmen sei. § 143 Abs. 3 PatG und § 140 Abs. 3 MarkenG sprächen gleichfalls nicht für eine Anwendung des § 11 RVG auf den Patentanwalt, da diese Vorschriften allein das Verhältnis zwischen den Prozessparteien beträfen, nicht aber das Verhältnis des Parteivertreters zum eigenen Mandanten.
b)
Der Senat tritt der letztgenannten Auffassung bei. § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG ist auf Patentanwälte nicht anwendbar.
(1)
Antragsberechtigt nach § 11 RVG ist nach dem Wortlaut der Norm ein Rechtsanwalt. Der Begriff Rechtsanwalt kann auch nicht in einem weit verstandenen Wortsinn als allgemein auf den Parteivertreter im gerichtlichen Verfahren bezogen verstanden werden. § 11 RVG gilt nicht für alle Berufsgruppen, die an gerichtlichen Verfahren mitwirken. Für eine solche umfassende Geltung bieten weder Sinn und Zweck der Vorschrift noch ihre Entstehungsgeschichte einen Anhalt. Auch wäre die Anordnung einer analogen Anwendung der Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes, wie sie das Gesetz für Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften für deren Vergütung in gerichtlichen und anderen Verfahren in § 45 StBVV getroffen hat, nicht notwendig gewesen. An einer solchen Verweisungsnorm und damit an einer entsprechenden Entscheidung des Gesetzgebers fehlt es für die Berufsgruppe der Patentanwälte.
(2)
Zudem ist die Vergütung des Patentanwalts anders als diejenige des Rechtsanwalts nicht gesetzlich festgelegt. Dabei ist ohne Belang, dass sowohl der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts als auch derjenige des Patentanwalts dem Grunde nach auf einem Vertrag beruht. Denn soweit § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG von der gesetzlichen Vergütung spricht, betrifft dies die Festlegung der Vergütungshöhe durch das Gesetz. Nach Sinn und Zweck der Norm soll das Festsetzungsverfahren nach § 11 RVG dem Rechtsanwalt eine einfache und schnelle Möglichkeit zur Verfügung stellen, seine Vergütung, die er für sein Tätigwerden im gerichtlichen Verfahren fordert, gegenüber dem Mandanten festsetzen zu lassen und so auch ohne Beschreitung des Klageweges einen vollstreckbaren Titel zu erlangen. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass die von dem Rechtsanwalt nach den Vorgaben des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes berechnete gesetzliche Vergütung in einem vereinfachten Verfahren durch den mit der Behandlung von Kostenfragen vertrauten Rechtspfleger überprüft und die Vergütungsforderung sodann tituliert werden kann. Der Auftraggeber kann nach § 11 Abs. 5 RVG die vereinfachte Festsetzung abwenden, wenn er außerhalb des Gebührenrechts liegende Einwendungen vorbringt.
Diese Erwägungen gelten für den Patentanwalt nicht in gleichem Maße. Selbst wenn der Patentanwalt unter Heranziehung der Vergütungsvorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes abrechnet und eine entsprechende Festsetzung begehrt, trifft er damit nach § 315 Abs. 1, § 316 BGB die ihm überlassene Leistungsbestimmung einseitig nach billigem Ermessen. Die Regelungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes sind daher lediglich ein Kriterium, anhand dessen die Billigkeit der einseitigen Leistungsbestimmung durch den Patentanwalt zu beurteilen ist. Auf die Überprüfung der Vergütungshöhe auf ihre Billigkeit als einen außerhalb des Gebührenrechts liegenden Umstand ist das Festsetzungsverfahren vor dem Rechtspfleger nach § 11 RVG jedoch nicht angelegt. Entsprechend ist auch dem Rechtsanwalt eine Festsetzung einer von der gesetzlichen Vergütung abweichenden vertraglichen Vergütung nach § 11 RVG nach allgemeiner Meinung verwehrt (vgl. nur Mayer/Kroiß, aaO, § 11 RVG Rn. 44; Gerold/Schmidt/Mayer-Rabe, aaO, § 11 RVG Rn. 45).
(3)
Für eine analoge Anwendung des § 11 RVG auf Patentanwälte ist kein Raum.
(a)
Eine Analogie ist zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige oder ungewollte Regelungslücke enthält, die sich aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem dem konkreten Gesetzgebungsverfahren zugrunde liegenden Regelungsplan ergibt, und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BGH, Urteil vom 21. Januar 2010 IX ZR 65/09, BGHZ 184, 101 Rn. 32; Beschluss vom 18. Dezember 2012 – X ZB 6/12, GRUR 2013, 430; Urteil vom 1. Juli 2014 VI ZR 345/13, BGHZ 201, 380 Rn. 14; Beschluss vom 23. September 2014 II ZB 4/14, WM 2014, 2167 Rn. 12; Urteil vom 26. Februar 2015 IX ZR 172/14, WM 2015, 684 Rn. 28, 31).
(b)
Im Streitfall fehlt es bereits an hinreichenden Anhaltspunkten für eine planwidrige Regelungslücke. § 11 RVG richtet sich nur an Rechtsanwälte. Von der Möglichkeit, wegen der Festsetzung der Vergütung von Patentanwälten auf die Vorschrift zu verweisen, hat der Gesetzgeber – wie ausgeführt – keinen Gebrauch gemacht, obwohl dies für andere Berufsgruppen geschehen ist und bei Einführung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (Gesetz vom 5. Mai 2004, BGBl. I, S. 718) die Anwendbarkeit des § 19 BRAGO seit längerem kontrovers diskutiert wurde.
(c)
Die Vorschriften der § 143 Abs. 3 PatG, § 140 Abs. 3 MarkenG und auch § 27 Abs. 3 GebrMG führen zu keiner anderen Beurteilung. Sie betreffen allein die Frage, inwieweit die durch die Mitwirkung des Patentanwalts am gerichtlichen Verfahren entstandenen Kosten vom Prozessgegner erstattet verlangt werden können und regeln damit nicht das Verhältnis zwischen dem Patentanwalt und seinem Auftraggeber. Sie haben dem Gesetzgeber auch keinen Anlass zu einer Regelung dieses Verhältnisses gegeben.
(d)
Es bleibt daher dem Gesetzgeber vorbehalten, die entsprechende Anwendung des § 11 RVG anzuordnen, wenn er dies als sachgerecht ansieht.
Vorinstanzen:
LG Braunschweig, Entscheidung vom 07.04.2014, Az. 9 O 2469/13
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 17.06.2014, Az. 2 W 46/14