BGH, Urteil vom 11.12.2012, Az. VI ZR 314/10 und Az. VI ZR 315/10
§ 823 BGB, § 1004 BGB, Art. 1 GG, Art. 2 GG
Der BGH hat entschieden, dass die Presse Verlautbarungen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR ein gesteigertes Vertrauen entgegenbringen darf, wenn sie über den Veracht einer IM-Tätigkeit berichtet. Was wir davon halten?
Täglich grüßt das Murmeltier. Erneut hatte der BGH Veranlassung, die Hamburger Rechtsprechung scharf zu kritisieren. Der Umstand aber, dass sowohl das BVerfG als auch der BGH das Recht auf Pressefreiheit / freie Meinungsäußerung immer wieder eindringlich betonen, ist für das LG Hamburg / OLG Hamburg in etwa so, wie der berühmte Sack Reis in China. Die offensichtlich vorhandene Einstellung „Soll er doch zum BGH“ gehen, ist eine bemerkenswerte Einstellung einer in bereits unzähligen Revisionsverfahren korrigierten Gerichtsinstanz, welche die erheblichen finanziellen Prozesskostenrisiken des Beklagten nicht zu tragen hat. Wäre es umgekehrt, würde sich die Hanseatische Rechtsprechung ohne Frage von jetzt auf gleich ändern. Aus der Pressemitteilung des BGH, Nr. 204/2012:
„Der Kläger beider Verfahren nimmt die Beklagten auf Unterlassung einer Berichterstattung über seine angebliche Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für das Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik in Anspruch.
Der Kläger war Professor an der Universität Leipzig, Fraktionsvorsitzender der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) im Sächsischen Landtag und der Spitzenkandidat der PDS für die Landtagswahl am 19. September 2004. Die Beklagte des ersten Verfahrens verlegt die Zeitungen „Sächsische Zeitung“, „Dresdner Morgenpost“ und „Dresdner Morgenpost am Sonntag“, die Beklagte des zweiten Verfahrens die Zeitungen „Bild“ und „Die Welt“.
In der Zeit vom 8. bis 17. August 2004 berichteten die Zeitungen der Beklagten in mehreren Artikeln über den Verdacht, der Kläger habe als langjähriger IM „Christoph“ mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet und dabei insbesondere seine damalige Freundin und jetzige Frau bespitzelt. Der Kläger sieht sich durch die Veröffentlichungen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Er behauptet, er habe keine Kenntnis davon gehabt, dass das Ministerium für Staatssicherheit ihn als „IM Christoph“ geführt habe. Er sei ohne sein Wissen „abgeschöpft“ worden.
Das Landgericht hat den Klagen überwiegend stattgegeben. Die Berufungen der Beklagten hatten keinen Erfolg. Auf die Revisionen der Beklagten hat der u.a. für den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Urteile des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme, dass das von den Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinter dem Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit zurückzutreten habe. Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten nicht bewiesen, dass der Kläger wissentlich und willentlich mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet habe, ist unvollständig und verstößt gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Die von ihm vorgenommene Deutung der in den Akten des MfS verwendeten Begriffe ist weit hergeholt und mit dem natürlichen Sprachempfinden kaum in Einklang zu bringen. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die richterliche Überzeugung überspannt. Das Berufungsgericht hat auch zu Unrecht die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung verneint. Es hat insbesondere nicht berücksichtigt, dass die Beklagten der Stellungnahme des Pressesprechers der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, den gefundenen Unterlagen sei zweifelsfrei zu entnehmen, dass der Kläger als IM Christoph für den Staatssicherheitsdienst tätig gewesen sei, ein gesteigertes Vertrauen entgegenbringen durften. Bei dem Bundesbeauftragten handelt es sich um eine Bundesoberbehörde, der durch Gesetz die Aufgabe zugewiesen ist, die Stasi-Unterlagen auszuwerten und zu archivieren.“
Vorinstanzen:
BGH, Urteil vom 11.12.2012, Az. VI ZR 314/10
OLG Hamburg, Urteil vom 12.10.2010, Az. 7 U 89/08
LG Hamburg, Urteil vom 15.08.2008, Az. 324 O 774/04
und
BGH, Urteil vom 11.12.2012, Az. VI ZR 315/10
OLG Hamburg, Urteil vom 12.10.2010, Az. 7 U 67/08
LG Hamburg, Urteil vom 30.05.2008, Az. 324 O 18/05
Auf die Pressemitteilung hingewiesen hat der Kollege Dr. Ralf Petring (hier).