BGH: Und wieder zur Anrechnung gemäß § 15 a RVG in Bezug auf „Altfälle“

veröffentlicht am 24. Oktober 2010

BGH, Beschluss vom 13.09.2010, Az. IV ZB 42/09
§ 15 a RVG

Der BGH hat erneut und aktuell entschieden, dass § 15 a Abs. 2 RVG lediglich eine Klarstellung einer bereits bestehenden Rechtslage darstellt und keine Neuregelung, so dass diese Vorschrift auch auf  das Kostenfestsetzungsverfahren anzuwenden ist, die vor der Änderung des Gesetztestextes begonnen wurden. Damit darf man die Rechtsprechung des BGH in diesem Punkt wohl als gefestigt ansehen, nachdem mehrere Senate in diesem Punkt übereinstimmen. Zum Volltext der Entscheidung:


Bundesgerichtshof

Beschluss

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch … am 13 September 2010 beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 12. November 2009 aufgehoben.

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Lüneburg vom 12. Oktober 2009 geändert. Die vom Kläger aufgrund des vor dem Oberlandesgericht Celle am 21. Juli 2009 geschlossenen Vergleichs an die Beklagte zu erstattenden Kosten werden festgesetzt auf 1.720,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 27. Juli 2009.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt der Kläger.

Beschwerdewert: 305,14 €

Gründe

I.
Die Beklagte begehrt im Kostenfestsetzungsverfahren gegen den Kläger den Ansatz einer ungeminderten Verfahrensgebühr.

Nach einem am 21. Juli 2009 vor dem Oberlandesgericht in zweiter Instanz geschlossenen Vergleich sind die Kosten des Rechtsstreits vom Kläger zu drei Vierteln und von der Beklagten zu einem Viertel zu tragen. Diese begehrte mit einem am 27. Juli 2009 beim Landgericht eingegangenen Antrag die Festsetzung jeweils einer 1,3-Verfahrensgebühr nach § 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG aus einem Gegenstandswert von 12.637,53 € für die erste und 12.260,47 € für die zweite Instanz. Da der Prozessbevollmächtigte für die Beklagte bereits außergerichtlich tätig war, brachte die Rechtspflegerin eine hierdurch angefallene 1,3-Geschäftsgebühr nach §§ 13, 14 RVG, Nr. 2300 VV RVG unter Berufung auf Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG zur Hälfte bei der Verfahrensgebühr aus erster Instanz in Abzug. Die der Beklagten in erster Instanz zu erstattenden außergerichtlichen Kosten wurden auf 617,97 €, der ihr – unter Berücksichtigung der Kostenausgleichung bei den erstinstanzlichen Gerichtskosten und den zweitinstanzlichen außergerichtlichen Kosten – insgesamt zu erstattende Betrag auf 1.415,28 € festgesetzt.

Der von der Beklagten gegen diesen Beschluss eingelegten sofortigen Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen. Das Oberlandesgericht hat das Rechtsmittel zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser erstrebt die Beklagte die uneingeschränkte Berücksichtigung der geltend gemachten Verfahrensgebühr.

II.
Das Beschwerdegericht meint, die Anrechnungsvorschrift der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG sei vom Landgericht zu Recht angewandt und die im Kostenfestsetzungsbeschluss anzusetzende Verfahrensgebühr entsprechend gekürzt worden. § 15a Abs. 2 RVG sei gemäß dem in § 60 Abs. 1 RVG bestimmten Grundsatz auf Altfälle nicht anzuwenden. Gegenstand der Festsetzung sei der Gebührenanspruch des Rechtsanwalts gegen die von ihm vertretene Partei und nicht ein Anspruch gegenüber dem Prozessgegner. § 15a Abs. 2 RVG enthalte daher nicht nur eine Klarstellung, sondern eine Neuregelung, weil diese Vorschrift – erstmals – bestimme, wann sich ein Dritter auf eine Vorschrift über eine Anrechnung von Gebühren berufen könne.

III.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen (§ 575 ZPO) zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1.
Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, die durch die Tätigkeit des Anwalts im Rechtsstreit entstanden ist, ist im Verfahren der Kostenfestsetzung in voller Höhe in Ansatz zu bringen und nicht auf Grund der Vorschrift in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG über die hälftige Anrechnung der wegen desselben Gegenstands entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zu kürzen.

Diese Regelung zur Anrechnung der Geschäftsgebühr betrifft lediglich das Innenverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten und wirkt sich daher im Verhältnis zu Dritten – also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren – grundsätzlich nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2010 – V ZB 38/10, AGS 2010, 263 f.; vom 11. März 2010 – IX ZB 82/08, AGS 2010, 159 und vom 9. Dezember 2009 – XII ZB 175/07, NJW 2010, 1375 Rn. 16). Eine Anrechnung findet im Rahmen der Kostenfestsetzung allein in den Fällen statt, die nunmehr in § 15a Abs. 2 RVG gesetzlich geregelt sind.

§ 15a RVG stellt nur eine bloße Klarstellung der bestehenden Gesetzeslage dar und findet somit auch dann Anwendung, wenn die Auftragserteilung des Erstattungsberechtigten an seinen Prozess- bzw. Verfahrensbevollmächtigten vor dem 5. August 2009 – dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift – erfolgte. Dies hat der XII. Zivilsenat im Beschluss vom 9. Dezember 2009 (aaO Rn. 15 ff.) im Einzelnen dargelegt; dem tritt der erkennende Senat bei (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 28. Juli 2010 – XII ZB 251/10, Rn. 6; vom 7. Juli 2010 – XII ZB 79/10, Rn. 6; vom 23. Juni 2010 – XII ZB 58/10, Rn. 6; vom 17. Juni 2010 – V ZB 176/09, Rn. 5; vom 29. April 2010 aaO; vom 31. März 2010 – XII ZB 20/10, Rn. 6 f.; vom 31. März 2010 – XII ZB 230/09, AGS 2010, 256 f.; vom 11. März 2010 aaO und vom 3. Februar 2010 – XII ZB 177/09, FamRZ 2010, 806 Rn. 10 ff.; offen gelassen in BGH, Beschlüsse vom 29. September 2009 – X ZB 1/09, NJW 2010, 76 Rn. 25 und vom 9. September 2009 – Xa ZB 2/09, FamRZ 2009, 2082 Rn. 7).

Der Senat hält an seiner vor Erlass des § 15a RVG zum Verständnis der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vertretenen Auffassung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 24. September 2008 – IV ZB 26/07, Rn. 6, 9; vom 25. Juli 2008 – IV ZB 16/08, VersR 2008, 1666 Rn. 8 und vom 16. Juli 2008 – IV ZB 24/07, VersR 2009, 236 Rn. 7) nicht mehr fest und erachtet wie der VIII. Senat (vgl. Beschluss vom 10. August 2010 – VIII ZB 15/10, unter II 2 c) ein Vorgehen nach § 132 GVG für nicht geboten.

2.
Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, hat der Senat gemäß § 577 Abs. 5 ZPO in der Sache selbst zu entscheiden.

Nachdem keiner der Ausnahmefälle des § 15a Abs. 2 RVG ersichtlich ist, kann sich der Kläger auf die Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG nicht berufen. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG ist für die Kostenausgleichung in erster Instanz in voller Höhe zu berücksichtigen, der Beschluss des Beschwerdegerichts daher aufzuheben und der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts zu ändern.

An erstattungsfähigen Kosten der Beklagten ergeben sich für die erste Instanz 1.644,58 €, so dass unter Berücksichtigung der von ihr übernommenen Kostenquote von einem Viertel im Ergebnis außergerichtliche Kosten in Höhe von 923,11 € vom Kläger zu erstatten sind. Da dem Kläger ein Erstattungsanspruch bzgl. der Gerichtskosten erster Instanz (183,25 €) und der Beklagten ein solcher bzgl. der außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz (980,56 €) zusteht, sind die von dem Kläger der Beklagten zu erstattenden Kosten auf insgesamt 1.720,42 € nebst Zinsen (§ 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO) festzusetzen.

Vorinstanzen:
LG Lüneburg, Entscheidung vom 12.10.2009, Az. 2 O 11/08
OLG Celle, Entscheidung vom 12.11.2009, Az. 2 W 326/09

I