BGH: Wer trägt die Mehrkosten für den Zweitanwalt, nachdem der erste seine Zulassung zurückgibt?

veröffentlicht am 20. Februar 2013

BGH, Beschluss vom 12.09.2012, Az. IV ZB 3/12
§ 91 Abs. 2 S. 2 ZPO

Der BGH hat darauf hingewiesen, dass nach § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO die durch einen Anwaltswechsel entstandenen Kosten für einen zweiten Prozessbevollmächtigten insoweit zu erstatten sind, als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. Das setze voraus, dass weder die Partei noch den ersten Rechtsanwalt ein Verschulden an der Notwendigkeit des Anwaltswechsels treffe. Dies wiederum sei der Fall, wenn der zunächst mandatierte Rechtsanwalt seine Zulassung aus achtenswerten Gründen zurückgegeben habe und dies bei Übernahme des Mandats noch nicht absehbar gewesen sei. Die Übernahme der Pflege der eigenen Mutter wegen Ausfalls der bisherigen Pflegeperson (hier: Tod des Vaters) stelle, auch wenn sie „aus freien Stücken“ geschehe, einen solchen anerkennenswerten Grund für die Aufgabe der Anwaltstätigkeit dar. Zum Volltext der Entscheidung:


Bundesgerichtshof

Beschluss

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch …. am 12.09.2012 beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 19.01.2012 aufgehoben.

Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Cottbus vom 12.07.2011 wird geändert. Die Beklagte hat dem Kläger aufgrund des Urteils des Landgerichts Cottbus vom 08.04.2010 an Kosten weitere 2.263,85 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.06.2010 zu erstatten.

Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Beschwerdewert: 2.263,85 EUR

Gründe:

I.
Im Ausgangsrechtsstreit ist die Beklagte durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts verurteilt worden, dem Kläger Leistungen aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zu erbringen und die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Gegenstand des jetzigen Rechtsbeschwerdeverfahrens ist die Erstattungsfähigkeit der dem Kläger durch einen Anwaltswechsel während des Rechtsstreits entstandenen Mehrkosten. Zu diesem Anwaltswechsel war es gekommen, nachdem der zunächst beauftragte Prozessbevollmächtigte des Klägers seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurückgegeben hatte, um anstelle seines verstorbenen Vaters die Pflege seiner demenzkranken Mutter zu übernehmen.

Der Rechtspfleger des Landgerichts hat die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten auf insgesamt 4.454,98 EUR nebst Zinsen festgesetzt und hierbei die Kosten für einen zweiten Prozessbevoll-mächtigten für nicht erstattungsfähig gehalten. Das Oberlandesgericht hat die dagegen eingelegte Beschwerde des Klägers zurückgewiesen.

Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger den Anspruch auf Festsetzung der ihm insgesamt entstandenen Anwaltskosten weiter.

II.
Die aufgrund der Zulassung durch das Beschwerdegericht nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Festsetzung der bislang nicht berücksichtigten Anwaltskosten gegen die Beklagte.

1.
Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass es für die Frage, ob ein Wechsel in der Person des Rechtsanwalts eintreten musste (§ 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO), allein darauf ankomme, ob die Partei oder den Rechtsanwalt ein Verschulden an der Mandatsbeendigung treffe oder nicht. Gebe der erste Prozessbevollmächtigte wie hier aus freien Stücken die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurück, so liege die Notwen-digkeit der Bestellung eines weiteren Prozessbevollmächtigten allein in seinem Verantwortungsbereich und sei erstattungsrechtlich seinem Mandanten zuzurechnen.

2.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Nach § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind die durch einen Anwaltswechsel entstandenen Kosten für einen zweiten Prozessbevollmächtigten insoweit zu erstatten, als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. Das setzt voraus, dass weder die Partei noch den ersten Rechtsanwalt ein Verschulden an der Notwendigkeit des Anwaltswechsels trifft (Zöller/Herget, ZPO 29. Aufl. § 91 Rn. 13 Stichwort „Anwaltswechsel“; MünchKomm-ZPO/Giebel, 3. Aufl. § 91 Rn. 70; Musielak/Lackmann, ZPO 9. Aufl. § 91 Rn. 22).

a)
Es ist umstritten, wie unter diesem Gesichtspunkt die Aufgabe der Zulassung durch den zunächst beauftragten Rechtsanwalt zu beurteilen ist.

aa)
Nach überwiegender Auffassung ist ein Verschulden zu verneinen, wenn der Anwalt seine Zulassung aus achtenswerten Gründen aufgibt, es sei denn, dass dieser Umstand bereits bei der Mandatsübernahme absehbar war, weil der erste Anwalt, der seinen Mandanten hierüber nicht informiere, einem Schadensersatzanspruch ausgesetzt sei, der auch der Erstattungsfähigkeit der Gebühren entgegenstehe (so OLG Koblenz VersR 1992, 376; JurBüro 2006, 543; OLG Hamm NJW-RR 1996, 1343; MünchKomm-ZPO/Giebel aaO Rn. 73; Musielak/Lackmann aaO).

Teilweise wird allerdings vertreten, dass es zwar auf die Gründe der Zulassungsaufgabe ankommen soll, eine freiwillige Aufgabe der Zulassung aber grundsätzlich nicht notwendig sei (so Zöller/Herget aaO).

bb)
Nach anderer Ansicht soll es für die Erstattungsfähigkeit genügen, dass der erste Anwalt seine Zulassung aufgegeben hat und die Partei deshalb einen zweiten Rechtsanwalt beauftragen musste. Darauf, ob die Partei dem ersten Anwalt etwa unter Heranziehung von § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB oder § 326 BGB nichts zahlen müsse, komme es nicht an, weil materiell-rechtliche Fragen im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu prüfen seien (so OLG München JurBüro 2007, 596 unter Aufgabe der entgegengesetzten früheren Rechtsprechung in NJW-RR 2002, 353).

cc)
Dagegen vertritt das OLG Naumburg nicht nur den Standpunkt, dass die Wertung des § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB auch für die Erstattungsfähigkeit der entstandenen Gebühren gelte, sondern ist weiter der Meinung, dass der Anwalt seinen Gebührenanspruch verliere, soweit seine Leistungen für die Partei wegen Rückgabe der Zulassung wertlos seien, ohne dass es darauf ankomme, ob achtenswerte Gründe für diese Rückgabe vorliegen (OLGR Naumburg 2005, 438, 439).

b)
Zutreffend ist die zuerst genannte Auffassung.

aa)
Im Ausgangspunkt richtig ist die Ansicht des Oberlandesgerichts München, dass im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich nicht zu prüfen ist, ob die erstattungsberechtigte Partei ihrem Prozessbevollmächtigten die geltend gemachten Gebühren tatsächlich schuldet. Die Prüfung hat vielmehr unter rein prozessualen und gebührenrechtlichen Gesichtspunkten zu erfolgen. Materiellrechtliche Fragen und Ein-wände sind in diesem Verfahren regelmäßig nicht zu klären und zu berücksichtigen (Senatsbeschluss vom 22. November 2006 IV ZB 18/06, NJW-RR 2007, 422 Rn. 8 und 11); das betrifft im Allgemeinen auch die Frage, ob dem Gebührenanspruch des Prozessbevollmächtigten gegen seine Partei die Regelungen in § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB oder § 326 BGB entgegenstehen.

Dieser Grundsatz erfährt jedoch eine Einschränkung durch § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Nach dieser die Kostenerstattung regelnden Bestimmung ist im Kostenfestsetzungsverfahren zu klären, ob ein Wechsel in der Person des Anwalts eintreten musste, was nach dem Rechtsgedanken des § 85 Abs. 2 ZPO auch dann zu verneinen ist, wenn den zunächst beauftragten Prozessbevollmächtigten hieran ein Verschulden trifft. Die für die Beurteilung dieser Frage maßgeblichen Tatsachen sind somit auch dann zu prüfen, wenn und soweit sie zugleich eine materiell-rechtliche Einwendung gegen den Gebührenanspruch des Anwalts tragen können.

bb)
Es kommt daher für die Erstattungsfähigkeit auch im Falle ei-ner Rückgabe der Anwaltszulassung darauf an, ob dieser Umstand ein Verschulden begründet.

War die spätere Rückgabe der Zulassung bei der Erteilung des Mandats an den Anwalt noch nicht absehbar, so scheidet ein Verschulden der Partei selbst von vornherein aus. Das gilt ebenso, wenn die Rückgabe zwar für den Anwalt absehbar war, er aber die Partei hierüber nicht informierte.

Dagegen kommt ein Verschulden des Anwalts in Betracht, wenn er in einem solchen Fall die gebotene Information der Partei unterließ oder wenn er die Zulassung später aus nicht achtenswerten Gründen aufgegeben hat und deshalb das übernommene Mandat nicht zu Ende führen konnte. Liegen dagegen achtenswerte Gründe für die Rückgabe der Zulassung vor, so kann dieser Umstand dem Anwalt nicht als vorwerfbares Verschulden angelastet werden.

So liegt der Fall hier. Die Übernahme der Pflege der eigenen Mutter wegen Ausfalls der bisherigen Pflegeperson (hier Tod des Vaters) stellt auch wenn sie „aus freien Stücken“ geschieht einen anerkennenswerten Grund für die Aufgabe der Anwaltstätigkeit dar, und zwar auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass übernommene Mandate nicht zu Ende geführt werden können. Hierdurch entstehende Mehrkosten eines Prozesses sind von den Betroffenen hinzunehmen.

cc)
Der Erstattungsfähigkeit der Mehrkosten für einen zweiten Anwalt steht schließlich nicht entgegen, dass die freiwillige Aufgabe der Zulassung des Rechtsanwalts stets in den Risikobereich der von ihm vertretenen Partei fiele. Vielmehr ist dieses Risiko für den Fall eines nicht verschuldeten Anwaltswechsels durch die ausdrückliche Regelung in § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO der im Prozess unterlegenen Partei zugewiesen.

Vorinstanzen:
LG Cottbus, Entscheidung vom 12.07.2011, Az. 6 O 167/07
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 19.01.2012, Az. 6 W 102/11

I