BGH, Urteil vom 10.07.2014, Az. I ZR 188/12
§ 3 UWG, § 4 Nr. 11 UWG, § 43b BRAO
Der BGH hat entschieden, dass das Anschreiben einer auf den Anlegerschutz (Kapitalmarktrecht) spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei keinen Fall von unerlaubter Werbung im Einzelfall gemäß § 43b BRAO darstellt und dementsprechend auch nicht wettbewerbswidrig ist. Der Senat wies darauf hin, dass ein Werbeverbot nur bei einer durch eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls festzustellenden konkreten Gefährdung der von § 43b BRAO im Einklang mit dem Unionsrecht geschützten Interessen zu rechtfertigen sei, zu denen auch Verbraucherinteressen gehörten. Aus dem Erfordernis der konkreten Gefährdung dieser Interessen ergebe sich allerdings, dass sich ein Verbotsgrund im Einzelfall aus der Form, aus dem Inhalt oder aus dem verwendeten Mittel der Werbung ergeben müsse. Allein der Umstand, dass ein potentieller Mandant in Kenntnis von dessen konkretem Beratungsbedarf angesprochen werde, genüge diesen Anforderungen noch nicht. Zum Volltext der Entscheidung:
Bundesgerichtshof
Urteil
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10.07.2014 durch … für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 28. August 2012 aufgehoben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main 6. Kammer für Handelssachen vom 19. Juli 2011 wird insgesamt zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittel.
Tatbestand
Die Parteien sind als Rechtsanwälte im Bereich des Banken- und Kapitalmarktrechts tätig. Die Klägerin, eine eingetragene Partnerschaftsgesellschaft, vertritt Anleger der C. GbR (nachfolgend: Fondsgesellschaft).
Im Juli 2010 versandten die Beklagten an von ihnen nicht anwaltlich vertretene Gesellschafter der Fondsgesellschaft ein im Folgenden in Auszügen wiedergegebenes Schreiben:
Dürfen wir Sie bezüglich ihrer Kapitalanlage bei der C. GbR kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitten?
Wer wir sind und was wir tun:
Wir sind eine im Anlegerschutz seit vielen Jahren bundesweit tätige Anwaltskanzlei und vertreten Anleger, die ebenso wie Sie, Gesellschafter der C. GbR sind. Nachfolgend werden wir Ihnen unter Ziffer A zunächst wichtige Informationen über die C. GbR zukommen lassen, die Ihnen möglicherweise unbekannt sind. Unter Ziffer B möchten wir Sie um Informationen bitten, mit dem Ziel,
– für unsere Mandanten den sofortigen Ausstieg aus der Gesellschaft zu erreichen und
– Schadenersatz von den Vertriebsverantwortlichen, Initiatoren, usw.
zu fordern.
Sollten Sie bereits anwaltlich vertreten sein, geben Sie unser Schreiben bitte an Ihren Anwalt/Ihre Anwältin weiter. Eine Kontaktaufnahme ist zur gegenseitigen Weitergabe von Informationen und ggf. anwaltlicher Abstimmung ausdrücklich erwünscht.
A. Zu den Fakten:
Über 40 Risiken werden im Fondsprospekt genannt. Darunter das Totalverlustrisiko sowie das Risiko der persönlichen Haftung mit Ihrem Privatvermögen. Mit anderen Worten: Nicht nur das eingezahlte Geld kann verloren gehen. Darüber hinaus sind Sie unter Umständen zu weiteren Zahlungen verpflichtet, wenn die Gesellschaft Schulden hat. War Ihnen dies bekannt?
B. Zu unserer Vorgehensweise:
Wie wir erfahren haben, gibt es Bestrebungen, die Geschäftsführung des Fonds auszutauschen, mit dem Ziel der Abwicklung der Gesellschaft. Wir halten einen anderen Weg für richtig.
Warum:
Die Einberufung von Gesellschafterversammlungen, die Übernahme der Geschäftsführung usw. dauert viel zu lange, wobei Sie laufend weiter zahlen müssen. Der Ausgang der Abstimmung ist völlig ungewiss, insbesondere ist in keiner Weise klar, ob die erforderlichen Mehrheiten erreicht werden.
Unsere Empfehlung ist daher folgende:
1. Rechts- und formwirksame Kündigung, Anfechtung und Widerruf der Beitrittserklärung mit ausführlicher rechtlicher Begründung gegenüber der Gesellschaft.
2. Ggf. sofortige Aufnahme von Vergleichsverhandlungen mit dem Ziel des Ausstiegs aus der Gesellschaft.
3. Stellung von Schadenersatzansprüchen gegenüber den Verantwortlichen.
Um hier, für unsere Mandanten, weiterhin erfolgreich vorzugehen, benötigen wir weitere Informationen. Zu diesem Zweck haben wir einen Fragebogen beigefügt, mit der herzlichen Bitte, diesen ausgefüllt an uns zurückzusenden. Nach Auswertung der Fragebögen werden wir Sie dann mit weiteren Informationen versorgen, so dass Sie in der Lage sind Ihre unabhängige Entscheidung zu treffen. Bitte machen Sie sich die Mühe, den Fragebogen – Rückumschlag liegt bei – zurückzusenden. …
Dem Schreiben war ein Fragebogen beigefügt, in dem Name und Kontaktdaten eingetragen werden konnten und folgende Fragen gestellt wurden:
1. War Ihnen bekannt, dass die Firma I. mit dem Vertrieb der Beteiligung beauftragt war?
2. Wann hat die Vermittlung stattgefunden (Datum)?
3. Wo hat die Vermittlung stattgefunden? (Privatwohnung, Arbeitsplatz, Büro des Vermittlers)
4. Wurden Sie auf die Risiken der Anlage hingewiesen?
Die Klägerin ist der Ansicht, das Schreiben sei eine gemäß §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 43b BRAO unzulässige Werbung um die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall. Sie hat beantragt, es den Beklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen,
Anleger der C. GbR, die nicht zu ihren Mandanten gehören, wie folgt anzuschreiben:
Über 40 Risiken werden in dem Fondsprospekt genannt. Darunter das Totalverlustrisiko sowie das Risiko der persönlichen Haftung mit Ihrem Privatvermögen. Mit anderen Worten: nicht nur das eingezahlte Geld kann verloren gehen. Darüber hinaus sind sie unter Umständen zu weiteren Zahlungen verpflichtet, wenn die Gesellschaft Schulden hat.
und folgende Empfehlung abzugeben
1. Rechts- und formwirksame Kündigung, Anfechtung und Widerruf der Beitrittserklärung mit ausführlicher rechtlicher Begründung gegenüber der Gesellschaft.
2. Ggf. sofortige Aufnahme von Vergleichsverhandlungen mit dem Ziel des Ausstiegs aus der Gesellschaft.
3. Stellung von Schadensersatzansprüchen gegenüber den Verantwortlichen.
wie geschehen im Schreiben vom 20. Juli 2010.
Darüber hinaus hat die Klägerin die Beklagten auf Auskunft sowie – in der zweiten Stufe – auf Abführung der erzielten Gewinne in Anspruch genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagten antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt und die Berufung der Klägerin im Übrigen zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 43b BRAO zu. Das beanstandete Schreiben verstoße gegen das Werbeverbot gemäß § 43b BRAO. Eine Werbung sei auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall im Sinne dieser Vorschrift gerichtet, wenn der mögliche Mandant in einer bestimmten Angelegenheit der Beratung oder Vertretung bedürfe und der Rechtsanwalt dies wisse und zum Anlass seiner Werbung nehme. Mit Rücksicht auf den Schutzzweck des § 43b BRAO müsse hinzukommen, dass der Rechtsanwalt in einer oft als aufdringlich empfundenen Weise auszunutzen versuche, dass sich der Umworbene in einer Lage befinde, in der er auf Hilfe angewiesen sei und sich möglicherweise nicht frei für einen Anwalt entscheiden könne. Ob darüber hinaus eine konkrete Gefährdung der Schutzgegenstände des § 43b BRAO erforderlich sei, könne offen bleiben. Im Streitfall liege eine solche konkrete Gefährdung vor.
Die Wahlfreiheit des potentiellen Mandanten, der bei der Mandatserteilung nicht bedrängt oder überrumpelt werden solle, werde durch die Ausgestaltung des Schreibens beeinträchtigt. Ein verständiger und situationsadäquat aufmerksamer Leser des Schreibens müsse aus der gedrängten und auf das Totalverlustrisiko sowie auf das Risiko der persönlichen Haftung mit dem Privatvermögen fokussierten Darstellung den Eindruck gewinnen, dass auch in seinem Fall bereits ein erheblicher Schaden entstanden sei, der sich bald deutlich erhöhen werde, wenn er nicht den schon von anderen Anlegern beschrittenen Weg einschlage und umgehend anwaltliche Hilfe in Anspruch nehme, wofür sich die Beklagten anböten. Der Anleger werde durch die bewusste Verknappung der Informationen und die nur sehr eingeschränkt aussagekräftige Darstellung seiner eigenen Situation „wachgerüttelt“ und es würden Ängste geschürt. Er werde deshalb keine Alternative zu den von den Beklagten angebotenen Lösungen sehen, um rechtzeitig zu retten, was vom angelegten Geld noch zu retten sei, und um eine Haftung mit seinem übrigen Privatvermögen zu verhindern.
II.
Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des die Klage abweisenden erstinstanzlichen Urteils. Das beanstandete Schreiben verstößt nicht gegen § 43b BRAO. Es ist auch nicht aus anderen Gründen wettbewerbswidrig.
1.
Die Annahme des Berufungsgerichts, das Schreiben der Beklagten vom Juli 2010 verstoße gegen § 43b BRAO, hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a)
Gemäß § 43b BRAO ist Werbung einem Rechtsanwalt nur erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Bestimmung des § 43b BRAO jedenfalls seit dem 28. Dezember 2009 im Hinblick auf die Richtlinie 2006/123/EG vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt anhand des Maßstabs des Art. 24 der Richtlinie auszulegen. Ein Werbeverbot ist danach nur bei einer durch eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls festzustellenden konkreten Gefährdung der von § 43b BRAO im Einklang mit dem Unionsrecht geschützten Interessen gerechtfertigt, zu denen auch Verbraucherinteressen gehören (BGH, Urteil vom 13. November 2013 I ZR 15/12, BGHZ 199, 43 Rn. 14, 20 f. Kommanditistenbrief).
Aus dem Erfordernis der konkreten Gefährdung dieser Interessen ergibt sich, dass sich ein Verbotsgrund im Einzelfall aus der Form, aus dem Inhalt oder aus dem verwendeten Mittel der Werbung ergeben muss. Allein der Umstand, dass ein potentieller Mandant in Kenntnis von dessen konkretem Beratungsbedarf angesprochen wird, genügt diesen Anforderungen nicht (BGHZ 199, 43 Rn. 18 Kommanditistenbrief).
Ein Werbeverbot kann vielmehr nur zum Schutz des potentiellen Mandanten vor einer Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit durch Belästigung, Nötigung und Überrumpelung gerechtfertigt sein. Aus der gesetzlichen Anordnung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ergibt sich ferner, dass eine Interessenabwägung im Einzelfall vorzunehmen ist. Dabei sind neben der Beeinträchtigung der Unabhängigkeit, der Würde oder der Integrität der Rechtsanwaltschaft auch Art und Grad der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers durch Form, Inhalt oder das verwendete Mittel der Werbung zu berücksichtigen. Außerdem kommt es darauf an, ob und inwieweit die Interessen des Verbrauchers deshalb nicht beeinträchtigt sind, weil er sich in einer Situation befindet, in der er auf Rechtsrat angewiesen ist und ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung Nutzen bringen kann (BGHZ 199, 43 Rn. 21 Kommanditistenbrief).
b)
Nach diesen Grundsätzen ist das beanstandete Werbeschreiben der Beklagten nicht zu beanstanden.
aa)
Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, die Beklagten hätten in gedrängter Darstellung die Risiken des Totalverlustes und das Risiko der persönlichen Haftung der Gesellschafter hervorgehoben, lässt sich daraus keine hinreichend konkrete Beeinträchtigung der Interessen der Anleger entnehmen. Gerade in der Situation eines konkreten Beratungsbedarfs kann ein Interesse des Anlegers an einem Hinweis auf drohende Risiken bestehen.
bb)
Tatsächliche Umstände, die dafür sprechen können, dass die Entscheidungsfreiheit der angeschriebenen Anleger durch die Besonderheiten ihrer Situation oder durch die Art und Weise der werblichen Ansprache beeinträchtigt gewesen wären, liegen nicht vor. Die Annahme des Berufungsgerichts, der angeschriebene Anleger werde durch die bewusste Verknappung der Information und die nur eingeschränkt aussagekräftige Darstellung seiner eigenen Situation „wachgerüttelt“ und es würden Ängste geweckt und geschürt, so dass er keine Alternative sehen werde, als die von den Beklagten angebotenen Lösungen zu wählen, findet keine hinreichende Grundlage in dem beanstandeten Schreiben. Darin wird keine Situation geschildert, in der die Gefahr des Verlustes erheblicher Vermögenswerte unmittelbar droht und eine überlegte und informationsgeleitete Entscheidung für oder gegen das Angebot der Beklagten nicht mehr möglich ist oder nur unter erheblich erschwerten Bedingungen getroffen werden kann. Das beanstandete Schreiben ist in Form und Inhalt sachlich abgefasst. Belästigende oder bedrängende Elemente finden sich dort ebenso wenig wie Gesichtspunkte, die mit der Würde, Integrität und Unabhängigkeit des Berufsstandes des Rechtsanwalts nicht im Einklang stehen. Wie auch das Landgericht mit Recht hervorgehoben hat, wird in dem Schreiben im Schwerpunkt um Informationen des angeschriebenen Anlegers gebeten, die der Betreuung bereits bestehender Mandate der Beklagten dienen sollen. Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, dass die Übersendung des Fragebogens allein erfolgte, um einen Vorwand für die werbliche Ansprache der Anleger zu liefern, sind vom Berufungsgericht weder festgestellt worden noch ersichtlich. Die gestellten Fragen weisen vielmehr einen sachlichen Bezug zur Bearbeitung bereits erteilter Mandate auf. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Beklagten ausdrücklich die Alternative einer anderweitigen anwaltlichen Vertretung erwähnt und für diesen Fall die Möglichkeit einer Weiterleitung des Schreibens an diesen Rechtsanwalt angesprochen haben. Damit wird auch dem Eindruck entgegengewirkt, ausschließlich die Beklagten seien in der Lage, dem Anleger wirksam anwaltlich zu helfen. Gesichtspunkte, die im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung für eine überwiegende Beeinträchtigung der Interessen der angeschriebenen Anleger oder des Berufsstands der Rechtsanwälte sprechen, sind nach alledem nicht gegeben.
2.
Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass die Angaben in dem beanstandeten Schreiben irreführend gewesen wären oder dass die Beklagten gezielt in die Beziehung der Klägerin zu ihren Mandanten eingegriffen hätten. Anhaltspunkte dafür sind auch sonst nicht ersichtlich.
3.
Der Streitfall wirft keine entscheidungserheblichen Fragen zur Auslegung des Unionsrechts auf, die ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union erfordern. Hinsichtlich der Auslegung der fraglichen Bestimmungen der Richtlinie 2006/123/EG bestehen keine vernünftigen Zweifel (BGHZ 199, 43 Rn. 25 Kommanditistenbrief).
Dementsprechend ist auch keine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union veranlasst (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257, 1258 C.I.L.F.I.T.).
III.
Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil das Berufungsurteil nur wegen der Anwendung des Gesetzes auf den festgestellten Sachverhalt aufzuheben und die Sache nach diesem Sachverhalt zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.