BGH: Zur Warenähnlichkeit durch Vertrieb einander gegenüberstehender Produkte über dasselbe Unternehmen

veröffentlicht am 10. Januar 2024

BGH, Beschluss vom 12.10.2023, Az. I ZR 42/23
§ 14 Abs. 2 S. 2 und 3 MarkenG

Der BGH hat entschieden, dass bei der Frage der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit (Verwechselungsgefahr) alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren oder Dienstleistungen ausmachen. Hierzu sollen insbesondere die Art der Waren oder Dienstleistungen, ihr Verwendungszweck, ihre Nutzung sowie die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen gehören. In die Beurteilung einzubeziehen sei, so der Senat, auch, ob die Waren oder Dienstleistungen regelmäßig von denselben Unternehmen oder unter ihrer Kontrolle hergestellt oder erbracht würden oder ob sie beim Vertrieb Berührungspunkte aufwiesen, weil sie in denselben Verkaufsstätten angeboten würden. Von einer Unähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen könne indes nur dann ausgegangen werden, wenn trotz (unterstellter) Identität der Zeichen und erhöhter Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke die Annahme einer Verwechslungsgefahr wegen des Abstands der Waren oder Dienstleistungen von vornherein ausgeschlossen sei. Nach diesen Grundsätzen sei der Umstand, dass die einander gegenüberstehenden Produkte von denselben Unternehmen vertrieben würden und eine entsprechende Verkehrserwartung bestehe, einer von mehreren Umständen, der für die Beantwortung der Frage von Bedeutung sein kann, ob Warenähnlichkeit vorliege oder nicht. Zum Volltext der Entscheidung:


Bundesgerichtshof

Beschluss

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12.10.2023 durch … beschlossen:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 02.03.2023 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 75.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I. Die Beklagte ist Inhaberin der Unions-Wort-Bild-Marke Nr. 018024381 „Terra Greca“:

mit Priorität vom 18. Februar 2019, die unter anderem für folgende Waren der Klasse 29 eingetragen ist: Fleisch; Molkereiprodukte; Meeresfrüchte; Speiseöle und -fette; Suppen und Brühen, Fleischextrakte; Verarbeitetes Obst und Gemüse.

Die in Griechenland ansässige Klägerin stellt Nudelprodukte her, die sie nach Deutschland exportiert. Die Klägerin ist Inhaberin der Unions-Wort-Bild-Marke Nr. 018236425  „Terra Greca“


mit Priorität vom 8. Mai 2020, die unter anderem für Nudeln und andere Teigwaren (Waren der Klasse 30) eingetragen ist.

In einem Netto-Supermarkt wurden Nudelpackungen vertrieben, die auf der Vorder- und Rückseite mit der Marke der Klägerin gekennzeichnet waren. Die Beklagte mahnte deshalb am 5. November 2020 eine Abnehmerin der Klägerin wegen Verletzung ihrer älteren Marke ab. Die Klägerin hält die Abnehmerverwarnung für unberechtigt.

Die Klägerin hat in einem weiteren Verfahren von der Beklagten Unterlassung der Verwarnung ihrer Abnehmer wegen angeblicher Verletzung der Unionsmarke der Beklagten und/oder wegen angeblich wettbewerbswidriger vermeidbarer Herkunftstäuschung, unangemessener Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung der nachgeahmten Ware oder gezielter Behinderung begehrt. Außerdem hat sie Auskunft über den Umfang der versandten Verwarnungsschreiben und Ersatz außergerichtlicher Anwaltskosten verlangt. Der Senat hat in jenem Verfahren das die Klage abweisende Urteil des Berufungsgerichts (OLG Frankfurt, GRUR-RR 2023, 78) aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (BGH, Beschluss vom 13. Juli 2023 – I ZR 206/22, GRUR-RR 2023, 463 = WRP 2023, 1467).

Im vorliegenden Verfahren verlangt die Klägerin die Feststellung, dass der Beklagten die mit der Abmahnung vom 5. November 2020 geltend gemachten Ansprüche auch gegen sie selbst nicht zustehen und dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den daraus entstandenen Schaden und noch entstehenden Schaden zu ersetzen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, erstrebt die Klägerin eine Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

II. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klage sei mit ihrem Feststellungsantrag zu 1 unbegründet, weil die seitens der Beklagten ausgesprochene Abmahnung gegenüber der Abnehmerin der Klägerin wegen einer begangenen Markenverletzung berechtigt gewesen sei. Aus diesem Grund sei auch der auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten gerichtete Klageantrag zu 2 unbegründet. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Das auf der beanstandeten Nudel-Verpackung angebrachte Zeichen „Terra Greca“ sei geschäftlich verwendet und markenmäßig benutzt worden. Zwischen der Unionsbildmarke der Beklagten „Terra Greca“ und dem von der Abnehmerin der Klägerin verwendeten Wort-Bild-Zeichen „Terra Greca“ bestehe Verwechslungsgefahr gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. b UMV. Es sei zumindest eine geringe Warenähnlichkeit gegeben. Von absoluter Warenunähnlichkeit könne nicht ausgegangen werden. Die ältere Marke der Beklagten verfüge über durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Die einander gegenüberstehenden Zeichen seien in klanglicher Hinsicht identisch, sie würden phonetisch vom Wortbestandteil dominiert. Unterschiede in den Bildbestandteilen spielten keine entscheidende Rolle. Daher bestehe eine überdurchschnittliche Zeichenähnlichkeit. Die markenrechtlichen Ansprüche der Beklagten scheiterten auch nicht an der Schutzschranke des § 23 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG. Eine beschreibende Verwendung des angegriffenen Zeichens liege nicht vor. Die Klägerin mache ohne Erfolg geltend, die Beklagte mache ihre Markenrechte in rechtsmissbräuchlicher Weise geltend, weil ihr ein Benutzungswille fehle.

Auf die von der Beklagten lediglich hilfsweise geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Ansprüche komme es nicht an, weil die in erster Linie geltend gemachte Markenverletzung gegeben sei.

III. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht nur im Parallelverfahren, sondern auch im vorliegenden Verfahren in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, wenn ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden soll, im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2022 – I ZB 36/21, NJW-RR 2022, 1425 [juris Rn. 19] mwN).

2. Hieran gemessen hat das Berufungsgericht mit seiner von der landgerichtlichen Entscheidung abweichenden Beurteilung, es bestehe zwischen den einander gegenüberstehenden Zeichen der Parteien eine Verwechslungsgefahr gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. b UMV, das Gehörsrecht der Klägerin verletzt. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht mit Erfolg geltend, dass das Berufungsgericht Vortrag der Klägerin nicht berücksichtigt hat.

a) Das Berufungsgericht hat angenommen, entgegen der Ansicht des Landgerichts könne nicht von absoluter Warenunähnlichkeit ausgegangen werden. Für die Beurteilung der Warenähnlichkeit komme es – anders als im amtlichen Widerspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren – nicht auf einen Registervergleich an. Es sei auf der einen Seite zu berücksichtigen, für welche Waren die ältere Marke der Beklagten eingetragen sei (hier unter anderem Speiseöle und fette; Suppen und Brühen), auf der anderen Seite, für welche Waren das jüngere Zeichen in der konkreten Verletzungsform verwendet worden sei (hier Nudeln). Eine Ähnlichkeit werde allerdings nicht schon dadurch begründet, dass sich die gegenüberstehenden Waren unter den weiten Warenoberbegriff der „Lebensmittel“ fassen ließen. Andererseits gebe es keine strikte Trennung zwischen jedem einzelnen Nahrungsmittel. Es bestünden vielfach Überschneidungen von Lebensmittelarten, die nach den Erfahrungen des Verkehrs aus demselben Unternehmen stammen könnten. Nicht entscheidend sei, ob sich die gegenüberstehenden Waren unter den gemeinsamen Oberbegriff der „mediterranen Produkte“ fassen ließen. Es entspreche den Erfahrungen des Durchschnittsverbrauchers, der regelmäßig in Supermärkten einkaufe, dass Teigwaren wie Nudeln auch von Unternehmen vertrieben würden, die gleichzeitig Zutaten für Nudelgerichte wie Speiseöle oder Suppen, für die die ältere Marke eingetragen sei, im Angebot hätten (wie etwa Barilla, Knorr und Maggi). Es handele sich um einander ergänzende Waren. Insbesondere im Bereich der Konserven und Fertiggerichte seien Überschneidungen zwischen diesen Produkten gang und gäbe. Zudem hätten einige namhafte Herstellungsbetriebe unter derselben Marke sowohl Teigwaren als auch Soßen dazu im Angebot. Der Verkehr schließe daher nicht aus, dass auch Speiseöle und Suppen einerseits und Nudeln andererseits von demselben Unternehmen stammen könnten. Es sei deshalb zumindest von einer geringen Warenähnlichkeit auszugehen.

b) Mit dieser Begründung hat das Berufungsgericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin nicht berücksichtigt.

aa) Im Parallelverfahren hat das Berufungsgericht den Anspruch auf rechtliches Gehör der Klägerin dadurch verletzt, dass seine in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweise nicht hinreichend deutlich erkennen ließen, worauf es bei seiner Beurteilung der Warenähnlichkeit maßgeblich abstellen wollte (vgl. BGH, GRUR-RR 2023, 463 [juris Rn. 16 bis 18]). Im vorliegenden Verfahren war den Parteien das am 17. November 2022 ergangene Berufungsurteil in dem Parallelverfahren bekannt. Die Beklagte hat sich hierauf ausdrücklich berufen.

Die Klägerin hätte deshalb den Vortrag, den sie nach dem Vorbringen der Nichtzulassungsbeschwerde im Parallelverfahren gehalten hätte, wenn das Berufungsgericht seiner Hinweispflicht genügt hätte, im vorliegenden Verfahren halten können. Das hat sie nicht getan.

bb) Die Klägerin hat jedoch auf die von dem Urteil des Berufungsgerichts vom 17. November 2022 im Parallelverfahren abweichende Entscheidung des Amts der Europäischen Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) hingewiesen, die wenige Tage später, nämlich am 1. Dezember 2022 ergangen ist.

Die Beklagte hat beim EUIPO, gestützt auf ihre ältere Marke, einen Antrag auf Nichtigerklärung der prioritätsjüngeren Marke der Klägerin gestellt und dort das Vorliegen von Verwechslungsgefahr geltend gemacht. Diesen Antrag hat das EUIPO am 1. Dezember 2022 zurückgewiesen. Die Klägerin hat im vorliegenden Verfahren diese Entscheidung in englischer Sprache mit einer Übersetzung entscheidungserheblicher Passagen in die deutsche Sprache noch vor der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts vorgelegt und sich die Ausführungen des EUIPO ausdrücklich zu eigen gemacht.

Das EUIPO hat angenommen, es liege wegen absoluter Warenunähnlichkeit keine Verwechslungsgefahr vor. Bei den unter die Klagemarke fallenden Waren handele es sich um Nudelprodukte, die aus einer Mischung von Mehl, Eiern und Wasser in verschiedene Formen gebracht und anschließend gekocht würden. Dagegen gehörten zu den Waren der Beklagtenmarke hauptsächlich Lebensmittel tierischen Ursprungs sowie Gemüse und andere Gartenbauerzeugnisse, die zum Verzehr zubereitet und haltbar gemacht würden. Die Tatsache, dass Waren als Lebensmittel eingestuft werden könnten, reiche nicht aus, um sie als ähnlich anzusehen. Die Lebensmittelindustrie stelle Waren sehr unterschiedlicher Art her, zum Beispiel Waren tierischen oder pflanzlichen Ursprungs, die dazu bestimmt seien, bei verschiedenen Gelegenheiten und zu verschiedenen nZwecken verzehrt zu werden. Lebensmittel könnten von verschiedenen Unternehmen hergestellt werden, die auf einen bestimmten Bereich von Lebensmitteln spezialisiert seien, der besondere Produktionsanlagen und ein besonderes Know-how erfordere, auch wenn sie alle zur „Mittelmeerküche“ gehörten. Der Umstand, dass Lebensmittel in Supermärkten oder Lebensmittelabteilungen von Kaufhäusern verkauft würden, sei nicht ausschlaggebend. Den angesprochenen Verkehrskreisen sei bekannt, dass die dort verkauften Waren von einer Vielzahl unabhängiger Unternehmen stammen könnten. Der bloße Umstand, dass eine Zutat für die Zubereitung eines Lebensmittels benötigt werde, reiche in der Regel für die Annahme der Warenähnlichkeit nicht aus. Die einander gegenüberstehenden Waren seien einander unähnlich. Damit fehle es an einer Verwechslungsgefahr.

cc) Auf diesen Vortrag der Klägerin und die Erwägungen des EUIPO, die mit der Beurteilung des Berufungsgerichts im Parallelverfahren nicht in Einklang zu bringen sind, ist das Berufungsgericht in seinem im vorliegenden Verfahren ergangenen Urteil vom 2. März 2023 nicht eingegangen.

3. Diese Gehörsrechtsverletzung ist entscheidungserheblich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht die Frage, ob zwischen den einander gegenüberstehenden Marken Verwechslungsgefahr besteht, abweichend beurteilt hätte, wenn es den übergangenen Vortrag der Klägerin berücksichtigt hätte.

a) Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren oder Dienstleistungen kennzeichnen; hierzu gehören insbesondere die Art der Waren oder Dienstleistungen, ihr Verwendungszweck, ihre Nutzung sowie die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen. In die Beurteilung einzubeziehen ist, ob die Waren oder Dienstleistungen regelmäßig von denselben Unternehmen oder unter ihrer Kontrolle hergestellt oder erbracht werden oder ob sie beim Vertrieb Berührungspunkte aufweisen, weil sie in denselben Verkaufsstätten angeboten werden. Von einer Unähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen kann nur ausgegangen werden, wenn trotz (unterstellter) Identität der Zeichen und erhöhter Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke die Annahme einer Verwechslungsgefahr wegen des Abstands der Waren oder Dienstleistungen von vornherein ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 15. Oktober 2020 – I ZR 135/19, GRUR 2021, 724 [juris Rn. 26] = WRP 2021, 627 – PEARL/PURE PEARL, mwN). Nach diesen Grundsätzen ist der Umstand, dass die einander gegenüberstehenden Produkte von denselben Unternehmen vertrieben werden und eine entsprechende Verkehrserwartung besteht, einer von mehreren Umständen, der für die Beantwortung der Frage von Bedeutung sein kann, ob Warenähnlichkeit vorliegt oder nicht.

b) Der Umstand, dass die Entscheidung des EUIPO bislang nicht rechtskräftig geworden ist, entbindet das Berufungsgericht – entgegen der Ansicht der Beschwerdeerwiderung – nicht von seiner Verpflichtung, dessen Beurteilung zur Kenntnis zu nehmen und seine eigene hiervon abweichende Beurteilung einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Für eine Berücksichtigung einer abweichenden Entscheidung des EUIPO besteht im Streitfall selbst dann Veranlassung, wenn eine solche im Registerverfahren ergangene (rechtkräftige) Entscheidung des EUIPO keine Bindungswirkung für Verletzungsverfahren der Gerichte der Mitgliedstaaten hätte (zur fehlenden Bindung des EUIPO an die rechtskräftige, in einem Verletzungsverfahren ergangene Entscheidung eines Unionsmarkengerichts vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juli 2017 – C-226/15, GRUR-RR 2016, 328 [juris Rn. 50 bis 64] – Apple and Pear Australia und Star Fruits Diffusion/EUIPO [English pink/PINK LADY]). Das EUIPO hat seine Beurteilung fehlender Warenähnlichkeit näher begründet. Diese Argumente hat sich die Klägerin ausdrücklich zu eigen gemacht, ohne dass sich das Berufungsgericht hiermit auseinandergesetzt hätte.

c) Die unterschiedlichen Maßstäbe bei der Prüfung der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen im Verletzungs- und Registerverfahren stehen im Streitfall einer Berücksichtigung der Erwägungen des EUIPO nicht entgegen.

aa) Zwar ist im Verletzungsverfahren für die Frage der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit bei eingetragenen Marken grundsätzlich nicht darauf abzustellen, für welche Waren oder Dienstleistungen die ältere Marke tatsächlich benutzt wird, sondern auf die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke eingetragen ist; bei dem angegriffenen Zeichen sind diejenigen Waren oder Dienstleistungen einzubeziehen, für die es benutzt worden ist (vgl. BGH, GRUR 2021, 724 [juris Rn. 43] – PEARL/PURE PEARL, mwN). Im Registerverfahren ist demgegenüber grundsätzlich auf die Waren- und Dienstleistungsverzeichnisse der einander gegenüberstehenden Zeichen abzustellen.

bb) Diese unterschiedlichen Maßstäbe wirken sich vorliegend im Ergebnis nicht aus. Im vorliegenden Verletzungsverfahren kommt es maßgeblich auf die Verwendung der angegriffenen Marke der Klägerin für Nudeln einerseits und das Warenverzeichnis der Marke der Beklagten andererseits an. Das EUIPO hat bei seiner Annahme absoluter Warenunähnlichkeit bei der Marke der Klägerin entscheidend ebenfalls auf Nudelprodukte und bei der Marke der Beklagten auf das Warenverzeichnis abgestellt.

d) Es ist danach nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung der Entscheidung des EUIPO zu einer abweichenden Beurteilung gelangt wäre.

IV. Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Vorinstanzen:
LG Frankfurt a.M., Urteil vom 12.10.2021, Az. 3-10 O 112/20
OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 02.03.2023, Az. 6 U 305/21

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