BVerfG, Urteil vom 17.09.2012, Az. 1 BvR 2979/10
Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 103 Abs. 1 GG
Das BVerfG hat entschieden, dass die Bezeichnung eines Forennutzers im Internet als u.a. „rechtsradikal“ als Werturteil einzustufen ist und damit der Meinungsäußerungsfreiheit unterfällt, sofern die Äußerung nicht als Schmähkritik zu klassifizieren ist. Letzteres sei nur dann der Fall, wenn kein Sachbezug zur Diskussion mehr gegeben sei, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe. Im letzteren Fall gehe das Allgemeine Persönlichkeitsrecht vor. Vorliegend wies das Werturteil durch das diskutierte Thema jedoch sehr wohl noch Sachbezug auf, so dass der Kläger gegen das dagegen ausgesprochene gerichtliche Verbot vorgehen durfte. Zum Volltext der Entscheidung:
Bundesverfassungsgericht
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des …,
gegen
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 30. November 2010 – 4 U 109/10 -,
b) das Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg vom 25. Oktober 2010 – 4 U 109/10 -,
c) das Endurteil des Landgerichts Würzburg vom 19. Mai 2010 – 21 O 179/10 –
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch … am 17. September 2012 einstimmig beschlossen:
Das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 19. Mai 2010 – 21 O 179/10 – und das Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg vom 25. Oktober 2010 – 4 U 109/10 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Urteile werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Würzburg zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Gründe
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen zivilgerichtliche Entscheidungen in einem äußerungsrechtlichen Fall. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.
1.
Der Beschwerdeführer und Beklagte des Ausgangsverfahrens ist Rechtsanwalt. Der Kläger des Ausgangsverfahrens, ebenfalls ein Rechtsanwalt (im Folgenden: Kläger), beschäftigt sich auf seiner Kanzleihomepage und in Veröffentlichungen in Zeitschriften mit politischen Themen. So verfasste er mit einem Co-Autor den Text „Die schleichende Revolution der Kosmokraten“, in dem es um die angeblich die Welt beherrschende Gruppe von „Kosmokraten“ geht. Darin heißt es:
Bis heute sind es aber zumeist die superreichen Familien Englands, Frankreichs und Hollands – größtenteils khasarische, also nicht-semitische Juden -, die das Wirtschaftsgeschehen in der Welt bestimmen.
In einem weiteren Artikel mit dem Titel „Art. 146 GG – Die Mär der gesamtdeutschen Verfassung“ befasst sich der Kläger mit dem „transitorischen Charakter“ des Grundgesetzes. Dort heißt es:
Das Grundgesetz ist lediglich ein ordnungsrechtliches Instrumentarium der Siegermächte.
In einem Diskussionsforum im Internet (www.antivegan.de/forum) setzte sich der Beschwerdeführer mit diesen Veröffentlichungen unter dem Pseudonym „pünktchen“ unter einer Rubrik, die den Namen des Klägers nennt, auseinander und nannte sie „rechtslastigen Dreck“. Nachdem der Kläger unter Androhung rechtlicher Schritte die Löschung dieser Formulierung gefordert hatte, äußerte sich der Beschwerdeführer in dem Forum wie folgt:
Wieso? Ich finde nun mal, dass Sie rechten Dreck verbreiten. Ich habe oben auch belegt, was ich damit konkret meine. …
Zu dem Artikel „Die Mär von der gesamtdeutschen Verfassung“ schrieb der Beschwerdeführer in dem Forum:
Er liefert einen seiner typischen rechtsextremen originellen Beiträge zur Besatzerrepublik BRD, die endlich durch einen bioregionalistisch organisierten Volksstaat zu ersetzen sei.
Ein Unterlassungsbegehren wies der Beschwerdeführer zurück und führte in einem Schreiben an den Kläger aus:
Wer wie Sie meint, die Welt werde im Grunde von einer Gruppe khasarischer Juden beherrscht, welche im Verborgenen die Strippen ziehen, muss es sich gefallen lassen, rechtsradikal genannt zu werden.
Dieses Schreiben stellte der Beschwerdeführer einem begrenzten Kreis von Nutzern im Internet zur Verfügung. In diesen Kreis ist allerdings ein „Hacker“ eingebrochen.
2.
Das Landgericht verurteilte mit angegriffenem Urteil den Beschwerdeführer dazu, es zu unterlassen,
in Bezug auf den Kläger wörtlich oder sinngemäß zu behaupten oder die Behauptung verbreiten zu lassen, dass er rechtsextreme Beiträge verfasst, und/oder dass sich sein Denken vom klassisch rechtsradikalen verschwörungstheoretischen Weltbild nicht wirklich unterscheidet, und/oder dass er es sich gefallen lassen muss, rechtsradikal genannt zu werden.
Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass die umstrittenen Äußerungen jeweils einen widerrechtlichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers darstellten. Die Behauptung, jemand verfasse rechtsextreme Beiträge, und damit sinngemäß die Unterstellung, jemand sei rechtsradikal, stelle nur dann keinen Eingriff dar, wenn sich diese Behauptung zutreffend beweisen lasse beziehungsweise unter dem Schutz des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG stehe. Beide Voraussetzungen seien nicht erfüllt.
Da der Kläger sich nicht einer überlegenen Gruppe von Menschen zuordne und die Gruppe von Menschen mit großem wirtschaftlichem Einfluss nicht als minderwertige Gruppe bewerte, sei nicht erwiesen, dass die Beiträge rechtsextreme Beiträge seien. Die erforderliche Interessenabwägung falle zu Ungunsten des Beschwerdeführers aus. Diese Ausführungen seien auch auf die zweite und dritte in Frage stehende Meinung des Beschwerdeführers zu übertragen.
3.
Das Oberlandesgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers mit angegriffenem Urteil zurück. Es führt aus, dass es sich bei den beanstandeten Äußerungen um Meinungsäußerungen handele, weil es einer Wertung bedürfe, ob ein Text rechtsradikale Züge trage, beziehungsweise von einem rechtsextremen Gedankengut getragen sei. Eine solche Wertung sei einem Beweis nicht zugänglich. Grob gesagt sei die Grenze der zulässigen Meinungsäußerung bei der sogenannten Schmähkritik erreicht. Hier handele es sich um Schmähkritik, weil der Beschwerdeführer den Kläger ohne jeden nachvollziehbaren Hintergrund aus völlig anderen Motiven als denen einer sachlichen Auseinandersetzung als rechtsradikal habe brandmarken wollen.
4.
Mit angegriffenem Beschluss wies das Oberlandesgericht die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers mit der Begründung zurück, dass die Gründe des Urteils die Ausführungen des Beschwerdeführers nicht außer Acht ließen.
5.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit und einen Gehörsverstoß.
Der Kläger habe sich öffentlich zu wesentlich das Gemeinwohl betreffenden Fragen geäußert. Für die vom Beschwerdeführer daran geäußerte Kritik spreche eine Vermutung der Zulässigkeit. An die Bewertung einer Äußerung als Schmähkritik seien strenge Maßstäbe anzulegen. Die inkriminierten Äußerungen hätten konkrete Bezugspunkte. Das Oberlandesgericht verkenne, dass es keines speziellen Anlasses bedürfe, sich zu öffentlich geäußerten Ansichten seinerseits kritisch zu äußern.
Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil das Oberlandesgericht den Vortrag des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen und sich nicht mit ihm auseinandergesetzt habe.
6.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens hat sich zu der Verfassungsbeschwerde geäußert und hält sie für unzulässig und unbegründet. Die Bayerische Staatsregierung hat keine Stellungnahme abgegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
1.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Urteile verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
a)
Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen (vgl. BVerfGE 85, 1 <15>). Tatsachenbehauptungen werden durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert und sind der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich (vgl. BVerfGE 94, 1 <8>). Meinungen sind dagegen durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt (vgl. BVerfGE 85, 1 <14>).
Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. BVerfGE 85, 1 <14>).
Bei den beanstandeten Äußerungen handelt es sich um Meinungsäußerungen, denn es ist nicht durch eine Beweiserhebung festzustellen, wann ein Beitrag „rechtsextrem“ ist, wann sich ein Denken vom „klassisch rechtsradikalen verschwörungstheoretischen Weltbild“ unterscheidet und wann man „es sich gefallen lassen muss, rechtsradikal genannt zu werden“.
Das Urteil des Landgerichts ist fehlerhaft, weil es die erste Äußerung offenbar als erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung einordnet und somit aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausfallen lässt. Die dennoch durchgeführte Abwägung vermag den Fehler nicht zu heilen, weil sie wesentliche Aspekte nicht berücksichtigt und das Landgericht deswegen den Einfluss des Grundrechts der Meinungsfreiheit nicht ausreichend beachtet hat (siehe unten, Ziff. 1b). Aus dem gleichen Grund greift die von dem Landgericht durchgeführte Abwägung auch hinsichtlich der beiden anderen beanstandeten Äußerungen zu kurz (siehe unten, Ziff. 1b).
Zunächst zutreffend qualifiziert demgegenüber das Oberlandesgericht alle drei Äußerungen als Meinungsäußerungen.
Fehlerhaft ist dann aber, dass das Oberlandesgericht die Äußerungen als Schmähkritik einstuft und damit ebenfalls aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausfallen lässt. Verfassungsrechtlich ist die Schmähung eng definiert. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt (vgl. BVerfGE 93, 266 <294>). Eine Schmähkritik ist dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 <284>). Dies kann hier aber nicht angenommen werden. Alle Äußerungen haben einen Sachbezug. Die erste Äußerung bezieht sich auf den Text des Klägers „Die schleichende Revolution der Kosmokraten“, die zweite Äußerung auf den Text „Art. 146 – Die Mär von der gesamtdeutschen Verfassung“, und die dritte Äußerung stammt aus einem vorprozessualen Schriftsatz und bezieht sich auf den Unterlassungsanspruch.
b)
Verfassungsrechtlich geboten war also eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers.
Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist nämlich nicht vorbehaltlos gewährt. Es findet seine Schranke in den allgemeinen Gesetzen, zu denen die hier von den Gerichten angewandten Vorschriften der § 823 Abs.1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gehören.
Durch die Attribute „rechtsextrem“ und „rechtsradikal“ ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers berührt. Denn mit ihnen ist eine Prangerwirkung verbunden, die geeignet ist, das Ansehen einer Person – zumal als Rechtsanwalt – in der Öffentlichkeit herabzusetzen. Sie kann zu einer einen Rechtsanwalt in seiner Existenz gefährdenden Bedrohung werden.
Das Ergebnis der Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BVerfGE 85, 1 <16>; 99, 185 <196>). Das Bundesverfassungsgericht ist auf eine Nachprüfung begrenzt, ob die Zivilgerichte den Grundrechtseinfluss ausreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 101, 361 <388>).
In die Abwägung wird vorliegend einzustellen sein, dass der Kläger weder in seiner Intim- noch in seiner Privatsphäre betroffen ist, sondern allenfalls in seiner Sozialsphäre. Dagegen ist die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers im Kern betroffen, weil ihm die Äußerung seiner Meinung gerichtlich untersagt wurde. Die Verurteilung zur Unterlassung einer Äußerung muss aber im Interesse des Schutzes der Meinungsfreiheit auf das zum Rechtsgüterschutz unbedingt Erforderliche beschränkt werden (vgl. BVerfGK 2, 325 <329>). Der Kläger hat seine Beiträge öffentlich zur Diskussion gestellt. Dann muss zur öffentlichen Meinungsbildung auch eine echte Diskussion möglich sein. Derjenige, der sich mit verschiedenen Stellungnahmen in die öffentliche Diskussion eingeschaltet hat, muss eine scharfe Reaktion grundsätzlich auch dann hinnehmen, wenn sie sein Ansehen mindert (vgl. BVerfGE 54, 129 <138>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. April 1999 – 1 BvR 2126/93 -, NJW 1999, S. 2358). Gegen die Meinung des Beschwerdeführers könnte sich der Kläger im Meinungskampf seinerseits wieder öffentlich zur Wehr setzen.
2.
Für einen Gehörsverstoß sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Diesbezüglich wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Von einer weiteren Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
3.
Das besondere Gewicht der Grundrechtsverletzung ist durch die Verkennung des durch die Meinungsfreiheit gewährten Schutzes indiziert (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>).
4.
Die angegriffenen Urteile beruhen auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.
5.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
6.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für die Verfassungsbeschwerdeverfahren beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.