EuGH: Das Verbot, ein gerichtliches Verfahren anzustrengen, weil Schiedsklausel besteht, ist unwirksam

veröffentlicht am 25. Februar 2009

EuGH, Urteil vom 10.02.2009, Az. C?185/07
EG-VO Nr. 44/2001 (EuGVVO)

Der EuGH hat entschieden, dass ein gerichtliches Verbot, ein Gerichtsverfahren in einem anderen Vertragsstaat der EU einzuleiten oder fortzuführen, weil ein solches Verfahren gegen eine Schiedsvereinbarung verstößt, nicht vereinbar ist mit der EG-Verordnung Nr. 44/2001 (? Klicken Sie bitte auf diesen Link, der JavaScript verwendet: EuGH). Zum Sachverhalt: Im August 2000 kollidierte ein der Firma West Tankers gehörendes Tankschiff, welches von der italienischen Firma Erg Petroli SpA gechartert worden war, in einem italienischen Hafen mit einer der Firma Erg gehörenden Mole und verursachte dort erhebliche Schäden. Für den Chartervertrag des Tankers war die Geltung des englischen Rechts vereinbart worden, und er enthielt eine Schiedsklausel, die ein Schiedsverfahren in London vorsah. Die Versicherungen der Firma Erg, Allianz und Generali, beglichen den Schadensersatz in Höhe der Versicherungssumme.  Die Versicherungen erhoben am 30.07.2003 eine Klage gegen die Firma West Tankers vor einem für den Hafenbereich zuständigen italienischen Gericht, um die von ihnen an die Firma Erg gezahlten Beträge zurückzuerlangen. Die Versicherungen argumentierten, sie seien qua gesetzlichem Forderungsübergang nach Art. 1916 des italienischen Zivilgesetzbuchs in die Rechte der Firma Erg eingetreten. West Tankers erhob dagegen die Einrede der Unzuständigkeit des genannten Gerichts wegen der geschlossenen Schiedsvereinbarung.

Im Gegenzug leitete die Firma West Tankers
am 10.09.2004 ein Verfahren vor dem britischen High Court of Justice ein, mit dem Feststellungsantrag, dass nach der geschlossenen Schiedsvereinbarung ihr Rechtsstreit mit Allianz und Generali dem Schiedsverfahren zu unterwerfen sei. West Tankers beantragte weiterhin den Erlass einer Anordnung, mit der es Allianz und Generali untersagt werden sollte, sich eines anderen Verfahrens als des Schiedsverfahrens zu bedienen und das vor dem Tribunale di Siracusa eingeleitete Verfahren fortzuführen (im Folgenden: „anti?suit injunction“). Mit Urteil vom 21.03.2005 gab der High Court of Justice den Anträgen von West Tankers statt und erließ gegen Allianz und Generali die beantragte „anti-suit injunction“. Allianz und Generali legten gegen das Urteil Rechtsmittel zum House of Lords ein. Sie machen geltend, der Erlass einer solchen Anordnung widerspreche der Verordnung Nr. 44/2001. Das House of Lords wiederum setzte das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vor: „Ist es mit der Verordnung Nr. 44/2001 vereinbar, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats eine Entscheidung erlässt, wonach eine Person es zu unterlassen hat, ein Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat einzuleiten oder fortzuführen, weil ein solches Verfahren gegen eine Schiedsvereinbarung verstößt?

Der europäische Gerichtshof entschied: Einem für die Entscheidung über einen Rechtsstreit normalerweise nach Art. 5 Nr. 3 der EG-VO Nr. 44/2001 zuständigen Gericht eines Mitgliedstaats würde durch eine „anti-suit injunction“ die Befugnis genommen, gemäß der Verordnung Nr. 44/2001 über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden. Eine „anti-suit injunction“ widerspreche auch dem Vertrauen, das die Mitgliedstaaten gegenseitig ihren Rechtssystemen und Rechtspflegeorganen entgegenbrächten und welches auf dem Zuständigkeitssystem der Verordnung Nr. 44/2001 beruhe. Schließlich könnte sich, wenn das angerufene italienische Gericht durch eine „anti-suit injunction“ daran gehindert wäre, selbst die Vorfrage der Gültigkeit oder Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung zu prüfen, eine Partei dem Verfahren einfach dadurch entziehen, dass sie sich auf diese Schiedsvereinbarung beruft, und der Kläger wäre in der Folge einer Form des gerichtlichen Rechtsschutzes beraubt, auf die er Anspruch hat.

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