KG Berlin, Urteil vom 22.09.2011, Az. 10 U 131/10
§ 823 Abs. 1 BGB, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, Art. 2 Abs. 1 GG
Das KG Berlin hat entschieden, dass heimlich in den Arbeitsstätten einer Großbäckerei aufgenommenes Filmmaterial nicht ohne vorherige Einwilligung des betreffenden Unternehmens öffentlich ausgestrahlt werden darf. Vorliegend wurde vom Senat vor allem bemängelt, dass das Filmmaterial nicht geeignet war, die behaupteten Hygienemängel innerhalb der Bäckerei zu belegen. Zum Volltext der Entscheidung:
Kammergericht Berlin
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
gegen
…
hat der 10. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Eißholzstraße 30-33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 22.09.2011 durch … für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Antragstellerin wird das am 08.07.2010 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 270341/10 – geändert:
Über den Tenor zu Ziff. 1) des angefochtenen Urteils hinaus wird die einstweilige Verfügung des Landgerichts vom 14.05.2010 auch bestätigt, soweit der Antragsgegnerin bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an der Geschäftsführung untersagt worden ist,
den Beitrag über die Antragsgegnerin aus der Sendung … vom 22.03.2010 zu veröffentlichen und / oder zu verbreiten und / oder diese Handlungen durch Dritte vorehmen zu lassen, soweit darin heimlich aufgenommene Bildnisse aus den der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Betriebsräumen der Antragstellerin gezeigt werden,
zu veröffentlichen und / oder zu verbreiten und / oder diese Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen:
„Auch um die Hygiene sei es bei … schlecht bestellt, sagt sie.
Also geputzt, so richtig doll geputzt, wenn eigentlich nur, wenn sich das Gesundheitssamt angekündigt oder irgendwelche hohen Besuche, die sich denn die Firma anschauen, aber ansonsten viel mit Schimmel oder wenn in der Kühlung etwas runter fällt Ei oder so zehn Liter denn ist egal, bleibt liegen, das interessiert überhaupt keinen das mal weg zu machen.“
[Anmerkung: Die Aussage ist exakt in diesem Wortlaut Bestandteil des Urteilstenors.]
Die Kosten des Verfahrens erster Instanz tragen die Parteien wie folgt:
Von den Kosten des Anordnungsverfahrens tragen die Antragstellerin 3/10 und die Antragsgegnerin 7/10.
Von den Kosten des Widerspruchsverfahrens tragen dies Antragstellerin 2/9 und die Antragsgegnerin 7/9.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Antragstellerin 1/3 und die Antragsgegnerin 2/3.
Gründe
(Ohne Tatbestand, §§ 313a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO.)
Die zulässige Berufung der Antragstellerin hat in der Sache Erfolg. Der Antragstellerin stehen die nach teilweiser Berufungsrücknahme noch geltend gemachten Unterlassungsansprüche aus §§ 1004 Abs. 1 Satz 2, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG gegen die Antragsgegnerin zu.
1.
Die Antragstellerin kann die Unterlassung erneuter Verbreitung heimlich aufgenommener Bildnisse aus ihren der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Betriebsräumen verlangen. Die Abwägung der betroffenen Grundrechtspositionen aus Art. 12 Abs. 1, 13 GG und Art. 5 Abs. 1 GG ergibt, dass die Veröffentlichung der entsprechenden Filmaufnahmen in der Sendung „…“ vom 22.03.2010 rechtswidrig ist.
a)
Soweit sich die Antragstellerin als juristische Person gegen die Veröffentlichung von Filmaufnahmen ihrer Betriebsstätte wendet, ist zwar nicht der verfassungsrechtliche Schutzbereich ihres Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG) betroffen, da der grund rechtliche Schutz von Bildnissen grundsätzlich die Abbildung einer Person voraussetzt. Jedoch sind ihre Grundrechte aus Art. 13 GG und Art. 12 Abs. 1 GG betroffen (vgl. BVerfG, NJW 2005,883). Der Hausrechtsinhaber muss es grundsätzlich nicht hinnehmen, dass gegen seinen Willen Filmaufnahmen gefertigt werden. Allerdings sind heimliche Filmaufnahmen in nicht öffentlich zugänglichen Betriebsräumen auch nicht generell verboten. Es ist vielmehr abzuwägen (vgl. BVerfG, BVerf~E 66, 116; KG, NJW 2000, 2210; OLG Hamm, OLGR Hamm 2004, 342).
Dem Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit dabei kommt um so größeres Gewicht zu, je mehr es sich um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt. Von wesentlicher Bedeutung ist auch das Mittel, durch welches ein solcher Zweck verfolgt wird. Die Veröffentlichung durch Täuschung widerrechtlich beschaffter Informationen indiziert in der Regel einen nicht unerheblichen Eingriff in den Bereich des Betroffenen. Darüber hinaus entsteht ein schwerwiegender Widerspruch mit der Unverbrüchlichkeit des Rechts, einer Grundvoraussetzung der Rechtsordnung. Bei dieser Sachlage hat die Veröffentlichung grundsätzlich zu unterbleiben. Eine Ausnahme kann nur gelten, wenn die Bedeutung der Information für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und für die öffentliche Meinungsbildung eindeutig die Nachteile überwiegt, welche der Rechtsbruch für den Betroffenen und die Geltung der Rechtsordnung nach sich zieht. Das wird in der Regel dann nicht der Fall sein, wenn die widerrechtlich beschaffte Information Zustände oder Verhaltensweisen offenbart, die ihrerseits nicht rechtswidrig sind. Denn dies deutet darauf hin, dass es sich nicht um Missstände von erheblichem Gewicht handelt, an deren Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht (BVerfGE 66, 116, 139).
b)
Nach diesen Grundsätzen muss die Antragstellerin die erneute Veröffentlichung der Filmaufnahmen nicht hinnehmen. Die Aufnahmen dokumentieren keine Missstände, an deren Aufdeckung ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht.
An der medialen Darstellung prekärer Arbeitsverhältnisse in Unternehmen („Dumpingbedingungen“) besteht zwar ein erhebliches öffentliches Interesse. Diese Bedingungen werden durch die heimlich gefertigten Aufnahmen jedoch nicht dokumentiert. Die Antragsgegnerin stützt ihre Darstellung insoweit auf Interviews, die nicht heimlich im Betrieb der Antragstellerin aufgenommen worden sind. Dass der verdeckt recherchierende Journalist ohne Bezahlung arbeiten musste, wird durch die Aufnahmen nicht belegt. Belegt wird nur, dass er überhaupt im Betrieb der Antragstellerin gearbeitet hat. Die gewünschte „plastische Darstellung der Wirkungsstätten“ der Mitarbeiter rechtfertigt die Verbreitung der Aufnahmen nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht. Dass die hygienischen Verhältnisse im Betrieb der Antragstellerin unmittelbare Folge der „Dumpingbedingungen“ seien, ist weder schlüssig vorgetragen, noch ersichtlich. Aus der für die Arbeitnehmer ungünstigen Gestaltung der Arbeitsverhältnisse kann nicht auf die Nichteinhaltung von Hygienestandards geschlossen werden.
Die Aufnahmen dokumentieren auch keine Hygienemängel von erheblichem Gewicht. Das Auftreten von Mäusen in einer Bäckerei (Minute 6:10) ist zwar unappetitlich, belegt aber nicht ein rechtswidriges Verhalten der Antragstellerin. Mäuse können auch vorhanden sein, wenn Hygienestandards eingehalten werden. Das Unterlassen des Händewaschens nach dem Toilettengang ist auf den Aufnahmen ab Minute 6:37 nicht zu sehen. Woraus sich ergeben soll, dass das Tragen von Handschuhen verpflichtend ist, legt die Antragsgegnerin nichtdar. Die Aufnahmen ab Minute 7:24 zeigen nur, wie sich der Journalist die Hände in dem Eimer wäscht. Ein visueller Beleg für eine entsprechende Betriebspraxis wird damit nicht erbracht. Das Verhalten des Mitarbeiters, der auf eine Kiste klettert und dabei Backwaren mit seinen Schuhen berührt (Minute 7:43) verstößt zwar gegen Hygienevorschriften. Allerdings steht, wie sich aus der eidesstattlichen Versicherungen der Mitarbeiter und (Anlagen ASt 12 und 13) ergibt, nicht fest, dass das zu beanstandende Verhalten üblicher Praxis entspricht und von der Betriebsleitung toleriert wird. Die Aufnahmen dokumentieren nur einen einzelnen Verstoß eines einzelnen Mitarbeiters.
2.
Die Antragstellerin kann auch die Unterlassung erneuter Verbreitung der folgenden Äußerung verlangen: „Auch um die Hygiene sei es bei schlecht bestellt, sagt sie. Also geputzt, so richtig doll geputzt, wenn eigentlich nur, wenn sich das Gesundheitsamt angekündigt oder irgendwelche hohen Besuche, die sich denn die Firma anschauen aber ansonsten viel mit Schimmel oder wenn in der Kühlung etwas runter fällt Ei oder so zehn Liter denn ist egal, bleibt liegen, das interessiert überhaupt keinen das mal weg zu machen.“
Dass die mitgeteilten Tatsachen zum Vorhandensein von Schimmel und Liegenlassen zu Boden gefallener Backzutaten wahr seien, hat die dafür darlegungs- und beweisbelastete Antragsgegnerin (§ 186 StGB entsprechend) nicht glaubhaft gemacht. Die Filmaufnahmen dokumentieren die geschilderten Hygienemängel nicht. Die eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin (Anlagen AG 3) betrifft andere Sachverhalte. Frau … – die in dem Beitrag zitiert wird – hat ihre Aussagen zwar an Eides statt versichert. Dem stehen jedoch die eidesstattlichen Versicherungen der Reinigungskräfte (Anlagen ASt 25 ff.) sowie des Betriebsleiters gegenüber.
Etwaige Beanstandungen des Gesundheitsamts tragt die Antragsgegnerin nicht vor. Für die Entscheidung ist daher von einem non-liquet auszugehen.
3.
Die Kostenentscheidung folgt §§ 91 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO.