KG Berlin: Zur Zuständigkeit deutscher Gerichte bei AGB-Klagen gegen ausländische Unternehmen

veröffentlicht am 31. August 2022

KG Berlin, Beschluss vom 04.08.2016, Az. 23 U 94/15
§ 308 BGB, § 309 BGB, Art. 5 Nr. 3 Brüssel-I-Verordnung, Art. 5 Abs. 2 EGV 593/2008, Art. 6 Abs. 1 lit. b EU-VO 593/2008, Art. 6 Abs. 2 S. 2 EU-VO 593/2008

Das KG Berlin hat entschieden, dass für eine Unterlassungsklage gegen ein ausländisches Unternehmen wegen Verwendung rechtswidriger Allgemeiner Geschäftsbedingungen gemäß Art. 5 Nr. 3 Brüssel-I-Verordnung deutsche Gerichte zuständig sind. Zu den unerlaubten und den diesen gleichgestellten Handlungen im Sinne dieser Vorschrift gehörten auch Angriffe auf die Rechtsordnung durch die Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Insoweit komme es nicht darauf an, nach welcher Rechtsordnung die angegriffene Handlung materiellrechtlich zu beurteilen sei. Neben der Zulässigkeit prüfte der Senat auch die Anwendbarkeit deutschen Rechts und entschied: Auf den geltend gemachten Unterlassungsanspruch finde auch deutsches Sachrecht Anwendung. Dies ergebe sich für Verträge, die nach dem 11.01.2009 geschlossen worden seien, aus Art. 4 Abs. 1 EU-VO 864/2007 vom 11.07.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom-II-VO). Für vor dem 12.01.2009 geschlossene Verträge ergebe sich die Anwendbarkeit deutschen Sachrechts aus Art. 40 Abs. 1 EGBGB. Allerdings ergebe sich aus der Tatsache, dass der geltend gemachte Unterlassungsanspruch deutschem Sachrecht unterliege, nicht zwangsläufig, dass auch die Wirksamkeit der angegriffenen Klausel nach deutschem Recht zu beurteilen sei. Es sei vielmehr eine gesonderte Anknüpfung vorzunehmen. Für die Beurteilung der Wirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen sei das jeweilige Vertragsstatut maßgeblich. Das Vertragsstatut war im vorliegenden Fall auf Grund der in den AGB der Beklagten enthaltenen Rechtswahlklausel das Recht von England und Wales. Die (durch Art. 5 Abs 2 der Rom-I-VO eingeschränkte) Zulässigkeit einer Rechtswahl ergibe sich, so der Senat, im vorliegenden Fall unmittelbar aus der Bestimmung des Art. 6 Abs. 4 Buchst. b Rom-I-VO. Hinweis: Eine Nichtzulassungsbeschwerde hat der BGH verworfen (BGH, 21.03.2018, Az. X ZR 88/16). Zum Volltext der Entscheidung:


Kammergericht

Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das 21.07.2015 verkündete Urteil der Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf … EUR festgesetzt.

Gründe

Die Parteien haben vor dem Landgericht um die Wirksamkeit zweier Klauseln (Ziffer 10.2 und 10.4) in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten gestritten. Nachdem die Beklagte hinsichtlich der Klausel 10.2 eine Unterlassungserklärung abgegeben hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Hinsichtlich der Klausel 10.4 hat das Landgericht die Klage mit Urteil vom 21.07.2015 abgewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 14.08.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01.09.2015 Berufung eingelegt und diese am 12.10.2015 begründet.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterfassen, nachfolgende oder mit diesen inhaltsgleiche Bestimmungen in Luftbeförderungsverträgen mit Verbrauchern, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, einzubeziehen, sowie sich auf die Bestimmungen bei der Abwicklung derartiger Verträge, geschlossen nach dem 1. April 1977, zu berufen:

[10.4] Rollstühle und Mobilitätshilfen, die nicht manuell in den Frachtraum gehoben werden können, können nur befördert werden, wenn beide Flughäfen über die Einrichtung verfügen, die zum Ein-/Ausladen des Geräts benötigt wird. Bitte beachten Sie, dass einige Flughäfen möglicherweise nicht über die für das Heben von schweren Rollstühlen und Mobilitätshilfen benötigte Ausrüstung verfügen.

[Wenn Sie uns jedoch 48 Stunden vor Ihrem Abflug benachrichtigen, können wir dies für Sie einleiten und angemessene Bemühungen anstellen, Ihren Bedürfnissen gerecht zu werden.]

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II. Die Berufung der Beklagten ist gemäß § 522 II ZPO zurückzuweisen, da die Sache nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist und weder zur Rechtsfortbildung noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Urteil des Berufungsgerichts erfordert. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

Der Senat ist einstimmig der Überzeugung, dass das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Zur Begründung wird auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 23.06.2016 Bezug genommen. Das weitere Vorbringen der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 18.07.2016 gibt keinen Anlass zu abweichender Beurteilung.

1. Die vom Kläger unter Ziffer 1 seiner Stellungnahme herangezogene, unter Nummer 6 im Anhang der Verordnung (EG) 2006/2004 aufgeführte Richtlinie 93/13/EWG mag in das nationale Recht des Vereinigten Königreichs übernommen worden sein. Die Richtlinie enthält aber nur generelle Bestimmungen über die Einführung einer AGB-Kontrolle in der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die im Anhang aufgeführten Beispiele unzulässiger Klauseln entstammen dem allgemeinen Schuldrecht, vergleichbar den in den §§ 308, 309 BGB aufgezählten Klauseln. Aus den allgemeinen Bestimmungen dieser Richtlinie lässt sich nicht herauslesen, dass Luftfahrtunternehmen zur unentgeltlichen Beförderung von Mobilitätshilfen, einschließlich elektrischer Rollstühle, verpflichtet sind und sich dieser Verpflichtung nicht durch allgemeine Geschäftsbedingungen entziehen können. Dies ergibt sich erst aus der Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität. Es ist wenig wahrscheinlich, dass der Gesetzgeber von England und Wales in Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG – über diese hinausgehend – unabdingbare Pflichten zur Beförderung von Mobilitätshilfen durch Luftfahrtunternehmen normiert hat. Da solches vom Kläger auch nicht behauptet wird, ist die Einholung eines Rechtsgutachtens zu der Frage, wie die Richtlinie 93/13/EWG in das Recht von England und Wales umgesetzt worden ist, nicht erforderlich (vgl. zum Umfang der Ermittlung ausländischen Rechts BGH, Beschluss vom 26. März 2015 – IX ZB 38/14 Rn. 9).

2. Die vom Kläger unter Ziffer 1 seiner Stellungnahme zitierte Entscheidung des OLG Köln vom 26.02.2016 – 6 U 90/15 betrifft Fragen der Aktivlegitimation. Dass der Kläger befugt ist, Unterlassungansprüche nach § 4a UKlaG geltend zu machen, steht wegen § 4a Abs. 2 UKlaG außer Frage. Die Klage scheitert nicht an der fehlenden Aktivlegitimation des Klägers, sondern daran, dass kein Verstoß gegen Gesetze zum Schutz der Verbraucherinteressen im Sinne von Art. 3 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden (ABl. EU Nr. L 364) feststellbar ist.

3. Es besteht kein Anlass, die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV zur Auslegung der Verordnung (EG) 2006/2004 vorzulegen. Denn es kann im Sinne der so genannten acte-clair-Doktrin (s. dazu BVerfG, Beschluss vom 08.04.2015 – 2 BvR 35/12) nicht zweifelhaft sein, dass Gesetze zum Schutz der Verbraucherinteressen im Sinn von Art. 3 Buchst. b der Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz Verordnung (EG) 2006/2004) nur die im Anhang der Verordnung aufgeführten Richtlinien in der in die innerstaatliche Rechtsordnung der Mitgliedstaaten umgesetzten Form und die dort aufgeführten Verordnungen sind. Der Wortlaut von Art. 3 Buchst. b der Verordnung ist insoweit eindeutig.

4. Die vom Kläger unter Ziffer 2 seiner Stellungnahme herangezogene, unter Nummer 16 im Anhang der konsolidierten Fassung der Verordnung (EG) 2006/2004 aufgeführte Richtlinie 2005/29/EG richtet sich gegen unlautere Geschäftspraktiken, die das Verbraucherverhalten beeinflussen sollen. Ein etwaiger Verstoß gegen Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität wäre nicht unter die wettbewerbs- und verbraucherschützenden Bestimmungen der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken zu subsumieren. Denn die allgemeinen Bestimmungen der Richtlinie 2005/29/EG werden durch die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, verdrängt (Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29/EG; vgl. EuGH, Urt. v. 16.07.2015 – C-544/13, C-545/13 Tz. 79). Der Kläger hat nicht vorgetragen, in welcher Weise die Richtlinie 2005/29/EG in das Recht von England und Wales umgesetzt worden ist. Das bedarf aber auch keiner weiteren Klärung. Denn bei richtlinienkonformer Auslegung des Rechts von England und Wales wäre in jedem Fall der Vorrang der Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 zu beachten, der eine Subsumtion darin geregelter Sachverhalte unter allgemeinere Bestimmungen der Richtlinie 2005/29/EG in der in die innerstaatliche Rechtsordnung der Mitgliedstaaten umgesetzten Form ausschließt.

5. Der Kläger bemerkt zu Recht, dass die Verwendung unzulässiger allgemeiner Geschäftsbedingungen als unlautere Handlung im Sinne von § 3a UWG Unterlassungsansprüche nach § 8 UWG begründen kann. Das führt hier aber nicht weiter, da kein Verstoß gegen Gesetze zum Schutz der Verbraucherinteressen (Art. 3 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004) vorliegt.

6. Die vom Kläger unter Ziffer 3 seiner Stellungnahme herangezogene, unter Nummer 15 im Anhang der VO (EG) 2006/2004 aufgeführte Verordnung (EG) 261/2004 betrifft Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. Sie enthält keine verbraucherschützenden Bestimmungen über die Beförderung/Verladung von Mobilitätshilfen. Ob die Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 als Ausgestaltung der Anordnungen in der Verordnung (EG) 261/2004 angesehen werden kann, wie der Kläger meint, ist fraglich, bedarf aber keiner Entscheidung. Denn die ausgestaltenden Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 sind jedenfalls nicht in den Anhang der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 vom 27. Oktober 2004 aufgenommen worden und können daher nicht zur Begründung eines Unterlassungsanspruchs nach § 4a UKlaG herangezogen werden.

7. Die Kompetenz der nationalen Institutionen zur Überprüfung von innergemeinschaftlichen Verstößen gegen europarechtliche Rechtsvorschriften ist in § 4a UKlaG klar geregelt. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich insoweit nicht. Es trifft zu, dass sich Luftfahrtunternehmen mit Sitz in der Europäischen Union durch Rechtswahlklauseln der Kontrolle nach § 1 UKlaG entziehen können. Dies beruht auf der Privilegierung von Beförderungsverträgen durch die Bestimmung des Art. 6 Abs. 4 lit. b Rom I-VO, die rechtspolitisch angreifbar sein mag, der Entscheidung als geltendes Recht aber zu Grunde zu legen ist.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 3, 97 I ZPO.

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