LG Berlin, Urteil vom 21.05.2012, Az. 52 S 140/11
§ 280 Abs. 3 BGB, § 281 Abs. 1 BGB, § 119 BGB, § 121 BGB, § 142 Abs. 1 BGB, § 433 BGB
Das LG Berlin hat entschieden, dass die Anfechtung eines Kaufvertrags bei eBay durch den Verkäufer unmissverständlich formuliert sein muss. Vorliegend hatte der Beklagte vom Kläger 9 Telefone zum Sofort-Kaufen-Preis von 99,00 EUR erworben. Eine E-Mail des Verkäufers mit dem Text “ …sehe gerade das bei der Einstellung der Auktion etwas schief gegangen ist. Pro Telefon war 99€ für Sofortkaufen vorgesehen. Wie wollen wir jetzt verfahren – hast Du trotzdem Interesse an den Telefonen? …„ sah das Gericht nicht als ausreichende Anfechtungserklärung an. Eine solche Erklärung müsse eindeutig erkennen lassen, dass das Rechtsgeschäft wegen eines Fehlers beseitigt werden solle. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen, da der E-Mail-Text und auch der weitere E-Mail-Verkehr erkennen lasse, dass der Verkäufer grundsätzlich am Vertrag festhalten wolle. Zum Volltext der Entscheidung:
Landgericht Berlin
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgericht Mitte vom 9. Juni 2011 – 6 C 2711 – wird zurückgewiesen.
Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Anschlussberufung zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Auf die Abfassung eines Tatbestandes wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO verzichtet.
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nach §§ 433, 280 Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB zu.
Zwischen den Parteien ist ein wirksamer Kaufvertrag zu Stande gekommen, mit dem der Beklagte dem Kläger neun Telefone für einen Kaufpreis von 99,-EUR verkauft hat.
Die Einstellung der Telefone in die Internetseite von eBay unter Wahl der Option „Sofortkauf“ stellt ein verbindliches Angebot des Beklagten dar, das der Kläger sodann angenommen hat.
Der Vertrag ist nicht von Anfang an nichtig.
Eine wirksame Anfechtung gemäß §§ 119, 121 BGB führt gemäß § 142 Abs. 1 BGB dazu, dass das Geschäft von Anfang an als nichtig anzusehen ist.
Zutreffend hat das Amtsgericht aber entschieden, dass eine wirksame Anfechtung des Kaufvertrages durch den Beklagten hier nicht erfolgt ist.
Die E-Mail des Beklagten vom 27. April 2010 genügt auch unter Berücksichtigung der E-Mail vom 28. April 2010 den Erfordernissen einer Anfechtungserklärung nicht.
Wie das Amtsgericht bereits ausgeführt hat, muss die Anfechtungserklärung auf Grund ihres objektiven Erklärungswerts erkennen lassen, dass der Anfechtungsberechtigte das Geschäft wegen eines Willensmangels nicht gelten lassen will (BGH NJW-RR 1988, 566). Zwar kann die Äußerung ausreichend sein, man wolle an der vorangehenden Erklärung wegen eines
Übertragungsfehlers nicht festhalten (OLG Karlsruhe VersR92, 1121) , diese Äußerung muss aber so konkret sein, dass die Willensäußerung unzweideutig erkennen lässt, dass das Rechtsgeschäft wegen dieses Fehlers beseitigt werden soll.
Wie vom Amtsgericht zutreffend erkannt, mangelt die E-Mail vom 27. April 2010 an dieser Eindeutigkeit. In der E-Mail heißt es wörtlich:
„Hallo … sehe gerade das bei der Einstellung der Auktion etwas schief gegangen ist. Pro Telefon war 99€ für Sofortkaufen vorgesehen. Wie wollen wir jetzt verfahren – hast Du trotzdem Interesse an den Telefonen? (…)“.
Daraus geht der eindeutige Erklärungswillen, das Rechtsgeschäft als Ganzes nicht mehr bestehen zu lassen, das heißt, es mit seinen gesamten Rechtswirkungen zu beseitigen, gerade nicht hervor. Es fehlt zum einen schon an der Erklärung, das Geschäft nicht ausführen zu können oder zu wollen. Darüber hinaus wird die Bereitschaft erklärt, die Telefone weiterhin zu verkaufen.
Die Erklärung des Beklagten kann auch so verstanden werden, dass weiterhin Interesse an dem Geschäft besteht, über eine Abänderung der Preishöhe aber noch verhandelt werden sollte.
Der Hinweis, die Telefone „trotzdem“ verkaufen zu wollen („… -hast Du trotzdem Interesse an den Telefonen?“) und der Anfrage, „wie wollen wir jetzt verfahren?“ zeigt aus Sicht des Erklärungsempfängers vor allem die Bereitschaft, an dem Verkauf der Telefone festzuhalten, wenn der Kläger auch Interesse hat, und dabei den Preisfehler zu korrigieren (vergl. auch BGH a.a.O.).
Dieses grundsätzliche Festhalten am Vertrag und an den vereinbarten Vertragsbedingungen unter einer dem Preisberechnungsfehler zuzugestehender Preiskorrektur zeigt sich auch an dem weiteren E-Mail-Verkehr, insbesondere auch an der vom Beklagten in der Berufung für die Auslegung geltend gemachten Mail vom 28. April 2010:
„(…) wir konnten den Fehler mittlerweile nachvollziehen (…) Mein Gegenangebot: Die 9 Snoms für 500 € im Paket. Ansonsten entschuldige den Aufwand (…).“.
Die Mail nimmt Bezug auf eine Mail des Klägers vom selben Tage, in welcher dieser sich bereit erklärt, wenn alles mit der Übergabe der Telefone klappt, aus Kulanz noch 60,00 € zu überweisen. Das „Gegenangebot“ des Beklagten hierauf, die 9 Snoms für 500 € im Paket“ stellt in diesem Zusammenhang aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers einen neuen Vorschlag zu Preisanpassung im Hinblick auf den Preisübertragungsfehler und auf das Angebot des Klägers zur Zahlung von noch weiteren 60,00 € dar. Von einem grundsätzlichen Abrücken vom Vertrag, ist auch in dieser Mail nicht die Rede.
Sofern der Beklagte in dem Passus „Ansonsten entschuldige den Aufwand“ eine Anfechtungserklärung sehen will, wäre diese nur für den Fall ausgesprochen, dass sich der Kläger nicht mit einem Preis von 500,00 € einverstanden erklärt. Eine Anfechtungserklärung unter einer Bedingung ist jedoch unzulässig, es sei denn es handelt sich um den Fall, dass eine Rechtsansicht, z. B. wie eine Erklärung auszulegen ist, sich als irrig erweist (Palandt/Ellenberger, BGB, 70. Auflage, § 143 Rn. 2). Ein solcher Fall der Bedingung wäre hier aber nicht gegeben.
Die vom Beklagten zitierten Entscheidungen des Landgerichts Stuttgart vom 21.12.2007 – 24 O 317/07 und des OLG Frankfurt/Main vom 20.11.2002 – 9 U 94/02 – stehen, wie das Gericht bereits in der Hinweisverfügung vom 27.09.2011 ausgeführt hat, nicht entgegen. Zudem ist die Frage, ob eine wirksame Anfechtungserklärung vorliegt, nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu entscheiden.
Dem Kläger steht der hiernach zu zahlende Schadensersatz auch der Höhe nach zu.
Soweit der Beklagte erstmals in zweiter Instanz mit Schriftsatz vom 12. Januar 2012 geltend macht, die vom Kläger erworbenen und als Schadensersatz geltend gemachten Ersatztelefone gemäß den Rechnungen der Firma … vom 30.06.2010 und 21.07.2010 (Anlage K 18 zum Schriftsatz vom 20. April 2011 seien nicht gebraucht und daher nicht gleichwertig zu den von ihm angebotenen 9 Snoms, wäre dieser Vortrag zwar in zweiter Instanz noch zuzulassen, da das Nichtvorbringen in erster Instanz der Partei nicht als Verschulden angelastet werden kann.
Die Zulassung dieses Verteidigungsmittels bleibt jedoch ohne Folgen für die Höhe des Ersatzanspruchs. Denn die Höhe der im Rahmen des Deckungskaufs ersatzweise erworbenen Telefone kann der Beklagte in zweiter Instanz nicht mehr rügen. Das Bestreiten der Höhe des Ersatzanspruchs ist gemäß § 531 ZPO als verspätet zurückzuweisen, da es bereits in erster Instanz hätte geltend gemacht werden können.
In der 1. Instanz hatte der Beklagte den Anspruch der Höhe nach jedoch nicht konkret bestritten.
In der Klageerwiderung hatte er zunächst zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten, dass ersatzweise tatsächlich Telefone erworben wurden. Daraufhin hat der Kläger die Rechnung der Ersatztelefone als Anlage K 18 zum Schriftsatz vom 20. April 2011 vorgelegt. Es hätte nunmehr wiederum dem Beklagten oblegen, die Höhe der Rechnung konkret zu Bestreiten. Auch hätte bereits zu diesem Zeitpunkt die Gleichwertigkeit der erworbenen mit den von ihm angebotenen Telefone rügen können; denn den vorgelegten Rechnungen sind auch die Modelle der Ersatztelefone zu entnehmen, die der Kläger erworben hat (Snom 300, Snom 821). Bereits anhand der Rechnung hätte der Beklagte erkennen können, dass es sich nicht um Telefone desselben Typs des Kaufvertrages Snom 360 handelte. Ein weiteres Bestreiten des Beklagten erfolgte aber erstinstanzlich nicht.
Hinzu kommt, dass der Beklagte bereits vorgerichtlich vom Kläger über die Höhe der zu erwartenden und jetzt auch geltend gemachten Schadensersatzforderung informiert worden war, denn der Kläger hatte den Beklagten mit Schreiben vom 11. Juni 2010 (Anlage K 22) auf den drohenden Schaden hingewiesen und mitgeteilt, dass er Angebote für Ersatztelefone nur in Höhe von EUR 1.337,49 gefunden habe und gab dem Beklagten Gelegenheit, ihm alternative günstigere Bezugsquellen zu nennen. Auch aus diesem Grunde hatte der Beklagte bereits in 1. Instanz alle nötigen Informationen, um die Höhe der Schadensersatzforderung konkret zu bestreiten.
Zu einem eventuellen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht hätte ebenfalls schon erstinstanzlich konkret vorgetragen werden können und müssen.
Der Durchsetzbarkeit des Schadensersatzanspruchs steht auch der Einwand des Rechtsrnissbrauchs gemäß § 242 BGB nicht entgegen.
Die Ausübung eines Rechts ist dann unzulässig, wenn das zugrunde liegende Interesse nicht schutzwürdig erscheint (Palandt/Grüneber, a.a.O. § 242 Rn. 50 ff). Einderartiger Fall ist denkbar bei einer grob unbilligen Benachteiligung der Gegenseite. Es muss aber der konkrete Einzelfall betrachtet werden, denn nicht schon jede übermäßige Benachteiligung der Gegenseite macht eine Rechtsausübung unzulässig. Nach diesen Vorgaben liegt kein so krasses Missverhältnis zwischen dem Preis, den der Kläger bei ordnungsgemäßer Durchführung für die Telefone hätte zahlen müssen und dem Betrag, denn der Beklagte nunmehr wegen eines seiner Risikosphäre zuzurechnenden Fehlers als Schadensersatz leisten muss. Zwar übersteigt der Preis für die Ersatztelefone den Preis des fehlgeschlagenen Vertrages um mehr als das 1 Ofache. Hierin liegt aber noch kein so krasses Missverhältnis, dass dem Kläger die Schutzwilrdigkeit seines Schadensersatzanspruchs abzusprechen wäre. Der Wert der Telefone liegt auch nach dem von dem Beklagten gemeinten Preis von 99,00 € pro Stück nicht wesentlich über dem, den der Kläger im rahmen des Deckungsgeschäfts gezahlt hat. Auch ist das Interesse des Klägers zu berücksichtigen, der bei Abschluss des Kaufvertrages annehmen durfte, ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Der Verweis des Beklagten auf das Urteil des LG Koblenz vom 18.03.2009 – 10 O 250/08 – greift nicht, dort wurde der Rechtsmissbrauch eines Käufers bejaht, der den Anbieter an seinem Angebot von EUR 5,- für ein Fahrzeug mit einem Marktwert von mindestens 75.000,- EUR festhalten wollte. Ein solches krasses Missverhältnis liegt hier nicht vor.
Da die Berufung des Beklagten keinen Erfolg hat, ist auch die Anschlussberufung des Klägers hinfällig und daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs.2 Nr. 1 , 97 Abs. 1 ZPO. Die Kosten der Anschlussberufung waren dem Beklagten aufzuerlegen. Die Anschlussberufung hat keine besonderen Mehrkosten verursacht, da sie sich nur auf die Zinsforderung bezog.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine besondere Bedeutung hat, und weder die Fortbildung des Rechts, noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eines Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die hier zu entscheidenden Rechtsfragen sind höchstgerichtlich bereits geklärt und beruhen auf einer Einzelfallentscheidung.
Auf das Urteil hingewiesen hat openjur.de (hier).