LG Frankfurt a.M.: Nutzung von Luxushandtaschen in einer Parodie (hier: Modeschau) ist keine Markenrechtsverletzung

veröffentlicht am 24. November 2023

LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 19.09.2023, Az. 2-06 O 532/23
Art. 9 UMV

Das LG Frankfurt a.M. hat entschieden, dass ein Markenrechtsverstoß nicht vorliegt, wenn ein Modelabel bei einer Modeschau Models Taschen und Accessoires eines Luxuswarenherstellers tragen lässt, um auf gesellschaftliche Klischees hinzuweisen, diese Taschen und Accessoires aber nicht selbst verkauft. Vorliegend würden Frauen, so die Kammer, die von Männern objektiviert werden und als gesellschaftliche „Accessoires“ und „Trophy Wives“ gesehen werden, dargestellt, die sich dadurch emanzipieren, dass sie sich genau diese Rolle zu eigen machen und Männer wiederum als „menschliche Bank“ („human bank account“, vgl. ebd.) für ihre Zwecke nutzen. Diese Nutzung der Luxusgüter sei von der Kunstfreiheit gedeckt. Auch werde die Marke der Antragstellerin nicht verunglimpft oder herabgesetzt. Vielmehr diene sie als der Bezugspunkt von Luxusgütern, den die Gesellschaft anstrebe. Zum Volltext der Entscheidung:

Landgericht Frankfurt a.M.

Beschluss

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 25.08.2023 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Eilverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 250.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, aber unbegründet.

I. Der Antrag ist zulässig und nicht rechtsmissbräuchlich. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin vorgerichtlich gegen die Taschen und Bekleidungsstücke in einer Abmahnung vorgegangen ist, nun aber zwei Verfahren vor Gericht führt. Bei der monierten Nachahmung der klägerischen Marke durch gleiche Produkte (Handtaschen) handelt es sich um einen anderen Lebenssachverhalt als bei der in diesem Verfahren angegriffenen Nachahmung durch ähnliche Produkte (Bekleidungsstücke). Hierdurch unterscheidet sich die Sachlage von Fällen, in denen derselbe Sachverhalt künstlich aufgespalten wurde und der zumindest in lauterkeitsrechtlichen Fällen zur Annahme von Rechtsmissbrauch führen kann.

II. Der Antrag ist unbegründet. Die Antragstellerin hat keinen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht.

1. Die Antragstellerin kann aufgrund ihrer dreidimensionalen Unionsmarke nicht von der Antragsgegnerin die begehrte Unterlassung verlangen.

Hierbei kann offen bleiben, ob die übrigen Voraussetzungen des Art. 9 UMV vorliegen und welche Nutzungsform einschlägig ist. Denn aufgrund von Art. 9 Abs. 2 Buchst. c UMV oder aufgrund von § 242 BGB ist eine Abwägung der sowohl durch die nationalen als auch europäischen Grundrechte gesicherten Eigentumsfreiheit (Art. 12 GG, Art. 17 GR-Charta iVm Art. 6 EUV) und Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG, Art. 13 GR-Charta iVm Art. 6 EUV) vorzunehmen, die zu Lasten der Antragstellerin ausfällt.

Das Erfordernis einer Abwägung folgt ferner auf dem auch im Europarecht geltenden Verhältnismäßigkeitsprinzip und wird in Erwägungsgrund 21 der UMV konkretisiert:

„Eine Benutzung einer Marke durch Dritte zu künstlerischen Zwecken sollte als rechtmäßig betrachtet werden, sofern sie gleichzeitig den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht. Außerdem sollte die vorliegende Verordnung so angewendet werden, dass den Grundrechten und Grundfreiheiten, insbesondere dem Recht auf freie Meinungsäußerung, in vollem Umfang Rechnung getragen wird.“

Das in der Kunstfreiheit wurzelnde Interesse der Antragsgegnerin an der Darbietung der Fashionshow überwiegt in dem vorliegenden Fall das grundrechtlich geschützte Eigentumsrecht der Antragstellerin.

Im Privatrecht wirken Grundrechte mittelbar, die verschiedenen Interessen sind im Rahmen der praktischen Konkordanz so zum Ausgleich zu bringen, dass sie sich jeweils größtmöglich entfalten können.

Für die Frage, ob die Unterscheidungskraft einer Marke in unlauterer Weise ausgenutzt wird, ist anhand einer umfassenden Würdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen, zu denen das Ausmaß der Bekanntheit und der Grad der Unterscheidungskraft der Marke, der Grad der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen sowie die Art der betroffenen Waren und Dienstleistungen und der Grad ihrer Nähe gehören (vgl. EuGH GRUR 2009, 756 Rn. 44 – L’Oréal/Bellure). Von der Ausnutzung der Unterscheidungskraft einer bekannten Marke ist auszugehen, wenn ein Dritter durch Verwendung eines Zeichens, das einer bekannten Marke ähnlich ist, versucht, sich in den Bereich der Sogwirkung dieser Marke zu begeben, um von ihrer Anziehungskraft, ihrem Ruf und ihrem Ansehen ohne jede finanzielle Gegenleistung und ohne eigene Anstrengungen zu profitieren oder auf andere Weise an der Aufmerksamkeit teilzuhaben, die mit der Verwendung eines der bekannten Marke ähnlichen Zeichens verbunden ist (vgl. EuGH GRUR 2009, 756 Rn. 49 – L’Oréal/Bellure; BGH 1239 Rn. 54 – VOLKSWAGEN/Volks.Inspektion; BGH GRUR 2014, 378 Rn. 33 – OTTO Cap; BGH GRUR 2015, 1114 Rn. 38 – Springender Pudel). Nichts anderes gilt, wenn man statt Art. 9 Abs. 2 Buchst. c UMV die Abwägung unmittelbar aus § 242 BGB oder dem Verhältnismäßigkeitsprinzip herleitet.

Die beanstandeten „Zeichen“ erweisen sich als durch Art. 5 GG bzw. Art. 13 GR-Charta geschützte Kunstwerke. Denn die Taschen sind nicht isoliert zu betrachten, sondern im Gesamtzusammenhang, in dem sie eingebettet sind. Die Beschreibungstexte zu den angegriffenen Bildern (sowohl auf Instagram als auch auf der Homepage) verweisen eindeutig auf die Fashionshow. Man erkennt bei den Bildern teilweise auch, dass es sich um solche handelt, die auf einem Laufsteg aufgenommen wurde.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formsprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden, das Wesentliche der künstlerischen Betätigung (vgl. BVerfG GRUR 2007, 1085 Rn. 59 – Esra, mwN). Da die Kunstfreiheit grundsätzlich jede künstlerische Aussage schützt (BGH GRUR 2005, 583, 584 – Lila Postkarte), kann auch die Beschäftigung mit der Verfügungsmarke von der Kunstfreiheit erfasst sein.

Vorliegend ist zu beachten, dass die Antragsgegnerin eine Inszenierung unter dem Thema „In loving memory of my sugar daddy“ darbot. Thematisch ging es um weibliche Klischees und die Akzeptanz von Vorurteilen als eine Form von Feminismus, wie aus der Eigenbeschreibung deutlich wird (vgl. den Text „SS24 – IN LOVING MEMORY OF MY SUGAR DADDY“ im Antrag). Frauen, die von Männern objektiviert werden und als gesellschaftliche „Accessoires“ und „Trophy Wives“ gesehen werden, emanzipieren sich in dem sie sich genau diese Rolle zu eigen machen und Männer wiederum als „menschliche Bank“ („human bank account“, vgl. ebd.) für ihre Zwecke nutzen. In dieser überspitzen gesellschaftlichen Darstellung tragen die Frauen Taschen, die an XY Bags erinnern, nicht nur als Taschen, sondern auch als Tops, Kleider und Röcke in einer aufreizenden und lasziven Art, an der Grenze zu Kitsch und Geschmacklosigkeit.

Dieser Eindruck bewusst noch durch verschiedene Aufdrucke verstärkt, z.B. der Slogan „cunting season“ auf einem kurzen Lederrock. Hierbei ist das Spiel zwischen primitiver Direktheit auf der einen Seite und ultimativen Luxusgütern auf der anderen Seite essenzieller Bestandteil der Darbietung. Die Produkte der Antragstellerin dienen gerade als Statussymbol und verkörperter Luxus. Deren Entfremdung als Kleidungsstücke durch Übernahme einiger prägender Elemente, wie beispielsweise die charakteristische Schnalle einer XY Bag, ist ein tragendes Element der Darbietung.

Die Kunstfreiheit gilt indes nicht schrankenlos; sie findet ihre Begrenzung in anderen kollidierenden Grundrechten, etwa die Eigentumsgarantie, die auch Markenrechte der Antragstellerin erfasst.

Nach der vorzunehmenden Abwägung tritt hier die Eigentumsgarantie zurück. Denn die Antragsgegnerin verkauft die Kleidungsstücke nicht. Soweit ein kommerzielles Ziel verfolgt wird, geht dieses nicht über die Selbstdarbietung der Antragsgegnerin als Modelabel hinaus. Das Vorbringen der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe zumindest in der Vergangenheit die Produkte, die sie auf Runways vorgeführt habe, auch tatsächlich zum Verkauf angeboten, führt zu keinem anderen Ergebnis. Mit den Glaubhaftmachungsmitteln des einstweiligen Verfügungsverfahrens lässt sich angesichts der eidesstattlichen Versicherung einerseits und der Praxis in der Vergangenheit andererseits nicht endgültig klären, ob die Produkte verkauft werden sollen oder nicht. Jedenfalls ist die Antragstellerin nicht schutzlos, weil sie – sollte die Antragsgegnerin die Produkte gleichwohl verkaufen – dann ggf. erneut aus ihren Markenrechten vorgehen kann.

Auch wird die Marke der Antragstellerin nicht verunglimpft oder herabgesetzt. Vielmehr dient sie als der Bezugspunkt von Luxusgütern, den die Gesellschaft anstrebt. Hierbei stellt die Anlehnung an die XY Bag nur einen Teil der gesamten Inszenierung dar, auch andere Elemente und (Mode-)Kreationen setzt die Antragsgegnerin ein. Sie interpretiert die an die Marke der Antragstellerin angelehnten Elemente neu in eigener künstlerischer Leistung und begibt sich gerade nicht in die Sogwirkung der Marke der Antragstellerin. Diese dient allein als Mittel zum Zweck.

2. Mangels Verletzung der Markenrechte der Antragstellerin kann sie auch keine Auskunftsansprüche geltend machen. Jedenfalls fehlt es an einer „offensichtlichen“ Rechtsverletzung iSd § 19 Abs. 7 MarkenG.

3. Der Verfügungsanspruch kann auch nicht aus den hilfsweise geltend gemachten Vorschriften des UWG hergeleitet werden. Denn auch hier führt eine Interessensabwägung zum Vorrang der Kunstfreiheit.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

IV. Die Streitwertfestsetzung geht von einem Streitwert in der Hauptsache in Höhe von 375.000,00 € aus. Dies entspricht die Hälfte des Gegenstandswerts in der vorgerichtlichen Abmahnung, wobei die andere Hälfte auf das Verfahren 2-06 O 533/23 entfällt. Ausgehend von diesem Betrag hat die Kammer einen „Eilabschlag“ in Höhe von 1/3 vorgenommen.

Auf die Entscheidung hingewiesen hat openjur (hier)

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