LG Hamburg: Verlag darf nicht ohne Zustimmung des Autors dessen Beitrag verändern

veröffentlicht am 7. November 2010

Rechtsanwalt Dr. Ole DammLG Hamburg, Urteil vom 22.10.2010, Az. 308 O 78/10
§§ 14; 16; 17; 97 Abs. 1 UrhG

Das LG Hamburg hat entschieden, dass ein Autor bei nicht nur marginalen Änderungen seines Zeitschriftenbeitrages (z.B. Interpunktion) gegen den veröffentlichenden Verlag einen Unterlassungsanspruch besitzt. Auszüge aus dem Urteil:

Die Bearbeitung des Textes begründet einen Anspruch des Klägers auf Unterlassung der Veröffentlichung. Gemäß § 14 UrhG hat der Urheber das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden. Danach gilt im gesamten Urheberrecht nicht nur für denjenigen, der ein Werk widerrechtlich nutzt, sondern über § 39 UrhG auch für den Nutzungsrechtsinhaber ein generelles Änderungsverbot, es sei denn, mit dem Urheber besteht eine Änderungsvereinbarung (§ 39 Abs. 1 UrhG) oder der Nutzungszweck macht bestimmte Änderungen unumgänglich (vgl. § 39 Abs. 2 UrhG; Schulze in Dreier/Schulze, § 14 Rn. 2). Eine ausdrückliche Zustimmung des Klägers zur Umgestaltung und Veröffentlichung seines Werkes in der veränderten Fassung lag nicht vor. Dies hat der Kläger vor der Veröffentlichung des Textes – zuletzt mit anwaltlichem Schreiben vom 20. Oktober 2009 – deutlich gemacht.

Die Beklagte kann sich entgegen ihrer Auffassung auch nicht auf das vertraglich eingeräumte Bearbeitungsrecht aus § 1 Nr. 3 des Mitarbeitervertrages berufen. Dahinstehen kann, ob die Regelungen des Vertrages trotz Beendigung des Mitarbeiterverhältnisses mit dem Kläger Ende 2008 vorliegend noch für die vor der Beendigung vergebenen Aufträge (wie der streitgegenständliche) zur Anwendung kommen. Denn die Beklagte hat die Grenzen ihres vertraglich eingeräumten Änderungsrechts nicht eingehalten. Nach § 1 Nr. 3 des Vertrages ist eine Änderung und Bearbeitung von Beiträgen des Klägers zulässig, „soweit diese Bearbeitung nicht den Sinn des Beitrags unzumutbar verändert.“ Die Auslegung dieser pauschalen Änderungsvereinbarung erfolgt nach allgemeinen Grundsätzen. Ausgangspunkt ist das Bestands- und Integritätsinteresse des Urhebers (Dietz/Peukert in: Schricker, 4 Aufl. 2010, § 14 Rn. 28). Die Grenze jeder Änderungsbefugnis ist das im Kern unübertragbare Urheberpersönlichkeitsrecht; gröbliche Entstellungen können danach stets verhindert werden (Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 39 Rn. 9; Schulze in: Dreier/Schulze, § 39 Rn. 3). Ebenso wie bei der gesetzlichen Änderungsbefugnis des § 39 Abs. 2 UrhG sind Änderungsklauseln in Nutzungsverträgen nach dem Maßstab von Treu und Glauben und der Verkehrssitte auszulegen. Zu den allgemeinen Kriterien der Interessenabwägung zählen der Vertragszweck, der künstlerische Rang des in Rede stehenden Werkes und die Intensität des Eingriffs bzw. dessen Erforderlichkeit zur Ausübung des vertraglich eingeräumten Nutzungsrechts (Dietz/Peukert in: Schricker, § 39 Rn 15). In keinem Fall darf dadurch der Sinn oder die Tendenz des Werkes berührt werden (BGHZ 55, 1, 4 – Maske in Blau). Bei belletristischen Werken kann bereits eine charakteristische Rechtschreibung und Zeichensetzung eine nicht zulässige Änderung darstellen (Dietz-Peukert, in Schricker, § 39 Rn 17 m.w.N.).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Beklagte ihr Bearbeitungsrecht überschritten. Das Werk des Klägers stellt aufgrund des für ihn typischen Reportagestils, mit dem er sich bereits einen Namen u.a. als Buchautor erworben hat, ein Werk von besonderer Individualität dar. Die von der Beklagten vorgenommenen Änderungen waren zur Ausübung ihres Nutzungsrechts nach dem Vertragszweck nicht mehr erforderlich. Mängel der literarischen Güte eines Werkes kann der Verleger grundsätzlich nicht rügen (BGH, GRUR 1960, 642 – Drogistenlexikon). Die Beklagte hat vorliegend auch nicht lediglich einzelne Sätze umformuliert, sondern große Teile des Textes umgeschrieben. Kaum ein Satz des Klägers wurde wortwörtlich übernommen. Dass diese Umformulierungen sämtlich notwendig waren, um den Text veröffentlichen zu können, ist nicht ersichtlich. Den Abschnitt über die Delta-Kommission hätte die Beklagte neben den Text des Klägers setzen können. Selbst wenn die Aufnahme dieses Abschnittes in den Text als notwendige Korrektur und damit als zulässig angesehen werden sollte, erklärt dies nicht die Umformulierung gesamter Passagen einschließlich wortwörtlicher Zitate von Personen. Selbst kleinste sprachliche Besonderheiten wurden ohne erkennbaren Grund ersetzt, wie beispielsweise die Bezeichnung des Denkmals für den tiefsten Punktes der Niederlande als „Stahlpfosten“ anstatt als „Stahlkonstruktion“. Selbst wenn die Formulierungen der Beklagten eine „lebendigere und plastischere Erzählweise“ schaffen sollten, rechtfertigen sie nicht die Änderung des gesamten Textes. Dass hierdurch der Sinngehalt des Textes möglicherweise unverändert blieb, ist nicht entscheidend. § 2 UrhG schützt nicht die hinter dem Sprachwerk stehende Idee oder seinen Sinn, sondern vor allem den Sprachstil eines Werkes als Teil der geistigen Leistung des Urhebers. Diesen Sprachstil hat die Beklagte grundlegend und umfassend verändert. Hierdurch hat sie den vertraglich nicht übertragbaren Kern des Urheberrechtes des Klägers – sein Urheberpersönlichkeitsrecht – verletzt. Dass eine solche Umschreibung bisherigen Gepflogenheiten der Beklagten entspricht, mag sein. Auch eine ständige Übung rechtfertigt jedoch nicht die Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts des Urhebers gegen dessen Willen. Im Übrigen hat die Beklagte jedenfalls bei der Bezeichnung des mehrfach zitierten Hydrologen Kwadijk als „Katastrophen-Seher“ auch den Sinn des Artikels verändert – eine solche Darstellung von Interviewpartnern des Klägers ohne dessen Zustimmung ist für diesen in jedem Fall unzumutbar.

Der Volltext des Urteils findet sich bei telemedicus.

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