LG Hannover: Widerrufsrecht erlischt nicht, wenn nach Kundenspezifikation bestimmte Reifen auf Pkw-Felge montiert werden

veröffentlicht am 3. Januar 2014

Rechtsanwalt Dr. Ole DammLG Hannover, Urteil vom 20.03.2009, Az. 13 S 36/08
§ 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB

Das LG Hannover hat in Anschluss an den BGH (hier) entschieden, dass es für den Ausschluss des Widerrufsrechts gemäß § 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB aus Verkäufersicht nicht ausreicht, vorzutragen, dass bei einem montierten Set aus Felge und Reifen die Felgen bei der Demontage eine Substanzveränderung erleiden und nicht mehr als neuwertig verwertet werden könnten. Auch reiche es nicht aus vorzutragen, dass die Hersteller bzw. Lieferanten die Felgen nicht – ohne weiteres – zurücknähmen. Im vorliegenden Fall hätte die Beklagte nach Auffassung der Kammer konkret vortragen müssen, mit welchen Nachlassen die Reifen/Felgen hätten anderweitig veräußert werden können und dass diese andere Verwertung für sie unzumutbar gewesen sei. Das habe sie jedoch nicht getan. Zum Volltext der Entscheidung:

Landgericht Hannover

Urteil

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Hauptsache keinen Erfolg, da das Amtsgericht die Beklagte mit zutreffender Begründung, der sich die Kammer anschließt, zur Rückabwicklung des Kaufvertrages verurteilt hat.

Allerdings hat die Anschlussberufung des Klägers hinsichtlich der Kostenentscheidung des Amtsgerichts in der Sache Erfolg.

Die Beklagte ist verpflichtet, den mit dem Kläger abgeschlossenen per Internet abgeschlossenen Fernabsatzvertrag über vier Reifen, vier Felgen und einen Reifenbaum rückabzuwickeln. Dabei steht dem Anspruch des Klägers auch nicht entgegen, dass bei Trennung von Felge und Reifen Spuren an der Felge verbleiben und diese nicht mehr als neu veräußert werden können. Insoweit handelt es sich im vorliegenden bei der Bestellung von auf Felgen gezogenen Reifen nicht um Waren, die nach Kundenspezifikation (§ 312d Abs. 4 Ziff. 1 BGB) gefertigt werden.

In der Berufung geht die Kammer übereinstimmend mit dem Amtsgericht und den Parteien davon aus, dass die Vorschriften über Fernabsatzverträge auf den in Rede stehenden Kaufvertrag Anwendung finden und der Kläger jedenfalls formwirksam den Rücktritt hiervon erklärt hat.

Dabei stand das Widerrufsrecht dem Kläger zu, da es sich bei den Reifen nicht um Waren handelte, die nach Kundenspezifikation im Sinn der o.g. Vorschrift handelt. Grundsätzlich ist dafür folgendes auszuführen: Wie der Bundesgerichtshof in seiner insoweit grundlegenden Entscheidung ( BGH NJW 2003, 1665) festgestellt hat. beruht die deutsche Regelung bezüglich des Ausschlusses der Rückgabe von Waren, die nach Kundenspezifiktion gefertigt werden, auf Art. 6 Abs. 3 der EU Fernabsatzrichtlinie. Bei der Auslegung der Frage einer Anfertigung nach Kundenspezifikation ist nach Auffassung des BGH auf den Sinn und Zweck des Gesetzes abzustellen. Danach ist im Einzelfalls entscheidend, ob die Rücknahme der Ware für den Unternehmer zu einer quasi unzumutbaren Beeinträchtigung führen würde. Dabei hat der Unternehmer (Verkäufer), der sich auf diesen Ausnahmetatbestand beruft, dessen Voraussetzungen darzulegen und zu beweisen. Die Kammer hat keine Bedenken, der geschilderten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu folgen.

Auf den vorliegenden Fall angewendet bedeutet dieses folgendes: Die Beklagte muss darlegen und ggf. beweisen, dass die Rücknahme von Reifen, Felgen und des Felgenbaums bei ihr zu einer „quasi unzumutbaren Beeinträchtigung“ führen würde. Hier müsste sie ggf. darlegen, dass die Reifen bzw. Felgen z.B. nur unter Gewährung eines erheblichen – unzumutbaren – Preisnachlasses weiter veräußert werden könnten. Diesen Voraussetzungen genügt der Vortrag der Beklagten jedoch nicht. Vor dem Hintergrund der geschilderten Erfordernisse reicht es nicht aus vorzutragen, dass die Felgen bei der Demontage eine Substanzveränderung erleiden und nicht mehr als neuwertig verwertet werden können. Auch reichte es nicht aus vorzutragen, dass die Hersteller bzw. Lieferanten die Felgen nicht – ohne weiteres – zurücknehmen. Hier hätte die Beklagte ggf. konkret vortragen müssen, mit welchen Nachlassen die Reifen/Felgen hätten anderweitig veräußert werden können und dass diese andere Verwertung für sie unzumutbar war. Das hat sie jedoch nicht getan.

Auf die Anschlussberufung des Klägers war die Kostenentscheidung des Urteils des Amtsgerichts Hannover zu ändern. Bei der vom Kläger zunächst erhobenen Klage bezüglich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Verzugskosten handelte es sich um eine Nebenforderung. Als solche bleibt diese bei der Berechnung des Streitwerts und auch bei der Berechnung der Kostenquote ohne Berücksichtigung. Da der Kläger bei dem Amtsgericht in der Hauptsache obsiegt hat, waren der Beklagten demzufolge die gesamten Kosten des Verfahrens vor dem Amtsgericht – ungeachtet der zu Unrecht geltend gemachten Nebenforderung – aufzuerlegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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