LG Karlsruhe: Wer in einem Fußballstadion Schilder mit den Buchstaben ACAB („All cops are bastards“) hochhält, will nicht notwendigerweise beleidigen

veröffentlicht am 29. Januar 2012

LG Karlsruhe, Urteil vom 08.12.2011, Az. 11 Ns 410 Js 5815/11 – aufgehoben
OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.07.2012, Az. 1 (8) Ss 64/12- AK 40/12
§ 185 StGB; Art. 5 GG

Das LG Karlsruhe hat entschieden, dass derjenige, der in einem Fußballstadion während eines Spiels die Buchstaben „A C A B“ hochhält, damit noch nicht die im Stadion anwesenden Polizisten beleidigt. Im Hinblick auf die beträchtliche Zahl der Polizeibeamten in der Welt oder auch in der Bundesrepublik Deutschland mit ihren erheblichen Unterschieden in Aufgabenstellung und Organisation könne im Tun des Angeklagten die Beleidigung jedes Polizeibeamten nicht ohne weiteres erblickt werden. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn ein – vom Willen des Angeklagten umfasster – Bezug auf individualisierbare Personen vorgelegen habe. Vorliegend lasse sich unter Berücksichtigung der konkreten Umstände der Äußerung des Angeklagten nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Angeklagte seine Aussage „All cops are bastards“ konkret auf die im Stadion anwesenden Polizeibeamten, unter ihnen den Anzeige erstattenden Zeugen, bezogen habe und er diese in ihrer Ehre habe herabsetzen wollen. Was wir davon halten? Ja, nee – ist klar: Der Fußballfan wollte den Polizisten durchaus seinen tiefsten Respekt bezeugen! Was der Meinungsäußerer aber eigentlich meinte war: Zwar sind all cops bastards, aber nicht, wenn ich nach dem Spiel von zehn Dresdner Hooligans aufgemischt werde, denn dann sind sie meine besten Freunde. Das Urteil sollte nicht als Freibrief für bundesweite Nachahmungen missverstanden werden. [Schon weil es zwischenzeitlich aufgehoben wurde, s. oben]. Zum Volltext der Entscheidung:

Landgericht Karlsruhe

Urteil

1.
Die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 12.05.2011 wird als unbegründet verworfen.

2.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.
Das Amtsgericht Karlsruhe erließ am 05.04.2011 Strafbefehl gegen den Angeklagten und verhängte wegen Beleidigung eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 40,00 EUR. Auf seinen Einspruch hin sprach das Amtsgericht den Angeklagten … mit Urteil vom 12.05.2011 vom Vorwurf der Beleidigung aus Rechtsgründen frei.

Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft erwies sich als unbegründet.

II.
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hatte dem Angeklagten im Strafbefehl vom 05.04.2011 folgenden Sachverhalt zur Last gelegt:

Am Nachmittag des 16.10.2010 habe sich der Angeklagte im Karlsruher Wildparkstadion befunden, wo die Zweitliga-Begegnung des Karlsruher SC gegen den VfL Bochum ausgetragen worden sei. Gegen 14:25 Uhr habe der Angeklagte im Fanblock B1/82 gemeinsam mit weiteren noch nicht ermittelten Personen großflächige Banner mit der Aufschrift „A C A B“ – Abkürzung für die Worte „All cops are bastards“ – hochgehalten, die im gesamten Stadion sichtbar gewesen seien. Der Angeklagte habe gewusst, dass die Buchstaben, mit denen er seine Miss- bzw. Verachtung gegenüber den bei dem Fußballspiel anwesenden Polizeibeamten habe ausdrücken wollen, diesen auffallen würden. Polizeirat … der sich als Einsatzleiter zu diesem Zeitpunkt in der Befehlsstelle der Polizei oberhalb der Haupttribüne befunden habe, habe sich durch die Aufschrift in seiner Ehre verletzt gefühlt.

Strafantrag sei form- und fristgerecht gestellt worden.

III.
Von diesem Vorwurf der Beleidigung war der Angeklagte … aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen freizusprechen.

Der Angeklagte hat sich über seinen Verteidiger zur Sache eingelassen und hat ausführen lassen, dass es zutreffe, dass er – gemeinsam mit anderen Fans des Karlsruher Sportclubs – am Nachmittag des 16.10.2010 im Fanblock B1/B2 auf großflächigen Bannern die Buchstabenkombination „A C A B!“ hochgehalten habe. Er selbst habe den Buchstaben „C“ hochgehalten. Die einzelnen Buchstaben seien aus einem zuvor von zahlreichen Fans hoch gehaltenen Banner „BFE ABSCHAFFEN !“ herausgetrennt worden. Ihm sei auch bekannt, dass dieses Kürzel für „All cops are bastards“ stehe. Er habe aber mit der Äußerung nicht die im Stadion des Karlsruher Sportclub an diesem Tag anwesenden Polizeibeamten in ihrer Ehre herabsetzen wollen. Über die im Stadion möglicherweise anwesenden Polizisten, die für ihn nicht sichtbar gewesen seien, habe er sich gar keine Gedanken gemacht. Vielmehr sei es ihm und den weiteren beteiligten Fans darum gegangen, generell Kritik an der zunehmenden Polizeigewalt und an dem Einsatz sogenannter „Beweis- und Festnahmeeinheiten“ (kurz: BFE) im Zusammenhang mit Großveranstaltungen, auch bei Fußballspielen, zu üben.

Anlass für diese Kritik sei zum einen der sog. „schwarze Donnerstag“ bei einer Demonstration in Stuttgart gegen das Projekt „Stuttgart 21“ am 30.09.2010 gewesen, bei dem die Polizei sehr massiv und gewaltsam gegen Demonstranten vorgegangen sei und viele Demonstranten verletzt habe. Zudem sei kurz zuvor gegen einen Fan des Karlsruher SC auf der Grundlage – nachweislich falscher – Aussagen zweier Frankfurter Polizeibeamten ein Strafbefehl wegen Landfriedensbruches erlassen worden. Hingegen habe sich die Äußerung „All cops are bastards“ nicht gegen die am 16.10.2010 im Stadion anwesenden Beamten der Karlsruher Polizei gerichtet. Denn zu diesen hätten die Fans des Karlsruher SC ein gutes Verhältnis. Auch sei es an diesem 16.10.2010 zu keinerlei Vorkommnissen oder Auseinandersetzungen mit Polizeikräften gekommen.

Der Zeuge … Polizeioberrat und verantwortlicher Einsatzleiter der Polizei am 16.10.2010 anlässlich der Spielbegegnung des Karlsruher SC und des VfL Bochum, hat bei seiner Vernehmung bekundet, dass im Fanblock 81/B2 ab ca. 13:00 Uhr zunächst ein großflächiges Transparent mit der Aufschrift: „BFE ABSCHAFFEN !“ und eine weiteres Transparent mit der Aufschrift: „Stuttgart 21 – Polizeigewalt kann jeden treffen!“ von nicht ermittelten Fans hoch gehalten worden sei. Gegen 14:30 Uhr hätten einige Fans, unter ihnen der Angeklagten … aus dem zuvor gezeigten Plakat „BFE ABSCHAFFEN“ die Buchstaben/Zeichen „ACAB!“ herausgetrennt und in dieser Reihenfolge, für die meisten Stadionbesucher gut sichtbar, hoch gehalten. Es sei allgemein bekannt, dass dieses Kürzel für „All cops are bastards“ stehe. Er selbst habe das Transparent, durch das er sich in seiner Ehre herabgesetzt fühle, vom sog. „Befehlsstand“ der Polizei oberhalb der Haupttribüne – gegenüber den Fanblocks gelegenen – wahrgenommen.

Bei einem Fußballspiel des Karlsruher SC seien in der Regel ca. 150 Polizeibeamte im Einsatz, vorwiegend zur Absicherung der Zu- und Abgänge der Besucher. Im Innenraum des Stadions seien Polizeibeamte in der Regel nicht eingesetzt. Dort sorgten, jedenfalls solange die Lage – wie am 16.10.2010 – friedlich sei, private Sicherheitsdienste und ehrenamtliche Ordner des Vereins für einen reibungslosen Spielverlauf. Von den eingesetzten Polizeibeamten hielten sich aber während des Fußballspiels viele auf der sog. „Walkrone“ des Stadions oder in der Befehlszentrale oberhalb der Haupttribune auf. Von dort aus sei das unter anderem vom Angeklagten hoch gehaltene Transparent gut sichtbar gewesen. Mehrere Kollegen hätten ihn auf das Transparent angesprochen und hätten ihm mitgeteilt, dass sie sich hierdurch in ihrer Ehre verletzt fühlten. Er habe deshalb als Geschädigter Strafantrag wegen Beleidigung gegen den Angeklagten gestellt.

Die Angaben des Zeugen …, die sich zum objektiven Geschehensablauf mit den eigenen Angaben des Angeklagten deckten, wurden bestätigt durch die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder auf Aktenseiten 23,25 und 27, auf denen die Transparente „BFE ABSCHAFFEN !“ und „ACAB!“ – jeweils hoch gehalten im Fanblock des Karlsruher SC – sichtbar waren. Auf die Lichtbilder wird wegen der Einzelheiten gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen.

Aus den auszugsweise verlesenen Strafanträgen ergab sich, dass der Zeuge … am 04.11.2010 und seine Dienstvorgesetzte, Polizeipräsidentin …, am 09.12.2010 jeweils Strafantrag gegen den Angeklagten wegen Beleidigung zum Nachteil des Zeugen … gestellt hatten.

IV.
Auf der Grundlage dieses Beweisergebnisses war der Angeklagte aus tatsächlichen und aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

Die Bezeichnung einer Person als „Bastard“ ist sowohl in der englischen als auch in der deutschen Sprache eindeutig ehrverletzend (vgL OLG Stuttgart, NStZ-RR 2009,50).

Dem Wortlaut nach bezog sich die Äußerung des Angeklagten auf alle Polizeibeamten dieser Welt („All cops … „), Voraussetzung der Beleidigung einer Mehrheit einzelner Personen unter einer Kollektivbezeichnung ist, dass sich die bezeichnete Personengruppe auf Grund bestimmter Merkmale so deutlich aus der Allgemeinheit heraushebt, dass der Kreis der Betroffenen klar abgegrenzt ist (BGHSt 2, 38,39; 11, 207,208; BGH MDR 1989, 558). Weiteres Kriterium ist, dass der fragliche Personenkreis deutlich überschaubar ist, da sich sonst die Beleidigung gegen einen einzelnen aus einem großen Personenkreis in der Vielzahl derer, die ihm angehören, verliert (BayObLG MDR 1990, 564-565 m.w.N.).

Im Hinblick auf die beträchtliche Zahl der Polizeibeamten in der Welt oder auch in der Bundesrepublik Deutschland mit ihren erheblichen Unterschieden in Aufgabenstellung und Organisation kann im Tun des Angeklagten die Beleidigung jedes Polizeibeamten nicht ohne weiteres erblickt werden. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn ein – vom Willen des Angeklagten umfasster – Bezug auf individualisierbare Personen vorlag.

Es ist mit Artikel 5 GG unvereinbar, wenn sich ein Gericht nicht hinreichend vergewissert, dass die mit Strafe belegten ÄUßerungen den ihnen beigemessenen kränkenden Sinn auch wirklich hatten. Vielmehr müssen der sprachliche Zusammenhang und die außertextlichen Begleitumstände des konkreten Einzelfalls, soweit diese für die Adressaten der Äußerung wahrnehmbar waren, berücksichtigt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995, 1 BvR 1476/91 „Soldaten sind Mörder“).

Vorliegend ließ sich unter Berücksichtigung der konkreten Umstände der Äußerung des Angeklagten nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Angeklagte seine Aussage „All cops are bastards“ konkret auf die im Stadion anwesenden Polizeibeamten, unter ihnen den Anzeige erstattenden Zeugen …, bezog und er diese in ihrer Ehre herabsetzen wollte.

Die Gestaltung der Aussage „ACAB !“ als Transparent, gebildet aus dem zuvor gezeigten Transparent „BFE abschaffen !“ und das zuvor ebenfalls gezeigte Transparent „Stuttgart 21 – Polizeigewalt kann jeden treffen“ lassen die Deutung der Aussage „All Cops are bastard“ als allgemeine Kritik an der Polizeiarbeit im Zusammenhang mit Großereignissen, wie Demonstrationen und Fußballspielen, und der – nach Auffassung des Angeklagten – zu beklagenden zunehmenden Polizeigewalt bei solchen Ereignissen, jedenfalls als möglich erscheinen. Dies gilt umso mehr als es im Zeitpunkt der Äußerung im Stadion des Karlsruher Sportclub am Nachmittag des 16.10.2010 zu keinerlei Konfrontation zwischen den Fans des KSC und den im Stadion eingesetzten Polizeibeamten gekommen war.

Die Berufung der Staatsanwaltschaft war deshalb als unbegründet zu verwerfen.

V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs.1 StPO.

Auf die Entscheidung hingewiesen hat openjur (hier).

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