LG Lübeck: Zur Frage, wann bei einer Facebook-Kontosperrung das Risiko eines Datenverlusts angenommen werden kann / 2023

veröffentlicht am 13. Oktober 2023

LG Lübeck, Beschluss vom 02.06.2023, Az. 15 O 2/23
§ 280 Abs. 1 BGB

Das LG Lübeck hat entschieden, dass im Rahmen eines Verfügungsverfahrens die Frage, ob mit der Sperrung eines Facebook-Accounts zugleich eine Verlust der dazugehörigen Daten droht, aus Sicht eines objektiven Dritten zu beurteilen ist. Was Facebook tatsächlich vorhatte, ist hierfür irrelevant, solange Facebook nicht ausdrücklich auf die Löschung der Daten verzichtet und es bei einer Sperrung bewenden lässt. Zum Volltext der Entscheidung:

Landgericht Lübeck

Beschluss

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin betreibt die Social Media Plattform Facebook.

Facebook hält einen Mechanismus zur Regulierung rechtswidriger oder gemeinschaftswidriger Inhalte vor. Dieser sieht unter anderem vorübergehende Nutzungsbeschränkungen und die endgültige Deaktivierung von Konten vor.

Im Hinblick auf Nutzungsbeschränkungen regeln die Gemeinschaftsstandards folgendes:

„Wir können Inhalte, die gegen diese Bestimmungen verstoßen, entfernen oder blockieren.

Wenn wir einen von dir geposteten Inhalt wegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen oder die Gemeinschaftsstandards entfernen, werden wir dich unverzüglich darüber informieren und dir auch den Grund für diese Maßnahme mitteilen. Wenn du mit unserer Entscheidung nicht einverstanden bist, kannst du eine Überprüfung beantragen. Wenn du eine Überprüfung beantragst, wirst du benachrichtigt, ob wir die Entscheidung bestätigen oder den Inhalt wiederherstellen oder dessen Blockierung aufheben werden.

Wenn du gegen diese Bestimmungen verstößt, können wir unbeschadet unseres Kündigungsrechts gemäß Abschnitt 4.2 außerdem deine Nutzung bestimmter Funktionen von Facebook für einen begrenzten Zeitraum einschränken. Dies betrifft u. a. das Erstellen von Inhalten wie das Posten oder Kommentieren, die Nutzung von Facebook Live oder das Erstellen einer Facebook-Seite. Die Art und der Umfang derartiger Einschränkungen hängen von der Schwere deines Verstoßes sowie von der Anzahl und Art früherer Verstöße ab. Wir werden dich darüber sowie über den Grund für die Maßnahme benachrichtigen. Wenn du nicht mit der beabsichtigten Einschränkung einverstanden bist, kannst du eine Überprüfung beantragen, bevor die Einschränkung in Kraft tritt. Wenn du eine Überprüfung beantragst, wirst du eine Benachrichtigung über unsere endgültige Entscheidung erhalten.

Eine Benachrichtigung über die Entfernung oder das Blockieren von Inhalten oder über die Einschränkung der Nutzung eines Kontos, einschließlich Details zum Grund, der Möglichkeit zur Beantragung einer Überprüfung und ggf. der Art und Dauer der Einschränkung, wird nicht bereitgestellt, wenn und sofern uns dies aus rechtlichen Gründen untersagt ist. Sie wird ebenfalls nicht bereitgestellt, wenn und sofern die Benachrichtigung unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien unangemessen wäre.“

Zur vollständigen und dauerhaften Deaktivierung von Konten ist in den Nutzungsbedingungen von Facebook folgendes geregelt:

„Unser Recht auf Kündigung aus wichtigem Grund bleibt hiervon unberührt. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn eine Partei gegen aus diesen Nutzungsbedingungen resultierenden Pflichten, Gesetze, Rechte Dritter oder Datenschutzrichtlinien verstößt, und der kündigenden Partei unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls und nach Abwägung der Interessen beider Parteien die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum vereinbarten Kündigungstermin oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Eine Kündigung aus wichtigem Grund ist nur innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens nach Kenntniserlangung von dem Verstoß möglich.

Ist der wichtige Grund ein Verstoß gegen eine Pflicht dieser Nutzungsbedingungen, so ist die Kündigung nur nach dem erfolglosen Ablauf einer gewährten Abhilfefrist oder nach einer erfolglosen Warnung zulässig. Eine Frist für die Abhilfe und eine Warnung sind jedoch nicht erforderlich, wenn die andere Seite die Erfüllung ihrer Pflichten ernsthaft und endgültig verweigert oder wenn nach Abwägung der Interessen beider Parteien besondere Umstände eine sofortige Kündigung rechtfertigen.

Du kannst mehr dazu erfahren, was du tun kannst, wenn dein Konto deaktiviert worden ist, und wie du uns kontaktieren kannst, wenn wir nach deiner Meinung dein Konto irrtümlicherweise deaktiviert haben.

Wenn du dein Konto löschst bzw. wir es deaktivieren oder löschen, enden diese Nutzungsbedingungen zwar als Vereinbarung zwischen dir und uns, aber folgende Bestimmungen bleiben weiterhin bestehen: 3.3.1, 4.2 bis 4.5.“

Weder die Nutzungsbedingungen noch die Gemeinschaftsstandards der Antragsgegnerin sehen vor, dass ein Nutzer über eine von der Antragsgegnerin wegen der Veröffentlichung von Beiträgen beabsichtigten vollständige Kontodeaktivierung vorab informiert und ihm zuvor die Möglichkeit zur Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung eingeräumt wird.

Die Daten eines deaktivierten Kontos werden von Facebook nach einer bestimmten Zeit („Schonfrist“) unwiderruflich gelöscht. Sobald der Löschvorgang eingeleitet wird, kann dieser noch innerhalb von 90 Tagen so gestoppt werden, dass das Konto noch wiederhergestellt werden kann. Selbst innerhalb dieser 90 Tage ist es allerdings möglich, dass ein Versuch der Wiederherstellung fehlschlägt. Bereits 14 Tage nach Einleitung des Löschvorgangs ist es zudem nicht mehr möglich, sämtliche Kontoinformationen wiederherzustellen. Nachvollziehbar für die Nutzerinnen und Nutzer kommunizierte Regeln über diese „Schonfrist“ und den Löschungsmechanismus sind nicht veröffentlicht.

Die Antragstellerin unterhält und nutzt seit vielen Jahren ein privates Nutzerkonto bei der Antragsgegnerin. Sie meldete sich dort mit der Email-Adresse XXX an.

Am 9. Oktober 2022 stellte die Antragstellerin den unten links abgebildeten Beitrag online. Die Antragstellerin entfernte den Beitrag am 10. Oktober 2022 da dieser gegen die Gemeinschaftsstandards der Antragstellerin bzgl. des Verbots von gefährlichen Personen und Organisationen verstoße und ggf. auch strafrechtlich relevant sei (§ 86a StGB). Unmittelbar danach wurde die Antragstellerin von der Entfernung unterrichtet. Eine Überprüfung der Entfernung des Beitrages beantragte sie nicht.

In der Folge versetzte die Antragsgegnerin das Nutzerkonto der Antragstellerin am 10. Oktober 2022 zunächst in einen sog. „Checkpoint“, wovon sie die Antragstellerin mit der nachfolgenden Nachricht (unten rechts) informierte.

Am 11. November 2022 deaktivierte die Antragsgegnerin das Konto sodann. Die Antragstellerin wurde von der Antragsgegnerin zuvor nicht angehört, d.h. über die beabsichtigte Kontodeaktivierung weder vorab informiert, noch wurde ihr zunächst die Möglichkeit zur Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung eingeräumt.

Die Antragstellerin versuchte zunächst selbst, die Antragsgegnerin zur Wiederherstellung des Nutzerkontos zu bewegen, indem sie auf den dort vorgesehenen Wegen eine Überprüfung beantragte.

Nachdem dies zu keiner Reaktion von Facebook führte, wandte sich die Antragstellerin spätestens Anfang Dezember 2022 an ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten. Diese wandte sich mit Schreiben vom 9. Dezember 2022 (Anlage K 1) an die Antragsgegnerin. In diesem Zuge wurde die Antragsgegnerin unter Fristsetzung nicht nur zur Wiederherstellung des Kontos, sondern auch vorsorglich zur Speicherung des Kontos inkl. sämtlicher Daten und Inhalte aufgefordert. Auch wurde der Antragsgegnerin ausdrücklich untersagt, das Nutzerkonto endgültig und unwiderruflich zu löschen, verbunden mit der Aufforderung, dies entsprechend schriftlich zu bestätigen. Die Antragsgegnerin reagierte hierauf mit einer standardisierten Email vom selben Tag, der im Wesentlichen zu entnehmen ist, dass eine „complaint number“ angelegt wurde und Facebook möglicherweise antworten wird – möglicherweise aber auch nicht („If your report pertains to alleged infringement/violation of your legal rights, we will generally contact you with a response. However, if you contacted us through this channel about another matter, you might not receive a response after our review.”) (Anlage K 2).

Mit Schreiben vom 2. Januar 2023, bei Gericht eingegangen am selben Tag, beantragte die Antragstellerin hierauf den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das Konto wurde in der Folge am 16.01.2023 wieder freigegeben.

Nachdem die Antragstellerin zunächst beantragt hatte, die Antragsgegnerin zu verurteilen, es „bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu unterlassen, das am 10.10.2022 deaktivierte Nutzerkonto der Antragstellerin (Anmelde-Email: blanks.hh@gmail.com) auf www.facebook.com und die dazu gespeicherten Daten endgültig und unwiderruflich zu löschen“, hat sie den Rechtstreit mit Schriftsatz vom 17. Januar 2023 für erledigt erklärt und Kostenentscheidung zu Lasten der Antragsgegnerin beantragt.

Die Antragsgegnerin hat sich der Erledigterklärung mit Schriftsatz vom 7. Februar 2023 angeschlossen und gleichfalls Kostenentscheidung zu Lasten der Gegenseite beantragt.

Die Antragsgegnerin behauptet, die Deaktivierung sei aufgrund wiederholter Verstöße der Antragstellerin gegen die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards der Antragsgegnerin erfolgt. Sie behauptet weiter, sie habe nicht beabsichtigt, das Nutzerkonto der Antragstellerin und die dazugehörigen Daten vor dem rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens zu löschen.

II.
Nachdem die Hauptsache durch Freischaltung des streitgegenständlichen Kontos durch die Antragsgegnerin ihre Erledigung gefunden und die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war gemäß § 91 a ZPO über die Kosten des Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dies führt hier zur Auferlegung der Kosten auf Antragsgegnerseite.

Die Antragsgegnerin hat nach billigem Ermessen die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Maßgebliche Entscheidungsgrundlage war dabei die vor Eintritt des erledigenden Ereignisses vorliegende Rechtslage. Vor Eintritt des erledigenden Ereignisses war der Antrag der Antragstellerin auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung zulässig und begründet.

1.
Der Antrag war zulässig. Bedenken im Hinblick auf die Zulässigkeit sind weder vorgebracht noch sonst ersichtlich.

2.
Der Antrag war auch begründet.

a.
Der Antragstellerin stand der geltend gemachte Verfügungsanspruch zu. Bis zur Erledigung des Antrages konnte sie von der Antragsgegnerin verlangen, es bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu unterlassen, das bereits deaktivierte Nutzerkonto der Antragstellerin und die dazu gespeicherten Daten endgültig und unwiderruflich zu löschen.

Der Anspruch folgt dabei aus § 280 Abs. 1 BGB. Hiernach können die Nutzer vorbeugende vertragliche Unterlassungsansprüche gegen Plattformbetreibern wie der Antragsgegnerin geltend machen, wenn die konkrete Gefahr einer erstmaligen Rechtsverletzung in der Zukunft besteht (Erstbegehungsgefahr) und dem Rechtsinhaber nicht zugemutet werden kann, die erste rechtswidrige Beeinträchtigung abzuwarten. Der Nachweis der Erstbegehungsgefahr obliegt dabei vollumfänglich dem Anspruchsteller.

Vorliegend bestand die konkrete Gefahr der vertragswidrigen Löschung des Nutzerkontos der Antragsgegnerin samt aller dazugehöriger Daten. Dass die Gefahr einer Datenlöschung bestand, folgt bereits aus den oben geschilderten Standardabläufen bei der Antragsgegnerin. Auch nach der eigenen Darstellung der Antragsgegnerin werden die Daten eines – wie hier – deaktivierten Kontos „nach einer bestimmten Zeit“ (sog. „Schonfrist“) unwiderruflich gelöscht.

Diese Gefahr war vorliegend auch hinreichend unmittelbar und nicht erst in entfernter Zukunft zu besorgen. Denn aus den obigen Ausführungen ergibt sich ebenfalls, dass jedenfalls aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Betrachters mit jedem weiteren ablaufenden Tag das Risiko anstieg, dass es unmittelbar zu einem Datenverlust kommen würde. Dies folgt aus dem Umstand, dass sich zwar an die Deaktivierung eine „Schonfrist“ anschloss, jedoch keinerlei nachvollziehbar kommunizierten Regelungen bestanden, wie lange diese Sicherheit vor Datenverlust bieten würde. Jedenfalls aus der Sicht eines objektiven Dritten musste jederzeit damit gerechnet werden, dass die – so auch in keiner Weise kommunizierte – „Schonfrist“ enden und der Prozess der endgültigen Löschung aktiviert würde. Dieser jederzeit mögliche Löschungsprozess bot sodann keinerlei zumutbare Sicherheit mehr vor Datenverlust, da dieser zwar während einer 90-tägigen Frist noch gestoppt werden kann, es allerdings unstreitig auch während dieser 90 Tage möglich ist, dass ein Versuch der Wiederherstellung fehlschlägt und zudem bereits 14 Tage nach Einleitung des Löschvorgangs es in jedem Fall schon nicht mehr möglich ist, sämtliche Kontoinformationen wiederherzustellen.

Dem kann die Antragsgegnerin auch nicht mit durchgreifendem Erfolg entgegensetzen, sie habe gar „nicht beabsichtigt“, das Nutzerkonto der Antragstellerin und die dazugehörigen Daten vor dem rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens zu löschen. Denn jedenfalls bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erledigung, mithin der Reaktivierung des Kontos am 16. Januar 2023 lag keine derartige Erklärung gegenüber der Antragstellerin vor, die geeignet gewesen wäre, die aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten bis zur Erledigung bestehende Erstbegehungsgefahr (vgl. oben) zu widerlegen. Vielmehr hatte die Antragsgegnerin bis zu diesem Zeitpunkt insbesondere auch auf das anwaltliche Schreiben nur durch eine faktisch aussagefreie Standardemail reagiert. Die Erklärung, keine Löschung zu beabsichtigen erfolgte erst im innerprozessualen Schriftsatz vom 26. Januar 2023 nach Eintritt der erledigenden Ereignisses – und damit zu spät.

Soweit andere Gerichte der entsprechenden Aussage der Antragsgegnerin, sie habe nicht vorgehabt, die Daten zu löschen, streitentscheidende Relevanz zubilligten (vgl. etwa OLG Nürnberg, Beschluss vom 7.10.2022 – 3 U 2178/22 -, MMR 2023, 375) überzeugt dies das Gericht nicht. Maßgeblich für die Prüfung der Frage, ob eine konkrete Gefahr des Datenverlustes vorlag, ist die sich aus Sicht eines objektiven Dritten darbietende Gesamtsituation. Diese sprach hier aus den dargelegten Gründen für eine erhebliche Gefahrensituation. Was hingegen die Antragsgegnerin aufgrund nicht vorgetragener, bis zur Erledigung des Verfahrens auch nicht nach außen getretener und rein interner Willensbildungsprozesse „wirklich“ wollte, kann an dieser Sachlage nichts ändern – und ist daher von der Antragstellerin auch nicht zu widerlegen.

Die damit unmittelbar drohende Löschung der Daten wäre auch rechtswidrig gewesen. In der Rechtsprechung ist insoweit mittlerweile anerkannt, dass Facebook ein Nutzerkonto grundsätzlich nur in Ausnahmefällen ohne vorherige Abmahnung kündigen und sodann die Daten löschen darf (vgl. etwa OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Februar 2022 – 10 U 17/20 -, GRUR-RS 2022, 1154). Eine vorherige Abmahnung ist hier nicht erfolgt und ein Ausnahmefall liegt nicht vor. Weder kann von einer ersichtlichen Zwecklosigkeit einer Abmahnung ausgegangen werden noch liegt in dem oben dargestellten Eintrag eine derart gravierende Vertragsverletzung vor, dass eine sofortige Kündigung zulässig gewesen wäre. Insbesondere liegt auch eine Strafbarkeit des Eintrages nach § 86a StGB nicht derart auf der Hand, dass eine Kündigung ohne Abmahnung angezeigt gewesen sein könnte. § 86a StGB ist nicht einschlägig, wenn ein Hakenkreuz in einem Kontext dargestellt wird, aus dem sich die Gegnerschaft zu der zugrundeliegenden Ideologie ergibt (BeckOK StGB/Ellbogen, 57. Ed. 1.5.2023, StGB § 86a Rn. 32-35). Dies ist vorliegend jedenfalls nicht fernliegend, da sich aus dem Text unter dem verwendeten Foto ergibt, dass die Antragsgegnerin die abgebildete Fahne als für die Abgebildeten gerade diskreditierend wahrnimmt – sich selbst mithin in Gegnerschaft zu diesen stellt.

b.
Es lag auch bis zum Zeitpunkt der Erledigung der für den Erlass der Anordnung erforderliche Verfügungsgrund vor.

Ein Verfügungsgrund liegt vor, wenn die objektiv begründete Gefahr besteht, dass durch Veränderung des status quo die Rechtsverwirklichung der Antragstellerin mittels des im Hauptsacheprozess erlangten Urteils einschließlich dessen Vollstreckung vereitelt oder erschwert werden könnte. Dies ist hier der Fall gewesen, da – wie sich bereits aus den obigen Ausführungen ergibt – jederzeit und mit im Zeitverlauf steigendem Risiko mit der unwiderruflichen Löschung der Daten gerechnet werden musste. Ein zeitaufwändiges Hauptsacheverfahren hätte keinesfalls mit der hinreichenden Aussicht auf Bewahrung der Daten vor Löschung betrieben werden können.

Einen Fall der Selbstwiderlegungen vermag das Gericht im Übrigen nicht zu erkennen. Ein solcher liegt nach der einschlägigen Rechtsprechung vor, wenn die Antragstellerin nach Eintritt der Gefährdung mit dem Antrag zuwartet. Wie lange die Antragstellerin dabei ohne Rechtsverlust mit dem Antrag zuwarten darf, lässt sich nicht allgemein bestimmen und hängt von der Art des Anspruchs und den Umständen des Einzelfalls ab. Für wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche wird in der Regel ein Zuwarten von einem Monat noch akzeptiert, während zwei Monate dringlichkeitsschädlich sind. Ähnliche Zeiträume werden bei Ansprüchen nach dem UrhG in der Rechtsprechung angenommen und bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen (vgl. MüKoZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 935 Rn. 19-21).

Bei der Bemessung des hier angemessenen Zeitraumes, der vor der Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe ohne Rechtsverlust verstreichen kann, kommt der Antragstellerseite vorliegend ein Einschätzungsspielraum zu. Dies folgt aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerseite zwar einerseits vorgerichtliche Abhilfemöglichkeiten anbietet (vgl. oben), die Nutzerinnen und Nutzer dann jedoch sehr weitgehend im Unklaren lässt, wie, wann und ob überhaupt hierauf reagiert wird. Hinzukommt zudem, dass keine nachvollziehbaren Informationen vorgehalten werden, wie lange die persönlichen Daten nach einer Deaktivierung des Kontos noch vor einer Löschung „sicher“ sind und wann der Löschungsprozess eingeleitet wird. In der Zusammenschau befinden sich die Nutzerinnen und Nutzer daher in der paradoxen und individuell auch nicht auflösbaren Situation, einerseits nicht zu früh – nämlich vor Ausschöpfung der plattformeigenen Abhilfemöglichkeiten – gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen zu sollen, andererseits hierauf keine Reaktion zu erhalten und im Hinblick auf die unklare Dauer der Schonfrist und des Beginn des Löschungsprozesses auch nicht zu wissen, wann die gerichtliche Inanspruchnahme „zu spät“ sein könnte.

Vor diesem Hintergrund hat das Gericht keinerlei Bedenken hinsichtlich der hier von der Antragstellerin gewählten zeitlichen Ablaufs, der eine angemessene und vernünftige Reaktion auf die aufgezeigte Gemengelage darstellt und daher nicht zu einem Rechtsverlust führen kann. Zwar verstrichen hier zwischen der gefahrbegründenden Deaktivierung des Kontos bis zur Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe ca. 7 Wochen. Dies geschah jedoch nicht durch reine Passivität der Antragstellerin, sondern ist die Folge der sinnvollen und angemessenen Nutzung der plattformeigenen Meldewege, die die Antragstellerin zu nutzen versuchte, wobei Verzögerungen vor allem dadurch eintraten, dass die Antragsgegnerin auf die Anschreiben nicht bzw. nicht angemessen einzelfallbezogen reagierte.

Die Deaktivierung erfolgte hier am 11. November 2021. Hierauf nutzte die Antragstellerin zunächst die plattformeigenen Wege der Beanstandung und wartete vernünftigerweise die Reaktion bis Ende November 2021 ab. Als keine Reaktion erfolgte, wandte sie sich Anfang Dezember an den Prozessbevollmächtigten, der sich – was ebenfalls nicht zu beanstanden ist – zunächst mit Schreiben vom 9. Dezember außergerichtlich an die Antragstellerin wandte und nun seinerseits ca. 3 angemessene Wochen auf substantielle Antwort abwartete – die nicht erfolgte. Im Anschluss stellte die Antragstellerin unverzüglich Antrag auf Erlass der begehrten Maßnahme bei Gericht.

Die Kosten waren im Rahmen des richterlichen Ermessens nach § 91 a ZPO auch nicht aus anderen Gründen den Klägern aufzuerlegen.

Das Gericht legt den Streitwert auf 10.000 EUR fest. Hierbei geht es davon aus, dass der Streitwert in einem Hauptsacheverfahren wegen der Löschung eines Facebook-Kontos und damit einhergehend aller dort enthaltenen Freundschaftsverbindungen, Follower, Posts etc. ein Streitwert von vorliegend 10.000 EUR angemessen erscheint. Hiervon hat das Gericht vorliegend keinen weiteren Abschlag vorgenommen, da Gegenstand des hiesigen Verfahrens zwar nur der Erlass einer einstweiligen Anordnung war, dessen Anlass jedoch die Befürchtung endgültigen Datenverlustes war, so dass insoweit kein erheblicher Unterschied zwischen Hauptsachestreitwert und Streitwert des einstweiligen Anordnungsverfahrens besteht (so auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 9. August 2022 – 4 W 40/22 -, Juris).

Die Entscheidung des Landgerichts Lübeck wurde durch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (Beschluss vom 26.08.2023, Az.10 W 15/23) bestätigt und ist in der Folge rechtskräftig.

I