LG Potsdam: Wer massenhaft mit Stellenanzeigen Testkäufer für Abmahnungen anwirbt und sodann mit deren Hilfe Abmahnungen ausspricht, handelt rechtsmissbräuchlich

veröffentlicht am 14. Februar 2011

Rechtsanwalt Dr. Ole DammLG Potsdam, Urteil vom 20.05.2010, Az. 2 O 160/10
§ 8 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 UWG

Das LG Potsdam hat entschieden, dass eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung rechtsmissbräuchlich ist, wenn der Verfügungskläger erst seit kurzem (hier: dem 01.04.2010) qualifizierte Einrichtung im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG ist, er aber gleichwohl bereits 97 Stellenanzeigen zur Anwerbung minderjähriger Testkäufer geschaltet hat, während er über einen „Hausjuristen“ (noch) nicht verfügt. Die Stellenanzeigen belegen nach Auskunft der Kammer, dass der Verfügungskläger Testkäufer nicht für den Bereich Berlin/Brandenburg, sondern auch für Magdeburg, Dessau, Erfurt, Leipzig, Dresden, Görlitz, Rostock, Schwerin, Hamburg und Kiel gesucht habe. Diese Umstände legten den Schluss nahe, dass die Existenz des Verfügungsklägers derzeit darauf angelegt sei, massenhaft und großflächig Unternehmen wegen Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz wettbewerbsrechtlich abzumahnen bzw. zu verklagen und sich derart Ansprüche auf Rechtsverfolgungskosten gegen diese Unternehmen zu verschaffen. Zum Volltext der Entscheidung:


Landgericht Potsdam

Urteil

In dem Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam auf die mündliche Verhandlung vom 20.05.2010 durch … für Recht erkannt:

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Verfügungskläger auferlegt.

3. Der Verfahrenswert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch.

Der Verfügungskläger ist aufgrund Bescheid des Bundesamts für Justiz vom 23.03.2010 seit dem 1.04.2010 als qualifizierte Einrichtung im Sinne von § 8 III Nr. 3 UWG in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragen, und führt mit Minderjährigen sogenannte Testkäufe durch.

Der Verfügungsbeklagte betreibt eine ARAL-Tankstelle, an welcher außer Treibstoff für Kraftfahrzeuge u. a. auch alkoholische Getränke erworben werden können.

Der Verfügungskläger behauptet, am 24.04.2010 habe in seinem Auftrag die 15 Jahre alte Testkäuferin L. in Begleitung einer erwachsenen Testperson in der ARAL-Tankstelle des Verfügungsbeklagten ein Biermischgetränk mit einem Alkoholanteil von 2,5 % (Schöfferhofer Grapefruit) erworben; am 14.05.2010 habe in seinem Auftrag der 17 Jahre alte N. in Begleitung einer erwachsenen Testperson ein Branntweinmischgetränk mit einem Alkoholanteil von 10 % (Jack Daniels & Cola) erworben.

Der Verfügungskläger ist mit Blick auf die behaupteten Testkäufe der Ansicht, der Verfügungsbeklagte habe gegen § 9 Abs. 1 JuSchG verstoßen; er habe gegen diesen daher einen Unterlassungsanspruch aus den §§ 3,4 Nr. 11, 8 Abs. 2 Nr. 3 UWG.

Der Verfügungskläger ist der Ansicht, die Testkäufe seien zulässig gewesen. Den Tatbestand des § 28 N JuSchG hätten sie nicht erfüllt, da die Testkäufer den Alkohol unmittelbar nach dem Testkauf an die erwachsene Begleitperson herausgegeben hätten. Im Übrigen würden Testkäufe mit Minder¬jährigen in einzelnen Bundesländern (Niedersachsen, Hamburg) von Ordnungsämtern und Verbrau¬cherschutzzentralen tausendfach vorgenommen.

Der Verfügungskläger beantragt, dem Verfügungsbeklagten aufzugeben, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder der Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des geschäftlichen Handeins alkoholische Getränke an Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren, soweit sie sich nicht in Begleitung erwachsener Personen befinden, oder branntweinhaltige Getränke, die Branntwein in nicht nur geringfügiger Menge enthalten, an Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren abzugeben.

Der Verfügungsbeklagte beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Der Verfügungsbeklagte behauptet, sämtliche Mitarbeiter wiederholt und regelmäßig geschult und angewiesen zu haben, Alkohol an Personen unter 16 Jahren nicht zu verkaufen, sich bei Kunden mit einem geschätzten Alter von bis zu 25 Jahren den Personalausweis vorlegen zu lassen und bei Nichtvorlage alkoholhaltige Getränke nicht zu verkaufen.

Der Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei nach § 8 Abs. 4 UWG rechtsmissbräuchlich; zum einen, weil der Verfügungskläger mit seinen Testkäufen in strafbarer bzw. rechtswidriger Weise auf die behaupteten Wettbewerbsverstöße hingewirkt habe, und zum anderen, weil der Verfügungskläger mit seinem Vorgehen allein darauf abziele, einen Anspruch auf Erstattung von Rechtsverfolgungskosten entstehen zu lassen. Hierzu trägt der Verfügungsbeklagte vor, der Verfügungskläger beschäftige bislang keinen Juristen, suche jedoch – unter Schaltung von mindestens 97 Stellenanzeigen – intensiv nach Testkäufern (Anlage 5).

Für den weiteren Vortrag der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unzulässig; dem Verfügungskläger fehlt die Antrags- bzw. Klagebefugnis.

Dies ergibt sich aus § 8 Abs. 4 UWG; die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch den Verfügungskläger ist missbräuchlich. Dies folgt daraus, dass die vom Verfügungskläger ausreichend glaubhaft gemachten Testkäufe, auf die er seinen Unterlassungsanspruch stützt, ein rechtswidriges und verwerfliches Hinwirken auf die behaupteten Wettbewerbsverstöße des Verfügungsbeklagten waren (vgl. Hefermehl/Köhler/Bornkarnm-Köhler, UWG, § 4 Rz. 10.162 mwN aus der Rechtsprechung).

Der Verfügungskläger hat mit den Testkäufenjeweils eine Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 28 Abs. 4 S. 1, Abs. 1 Nr. 10 JuSchG begangen. Er hat durch die Heranziehung und Beauftragung Minderjähriger, Testkäufe durchzuführen, bewusst deren Alkoholbesitz herbeigefUhrt, einen Zustand also, welches durch das Abgabeverbot der §§ 9 Abs. 1, 28 Abs. 1 Nr. 10 JuSchG verhindert werden soll. Gleichzeitig hat er hierdurch im Sinne von § 28 Abs. 4 S. 1 JuSchG ein Verhalten, nämlich den Alkoholkonsum Minderjähriger, gefordert. welches durch das Abgabeverbot der §§ 9 Abs. 1, 28 Abs. 1 Nr. 10 JuSchG verhindert werden soll.

Der Verfügungskläger kann sich nicht unter Hinweis auf die Rechtsauffassung des Innenministers des Landes Niedersachsen zu behördlichen Testkäufen darauf berufen, die Testkäufe seien so organisiert, dass es zu Alkoholkonsum der minderjährigen Testkäufer nicht komme; diese müssten die erworbenen alkoholischen Getränke an die erwachsene Begleitperson herausgeben. Der Verfügungskläger kann nämlich eine solche Herausgabe – ggf. im Gegensatz zur Lage beim behördlichen Testkauf – nicht erzwingen. Der Minderjährige nimmt den Alkohol im Zuge des Eigentumserwerbs in Besitz und ist damit in der Lage, ihn noch an Ort und Stelle zu konsumieren, obne dass die Begleitperson dies auf legalem Wege, insbesondere ohne Anwendung von Gewalt, verhindern könnte.

Selbst wenn der Verfügungskläger mit der Durchführung der Testkäufe eine Ordnungswidrigkeit nicht begangen hätte, wären die Testkäufe immer noch ein sittlich-verwerfliches Hinwirken auf die behaupteten Wettbewerbsverstöße.

Der Schutzzweck der § 9 Abs. 1, 28 Abs. 1 Nr. 10 JuSchG, also des bußgeldbewehrten Verbotes, Besitz und Konsum von Alkohol herbeizufUhren oder zu fördern, ist es offenkundig, Kinder und Jugendliche gar nicht erst in eine Situation zu bringen, in denen sie den Gefahren des Alkohols ausgesetzt sind. Eben dieser Schutzzweck wird jedenfalls in Bezug auf die jeweils eingesetzte minderjährige Testperson vereitelt, indem sie zum Alkoholerwerb angeleitet wird und womöglich sogar die – spezialpräventiv verheerende – Erfahrung macht, wie leicht es ist, in vom JuSchG mißbilligter Weise an Alkohol zu gelangen.

Darüber hinaus werden bei Testkäufen als Testkäufer eingesetzte Kinder und Jugendliche instrumentalisiert. Sie werden zum Werkzeug in einem rechtlich erheblichen Vorgang, deren Konsequenzen sie und/oder ihre Eltern, deren Einwilligung mit Blick auf den Einsatz der verfahrensgegenständlichen Testkäufer nicht ersichtlich ist, möglicherweise gar nicht absehen können; ggf. müssen sie sogar als Zeuge vor Gericht aussagen. Diese Instrumentalisierung der minderjährigen Testkäufer erscheint vor dem Hintergrund der AusfUhrungen im vorhergehenden Absatz im Zusammenhang mit der Aufdeckung von Verstößen gegen § 9 Abs. 1 JuSchG in besonderem Maße verwerflich, weil sie der Gruppe angehören, die das JuSchG schützen will.

Der – möglicherweise gegen die Verwerflichkeit der verfahrensgegenständlichen Testkäufe in Stellung zu bringende – Einwand des Verfügungsklägers. der Jugendschutz erfordere ein Tätigwerden wie das vorliegende, da das Wettbewerbsrecht über § 8 Abs. 2 UWG einen den Ordnungsbehörden nicht zur Verfügung zustehenden Zugriff auf den Inhaber des Verkaufsbetriebs ermögliche, verfängt nicht. Die nach § 8 Abs. 3 UWG Anspruchsberechtigten einschließlich des Verfiigungsklägers sind nicht verlängerter Arm oder Hilfsorgan der Ordnungsbehörden, denen allein es obliegt, die Einhaltung des § 9 Abs. 1 JuSchG zu überwachen und zu diesem Zwecke Bußgelder zu verhängen.

Schließlich ist nach § 8 Abs. 4 UWG die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs – ohne daß es darauf noch ankäme – auch missbräuchlich und unzulässig, weil sie vorwiegend dazu dient, gegen den Verfügungsbeklagten Rechtsverfolgungskosten entstehen zu lassen.

Der Verfügungskläger ist erst seit dem 1.04.2010 qualifizierte Einrichtung im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG. Der Verfügungsbeklagte hat unbestritten vorgetragen, der Verfügungskläger habe gleichwohl bereits 97 Stellenanzeigen zur Anwerbung minderjähriger Testkäufer geschaltet, während er über einen „Hausjuristen“ (noch) nicht verfüge. Die Stellenanzeigen (Anlage 5) belegen, dass der Verfügungskläger Testkäufer nicht für den Bereich Berlin/Brandenburg, sondern auch für Magdeburg, Dessau, Erfurt, Leipzig, Dresden, Görlitz, Rostock, Schwerin, Hamburg und Kiel sucht. Diese Umstände legen den Schluss nahe, dass die Existenz des Verfügungsklägers derzeit darauf angelegt ist, massenhaft und großflächig Unternehmen wegen Verstößen gegen das JuSchG wettbewerbs rechtlich abzumahnen bzw. zu verklagen und sich derart Ansprüche auf Rechtsverfolgungskosten gegen diese Unternehmen zu verschaffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO die Festsetzung des Verfahrenswerts auf § 3 ZPO.

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