OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.12.2012, Az. 1 Ws 218/12
§ 298 Abs. 1 StPO, § 312 StPO, § 67 Abs. 3 JGG
Das OLG Brandenburg hat in einer Strafsache entschieden, dass die Einlegung der Berufung mit Hilfe eines „SMS-to-Fax-Service“ das Schriftlichkeitserfordernis erfüllt. Dem Sinn und Zweck des Schriftlichkeitserfordernisses, dem Schriftstück den Inhalt der Erklärung wie auch die Person desjenigen, der sie abgibt, hinreichend zuverlässig entnehmen zu können, genüge es, wenn ein Absender im Wege der elektronischen Datenübermittlung veranlasse, dass die maßgebliche Erklärung erst andernorts und nur maschinenschriftlich niedergelegt werde. Maßgeblich sei allein die auf Veranlassung des Absenders am Empfangsort erstellte, für den Adressaten bestimmte Urkunde, so dass es nicht darauf ankomme, ob diese auf einer Urschrift beruhe, die am Absendeort aufgenommen und vom Erklärenden unterzeichnet worden sei. Aus diesem Grund ist seit langem anerkannt, dass Rechtsmittelschriften durch Telegramm, Fernschreiben und sog. Computerfax ihrer Art nach dem Schriftlichkeitserfordernis genügten. Es werde – anders als bei einer E-Mail vom Absender ein Ausdruck an Empfängerstelle veranlasst und so ohne Zutun des Empfängers, der entsprechende Technik vorhalte, ein Substrat geschaffen. Zur Schriftform gehört zwar weiter, dass ein Schriftstück vorliege, aus dem die Person, von der sie ausgeht, schon im Zeitpunkt des Eingangs der Erklärung bei Gericht entnommen werden könne. Für die Wahrung des Schriftformerfordernisses sei aber auch bei fristgebundenen Rechtsbehelfen eine handschriftliche Unterzeichnung nicht unbedingt notwendig; entscheidend sei, dass aus dem Schriftstück in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise oder jedenfalls hinreichend zuverlässig ersichtlich sei, von wem die Erklärung herrühre. Zum Volltext der Entscheidung:
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
…
Auf die sofortige Beschwerde der gesetzlichen Vertreterin des Angeklagten wird der Beschluss der 2. Strafkammer – kleine Jugendkammer – des Landgerichts … vom 24.07.2012 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Das Amtsgericht … – Jugendrichter – hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung in zwei Fällen schuldig gesprochen und gegen ihn einen Jugenddauerarrest von zwei Wochen verhängt. Das Urteil ist am 04.04.2012 in Anwesenheit des Angeklagten und seiner Mutter als seiner gesetzlichen Vertreterin verkündet worden. Am 05.04.2012 ging bei Gericht über den „SMS-to-Fax-Service“ eines Mobilfunkunternehmens ein Telefax ein, mit dem gegen das Urteil Berufung eingelegt wurde. Die Nachricht lautet:
„ag fr…..(…])ich lege gegen d.urteil v.a-gericht …(04.04.2012/10uhr!)-sofortige berufung ein(folgt schriftl.)!m.f.g.c…“.
Mit Beschluss vom 24.07.2012 hat die kleine Jugendkammer des Landgerichts … die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts … als unzulässig verworfen. Zur Begründung wird ausgeführt, der Text des Telefax lasse nicht in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise erkennen, von wem die Erklärung herrühre. Der Beschluss ist dem Verurteilten und seiner gesetzlichen Vertreterin ausweislich der Zustellungsurkunden jeweils am 20.10.2012 unter der Anschrift ….. … und am 07.11.2012 unter der Anschrift ….. Brandenburg zugestellt worden.
Bereits zuvor, am 28.09.2012, ging bei Gericht über den „SMS-to-Fax-Service“ eines Mobilfunkunternehmens ein Telefax mit folgendem Text ein:
„Tag chef ü.chef(v.richter …..)!az:…..!möchte überprüfung erwirken(!)-arrestantritt unter gegebenen umständen zu unrecht(!!)angeordnet!!m.f.g.,c.k.!“
In einer weiteren SMS-Telefax-Nachricht vom selben Tage heißt es:
„[…]…urteil+beschluß(begründg.unrichtig!)[…]b.sorgeberechtigt,somit rechtsmittelberechtigt!c.k.!“.
Am 13.11.2012 legte Frau … als gesetzliche Vertreterin des Verurteilten mit handschriftlich gefertigtem und unterzeichnetem Schriftsatz vom 10.11.2012 sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts … vom 24.07.2012 ein. Sie trägt vor, sie habe zwei Schreiben am 07.11.2012 erhalten; ihr Sohn sei kein „völlig uneinsichtiger Mensch“ und habe keinen „ganz erheblichen Erziehungsbedarf“.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat dahingehend Stellung genommen, dass auf die form- und fristgerechte sofortige Beschwerde der angefochtene Beschluss aufzuheben sei.
II.
1.
Das Rechtsmittel ist zulässig.
Dabei kann dahinstehen, ob die gemäß § 322 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde bereits mit den vorab am 28.09.2012 eingegangenen Telefax-Nachrichten formgerecht eingelegt worden ist. Die gemäß § 306 Abs. 1 StPO erforderliche Schriftform ist jedenfalls durch den Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 10.11.2012 gewahrt. Beschwerdeberechtigt ist gemäß § 298 Abs. 1 StPO, § 67 Abs. 3 JGG auch … als die gesetzliche Vertreterin und Erziehungsberechtigte des Angeklagten.
Mit dem am 13.11.2012 eingegangenen Schriftsatz vom 10.11.2012 ist auch die Beschwerdefrist von einer Woche (§ 311 Abs. 2 StPO) eingehalten worden. Denn die Beschwerdefrist begann erst mit der Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 07.11.2012 zu laufen. Die nach der Zustellungsurkunde vom 20. Oktober 2012 zuvor erfolgte Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten unter der Adresse … in … war unwirksam, weil aufgrund des Akteninhalts feststeht, dass die Beschwerdeführerin unter dieser Anschrift keine Wohnung unterhalten hat. Vielmehr handelt es sich nach dem Inhalt des Urteils des Amtsgerichts … vom 4. April 2012 um die Adresse der Wohngruppe des …., in welcher der Angeklagte lebt oder lebte. Nach den Auskünften von Einwohnermeldeämtern hatte die Mutter des Angeklagten ihre Wohnung im maßgeblichen Zeitraum stets unter der Anschrift …. Das stimmte überein mit der Adressangabe der Beschwerdeführerin selbst.
Dass die Zustellungsurkunde vom 20.10.2012 die Zustellung des angefochtenen Beschlusses im Bereich der Wohnung der Beschwerdeführerin bescheinigt, die sich unter der Anschrift in … befinde, steht dem nicht entgegen. Denn die Postzustellungsurkunde erbringt vollen Beweis (§ 418 Abs. 1 ZPO) nur für den beurkundeten Vorgang in seinem äußeren Ablauf, nicht aber auch auf den zum weiteren Zustellungstatbestand gehörenden Umstand, dass es sich um eine Wohnung des Zustellungsempfängers handelt (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 418 ZPO, Rdnr. 3). Die hier anzuerkennende Indizwirkung ist im vorliegenden Fall durch die aus den Akten ersichtlichen Umstände widerlegt.
2.
Die sofortige Beschwerde der gesetzlichen Vertreterin des Angeklagten ist begründet. Das Landgericht hätte die gegen das Urteil vom 04.04.2012 gerichtete Berufung der gesetzlichen Vertreterin des Angeklagten nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Die mit Hilfe eines „SMS-to-Fax-Service“ per Telefax vom 05.04.2012 eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 312, 298 Abs. 1 StPO, § 67 Abs. 3 JGG), fristgerecht (§ 314 Abs. 1 StPO) und auch im Übrigen zulässig.
Insbesondere ermangelt das Rechtsmittel nicht der gesetzlichen Form. Nach § 314 Abs. 1 StPO ist die Berufung zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich einzulegen.
a)
Keine Bedenken ergeben sich aus der Wahl des Übertragungsmittels eines „SMS-to-Fax-Service“. Dem Sinn und Zweck des Schriftlichkeitserfordernisses, dem Schriftstück den Inhalt der Erklärung wie auch die Person desjenigen, der sie abgibt, hinreichend zuverlässig entnehmen zu können, genügt es, wenn ein Absender im Wege der elektronischen Datenübermittlung veranlasst, dass die maßgebliche Erklärung erst andernorts und nur maschinenschriftlich niedergelegt wird. Maßgeblich ist allein die auf Veranlassung des Absenders am Empfangsort erstellte, für den Adressaten bestimmte Urkunde, so dass es nicht darauf ankommt, ob diese auf einer Urschrift beruht, die am Absendeort aufgenommen und vom Erklärenden unterzeichnet worden ist. Aus diesem Grund ist seit langem anerkannt, dass Rechtsmittelschriften durch Telegramm, Fernschreiben und sog. Computerfax ihrer Art nach dem Schriftlichkeitserfordernis genügen (vgl. Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes NJW 2000, 2340, 2341; BGH NStZ 1983, 36 f. – je mit zahlr. Nachweisen). Ebenso wie bei diesen Übertragungsmitteln wird – anders als etwa bei einer Übermittlung durch elektronische Post über das Internet (E-Mail) – bereits vom Absender ein Ausdruck an Empfängerstelle veranlasst und so ohne Zutun des Empfängers, der entsprechende Technik vorhält, ein Substrat geschaffen. Dieses kann dann die notwendigen Angaben zu Inhalt der Erklärung und Person des Erklärenden erhalten.
b)
Zur Schriftform gehört weiter, dass ein Schriftstück vorliegt, aus dem die Person, von der sie ausgeht, schon im Zeitpunkt des Eingangs der Erklärung bei Gericht entnommen werden kann. Die Einhaltung von Formvorschriften ist nicht Selbstzweck; auch sie dienen letztlich der Wahrung der materiellen Rechte der Verfahrensbeteiligten, indem sie die einwandfreie Durchführung des Prozesses sicherstellen. Für die Wahrung des Schriftformerfordernisses ist daher auch bei fristgebundenen Rechtsbehelfen eine handschriftliche Unterzeichnung nicht unbedingt notwendig; entscheidend ist, dass aus dem Schriftstück in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise oder jedenfalls hinreichend zuverlässig ersichtlich ist, von wem die Erklärung herrührt (vgl. Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes NJW 1980, 172, 174; RGSt 62, 53, 54; 63, 246, 247 f.; 67, 385, 388; BGHSt 2, 77, 78; 12, 317; BGH NJW 1984, 1974; BGH NStZ 2002, 558; BVerfGE 15, 288, 291 f.; BVerfG [K] NJW 2002, 3534, 3535; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, Einleitung, Rdnr. 128).
Dem Telefax-Schreiben vom 5. April 2012, das auf Veranlassung des Absenders der elektronischen Kurznachricht (SMS) ausgedruckt worden ist, lässt sich eine bestimmte Person als deren Urheber noch hinreichend zuverlässig entnehmen. Der Text bezeichnet den Namen des Erklärenden, indem er mit den Buchstaben „…“ schließt.
Die erforderliche an den Umständen des Einzelfalls ausgerichtete Prüfung, von wem das Schriftstück herrührt und ob dieser zum Kreis der Beschwerdeberechtigten gehört, ergibt, dass das Rechtmittel von der gesetzlichen Vertreterin des Angeklagten, Frau C… K…, eingelegt worden ist. Die Identität des Erklärenden ergibt sich hier bereits aus dem Schriftstück, d. h. der auf seine Veranlassung am Empfangsort erstellten körperlichen Urkunde selbst (vgl. dazu BVerfGE 15, 288, 291; BGH NStZ 2002, 558; BGH NJW 1984, 1974; RGSt 67, 385, 388; BayObLG NJW 1980, 2367; KG JR 1971, 252, 253; s. auch: Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Stand 1. Januar 2003, § 314 StPO, Rdnr. 19). Auch ohne den Inhalt weiterer Schriftsätze, die etwa vom gleichen Mobilfunkanschluss aus veranlasst worden sind, oder andere Umstände und Beziehungen aus dem vorausgegangenen Verfahren zur Ermittlung der Identität des Absenders heranzuziehen, steht hinreichend zuverlässig fest, dass mit „…“ die im Hauptverhandlungsprotokoll des Amtsgerichts … aufgeführte gesetzliche Vertreterin des Angeklagten Berufung eingelegt hat. Dass dann ein Buchstabe des Zunamens fehlt, ist dadurch erklärbar, dass die SMS-Nachricht die 160-Zeichen-Grenze erreicht.
Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei dem Telefax lediglich um einen Entwurf gehandelt hat oder die Erklärung ohne Wissen und Wollen der Beschwerdeführerin dem Gericht zugeleitet wurde, sind nicht gegeben. Angesichts des sehr bestimmt formulierten Textes „ich lege […] sofortige Berufung ein“ ist der Ergänzung „(folgt schriftl.)“ nicht zu entnehmen, Berufung solle jetzt noch nicht, sondern erst mit einem (weiteren) Schriftsatz eingelegt werden.
Das Ergebnis entspricht den Forderungen des Verfahrensgrundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes, der Anspruch des Bürgers auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle, fordert, dass die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren. Bei der Anwendung und Auslegung prozessrechtlicher Vorschriften, die die Gewährung rechtlichen Gehörs sichern sollen, dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden (vgl. BVerfG [K] NJW 2002, 3534, 3535).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473, 467 StPO in entsprechender Anwendung.