OLG Bremen: Geht die Berufungsschrift kurz vor Fristablauf beim falschen Gericht ein, ist grundsätzlich keine Wiedereinsetzung zu gewähren

veröffentlicht am 26. November 2012

OLG Bremen, Beschluss vom 28.08.2012, Az. 3 U 33/12
§ 233 ZPO

Das OLG Bremen hat entschieden, dass eine Berufungsschrift nicht fristgerecht eingeht, wenn sie kurz vor Fristablauf (und offensichtlich ohne die deutlich erkennbare Bitte um sofortige Weiterleitung) nicht beim zuständigen Berufungsgericht, sondern beim erstinstanzlichen Gericht eingereicht wird, da es keine allgemeine Verpflichtung oder Handhabe der Gerichte gebe, die Zuständigkeit sofort nach Eingang zu prüfen (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 12.10.2011, Az. IV ZB 17/10). Im vorliegenden Fall wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung daher als unbegründet zurückgewiesen. Vgl. aber auch : „Geht der Schriftsatz so zeitig beim mit der Sache befasst gewesenen Gericht ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei nicht nur darauf vertrauen, dass der Schriftsatz überhaupt weitergeleitet wird, sondern auch darauf, dass er noch fristgerecht beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht“ (BVerfG, Beschluss vom 03.01.2001, Az. 1 BvR 2147/00). Zum Volltext der Entscheidung:

Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen

Beschluss

In dem Rechtsstreit

gegen

hat der 3. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen durch … am 28.08.2012 beschlossen:

Die Berufung des Beklagten wird als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO).

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt der Beklagte.

Gründe

I.
Der Kläger, der am 26.04.2008 gegen 2:30 Uhr vor der Diskothek S. in Bremen vonzwei Personen angegriffen und verletzt worden ist, verlangt wegen dieses Vorfalls Schmerzensgeld von dem Beklagten. Mit dem am 22.03.2012 verkündeten Urteil hat das Landgericht der Klage überwiegend, nämlich bis auf den Zinsbeginn, stattgegeben.

Das Urteil ist dem Beklagten am 10.04.2012 zugestellt worden (Bl. 173 d.A.). Die Berufungsfrist endete deshalb mit Ablauf des 10.05.2012 (§ 517 ZPO). Die Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat die Berufung am 09.05.2012 – einen Tag vor Fristablauf – an das Landgericht Bremen per Telefax übermittelt, wo es um 12:45 Uhr einging. Eine Weiterleitung an das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen ist zunächst nicht erfolgt. Ausweislich der Eingangsstempel ist die Berufung erst am 12.06.2012 beim Berufungsgericht eingegangen. Zudem hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 05.06.2012, hier eingegangen am 11.06.2012, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt sowie nochmals Berufung eingelegt.

Auf den Hinweis der Senatsvorsitzenden gemäß Verfügung vom 25.06.2012 (Bl. 202 f. d.A.), dass die Berufung nicht fristgerecht eingegangen sei, hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 15.07.2012 (Bl. 209 f.), eingegangen beim Oberlandesgericht am 16.07.2012, seine Anträge aufrecht erhalten. Der Kläger ist dem entgegen getreten.

II.
Die Berufung ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der mit Ablauf des 10.05.2012 endenden Berufungsfrist eingelegt worden ist. Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß § 233 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 234, 236 ZPO), jedoch nicht begründet.

Zunächst wird zur Begründung auf den Hinweis der Senatsvorsitzenden vom 25.06.2012 verwiesen. Auch unter Berücksichtigung des ergänzenden Vorbringens des Beklagten ergibt sich nichts Abweichendes. Es ist nicht ersichtlich, dass die Prozessbevollmächtigte des Beklagten auf die rechtzeitige Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht vertrauen durfte und der damit durch ihren Fehler in Gang gesetzte Kausalzusammenhang unterbrochen worden wäre. Denn es ist Sache der antragstellenden Partei, darzulegen und glaubhaft zu machen, dass der Schriftsatz im antragstellenden Partei, darzulegen und glaubhaft zu machen, dass der Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang fristgemäß das zuständige Rechtsmittelgericht erreicht hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 15.06.2011, XII ZB 4689/10, m.w.N., zitiert nach juris).

Dies ist dem Beklagten jedoch nicht gelungen

Zwar hat der Beklagte zu den Gepflogenheiten in der Posteingangsstelle des Amtsgerichts vortragen lassen und seine Prozessbevollmächtigte ihren Vortrag anwaltlich versichert sowie die Einholung einer Auskunft der Poststellenbeamten beantragt. Dies führt jedoch nicht zu einem anderen Ergebnis, ohne dass die betreffende Auskunft erhoben werden müsste. Auch wenn in der Posteingangsstelle des Amtsgerichts täglich gegen 11.00 Uhr die Post abgeholt und auf die Gerichte verteilt wird, folgt hieraus nicht, dass ein noch fristgerechter Eingang der Berufung beim Oberlandesgericht im ordentlichen Geschäftsgang zu erwarten war. Dabei ist zunächst von Bedeutung, dass es keine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit bei Eingang einer Rechtsmittelschrift gibt, so dass es selbst dann noch einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entspricht, wenn eine richterliche Zuständigkeitsprüfung erst nach Eingang der Berufungsbegründung erfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 12.10.2011, IV ZB 17/19, NJW 2012, 78). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Senates vom 27.12.2010 in der Sache 3 U 70/10. Denn der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Dementsprechend ist die dortige Feststellung, eine Weiterleitung am nächsten Tage entspreche dem üblichen Geschäftsgang in Bremen, nicht auf das vorliegende Verfahren übertragbar. Während es sich dort um einen offensichtlichen Irrläufer gehandelt hatte, war dies vorliegend angesichts der Adressierung an das Landgericht gerade nicht der Fall. Auch fehlte es an jedem Hinweis auf eine Eilbedürftigkeit oder den bevorstehenden Fristablauf. Nur aber dann, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts „ohne Weiteres“ bzw. „leicht und einwandfrei“ von einem in der Geschäftsstelle tätigen Mitarbeiter erkannt werden kann, ist das Gericht im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs gehalten, einer Fristversäumung durch eine Weiterleitung der Rechtsmittelschrift entgegenzuwirken (vgl. BGH, aaO). Eine solche leichte Erkennbarkeit war aber vorliegend im Gegensatz zu der von Antragstellerseite zitierten Entscheidung des Senates gerade nicht gegeben.

Ergänzend sei angemerkt, dass selbst dann, wenn mit einer Weiterleitung am nächsten Tag zu rechnen gewesen wäre, dies im Ergebnis keinen Unterschied machen würde.

Denn jedenfalls besteht zu einer Weiterleitung per Fax oder sonst wie beschleunigt, etwa durch persönliche Abgabe beim Rechtsmittelgericht oder in der Poststelle, im ordentlichen Geschäftsgang keine Verpflichtung (vgl. Zöller-Greger, 29. Aufl., § 233 RN 22b). Wäre aber eine Weiterleitung noch im Verlauf des 09.05.2012 ohne sonstige Beschleunigungsmaßnahmen schlicht verfügt und die Akte zum Abtragen bereitgelegt worden, hätte gleichwohl nicht mit dem allein maßgeblichen Eingang beim zuständigen Gericht noch am selben Tage gerechnet werden können. Dass im Einzelfall, wie die Beklagtenvertreterin offenbar unter Vorlage eines Vermerkes des Vorsitzenden einer Strafkammer (Schwurgericht) geltend machen will, in der hiesigen Justiz Eingänge auch außerhalb der Dienstzeiten vorgelegt und bearbeitet werden mögen, ändert hieran nichts.

Dementsprechend war wie geschehen zu entscheiden.

Anmerkung:

Die durch Beschluss vom 05.09.2012 erfolgte Berichtigung nach § 319 Abs. 1 ZPO ist in dieser Fassung des Beschlusses berücksichtigt.

I