OLG Celle, Urteil vom 25.10.2012, Az. 13 U 156/12
§ 823 BGB, § 824 BGB, § 286 ZPO, § 922 ZPO, § 936 ZPO
Das OLG Celle hat entschieden, dass bei ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen, die im Rahmen eines Gerichtsverfahrens fallen, in der Regel das Rechtsschutzbedürfnis für ein Unterlassungsverlangen fehlt. Vorliegend hatte die Verfügungsbeklagte im Ausgangsverfahren einen Vermögensverfall der Verfügungsklägerin behauptet. Nach Auffassung des Gerichts könne diese Äußerung nicht im Rahmen eines Verfügungsverfahrens untersagt werden, da die beanstandete Tatsachenbehauptung nicht „wissentlich unwahr oder leichtfertig unhaltbar“ gewesen sei. Ein darüber hinaus gehender Schutz sei nicht zu gewähren, da nach der Rechtsprechung des BGH das Ausgangsverfahren nicht durch eine Beschneidung der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten beeinträchtigt werden solle. Die Parteien sollten alles vortragen dürfen, was sie zur Wahrung ihrer Rechte für erforderlich hielten, auch wenn hierdurch die Ehre eines anderen berührt werde. Zum Volltext der Entscheidung:
Oberlandesgericht Celle
Urteil
Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil der Einzelrichterin der 8. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 7. September 2012 wird zurückgewiesen.
Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten der Berufung.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 35.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem landgerichtlichen Urteil wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 542 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO).
II.
Die nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen (§§ 517, 519, 520 Abs. 1 bis 3 ZPO) zulässige Berufung ist unbegründet.
1.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann sich allerdings auch aus den §§ 824, 1004 analog BGB ein Anspruch auf Unterlassen ergeben (vgl. Palandt/ Sprau, BGB, 71. Aufl., Einf. v. § 823 Rn. 18 f., § 824 Rn. 12). § 824 BGB setzt voraus, dass unwahre Tatsachen mitgeteilt werden, nicht bloß Werturteile. Vor abwertenden Meinungsäußerungen und Werturteilen bietet § 824 Abs. 1 BGB keinen Schutz (BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 – VI ZR 120/10, juris Rn. 9).
2.
Im Streitfall fehlt der Verfügungsklägerin jedoch das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können ehrenkränkende Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder -verteidigung in einem Gerichtsverfahren oder dessen konkreter Vorbereitung dienen, in aller Regel nicht mit Ehrenschutzklagen abgewehrt werden. Das sogenannte Ausgangsverfahren soll nämlich nicht durch eine Beschneidung der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten beeinträchtigt werden. Vielmehr sollen die Parteien in einem Gerichtsverfahren sowie in außergerichtlichen Schreiben, die deren konkreter Vorbereitung dienen, alles vortragen dürfen, was sie zur Wahrung ihrer Rechte für erforderlich halten, auch wenn hierdurch die Ehre eines anderen berührt wird. Deshalb fehlt in derartigen Fällen für eine Ehrenschutzklage grundsätzlich das Rechtschutzbedürfnis (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2012 – VI ZR 79/11, juris Rn. 7; BGH, Urteil vom 11. Dezember 2007 – VI ZR 14/07, juris Rn. 12; BGH, Urteil vom 16. November 2004 – VI ZR 298/03, juris Rn. 18). Dies gilt lediglich nicht bei „wissentlich unwahren oder leichtfertig unhaltbaren“ (so BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 15. Dezember 2008 – 1 BvR 1404/04, juris Rn. 18) bzw. „bewusst unwahren oder auf der Hand liegend falschen“ Tatsachenbehauptungen (so BGH, Urteil vom 28. Februar 2012 – VI ZR 79/11, juris Rn. 14; BGH, Urteil vom 11. Dezember 2007 – VI ZR 14/07, juris Rn. 14, 21 f.) sowie – im Falle von Meinungsäußerungen – bei Schmähkritik (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. September 2006 – 1 BvR 1898/03, juris Rn. 8 f., 14; BGH, a. a. O.; Senat, Urteil vom 19. April 2012 – 13 U 235/11, juris Rn. 4). Nicht anders verhält es sich im Fall eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (vgl. Senat, Urteil vom 19. April 2012 – 13 U 235/11, a. a. O., Rn. 3 ff.).
Weil für Ehrschutzklagen gegen Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem Gerichtsverfahren oder dessen Vorbereitung dienen, regelmäßig kein Rechtsschutzinteresse besteht, ist es Sache des Klägers, darzulegen und zu beweisen, dass ein solcher Ausnahmefall vorliegt (vgl. OLG München, Urteil vom 2. August 2002 – 21 U 2188/02, juris Rn. 31). Der Beklagte hat jedoch erforderlichenfalls nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast darzutun, worauf er die angegriffene Tatsachenbehauptung stützt.
Danach ist im Streitfall davon auszugehen, dass dem Verfügungsbeklagten die beanstandete Äußerung nicht einstweilen verboten werden kann.
a)
Entgegen der Einschätzung des Landgerichts handelt es sich bei der beanstandeten Äußerung um eine Tatsachenbehauptung.
Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 – VI ZR 120/10, juris Rn. 10). Das Werturteil wird zwar nicht allein dadurch zu einer Tatsachenbehauptung, weil – wie die Verfügungsklägerin meint – die Bewertung auf Tatsachen beruht. Eine Tatsachenbehauptung liegt dann vor, wenn bei der Äußerung aus Sicht des Empfängers die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens gegenüber den zugrunde liegenden Tatsachen in den Hintergrund treten (BGH, a. a. O., Rn.11).
aa)
Die Verwendung von Einschüben, wie „ich meine“, „offenbar“ o. ä., kann nicht dazu führen, dass aus einer Tatsachenbehauptung eine weniger angreifbare Meinungsäußerung wird (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2008 – VI ZR 83/07, juris Rn. 18; Urteil vom 22. September 2009 – VI ZR 19/08, juris Rn. 13). Danach kann es nicht darauf ankommen, dass der Beklagte den Zusatz „befürchtet“ anbringt.
bb)
Für die Beurteilung der Frage, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung bzw. Werturteil einzustufen ist, bedarf es der Ermittlung des vollständigen Aussagegehalts. Denn bei Kollisionen zwischen dem Recht der Meinungsäußerungsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht wird dort, wo Tatsachenbehauptungen und Wertungen zusammenwirken, grundsätzlich der Text in seiner Gesamtheit von der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst, weil im Fall einer engen Verknüpfung der Mitteilung von Tatsachen und ihrer Bewertung der Grundrechtsschutz der Meinungsfreiheit nicht dadurch verkürzt werden darf, dass ein tatsächliches Element aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet wird (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 – VI ZR 120/10, a. a. O. Rn. 12).
So dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht Sätze oder Satzteile mit tatsächlichem Gehalt herausgegriffen und als unrichtige Tatsachenbehauptung untersagt werden, wenn die Äußerung nach ihrem – zu würdigenden – Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG fallen kann und in diesem Fall eine Abwägung zwischen den verletzten Grundrechtspositionen erforderlich wird. Dabei ist zu beachten, dass sich der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG auch auf die Äußerung von Tatsachen erstreckt, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können, sowie auf Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen und die insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt werden (BGH, Urteil vom 3. Februar 2009 – VI ZR 36/07, juris Rn. 11)
cc)
Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer Äußerung ist ferner darauf abzustellen, wie sie unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs von einem unvoreingenommenen Durchschnittsleser verstanden wird, wobei eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig ist, sondern auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 16. November 2004 – VI ZR 298/03, juris Rn. 23).
dd)
Rechtsbegriffe bringen im Regelfall zwar ganz überwiegend die auf Wertung beruhende subjektive Beurteilung des Äußernden zum Ausdruck (vgl. Urteil vom 3. Februar 2009 – VI ZR 36/07, juris Rn. 15; Urteil vom 16. November 2004 – VI ZR 298/03, juris Rn. 24). Als Tatsachenmitteilung ist eine solche Äußerung hingegen dann zu qualifizieren, wenn die Beurteilung nicht als bloße Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind. Hierfür ist der Kontext entscheidend, in dem der Rechtsbegriff verwendet wird (BGH, Urteil vom 16. November 2004 – VI ZR 298/03, a. a. O.).
ee)
Danach ist hier von einer Tatsachenbehauptung auszugehen.
Der Begriff des Vermögensverfalls wird im allgemeinen Sprachgebrauch von einem unvoreingenommenen Durchschnittsleser als Beschreibung für schlechte Vermögensverhältnisse verstanden. Das Vorliegen solcher Verhältnisse ist dem Beweise zugänglich. Der Verfügungsbeklagte verwendet den Begriff hier erkennbar nicht als Feststellung eines bestimmten insolvenzrechtlichen Tatbestands. Die Frage, ob Vermögensverfall und eine solche Überschuldung droht, die es der Verfügungsklägerin nicht mehr ermöglicht, alle ihre Verbindlichkeiten zu begleichen und die zum (Teil-)Ausfall der Gläubiger mit ihren Forderungen führt, lässt sich durch Einholung eines betriebswirtschaftlichen Fachgutachtens überprüfen. Dem Verfügungsbeklagten ging es zudem darum, das Gericht zu einer bevorzugten Bearbeitung anzuhalten. Die Erwähnung des befürchteten Vermögensverfalls sollte eine bestimmte prozessrechtliche Bewertung des Gerichts veranlassen. Zudem war die Frage, ob Vermögensverfall eingetreten ist oder nicht, für die rechtliche Beurteilung des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs unmittelbar nicht von Bedeutung, auch wenn die Äußerung in einem gewissen Kontext zu den Darlegungen des Verfügungsbeklagten zum Zahlungsverhalten der Verfügungsklägerin (ab S. 7 der Klageschrift vom 18. Juli 2012) steht.
b)
Die beanstandete Tatsachenbehauptung diente der Durchführung des Ausgangsverfahrens, in dem es um den Anspruch des Verfügungsbeklagten auf Zahlung des geltend gemachten Werklohns ging. Der Hinweis erfolgte mit dem Ziel, das Verfahren zu beschleunigen. Ob der Hinweis aus prozessualer Sicht behelflich war, kann dahinstehen. Denn im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung ist bei einem Ehrenschutzprozess der vorliegenden Art nicht im Einzelnen zu prüfen, ob der beanstandete Vortrag (hier des Verfügungsbeklagten) entscheidungserheblich, schlüssig oder beweisbar ist. Die Unzulässigkeit der Klage kann bereits dann nicht verneint werden, wenn aus der Sicht des Äußernden des Verfügungsbeklagten ein plausibler Grund bestehen kann, das Verhalten des anderen (der Verfügungsklägerin) zum Gegenstand seines Prozessvortrags zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2007 – VI ZR 14/07, juris Rn. 20)
c)
Die Verfügungsklägerin hat die Voraussetzungen für eine Ehrenschutzklage wegen der in dem Ausgangsverfahren behaupteten Tatsachen nicht glaubhaft gemacht.
aa)
Die Behauptung ist weder wissentlich unwahr noch leichtfertig unhaltbar, wenn der Geschäftsführer gegenüber dem Anwalt des Verfügungsbeklagten die bestrittene Äußerung getätigt haben sollte, wonach ein Prozess nichts einbrächte, weil es die Verfügungsklägerin in zwei Jahren vielleicht nicht mehr gebe. Mit dem entsprechenden Vortrag ist die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen. Da die Verfügungsklägerin nicht einmal einen Teil der Forderungen beglichen hatte, konnte dann aus Sicht des Verfügungsbeklagten einiges für Zahlungsschwierigkeiten sprechen, zumal bei einem BGB-Werkvertrag die Rechnung im Regelfall gerade keine Fälligkeitsvoraussetzung für den Werklohnanspruch ist, so dass das Berufen der Verfügungsklägerin darauf mangels Darlegung einer entsprechenden Vereinbarung wenig überzeugend erscheint.
bb)
Die Verfügungsklägerin hat nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihr Geschäftsführer eine solche Äußerung nicht getätigt hat. In erster Instanz hat sie dazu nur eine eidesstattliche Versicherung einer Mitarbeiterin vorgelegt, die mitgehört hat, als der Geschäftsführer der Verfügungsklägerin mit dem Anwalt des Beklagten telefoniert hat und ausgeführt hat, der Geschäftsführer der Verfügungsklägerin habe in dem Telefonat mit 100%iger Sicherheit nie gesagt, es werde die Verfügungsklägerin in zwei Jahren nicht mehr geben, auch nicht sinngemäß. Auch wenn sie sich nicht an jedes Detail des Gesprächs erinnern könne, wäre ihr eine derartige Aussage nicht entgangen, weil sie ihren eigenen Arbeitsplatz betroffen hätte. Dieser eidesstattlichen Versicherung stand aber die anwaltliche Versicherung des Beklagtenvertreters entgegen, wonach er mit dem Geschäftsführer aus dem Auto telefoniert habe und dieser dabei sinngemäß erklärt habe: „Entweder die Pauschale sofort oder wir warten ab, was das Gericht in zwei Jahren entscheidet und ob es dann die Firma G. noch gibt“. Auch wenn eine falsche anwaltliche Versicherung im Unterschied zu einer falschen eidesstattlichen Versicherung nicht strafbewehrt ist, ist sie standeswidrig. Eine anwaltliche Versicherung ist deshalb ebenfalls ein geeignetes Glaubhaftmachungsmittel (vgl. OLG München, Beschluss vom 16. August 1985 – 6 W 55/85, GRUR 1986, 196; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 294 Rn. 5). Angesichts der widersprüchlichen Erklärungen kann der Senat die Darstellung der Verfügungsklägerin nicht als hinreichend glaubhaft gemacht ansehen.
Daran ändert sich auch dann nichts, wenn man unter Außerachtlassung der §§ 529, 531 ZPO auch die nunmehr vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Verfügungsklägerin berücksichtigte sowie den dann ebenfalls zu berücksichtigenden Umstand, dass nunmehr auch der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsbeklagten seine Darstellung eidesstattlich versichert hat.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Das Interesse der Verfügungsklägerin an der Durchsetzung des mit dem Eilantrag geltend gemachten Unterlassungsanspruchs ist mit einem Streitwert von bis zu 35.000 € zu bewerten.
Ein gewichtiges Indiz für die Schätzung des Interesses bildet die Angabe des Streitwerts in der Antragsschrift; denn diese Angabe erfolgt grundsätzlich noch unbeeinflusst vom Ausgang des Rechtsstreits. Sie kann daher der Streitwertfestsetzung regelmäßig zu Grunde gelegt werden, es sei denn, dass sich aus den Umständen die Fehlerhaftigkeit der Angabe ergibt (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Juni 2011 – 13 U 50/11, juris Rn. 3). Der Senat sieht keinen Grund, von den Angaben der Verfügungsklägerin in der Antragsschrift abzuweichen. Für ein Hauptsacheverfahren ergäbe sich ein Streitwert von 50.000 €. Darin spiegelt sich angemessen wider, welches Gewicht das Unterlassen der Äußerung für die Verfügungsklägerin hat. Im einstweiligen Verfügungsverfahren ist nach der Rechtsprechung des Senats regelmäßig ein Abschlag von einem Drittel vorzunehmen.