OLG Dresden: Der Hinweis einer Zeitung, dass man verpflichtet sei, nicht nur wahre, sondern auch unwahre Gegendarstellungen abzudrucken, entwertet die Gegendarstellung nicht

veröffentlicht am 7. Mai 2013

OLG Dresden, Beschluss vom 27.03.2013, Az. 4 W 295/13
Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, § 10 Abs. 4 S. 3 SächsPresseG

Das OLG Dresden hat entschieden, dass eine presserechtliche Gegendarstellung mit dem Hinweis versehen werden darf „Anmerkung der Redaktion: Nach dem Sächsischen Pressegesetz sind wir verpflichtet, nicht nur wahre, sondern auch unwahre Gegendarstellungen abzudrucken„. Zum Volltext der Entscheidung:

Oberlandesgericht Dresden

Beschluss

In Sachen

gegen
… Verlags- und Druckereigesellschaft …

wegen einstweiliger Verfügung
hier: Beschwerde

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch … am 27.03.2013 beschlossen:

1.
Die sofortige Beschwerde des Gläubigers gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 18.2.2013 – 8 O 3263/12 – wird zurückgewiesen.

2.
Der Gläubiger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3.
Der Beschwerdewert wird auf 2500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die sofortige Beschwerde des Gläubigers ist nach §§ 793, 567ff. ZPO zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das Landgericht hat zutreffend und im Einklang mit der von ihm zitierten Rechtsprechung des Senats (AfP 2001, 523) die von der Schuldnerin vorgenommene Glossierung als zulässig angesehen. Der Senat hat in der o.a. Entscheidung zur Zulässigkeit des auch hier verwandten Redaktionsschwanzes „Anmerkung der Redaktion: Nach dem Sächsischen Pressegesetz sind wir verpflichtet, nicht nur wahre, sondern auch unwahre Gegendarstellungen abzudrucken“ folgendes ausgeführt:

„Der „Redaktionsschwanz“ verstößt auch nach Auffassung des Senats nicht gegen das Glossierungsverbot, so dass der Abdruck der Gegendarstellung als ordnungsgemäße Erfüllung anzusehen und ein Zwangsgeld nicht zu verhängen ist. Das Recht der Medien auf tatsächliche Erwiderung im unmittelbaren Anschluss an die Gegendarstellung ist Ausfluss von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und findet, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, seine Grenze erst im Verbot einer Entwertung der Gegendarstellung. Dabei wird der Hinweis, dass der Abdruck der Gegendarstellung in Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung oder gerichtlichen Anordnung ohne Rücksicht auf ihren Wahrheitsgehalt erfolgt, ganz allgemein als gewohnheitsrechtlich zulässig angesehen (vgl. Soehring, Presserecht, 3. Aufl., S. 608, 610; Wenzel, Das Recht der Wort- und Bilderstattung, 4. Aufl., Rn. 11.188). Diesem Hinweis entspricht die vorliegende Anmerkung, verpflichtet zu sein, „nicht nur wahre, sondern auch unwahre Gegendarstellungen abzudrucken“, ihrem Sinngehalt nach durchaus. Selbst wenn, wie die Gläubigerin geltend macht, ein Unterschied zu machen wäre, würde dies nicht zur Unzulässigkeit führen. Es handelt sich nämlich auch dann um eine Angabe rein tatsächlicher Art, die prinzipiell uneingeschränkt zulässig ist, weil sie nicht zu einer Entwertung der Gegendarstellung führt. Die Presse darf, hält sie sich nur an das Erfordernis tatsächlicher Angaben, auf der Richtigkeit ihrer eigenen Darstellung beharren, sie inhaltlich wiederholen und sogar vertiefen (vgl. Soehring, aaO.; Seitz/Schmid/ Schoener, Der Gegendarstellungsanspruch in Presse, Film, Funk und Fernsehen, 2. Aufl., Rn. 435 f). Dieses auf die Mitteilung von Tatsachen beschränkte Recht kann im Hinblick darauf, dass der Gegendarstellungsanspruch — in erster Linie aus Beschleunigungsgründen — ohne jede Beweisführung oder auch nur Glaubhaftmachung gerichtlich durchsetzbar ist, nicht noch weiter eingeengt werden (vgl. die Darstellung der verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Saarländische Pressegesetz vom 11.05.1994, inzwischen geändert durch Gesetz vom 01.03.2000: Soehring aaO., S. 609 f; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 4. Aufl. S. 197). Wenn mithin der vorliegende „Redaktionsschwanz“ seiner Formulierung nach darauf hindeutet, die Schuldnerin halte ihre frühere Behauptung aufrecht, so kann dies nicht beanstandet werden. Er unterscheidet sich von den Fällen, in denen ein Verstoß gegen das Glossierungsverbot angenommen worden ist, dadurch, dass er sich jeglicher Wertung mit Meinungsäußerungscharakter enthält. Die Formulierung, die letztlich nur die Rechtslage wiedergibt, ist von daher anders als die als Werturteile zu qualifizierenden Anmerkungen, die Gegendarstellung sei „irreführend“ oder „frei erfunden“ (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1971, 471; OLG Hamburg, ArchPR 1971, 91 f; OLG Stuttgart, AfP 1987, 420), unverfänglich.“

Hieran ist trotz der in der Literatur teilweise geübten Kritik (vgl. insbesondere Seitz/Schmidt, Der Gegendarstellungsanspruch – Presse, Film, Funk und Fernsehen, 4. Aufl. Kap. 7 Rn 38) und der vom Gläubiger geltend gemachten Bedenken festzuhalten. Die Beschwerde selbst weist zutreffend darauf hin, dass die Auffassung, ein Redaktionsschwanz sei wegen des verfassungsrechtlich verankerten Grundsatzes der Waffengleichheit generell zu verbieten, vereinzelt geblieben ist und sich nicht hat durchsetzen können. Sie steht auch im Widerspruch zu § 10 Abs. 4 S. 3 SächsPresseG, der dem Anspruchsverpflichteten ausdrücklich die Befugnis einräumt, sich „in derselben Nummer“ und damit auch im unmittelbaren Anschluss zu der abgedruckten Gegendarstellung zu dieser zu äußeren. Ein generelles Glossierungsverbot wäre im Übrigen auch unter Berücksichtigung der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG und des Gebots, diese im Rahmen der Abwägung mit dem durch die Veröffentlichung betroffenen Persönlichkeitsrecht so in einen Ausgleich zu bringen, dass ihre Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewährleistet bleibt (vgl. hierzu grundlegend BVerfG NJW 1958, 257), verfassungsrechtlich bedenklich.

Ist es aber dem Anspruchsverpflichteten grundsätzlich gestattet, dem beim Leser möglicherweise auftretenden Missverständnis vorzubeugen, die in einer Gegendarstellung behaupteten Tatsachen seien wahr, so macht es nach Auffassung des Senats keinen Unterschied, ob dies durch einen Hinweis, man sei unabhängig vom Wahrheitsgehalt zum Abdruck verpflichtet“ oder durch den Zusatz erfolgt, man sei verpflichtet, „nicht nur wahre, sondern auch unwahre Gegendarstellungen“ abzudrucken. Beide Formulierungen geben zutreffend wieder, dass der Anspruch auf Gegendarstellung wegen des formellen Charakters des Gegendarstellungsrechts weder den Nachweis der Unwahrheit der Erstmitteilung noch den der Wahrheit der Gegendarstellung voraussetzt (vgl. BVerfGE 97, S. 125; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Rn. 11.127 m.w.N.). Beide Formulierungen legen allerdings nicht offen, dass eine solche Pflicht zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung ausnahmsweise dann nicht besteht, wenn diese offenkundig unwahr ist, d.h. „offensichtlich den Stempel der Lüge trägt“ oder gerichtsbekannte Unwahrheiten enthält (OLG Karlsruhe NJW 2006, 621). Die Nichterwähnung dieses Ausnahmetatbestandes führt jedoch nicht zu einem zusätzlichen Prestigeverlust des Gläubigers und damit zu einer Entwertung, weil sie für sich genommen keinen Rückschluss auf die Wahrheit oder Unwahrheit der kommentierten Gegendarstellung erlaubt. Bei Erwähnung sämtlicher Ausnahmen von der Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung würden die Anspruchsverpflichteten andererseits Gefahr laufen, aufgrund der hiermit einhergehenden Überfrachtung der redaktionellen Anmerkung die Gegendarstellung als nebensächlich erscheinen zu lassen und diese hierdurch zu entwerten (vgl. hierzu Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 6. Aufl. Kap. 27 Rn 8). Auch mit Rücksicht hierauf hält der Senat es nicht für geboten, den Redaktionsschwanz durch einen Hinweis auf die in der Beschwerde im Einzelnen benannten Ausnahmetatbestände zu ergänzen.

Entgegen der Auffassung des Gläubigers wird durch die von der Schuldnerin verwandte Formulierung bei dem verständigen Leser auch nicht der Eindruck hervorgerufen, die Gegendarstellung sei objektiv unwahr, wie dies etwa in den Formulierungen, diese sei „frei erfunden“ oder Ausfluss des „Rechts auf Lügen“ des Betroffenen zum Ausdruck kommt. Der verständige Durchschnittsleser wird der Glossierung vielmehr nur entnehmen können, dass die Schuldnerin unabhängig davon, ob die Behauptung wahr oder unwahr ist, zu deren Abdruck verpflichtet ist. Eine darüber hinaus gehende Bewertung, die der Schuldnerin nach § 10 Abs. 3 S. 4 SächsPresseG auch gar nicht erlaubt wäre, enthält dieser Zusatz nicht. Sie kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass durch die Formulierung „…sondern auch unwahre“ auf die mögliche Unwahrheit der Behauptung eine besondere Betonung gelegt und diese hierdurch dem Leser unterschwellig zu Lasten des Gläubigers suggeriert werde. Bei der hier verwandten Wortfolge „nicht nur, … sondern auch“ handelt es sich nämlich um eine sog. mehrteilige Konjunktion, die nicht einen der zusammengefügten Einzelbestandteile (wahr/unwahr) besonders hervorhebt, sondern lediglich ausdrückt, dass etwas zu etwas anderem hinzukommt (vgl. www.thefreedicitonary.com), die Gegendarstellung hier also wahr oder unwahr sein kann.

Ist es aber nach alledem aus Gründen der „Waffengleichheit“ nicht erforderlich, den von der Schuldnerin verwandten Redaktionsschwanz zu verbieten, steht einer Änderung der gefestigten Rechtsprechung des Senats auch entgegen, dass sich die Rechtspraxis in Sachsen hierauf eingestellt hat und dass die in der o.a Entscheidung enthaltene Auslegung in gewissen Grenzen auch Vertrauensschutz genießt, der vorliegend nicht nur die Verhängung eines Bußgeldes nach §§ 13 Abs. 1 Nr. 6, 10 Abs. 4 S. 3 SächsPresseG, sondern auch die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen die Schuldnerin ausschließt.

II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Festsetzung des Beschwerdewertes hat ihre Grundlage in § 3 ZPO und entspricht dem im Erfolgsfalle festzusetzenden Zwangsgeld.

I