OLG Dresden: Löschung eines Beitrags reicht nicht aus; es muss eine strafbewehrte Unterlassungserklärung hinzukommen

veröffentlicht am 14. Februar 2022

OLG Dresden, Endurteil vom 10.08.2021, Az. 4 U 1156/21
§ 823 BGB, § 1004 BGB, Art. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG

Das OLG Dresden hat entschieden, dass auch dann, wenn ein Website-Betreiber eine beanstandete Äußerung auf Aufforderung löscht, der Unterlassungsanspruch fortbesteht, jedenfalls dann, wenn die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verweigert und die Äußerung im nachfolgenden Prozess verteidigt wird. Zugleich hat der Senat darauf hingewiesen, dass nicht gegen jede unwahre Tatsachenbehauptung im Wege der Unterlassung vorgegangen werden kann. Derartige Abwehransprüche schieden etwa aus, wenn die Tatsachenbehauptung „wertneutral“ seien und sich nicht in nennenswerter Weise auf das Persönlichkeitsbild auswirkten. Zum Volltext der Entscheidung:


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Oberlandesgericht Dresden

Endurteil

In dem Rechtsstreit

..

gegen

xxx Deutschland GmbH, …

wegen Unterlassung

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10.08.2021 für Recht erkannt:

I. Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 4.6.2021 abgeändert. Der Verfügungsbeklagten wird bei Vermeidung eines vom zuständigen Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt, in Bezug auf die Antragstellerin wörtlich und/oder sinngemäß folgende Äußerungen zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen: wird zu verurteilen, bei Zurückweisung der Berufung und des Verfügungsantrags im Übrigen und Kostenteilung folgende Äußerung zu unterlassen,

„Trotz Schmerzen seien sie sogar unter Opiaten zum Training gezwungen worden.“

wenn dies geschieht, wie in dem am 28.3.2021 um 12:26 Uhr veröffentlichten Artikel „F… ist: Leistungssport hat körperliche und seelische Folgen“ unter der URL https://www. ….

II. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt, die weitergehende Berufung der Verfügungsklägerin wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Von der Aufnahme des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 313a, 525, 542 Abs. 2 ZPO).

II.
Die zulässige Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Sie ist unbegründet, soweit sich die Verfügungsklägerin (Klägerin) gegen die Aussage wehrt, sie habe Sportlerinnen „zum Training gezwungen“. Bei dem selbständigen Aussageteil, dies sei „sogar unter Opiaten“ geschehen, handelt es sich hingegen um eine unwahre Tatsachenbehauptung, die die Klägerin nicht hinzunehmen hat. Insofern steht ihr ein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. Art. 1, 2 Abs. 1 GG zu.

1.
Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut – der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann – und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Fernliegende Deutungen sind auszuschließen (BGH, Urteil vom 26.01.2021 – VI ZR 437/19 –, Rn. 11, juris; Urteil vom 14.01.2020 – VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587 Rn. 28 mwN). Hiernach ist davon auszugehen, dass es sich bei der Äußerung um die Tatsachenbehauptung handelt, wonach sich Dritte, nämlich verschiedene von der Klägerin trainierte Turnerinnen in dem wiedergegebenen Sinn geäußert haben.

i.
Im vorliegenden Kontext ist zu berücksichtigen, dass der Gesamtartikel eine Reportage im …-Fernsehen bewirbt, die die „körperlichen und seelischen Folgen“ des Leistungssports thematisiert und die Frage aufwirft, was „das richtige Maß für den Erfolg“ ist. Auch die streitgegenständliche Äußerung wird durch einen Halbsatz eingeleitet, der den Schwerpunkt der von den Sportlern erhobenen Vorwürfe auf die durch die Klägerin erlittenen „Demütigungen“ legt. Diese Demütigungen liegen im Gesamtkontext nicht darin, dass den Turnerinnen „Opiate“ verabreicht, sondern dass sie „trotz Schmerzen zum Training gezwungen“ worden sein sollen. Dem in der Ursprungsfassung des Artikels enthaltenen Zusatz „sogar unter Opiaten“ wird der Durchschnittsleser allerdings entnehmen, dass sich (mehrere) „Athletinnen“ dahingehend geäußert haben sollen, dass die Klägerin bei Schmerzäußerungen ihr Training auch durch die Verabreichung von „Opiaten“ ermöglicht und dabei auch Zwang zur Einnahme dieser Mittel ausgeübt haben soll. Die Äußerung enthält damit die selbständigen Teilbehauptungen, die Klägerin habe Sportlerinnen trotz Schmerzen zum Training gezwungen (a) und im Rahmen dieses Zwangs auch „Opiate“ eingesetzt (b). Da diese Vorwürfe ausweislich des Artikels von mehreren Athletinnen erhoben werden, wird der Durchschnittsleser auch nicht annehmen, dass nur einer Sportlerin mehrfach „Opiate“ ausgehändigt oder verabreicht wurden; vielmehr wird er den Eindruck gewinnen, dass die Klägerin diese bei mehreren Sportlerinnen und in etlichen Fällen zur Schmerzunterdrückung eingesetzt hat.

ii.
Die Behauptung, die Klägerin habe Sportlerinnen zum Training gezwungen, ist geeignet, sie in ihrem sozialen Geltungsanspruch zu beeinträchtigen, weil ihr damit menschenunwürdige Trainingsmethoden gegenüber minderjährigen Sportlerinnen vorgeworfen werden und zugleich ihre – für die Tätigkeit als Trainerin unabdingbare – erzieherische Fähigkeit im Umgang mit Minderjährigen in Zweifel gezogen wird. Nach der über § 186 StGB in das Zivilrecht transformierten Beweislastregel trägt damit die Beklagte die Beweislast für die Richtigkeit dieser Behauptung. Dieser hat sie durch Vorlage von Artikeln aus dem yyy (AG 2 bis AG 6) genügt, bei denen es sich um Augenscheinobjekte handelt, die zur Beweisführung im Verfügungsverfahren ausreichen. Zur Glaubhaftmachung kann der Beweisbelastete sich aller Beweismittel bedienen, die auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden. Beweismaß ist bei der Glaubhaftmachung nicht der Vollbeweis, sondern eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung (BGHZ 156, 139, 142; Zöller-Geimer/Greger, ZPO, a.a.O., § 294 Rz. 1 m.w.N.; Rz. 6 m.w.N.). Dabei bedeutet „überwiegende Wahrscheinlichkeit“, dass nicht nur ein „Quäntchen“ mehr für die Richtigkeit der Behauptung spricht. Zu fordern ist vielmehr ein den konkreten Umständen angepasstes Maß an Glaubhaftigkeit (Zöller, a.a.O.). Zur Widerlegung durch den Gegner ist die gleiche Glaubhaftmachung mit der gleichen Wahrscheinlichkeitsfeststellung möglich (Zöller-Geimer/Greger, § 294 Rz. 2 m.w.N.).

iii.
Dem als Anlage AG 2 vorgelegten Artikel „…verband fordert Entlassung von … Trainerin F…“ vom 22.1.2021 lässt sich insofern entnehmen, dass der D. eine Frankfurter Anwaltskanzlei mit einer Untersuchung von gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfen beauftragt hat, die zu dem Ergebnis gekommen sei, die ehemalige Weltmeisterin P… S… sowie „ein Dutzend weiterer Athletinnen“ hätten der Klägerin vorgeworfen „zum Teil über Jahre am Bundesstützpunkt in C… mental misshandelt worden zu sein.“. In 17 Fällen seien durch die Kommission „hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Anwendung psychischer Gewalt durch die Trainerin“ ermittelt worden. In dem Artikel „Die ‚Goldschmiedin‘ mit den zwei Gesichtern“ vom 27.11.2020 (Anlage AG 5) heißt es u. a. „Trainieren trotz Schmerzen, Erniedrigungen, Diätzwang: Sechs junge Frauen erheben schwere Vorwürfe gegen die Trainerin G… F…“. Im weiteren Verlauf des Artikels wird dann über die Erfahrungen der Turnerinnen L… H… und P… S… mit der Klägerin wie folgt berichtet: „Neben dem Gewicht gab es ein weiteres Dauerthema bei den Mädchen: Schmerzen. Sie trainieren oft am Limit, ihre Muskeln, Knochen und Gelenke leiden.“ Die Turnerin P… S… wird sodann wie folgt zitiert: „Meist haben wir uns gar nicht getraut zu sagen, wenn uns was wehtat, weil es dann hieß: Reiß dich zusammen, andere halten das auch durch“. In demselben Artikel wird dann über einen Sturz der … S… S… mit dem Kopf … berichtet und diese wie folgt zitiert: „Mir tat alles weh. Doch G… (die Klägerin) meinte etwa, dass das nicht so schlimm gewesen sei und ich nicht rumheulen solle“. Fortan habe sie sich vor …elementen gefürchtet, sei dann aber eines Abends von der Klägerin „… zurückgeholt“ worden. Diese habe ihr „angesagt, was ich turnen sollte. Sie hat mir so einen Druck gemacht, dass ich sie (…elemente) am Ende … habe“. Die … H… S… berichtet im selben Artikel über ihre Hüftschmerzen: „Jeder …, jedes … war wie Folter.“; bei jedem Training habe sie geweint. Als weder ein MRT noch ein Röntgenbild einen Befund brachten habe es von F… geheißen, dass sie nicht …, sich nicht anstrengen wolle. Im Artikel „Ich habe nachts in Frischhaltefolie geschlafen“ vom 3.12.2020 (AG 6) berichtet eine anonyme Turnerin über die Klägerin: „Ich … meist mit Knie- und Seelenschmerzen … Ich kann einfach nicht mehr.“. Diese Äußerungen werden von der Klägerin nicht substantiiert bestritten. In ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 20.4.2021 gibt sie lediglich an, ihr sei „nicht bekannt, dass sich … Athletinnen wörtlich und/oder sinngemäß geäußert hätten, sei seien von mir trotz Schmerzen … zum Training gezwungen worden“. Im Schriftsatz vom 12.05.2021 räumt die Klägerin ausdrücklich ein, dass einige Athletinnen der Klägerin vorwerfen, sie unter Schmerzen zum Training gezwungen zu haben.

2.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts handelt es sich aber bei der weiteren Teilbehauptung, der Zwang zum Training sei „sogar unter Opiaten“ erfolgt, um eine unwahre Tatsachenbehauptung.

i.
Nicht zu beanstanden ist zwar die zugrundeliegende Annahme, ein Zwang erfordere jedenfalls im hier maßgeblichen Kontext keine Drohung mit einem empfindlichen Übel, ausreichend sei vielmehr, dass die Turnerinnen unter Druck dazu angehalten worden seien, entsprechende Medikamente einzunehmen, um am Training teilnehmen zu können. Das Landgericht weist in diesem Zusammenhang auch zurecht darauf hin, dass die minderjährigen Sportlerinnen zumal bei Internatsunterbringung und der damit einhergehenden Trennung von ihren Eltern die Klägerin als maßgebliche Autoritätsperson angesehen haben. Es bedarf keiner näheren Darlegung, dass pubertätstypische Unsicherheitsgefühle, die Entfernung vom Elternhaus und der Ehrgeiz jugendlicher Sportler eine Abhängigkeit erzeugen, in der Druck bereits durch subtile Signale erzeugt wird, die oft erst im Nachhinein und bei gehöriger Distanzierung als unzulässiger psychischer Zwang empfunden werden. In diesem Sinne kann auch bereits die Aufforderung, sich bei Schmerzen durch einen Arzt Medikamente verschreiben oder sich spritzen („Quaddeln“) zu lassen, die Ausübung von Zwang darstellen, wie sie in dem Artikel beschrieben wird.

Die vom Landgericht vorgenommene Gleichsetzung der im streitgegenständlichen Artikel erwähnten „Opiate“ mit jeder Art von „schmerzlindernden rezeptpflichtigen Arzneistoffen“ (S. 6 des Urteils) überzeugt jedoch nicht. Der verständige Durchschnittsleser kennt zwar nicht die Definition der Begriffe „Opiate“, „Opioide“ und „nichtsteroidale Antirheumatika“ und wird daher auch nicht wissen, dass das – nur der Sportlerin H… F… verabreichte – Tilidin 50/comp ein Opioid aber kein Opiat und das den Turnerinnen P… S… und S… S… verschriebene Ibuprofen 600/800 ein nichtsteroidales Antirheumatikum ist. Allerdings wird er auch nicht zugrunde legen, dass alle in der Apotheke auf Rezept erhältlichen Schmerzmittel bereits „Opiate“ sind. Bei verständiger Würdigung wird er vielmehr annehmen, dass hierunter nur Rausch- oder Schmerzmittel mit erheblicher Schmerzlinderungswirkung und ebenso erheblichen Nebenwirkungen fallen, die vorwiegend im Krankenhaus, jedenfalls unter ärztlicher Aufsicht verabreicht und – wie z. B. Morphium – nur bei nicht aushaltbaren Schmerzzuständen (z. B. bei Krebspatienten) oder in Sterbesituationen eingesetzt werden. So kommt dies etwa auch auf der Informationsseite www.patienteninformation.de zum Ausdruck, wo es u. a. heißt: „Opioide sind Arzneimittel gegen starke Schmerzen. Sie können zum Einsatz kommen, wenn übliche Schmerzmedikamente oder andere Schmerzbehandlungen nicht ausreichend wirken oder nicht angewandt werden dürfen.“ Wenn der verständige Durchschnittsleser auf diesem Verständnishorizont die streitgegenständliche Passage liest, wird er diese daher im Gesamtkontext so verstehen, dass die Klägerin sich rücksichtslos über die Schmerzen der … hinwegsetzt und zur Absicherung des Trainingsbetriebs auch nicht davor zurückschreckt, höchstpotente und besonders gefährliche Schmerzmedikamente mit Suchtpotential einzusetzen. Durch den in dem Artikel verwendeten Plural („Athletinnen“) und die konkrete Formulierung wird er zudem annehmen, dass es sich hierbei um eine regelmäßige Praxis gehandelt haben wird, die mehrere Turnerinnen betroffen hat.

Eine solche Praxis wird durch die zur Glaubhaftmachung vorgelegten yyy-Artikel jedoch nicht belegt. Die Verabreichung des Opioids Tilidin stellt, unabhängig davon, ob sie für einen Wettkampf und damit außerhalb des Trainings erfolgt ist, einen Einzelfall dar, was der in der Anlage AG 2 zitierte Untersuchungsbericht ausdrücklich so festhält, auch wenn er ausführt, dass es darüber hinaus „in mehreren Fällen zur Abgabe von Schmerzmitteln durch die Trainerin … kam“. Den vom Landgericht zitierten Artikeln lässt sich jedoch insofern allein die Abgabe von Ibuprofen 600/800 mg entnehmen, das zwar ebenfalls erhebliche Nebenwirkungen hervorrufen kann (https://www.apotheken-umschau.de/ medikamente/beipackzettel/ibuprofen-al-800-retard-tabl-4777323.html), jedoch anders als Opiate kein, zumindest aber ein erheblich geringeres Suchtpotential aufweist.

ii.
Anders als die Beklagte meint, ist diese unwahre Behauptung auch nicht deswegen hinzunehmen, weil sie das Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht verletzt. Allerdings ist das Persönlichkeitsrecht nur bei Darstellungen berührt, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind; es gebietet hingegen nicht, dem Betroffenen einen Abwehranspruch zuzubilligen, wenn es allein um Tatsachenbehauptungen geht, die sich nicht in nennenswerter Weise auf das Persönlichkeitsbild des Betroffenen auswirken können. Derartige „wertneutrale Falschdarstellungen“ begründen keine Unterlassungsansprüche (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23.10.2007 – 1 BvR 150/06 -, Rn. 20, juris; Senat, Beschluss vom 14.10.2019 – 4 U 2001/19 –, Rn. 10, juris; Beschluss vom 11.11.2018 – 4 U 1214/18 -, Rn. 7, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2017 – 4 U 166/16 -, Rn. 166, juris). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Wie ausgeführt misst die Leserschaft der behaupteten Verabreichung von Opiaten einen deutlich höheren Unrechtsgehalt bei als der Verabreichung sonstiger rezeptpflichtiger Schmerzmittel, von denen die breite Öffentlichkeit ohnehin annimmt, dass sie im Leistungssport im weiten Ausmaß Verwendung finden.

iii.
Dass die Beklagte auf die Unterlassungsaufforderung der Klägerin die Passage „sogar unter Einsatz von Opiaten“ gelöscht hat, lässt die Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Senats, dass die aufgrund der begangenen Verletzungshandlung zu vermutende Wiederholungsgefahr grundsätzlich nur durch Abgabe einer wirksamen strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung beseitigt werden kann (BGH, Urteil vom 08.11.1989, I ZR 102/88, juris Rz. 64; BGH, Urteil vom 30.03.1988, I ZR 209/86, juris Rz. 19; Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in den Medien, 3. Aufl., Rz. 810 m.w.N.; Götting/Scherz/Seitz, Handbuch des Persönlichkeitsrechts, § 47 Rz. 13 m.w.N.). Der Unterlassungsverpflichtete muss gegenüber dem Gläubiger eine uneingeschränkte, bedingungslose und durch ein Vertragsstrafeversprechen angemessen zu sichernde Unterlassungsverpflichtung eingehen (BGH, I ZR 153/85, a.a.O; Senat, Beschluss vom 15.06.2021 – 4 U 993/21 –, Rn. 9, juris; Beschluss vom 14.02.2017 – 4 U 195/17 –, Rn. 6, juris). Die Abgabe einer derartigen Unterlassungserklärung verweigert der Beklagte indes bis zum heutigen Tag, die streitgegenständliche Passage hat sie in der ersten Instanz nachdrücklich verteidigt.

iv.
Schließlich kann sich die Beklagte insofern nicht darauf berufen, durch die Löschung des streitgegenständlichen Absatzes eine Klarstellung im Sinne der sog. Stolpe-Rechtsprechung herbeigeführt zu haben. Hierfür kann dahinstehen, ob die Behauptung, die Sportlerinnen seien „sogar unter Opiaten“ zum Training gezwungen worden, überhaupt mehrdeutig ist, wofür immerhin die Interpretation spricht, die das Landgericht der Äußerung zugrunde gelegt hat. Auch bei mehrdeutigen Äußerungen scheidet eine Verurteilung zur Unterlassung, anders als etwa zu Schadensersatz oder Widerruf aber nicht aus. Eine auf Unterlassung zielende Verurteilung kann der Äußernde nur vermeiden, wenn er eine ernsthafte und inhaltlich ausreichende Erklärung abgibt, die mehrdeutige Äußerung, der eine Aussage mit dem persönlichkeitsverletzenden Inhalt entnommen werden kann, nicht oder nur mit geeigneten Klarstellungen zu wiederholen (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98 –, BVerfGE 114, 339 – 356, Rn. 35). Die bloße Streichung einer angegriffenen Passage stellt in diesem Sinne nichts klar, sondern lässt offen, ob der Äußernde trotz der Streichung inhaltlich daran festhält, die Äußerung auch weiterhin aufstellen zu dürfen (vgl. zum Inhalt der Klarstellung Mann, AfP 2011, 236 ff.).

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren hat ihre Grundlage in §§ 3 ZPO, 48 GKG. Nach § 48 Abs. 2 GKG ist der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen. Für die Streitwertfestsetzung bei Unterlassungsansprüchen wegen einer Ehrverletzung ist neben dem Grad der Verbreitung die Schwere des Vorwurfs sowie die Beeinträchtigung des sozialen Geltungsanspruches des Verletzten in der Öffentlichkeit, die wirtschaftliche Bedeutung sowie die sonstige Bedeutung der Sache einzubeziehen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt, Beschluss vom 20.11.2018 – 4 W 982/18 -, juris Beschluss vom 09.04.2018 – 4 W 296/18 -, juris, vgl. auch Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 14. Aufl., Rn. 1830 ff.). Die Werte des § 52 Abs. 2 GKG und des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG bieten lediglich einen ersten Anhalt, der je nach den Umständen zu ermäßigen oder zu erhöhen ist (Zöller-Herget, ZPO, 33. Aufl. 2018, § 3 Rn. 16, „Ehre“). Auch die Angabe des Verfahrenswerts in der Antragsschrift ist nicht mehr als ein Indiz für den Wert des Interesses an der Abwehr der Persönlichkeitsrechtsverletzung und unterliegt einer selbstständigen Überprüfung durch das Gericht (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 05.12.2018 – 5 U 58/18 -, Rn. 26, juris; Toussaint in: Dörndorfer/Neie/Wendtland/Gerlach, Kostenrecht, Ed. 23, 2018, § 48 GKG, Rn. 40). Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Streitwert im einstweiligen Verfügungsverfahren unter dem der Hauptsache liegt, weil das für ein Verfahren maßgebende Interesse des Antragstellers an der Sicherstellung im Regelfall nicht das Befriedigungsinteresse erreicht (Zöller-Herget, a.a.O. § 3 Rn. 16 Stichwort: „Einstweilige Verfügung“), beträgt der Streitwert einer Unterlassungsklage ohne besondere Bedeutung im Verfahren über den Erlass der einstweiligen Verfügung regelmäßig 5.000,00 € (Senat, Beschluss vom 11.03.2019 – 4 W 171/19 –, Rn. 2, juris; Beschluss vom 23.01.2013 – 4 W 1363/12). Mit Blick auf den erheblichen Bekanntheitsgrad der Klägerin, des Umstandes, dass über die „Chemnitzer Turnaffäre“ breit berichtet wurde und der Verbreitung des Internetangebots der Beklagten war der Streitwert hier auf 10.000,00 € festzusetzen.

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