OLG Düsseldorf: Vorlage an den EuGH wegen der Gewährung von Rabatten durch ausländische Versandapotheken

veröffentlicht am 21. April 2015

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.03.2015, Az. I-20 U 149/13
§ 78 Abs. 1 S. 1 AMG; § 4 Nr. 11 UWG

Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erforderlich ist, um die Frage zu klären, ob Rabatte auf verschreibungspflichtige Arzneimittel, die durch ausländische Versandapotheken gewährt werden, zulässig sind. In der Bundesrepublik sind solche Rabatte oder Bonusmodelle untersagt, da verschreibungspflichtige Medikamente der Preisbindung unterliegen. Fraglich sei jedoch, ob diese Regelung für ausländische Versandapotheken, die solche Medikamente nach Deutschland schicken, anwendbar ist. Zum Volltext der Entscheidung:


Oberlandesgericht Düsseldorf

Beschluss

I.
Das Verfahren wird ausgesetzt.

II.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf legt dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1.
Ist Art. 34 AEUV dahingehend auszulegen, dass eine durch nationales Recht angeordnete Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 34 AEUV darstellt?

2.
Sollte der Gerichtshof die Frage zu Nummer 1) bejahen:

Ist die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gemäß Art. 36 AEUV zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt, wenn nur durch sie eine gleichmäßige und flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in ganz Deutschland, insbesondere in den ländlichen Gebieten gewährleistet wird?

3.
Sollte der Gerichtshof auch die Frage zu Nummer 2) bejahen:

Welche Anforderungen sind an die gerichtliche Feststellung zu treffen, dass der in Ziffer 2 2. Halbsatz genannte Umstand tatsächlich zutrifft?

Gründe

A.
Dem Oberlandesgericht liegt die Berufung eines nach deutschem Recht eingetragenen Vereins vor, der vor den deutschen Gerichten wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens auf Unterlassen in Anspruch genommen wird.

Das Berufungsgericht hält für sein Urteil eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Auslegung der Art. 34 und 36 AEUV für erforderlich.

I.
Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Beklagte ist eine als eingetragener Verein verfasste Selbsthilfeorganisation, deren Ziel es ist, die Lebensumstände von X-Patienten und deren Familien zu verbessern. Mit einem Schreiben, das eine Kooperation zwischen dem Beklagten und der Versandapotheke Y bewirbt, wandte sich der Beklagte im Juli 2009 an seine Mitglieder und stellte ihnen ein Bonussystem vor, das verschiedene Boni für rezeptpflichtige, nur über Apotheken erhältliche X-Medikamente bei deren Bezug durch die Mitglieder des Beklagten von Y vorsieht.

Der Kläger, ein Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, hält die Werbung für gemäß § 4 Nr. 11 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) in Verbindung mit § 78 Arzneimittelgesetz (AMG) a.F. und §§ 1, 3 Arzneimittelpreisverordnung bzw. § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG n.F. unlauter, da das beworbene Bonusmodell gegen die gesetzlich vorgesehene Festlegung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises verstoße.

§ 78 Abs. 1 S. 1 AMG sah und sieht Folgendes vor:

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie wird ermächtigt, ….

1. Preisspannen für Arzneimittel, die im Großhandel, in Apotheken oder von Tierärzten im Wiederverkauf abgegeben werden,


festzusetzen. …

§ 78 Abs. 2 AMG lautet wie folgt:

Die Preise und Preisspannen müssen den berechtigten Interessen der Arzneimittelverbraucher, der Tierärzte, der Apotheken und des Großhandels Rechnung tragen. Ein einheitlicher Apothekenabgabepreis für Arzneimittel, die vom Verkehr außerhalb der Apotheken ausgeschlossen sind, ist zu gewährleisten. …

Die Arzneimittelpreisverordnung sieht – soweit hier interessierend – vor, dass der Hersteller für sein Medikament einen Preis festzusetzen hat (§ 1), auf den dann noch Großhandelszuschläge (§ 2) und Apothekenzuschläge (§ 3) aufgeschlagen werden. Für nicht verschreibungspflichtige Medikamente gilt diese Verordnung nicht. § 7 Abs. 1 Nr. 2 des Heilmittelgesetzes verbietet zudem Rabatte.

Zeitweise war infolge divergierender Entscheidungen von Gerichten unklar, ob diese Vorschrift auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel galt, die Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union im Wege des Versandhandels an Endverbraucher abgeben. Der Gesetzgeber hat daraufhin mit Gesetz vom 19.10.2012 (BGBl. I S. 2192) in § 78 Abs. 1 AMG folgenden Satz eingefügt:

Die Arzneimittelpreisverordnung, die auf Grund von Satz 1 erlassen wurde, gilt auch für Arzneimittel, die nach § 73 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1a in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht werden.

Der in Bezug genommene § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG betrifft Arzneimittel, die im Wege des Versandhandels von einer Apotheke mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union an Endverbraucher im Inland abgegeben werden. Des Weiteren hat der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte mit Beschluss vom 22. August 2012 (NJW 2013, 1425) entschieden, dass auch die frühere Fassung des AMG in diesem Sinne auszulegen war.

Der Beklagte hält die genannten Regelungen für nicht anwendbar und europarechtswidrig.

II.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und dem Beklagten untersagt, im Wettbewerb handelnd im Rahmen einer Kooperation mit der Versandapotheke Y deren Bonusmodell zu empfehlen, wenn dies geschieht wie mit dem den Streit auslösenden Anschreiben.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht ausgeführt, das Unterlassungsbegehren sei begründet, da der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Anschreiben gegen § 8 Abs. 3 Nr. 2, § 3, § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 78 AMG und §§ 1, 3 Arzneimittelverordnung verstoßen habe. Das Schreiben stelle eine geschäftliche Handlung des Beklagten dar, die unlauter sei, da das beworbene Bonussystem wettbewerbsrechtlich unzulässig sei. Entsprechendes habe der Bundesgerichtshof für den Fall entschieden, in dem von einer Apotheke für die Einlösung jedes Rezepts ein Gutschein von 5 € ausgelobt worden war (BGH GRUR 2010, 1136 – UNSER DANKESCHÖN). Den dortigen Ausführungen schließe sich die Kammer im Hinblick auf das vorliegend zur Beurteilung stehende Rabattsystem an, bei dem für verschreibungspflichtige Medikamente im geringsten Fall 2,57 € gutgeschrieben werden. Die in Rede stehenden Regelungen hätten schon im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Handlung auch für Lieferungen der im Ausland ansässigen Kooperationspartnerin des Beklagten gegolten. Für die Zukunft ergebe sich dies aus § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG in der Fassung vom 26.10.2012.

Der Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, mit der er den Antrag auf Klageabweisung weiter verfolgt.

B.
Vor Entscheidung über die Berufung ist das Verfahren auszusetzen. Gemäß Art. 267 AEUV ist eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Union zu den im Beschlusstenor gestellten Fragen einzuholen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hängt von der Auslegung der Art. 34 AEUV und Art. 36 AEUV ab.

1.
Die Vorschrift des § 78 Abs. 1 AMG ist, wie sich aus der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte sowie nunmehr aus § 78 Abs. 1 S. 4 AMG ergibt, auf Lieferungen einer im Ausland ansässigen Versandapotheke an Endverbraucher im Inland anwendbar.

2.
Das vom Beklagten beworbene Bonusmodell seiner Kooperationsapotheke verstößt gegen § 78 Abs. 2 Satz 2 AMG a.F. in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Arzneimittelpreisverordnung bzw. § 78 Abs. 1 AMG n.F. Denn ein Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung liegt nicht nur vor, wenn ein Apotheker ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem anderen als dem nach der Arzneimittelpreisverordnung zu berechnenden Preis abgibt, sondern auch dann, wenn zwar der korrekte Preis angesetzt wird, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen. Dieser Verstoß überschreitet in jedem Fall die Spürbarkeitsschwelle des § 3 Abs. 1 UWG, die vom Bundesgerichtshof bei 1,- € pro abgegebenem preisgebundenen Arzneimittel angesetzt wird.

3.
Mithin ist entscheidungserheblich, ob die § 78 Abs. 1 AMG a.F., § 78 Abs. 1 AMG n.F. in der vorliegenden Konstellation europarechtskonform sind. Hierzu werden verschiedene Ansichten vertreten.

a)
Zum einen ist streitig, ob die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 34 AEUV darstellt.

Das wird von dem Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes mit der Begründung verneint, die Preisbindung treffe in- und ausländische Apotheken gleichermaßen.

Die Europäische Kommission hingegen, die der Bundesrepublik Deutschland in Vorbereitung einer Stellungnahme nach Art. 258 AEUV Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat, hält eine Maßnahme gleicher Wirkung für gegeben. Sie vertritt die Auffassung, die Preisbindung treffe ausländische Apotheken härter, weil sie den Nachteil, nur über den Versandhandel Zugang zum deutschen Markt zu haben, lediglich durch den Vorteil, ihre Waren entsprechend den geltenden Vorschriften des Mitgliedsstaates zu verkaufen, in dem sie ansässig sind, ausgleichen könnten. Demgegenüber sei der Versandhandel für deutsche Apotheken nur ein zusätzlicher Vertriebsweg.

b)
Zweifel bestehen desweiteren hinsichtlich des sich bei Bejahung der Voraussetzungen des Art. 34 AEUV stellenden Problems, ob die Preisbindung nach Art. 36 AEUV zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gerechtfertigt ist.

Dies hat der Gemeinsame Senat unter Hinweis auf den dem Gesetzgeber zuerkannten Wertungsspielraum mit der Begründung bejaht, ein anderes konkretes System, das ebenso wie die Preisbindung im Interesse der sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung der Gefahr eines ruinösen Preiswettbewerbs unter Apotheken entgegen wirken, eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sichern und die Gefahr eines Fehl- oder Mehrgebrauchs von Medikamenten mindern könne, sei nicht erkennbar. Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 26.02.2014 – I ZR 2012 – NJW 2014, 3245) hat zur Rechtfertigung auf die Gefahren für eine flächendeckende Arzneimittelversorgung bei einer Zulassung von Preisunterschreitungen bei Lieferungen durch ausländische Versandapotheken hingewiesen.

Was den Fehl- oder Mehrgebrauch von Medikamenten anbelangt, sieht die Kommission keine Gefahr, da es um verschreibungspflichtige Medikamente geht, deren Dosierung vom verschreibenden Arzt festgelegt wird. Der Senat beabsichtigt, sich letzerem anzuschließen. Zum Argument der Sicherstellung einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung vertritt die Kommission die Auffassung, dass nicht die Preisbindung, sondern im Gegenteil die Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente zu wettbewerbsfähigen Preisen die Versorgung gerade der ländlichen Bevölkerung sicherstellen dürfte.

4.
Der Senat hält zum Erlass seines Urteils eine Entscheidung über die Vorlagefrage 1 und abhängig von der diesbezüglichen Antwort auch über die Vorlagefragen 2 und 3 für erforderlich.

Wenn der Gerichtshof die erste Frage verneint, ist die Berufung zurückzuweisen.

Bejaht er sie und verneint er die Frage zu Nummer 2, ist das angefochtene Urteil auf die Berufung abzuändern und die Klage abzuweisen.

Bei der Frage 2 stellt sich das Problem, ob die in der neueren Zeit aufgekommene Möglichkeit auch der ländlichen Bevölkerung, Arzneimittel im Wege des Versandhandels beziehen zu können, die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (s. zuletzt Urteil vom 13.02.2014 – C-367/12EU:C:2012:68) zur Anerkennung eines derartigen Rechtfertigungsgrundes zumindest relativieren könnte.

Bejaht der Gerichtshof die Fragen zu Nummer 1 und Nummer 2, muss der Senat im Tatsächlichen Feststellungen dazu treffen, ob die Behauptung des Klägers zutrifft, nur die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln stelle eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sicher. Insofern wird aller Wahrscheinlichkeit nach entscheidungserheblich sein, wie hoch die Anforderungen an solche Feststellungen vom Gericht in Anbetracht des dem Gesetzgeber zustehenden Wertungsspielraums sind, weshalb die Frage 3 gestellt wird. Bislang liegt dem Senat hierzu kein konkreter Vortrag des Klägers, geschweige denn solchen Vortrag untermauernde Unterlagen vor. Auch die Gesetzesbegründung begnügt sich mit dem bloßen Hinweis auf diese Gefahren. Solche Unterlagen sind auch der Kommission seitens der Bundesregierung offensichtlich nicht oder nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestellt worden. Im Anschreiben der Kommission an den Bundesaußenminister vom 20.11.2013 heißt es hierzu:

„Bislang haben die deutschen Behörden nicht nachgewiesen, dass die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch zusätzliche günstige Arzneimittelangebote ausländischer Apotheken gefährdet und die fragliche Maßnahme daher erforderlich wäre.“

Hinzu kommt auch insoweit die Frage, ob etwaige Gefahren für stationäre Apotheken, insbesondere im ländlichen Raum, im Hinblick auf die Möglichkeit einer Versandlieferung möglicherweise hinzunehmen sind.

Soweit in der Gesetzesbegründung für das Gesetz vom 19.10.2012 weitere Gründe angeführt sind, hält der Senat diese von vornherein für keine hinreichende Rechtfertigung für eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit.

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