OLG Düsseldorf: Werbung mit dem Hinweis „klimaneutral“ nicht per se irreführend / 2023

veröffentlicht am 11. Juli 2023

Klimaneutral
OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.07.2023, Az. 20 U 72/22 – nicht rechtskräftig

§ 8 Abs. 1 UWG, § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, § 3 Abs. 1 UWG, § 5a Abs. 1 UWG, § 5a Abs. 2 UWG a.F.
 
Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass eine Produktwerbung (hier für Konfitüre) mit dem Hinweis „klimaneutral“ nicht per se Verbraucher in die Irre führe. Der durchschnittliche Verbraucher werte den Begriff „klimaneutral“ im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO2-Emissionen eines Produktes, wobei ihm bekannt sei, so der Senat, dass diese Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen (z.B. Zertifikatehandel) erreicht werden könnte. Keine Rolle spiele, ob sich der Hinweis „klimaneutral“ auf das Unternehmen insgesamt oder ein bestimmtes Produkt des Unternehmens beziehe. Das werbende Unternehmen unterliege allerdings einer Informationspflicht, auf welche Weise die Klimaneutralität eines beworbenen Produktes erreicht werde. Die Konfitürenherstellerin habe weder in ihrer Werbeanzeige in einer Zeitschrift für Lebensmittel noch auf der Produktverpackung einen Hinweis darauf gegeben, wie es zur beworbenen Klimaneutralität komme. Zum Volltext der Entscheidung:

Oberlandesgericht Düsseldorf

Urteil

Die Berufung der Beklagten gegen das am 25.02.2022 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Mönchengladbach – Az: 8 O 17/21 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, eine Vollstreckung aus Nummer 1. des Tenors des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 30.000,00 Euro abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen wird der Beklagten nachgelassen, eine Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des beitreibbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.
 
Gründe

A)
1Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

2Mit diesem hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, es bei Meidung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu unterlassen,

3wie nachstehend wiedergegeben mit einer Klimaneutralität ihrer Produkte zu werben:

4 [Abbildung eines Konfitürenglases mit dem Etikettenaufdruck „Macht nachhaltig Eindruck“ und „Klimaneutraler Preis-Leistungs-Klassiker“]

5 [Abbildung eines Konfitürenglases]

6 [Abbildung eines Konfitürenglases]

7 [Abbildung eines Konfitürenglases]

8 [Abbildung eines Konfitürenglases]

9 [Abbildung eines Konfitürenglases]

10und an den Kläger vorgerichtliche Kosten in Höhe von 374,50 € nebst Zinsen zu zahlen.

11Gegenstand der Klage ist eine Werbung der Beklagten, einer Herstellerin von Konfitüren und ähnlichen Lebensmitteln, in Form einer Anzeige in der X.-Zeitung vom 19.02.2021 (erste Abbildung) und auf der Verpackung der beworbenen Marmelade mit der Angabe „Klimaneutraler Preis-Leistungs-Klassiker“ (Anzeige) bzw. „klimaneutrales Produkt“ (Marmeladenglas). Der Kläger hält diese Angaben für irreführend, weil die Verbraucher annehmen würden, der Herstellungsprozess selbst verlaufe emissionsfrei. Zumindest müsse die Werbeaussage dahin ergänzt werden, dass die Klimaneutralität durch kompensatorische Maßnahmen erreicht werde. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die angesprochenen Verkehrskreise verstünden den Begriff der Klimaneutralität im Sinne einer bilanziellen Klimaneutralität und hat behauptet, die von ihr geförderten Aufforstungsprojekte in Südamerika kompensierten den im Herstellungsprozess der Marmelade CO2-Ausstoss.

12Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, die angegriffene Werbung sei irreführend. Die Verbraucher verstünden die Angaben der Beklagten so, dass die Marmelade klimaneutral hergestellt werde und nicht so, dass das während der Herstellung des Produktes anfallende CO2 durch nachträgliche Maßnahmen kompensiert  und damit bilanziell eine Klimaneutralität erreicht werde. Zwar könne das Konzept der Klimaneutralität durch Kompensation als bekannt bei einem normal informierten Verbraucher vorausgesetzt werden. Aufgrund der konkreten Formulierung der Werbeaussage stelle sich der Durchschnittsverbraucher in der konkreten Entscheidungssituation bei der gebotenen angemessenen Aufmerksamkeit keine bilanzielle Kompensation vor, sondern beziehe die Aussage auf das konkrete Produkt und damit auf den Herstellungsprozess.

13Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht  eingelegten und innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründeten Berufung.

14Sie macht geltend, die angesprochenen Verbraucher verstünden den Begriff der Klimaneutralität richtig im Sinne einer bilanziellen Klimaneutralität. Das gelte erst recht für die von der Anzeige in der X.-Zeitung allein angesprochenen Fachkreise, die wüssten, dass eine emissionsfreie Herstellung nicht möglich sei. Auch weiterer Informationen bedürfe es nicht, weil die Frage, wie die Klimaneutralität erreicht werde, für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers irrelevant sei.

15Die Beklagte beantragt,

16unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

17Der Kläger beantragt,

18die Berufung zurückzuweisen.

19Er macht weiterhin geltend, die angesprochenen Verkehrskreise, die Verbraucher im Allgemeinen, verstünden die Werbung mit „Klimaneutralität“ so, dass der Produktionsprozess selbst „klimaneutral“ sei und nicht durch Kompensationszahlungen nur eine bilanzielle Klimaneutralität hergestellt werde. Jedenfalls aber seien in diesem Fall ergänzende Erläuterungen erforderlich.

20Hinsichtlich aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

B)
21Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

22Zwar ergibt sich der klägerische Anspruch nicht aus der vom Landgericht angenommenen Irreführung. Der Kläger hat gegen die Beklagte aber einen Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. §§ 3 Abs. 1, 5a Abs. 1 UWG bzw. § 5a Abs. 2 UWG a.F.

23I.

24Die Klagebefugnis des Klägers nach § 8 Abs. 2 Nr. 3 UWG steht zwischen den Parteien zu Recht nicht in Streit.

25II.

26Weder die Anzeige in der X.-Zeitung, noch die Angabe auf der Produktverpackung ist für sich genommen irreführend im Sinne des § 5 Abs. 1 UWG.

27Eine Irreführung nach § 5 UWG liegt vor, wenn das Verständnis, das eine Angabe in dem angesprochenen Verkehrskreis erweckt, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt (BGH GRUR 2020, 1226 Rn. 14 – LTE-Geschwindigkeit). Das ist bei der Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ nicht ohne weiteres der Fall. Dieser wird entgegen der Ansicht des Klägers nicht zwingend im Sinne eines gleichsam emissionsfreien Herstellungsprozesses verstanden.

28Abzustellen ist dabei auf das Verständnis eines situationsadäquat aufmerksamen durchschnittlich informierten Verbrauchers. Dies liegt für die Produktverpackung auf der Hand. Es gilt aber letztlich auch für die Anzeige in der X.-Zeitung. Zwar stimmt der Senat mit der Beklagten überein, dass diese sich ausschließlich an Fachkreise wendet. Diese weisen aber in der Lebensmittelbranche eine derartige „Spannweite“ auf, dass ein vom Durchschnittsverbraucher abweichendes Verständnis dieser Fachkreise fern liegt.

29Das Verkehrsverständnis können die Mitglieder des Senats beurteilen, weil sie ebenfalls zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören und hinsichtlich der von der Anzeige angesprochenen Fachkreise kein abweichendes Verständnis zu erwarten ist.

30Der Durchschnittsverbraucher wird den Begriff „klimaneutral“ im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO2-Emissionen des Unternehmens verstehen, wobei ihm bekannt ist, dass die Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen (z.B. Zertifikatehandel) erreicht werden kann (vgl. OLG Schleswig, GRUR 2022, 1451 Rn. 27 – Klimaneutrale Müllbeutel II; OLG Frankfurt, GRUR 2023, 177 Rn. 29 – klimaneutral). Dies gilt schon deshalb, weil dem Verbraucher bekannt ist, dass auch Waren und Dienstleistungen als „klimaneutral“ beworben werden, die nicht emissionsfrei erbracht werden können und bei denen die Klimaneutralität nur durch Kompensationszahlungen möglich ist, wie etwa Flugreisen. Nicht anders ist es, wenn sich die Klimaneutralität – wie hier – nicht auf das Unternehmen als Ganzes, sondern nur auf ein konkretes Produkt bezieht.

31Warum vorliegend die konkrete Verwendung – wie das Landgericht gemeint hat – ein abweichendes Verständnis zur Folge haben soll, erschließt sich dem Senat nicht.

32III.

33Der Kläger hat gegen die Beklagte aber einen Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. §§ 3 Abs. 1, 5a Abs. 1 UWG bzw. § 5a Abs. 2 UWG a.F.

34Fehlt es an einer irreführenden geschäftlichen Handlung i.S.d. § 5 Abs. 1 UWG, weil es an einer irregeleiteten Fehlvorstellung des Verbrauchers fehlt, so kann doch eine Verletzung der Informationspflicht des Werbenden vorliegen, weil dem Verbraucher eine für seine Entscheidung wesentliche Information vorenthalten wird (BGH, GRUR 2020, 1226, 1229 – LTE-Geschwindigkeit). Während § 5 UWG ein Irreführungsverbot regelt und voraussetzt, dass der Werbende eine Fehlvorstellung bei dem Verbraucher hervorruft, ist nach § 5a UWG die Verletzung von Informationsgeboten unlauter.

35Nach § 5a Abs. 1 UWG bzw. § 5a Abs. 2 UWG a.F. handelt unlauter, wer dem Verbraucher eine unter Berücksichtigung aller Umstände wesentliche Information vorenthält, die er benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, ihn zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Wesentlich ist eine Information nicht schon dann, wenn sie für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers von Bedeutung sein kann, sondern nur dann, wenn ihre Angabe unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen vom Unternehmer erwartet werden kann und ihr für die vom Verbraucher zu treffende geschäftliche Entscheidung erhebliches Gewicht zukommt. Letztendlich bestimmt sich die Wesentlichkeit einer Information also aus einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Falls heraus (BGH GRUR 2016, 1076 Ls. 2 u. Rn. 31 – LGA tested).

36Ist eine Information nach diesem Maßstab wesentlich, muss sie gegeben werden, auch wenn sie keinen der in § 5a Abs. 3 UWG a.F. aufgeführten Umstände betrifft. Die in § 5a Abs. 3 UWG a.F. geregelte Informationsanforderung ist nicht abschließend. Im Einzelfall kann es geboten sein, weitere Umstände mitzuteilen, die für eine Beurteilung der Ware oder Dienstleistung von Bedeutung erscheinen.

37Neben der Werbung auf der Verpackung richtet sich auch die Werbung in der X.-Zeitung auch an Verbraucher, denn bei den Lesern der X.-Zeitung handelt es sich zwar um Fachkreise, jedoch nicht notwendigerweise an Unternehmer. Vielmehr spricht die streitgegenständliche Werbung in der X.-Zeitung die Leser auch in ihrer Eigenschaft als Verbraucher an.

38Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Information, auf welche Weise die „Klimaneutralität“ eines beworbenen Produktes erreicht wird, eine wesentliche Information in dem vorgenannten Sinne.

39Der Klimaschutz ist für Verbraucher ein zunehmend wichtiges, nicht nur die Nachrichten, sondern auch den Alltag bestimmendes Thema. Die Bewerbung eines Unternehmens oder seiner Produkte mit einer vermeintlichen Klimaneutralität kann daher erheblichen Einfluss auf die Kaufentscheidung haben (OLG Frankfurt, GRUR 2023, 177 Rn. 29 – klimaneutral).

40Gerade wenn der Verbraucher – wie dargetan – weiß, dass eine ausgeglichene Klimabilanz auch durch Kompensationszahlungen erreicht werden kann, besteht ein Interesse an einer Aufklärung über grundlegende Umstände der von dem Unternehmen beanspruchten Klimaneutralität. Der Verkehr geht beispielsweise nicht davon aus, dass ein Unternehmen, das sich oder sein Produkt als „klimaneutral“ bezeichnet, allein auf Ausgleichsmaßnahmen Dritter beziehungsweise auf den Kauf von Zertifikaten setzt. Der Zertifikatehandel und andere Kompensationsmöglichkeiten stehen – jedenfalls aus Verbrauchersicht – in dem Verdacht, das betreffende Unternehmen betreibe nur sog. „Greenwashing“, ohne dass der Klimaschutz tatsächlich maßgeblich verbessert Der Verbraucher hat daher – neben der Frage, welche Produktionsvorgänge einberechnet werden – ein erhebliches Interesse an der Information, ob die Klimaneutralität (auch) durch eigene Einsparmaßnahmen erreicht wird oder nur durch den Erwerb von CO2-Zertifikaten beziehungsweise durch die Unterstützung von Klimaprojekten Dritter (wie hier: OLG Frankfurt a.a.O.), darüber hinaus – da bestimmte Ausgleichsmaßnahmen umstritten sind – die Art der Ausgleichsmaßnahmen.

41Die Situation ist vergleichbar mit derjenigen eines Warentests. Auch zur Ermittlung der Klimabilanz gibt es unterschiedliche Kriterien, Herangehensweisen und Bewertungsmaßstäbe, auf deren Kenntnis der Verbraucher zur Bewertung der Angabe „klimaneutral“ angewiesen ist. Im Ergebnis ist daher eine Aufklärung darüber erforderlich, ob die in der Werbung behauptete Klimaneutralität ganz oder teilweise durch Einsparungen bzw. durch Kompensationsmaßnahmen erreicht wird. Weiter ist eine Aufklärung darüber erforderlich, ob bestimmte Emissionen von der CO2-Bilanzierung ausgenommen wurden.

42Hieran fehlt es vorliegend. Weder die Anzeige noch die Produktverpackung enthalten einen Hinweis darauf, wie es zu der „Klimaneutralität“ kommt. Soweit die Beklagte geltend macht, entsprechende Erläuterungen fänden sich auf ihrer sowohl in der Werbung, als auch auf der Verpackung angegebenen Internetseite, mag dies zutreffen, verfängt aber deshalb nicht, weil dann jedenfalls die Information in der Werbung beziehungsweise auf der Packung erforderlich ist (und sei es auch nur durch eine Angabe vergleichbar „Näheres unter …“), dass dies der Fall ist. Vorliegend besteht aber kein Zusammenhang zwischen der Angabe „klimaneutral“ und der Website.

43IV.

44Aus der Begründetheit des Unterlassungsanspruchs folgt zugleich der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Kosten, der der Höhe nach nicht streitig ist.

45V.

46Die Kostenentscheidung beruht auf § 91, § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

47Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ zulässig ist, stellt sich in einer Vielzahl von Fällen und ist bisher höchstrichterlich nicht entschieden, so dass die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen war.

48Streitwert:              25.000,00 € (entsprechend der von den Parteien nicht angegriffenen erstinstanzlichen Festsetzung)

I