OLG Düsseldorf: Zur Frage der Dringlichkeit im Patent-Verfügungsverfahren

veröffentlicht am 6. September 2013

OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.01.2013, Az. I-2 U 87/12
§ 935 f ZPO

Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass für die erforderliche Dringlichkeit im einstweiligen Verfügungsverfahren in Patentsachen nicht vorausgesetzt wird, dass der Antragsteller eine besondere Eile oder größtmögliche Schnelligkeit walten lasse. Es dürfe lediglich nicht zu einer so nachlässigen und  zögerlichen Rechtsverfolgung kommen, dass der Eindruck entstehe, dem Verletzten liege nichts an einer zügigen Rechtsdurchsetzung. Seien beispielsweise die Beschaffung von Mustern und Untersuchungen zur Darlegung der Rechtsverletzung erforderlich, schade die Durchführung derselben nicht der Dringlichkeit, auch wenn sie einige Zeit in Anspruch nähmen. Zitat:

„B.
Auch der für den Erlass von Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes erforderliche Verfügungsgrund ist gegeben.

1.
Das gilt insbesondere für die Dringlichkeit, deren Vorliegen das Landgericht rechtsfehlerhaft verneint hat. Der Verfügungskläger braucht sich bei der Vorbereitung des Verfahrens und der Beschaffung der Glaubhaftmachungsmittel nicht der vom Landgericht geforderten „besonderen Eile“ zu befleißigen. Er muss nicht die größtmögliche Schnelligkeit walten lassen – jede einzelne Maßnahme lässt sich im Zweifel immer noch weiter beschleunigen. Vielmehr verhält es sich genau umgekehrt: Die maßgebliche Frage ist, ob sich der Verletzte bei der Verfolgung seiner Ansprüche wegen Patentverletzung in einer solchen Weise nachlässig und zögerlich verhalten hat, dass aus objektiver Sicht der Schluss geboten ist, dem Verletzten sei an einer zügigen Durchsetzung seiner Rechte nicht gelegen, weswegen es auch nicht angemessen ist, ihm die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes zu gestatten.

a)
Im Einzelnen gilt Folgendes:

Der Verfügungskläger muss bei der Rechtsverfolgung keinerlei Prozessrisiko eingehen. Er muss das Gericht deshalb erst anrufen, wenn er – Erstens – verlässliche Kenntnis aller derjenigen Tatsachen hat, die eine Rechtsverfolgung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren erfolgversprechend machen, und wenn er – Zweitens – die betreffenden Tatsachen in einer solchen Weise glaubhaft machen kann, dass sein Obsiegen sicher absehbar ist. Der Verfügungskläger darf sich dabei auf jede mögliche prozessuale Situation, die nach Lage der Umstände eintreten kann, vorbereiten, so dass er – wie immer sich der Verfügungsbeklagte auch einlassen und verteidigen mag – darauf eingerichtet ist, erfolgreich erwidern und die nötigen Glaubhaftmachungsmittel präsentieren zu können. Grundsätzlich kann der Verfügungskläger nicht darauf verwiesen werden, Nachermittlungen erforderlichenfalls erst während des laufenden Verfahrens anzustellen und Glaubhaftmachungsmittel nötigenfalls nachträglich zu beschaffen. Jede Maßnahme, die der Verfügungskläger zur Aufklärung und/oder zur Glaubhaftmachung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes unternimmt, hat dabei die tatsächliche Vermutung ihrer Sinnhaftigkeit für sich, weswegen sie eine mangelnde Dringlichkeit grundsätzlich nicht begründen kann, selbst wenn sie sich im Nachhinein angesichts der (vor der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens für den Verfügungskläger noch nicht vorhersehbaren) Einlassung des Verfügungsbeklagten im einstweiligen Verfügungsverfahren als nicht erforderlich erweisen sollte. Anders zu behandeln sind allenfalls solche Maßnahmen, die ex ante betrachtet selbst aus Gründen prozessualer Vorsicht schlechterdings keinen Sinn ergeben, sondern ausschließlich unnütze Zeit bei der Rechtsverfolgung kosten. Sobald der Verfügungskläger den mutmaßlichen Verletzungssachverhalt kennt, muss er dem nachgehen, die notwendigen Aufklärungsmaßnahmen treffen und für deren Glaubhaftmachung sorgen. Auch hierbei darf er nicht dilatorisch agieren, sondern hat die erforderlichen Schritte jeweils zielstrebig in die Wege zu leiten und zu Ende zu führen.

b)
Auf der Grundlage dieser Maßstäbe hat das Landgericht die Anforderungen an die zügige Vorbereitung des Verfügungsantrages überspannt.

aa)
Zutreffend hat es allerdings für unschädlich gehalten, dass die Verfügungsklägerin den Antrag nicht auf die Marktzulassung des angegriffenen Präparates, seine Bezeichnung als Bioäquivalent zum Originalpräparat „K.“, die Listung des angegriffenen Präparates in der L.-T., die Veröffentlichung der HMA im Internet, die Veröffentlichung der IMS-Marktdaten oder den Prüfbericht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte gestützt, sondern sich erst ein Muster des angegriffenen Präparates beschafft hat und dieses auf seine schutzrechtsverletzenden Eigenschaften hat untersuchen lassen.

Der Verweis der Verfügungsbeklagten auf die Zulassungsunterlagen und andere frühzeitig verfügbare Dokumente verfängt schon deshalb nicht, weil sie selbst auf die vorgerichtlichen Anfragen der Verfügungsklägerin hin (angesichts ihrer Einlassung im gerichtlichen Verfahren wahrheitswidrig) darauf beharrt hatte, sorgfältige Analysen des streitbefangenen Präparates hätten ergeben, dass von der technischen Lehre des Verfügungspatents kein Gebrauch gemacht werde. Ohne jeden Zweifel bedurfte es bei dieser Sachlage einer Untersuchung des angegriffenen Präparates. Die Verfügungsklägerin musste damit rechnen, der Benutzungstatbestand würde – ungeachtet der bestehenden, unstreitigen Dokumentenlage – auch im Verfügungsverfahren bestritten werden und es werde deshalb an ihr – der Verfügungsklägerin – sein, das Gericht von einer Patentbenutzung zu überzeugen. Nachdem die Verfügungsbeklagte auf eigene Untersuchungsbefunde verwiesen hatte, musste sich die Verfügungsklägerin darauf einrichten, dass es in einem gerichtlichen Verfahren darauf ankommen würde, die von der Gegenseite präsentierten Analysebefunde nicht nur zu entkräften, sondern in einer Weise zu widerlegen, dass sich das Gericht ohne eigene sachverständige Beratung (die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes untersagt ist) in der Lage sieht, den Benutzungssachverhalt als hinreichend glaubhaft gemacht anzusehen. Die Situation war weiter dadurch verschärft, dass die Verfügungsklägerin über den näheren Inhalt der behaupteten gegnerischen Analysebefunde, die es zu bekämpfen galt, völlig im Ungewissen war. Sie wusste weder um die exakten Messergebnisse noch um die angewandte Untersuchungsmethodik. Wollte die Verfügungsklägerin ihren Prozesserfolg nicht gefährden, mussten sich deshalb oberflächliche oder irgendwie angreifbare Untersuchungsberichte um jeden Preis verbieten. Es war gleichermaßen in Rechnung zu stellen, dass gegen etwaige betriebs- oder konzerninterne Untersuchungen von Seiten der Verfügungsbeklagten der Einwand mangelnder Unparteilichkeit erhoben werden würde, was es unbedingt ratsam erscheinen lassen musste, externen Sachverständigenrat hinzuzuziehen, dessen Stimme bei Gericht ein tendenziell größeres Gehör finden würde.

bb)
Zu Unrecht hat das Landgericht der Verfügungsklägerin entgegen gehalten, sie habe ihre Rechte, nachdem sie Kenntnis von der Lieferbarkeit des angegriffenen Präparates am Markt gehabt habe, nur zögerlich verfolgt, als sie das Produkt beschaffte, es auf seine schutzrechtsverletzenden Eigenschaften untersuchen ließ und nach dem Vorliegen der Untersuchungsergebnisse den Verfügungsantrag bei Gericht eingereicht hat. Die Verfügungsklägerin hat vielmehr mit der gebotenen Sorgfalt, aber stets zielstrebig diejenigen Aufklärungs- und Beweismaßnahmen getroffen, die für einen beabsichtigten Prozesserfolg notwendig und sinnvoll waren. Das wird bereits unmissverständlich deutlich, wenn man sich nur vor Augen führt, dass die angegriffenen Präparate erstmals ab dem 6. August 2012 erhältlich waren und dass bis zur Einreichung des Verfügungsantrages am 12. September 2012 lediglich etwas mehr als 1 Monat verstrichen ist. Während dieser Zeit hat die Verfügungsklägerin die Arzneimittel selbst untersucht, externen sachverständigen Rat eingeholt und die Verfügungsbeklagte abgemahnt. Erst recht kann auf der Grundlage des ergänzenden Vorbringens der Verfügungsklägerin im Berufungsverfahren hierzu (vgl. insbesondere ihre Übersicht Anlage ASt 40a) keine Rede von mangelnder Zielstrebigkeit mehr sein. Nachdem die Verfügungsbeklagte dieses Vorbringen nicht bestritten hat, muss es berücksichtigt werden und unterliegt nicht der Bestimmung des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO.

(1)
Nicht zum Vorwurf gemacht werden kann der Verfügungsklägerin, dass die Beschaffung eines Musters des angegriffenen Arzneimittels von der Bestellung in der Apotheke bis zum tatsächlichen Erhalt drei Tage (vom 6. bis zum 9. August 2012) in Anspruch genommen hat. Dies hat nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Verfügungsklägerin seine Ursache in dem verzeihlichen Missgeschick, dass ein unwissender Mitarbeiter der Verfügungsklägerin das von der Apotheke unverzüglich auf dem Postwege übersandte Muster zurückschickte und die Apotheke das Präparat nach Klärung des Missverständnisses erneut der Verfügungsklägerin zuleitete, die es dann am 9. August 2012 erhielt (vgl. Anlage ASt 44).

(2)
Ebenso wenig kann der Verfügungsklägerin angelastet werden, dass sie das Muster nicht am selben Tag per Kurier nach Ulm zur Untersuchung geschickt, sondern es am 14. August durch ihren Mitarbeiter G. dorthin bringen ließ, der an diesem Tage ohnehin nach Ulm fuhr. Auch das lässt keine Nachlässigkeiten erkennen, zumal die Übergabe an einen Mitarbeiter, der ohnehin den Zielort aufsuchen musste, die Kosten eines eigens bestellten Kuriertransportes sparte und gegenüber dem Postversand eine höhere Gewähr dafür bot, dass das Muster das Untersuchungslabor erreicht und nicht unterwegs verloren geht.

(3)
Auch bei der Untersuchung des Musters und der Auswertung der Ergebnisse hat die Verfügungsklägerin die gebotene Zielstrebigkeit walten lassen. Der zuständige wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. G. hat das Muster einen Tag nach Erhalt untersucht und analysiert. Die Zeit vom Vorliegen des Untersuchungsergebnisses am 17. August 2012 bis zur Finalisierung des Analysereports am 6. September 2012 war dadurch gekennzeichnet, dass ein Peak bei 5.4 in der Untersuchung aufgetreten war, von dem nicht klar war, ob er Flupirtin-Maleat der Variante anzeigte, was bejahendenfalls eine Schutzrechtsverletzung ausgeschlossen hätte, die die reine Modifikation voraussetzt. Dass dieser Befund geklärt werden musste und weitere Untersuchungen mit schutzrechtsgemäßen Vergleichsprodukten der Verfügungsklägerin notwendig machte und in die Besprechungen auch die Konzernmutter der Verfügungsklägerin und deren inzwischen eingeschaltete anwaltliche Vertreter einbezogen werden mussten, versteht sich von selbst und bedarf keiner vertiefenden Ausführungen.

(4)
Ebenso wenig schadet es der Dringlichkeit, dass die Verfügungsklägerin mit Blick auf die nicht ganz eindeutigen Ergebnisse der eigenen Untersuchungen zusätzlich ein externes Gutachten bei Prof. Dr. B. in Auftrag gegeben hat, um eine größere Sicherheit darüber zu gewinnen, ob das Verfügungsschutzrecht verletzt wird oder nicht. Nachdem die Verfügungsbeklagte die Verletzung zunächst in Abrede gestellt und erst im Laufe des landgerichtlichen Verfahrens eingeräumt hat, musste die Verfügungsklägerin besondere Sorgfalt darauf verwenden, den Verletzungstatbestand durch entsprechende Analysen des angegriffenen Produktes glaubhaft zu machen. Es lag nahe, zusätzlich das Gutachten eines externen unabhängigen Sachverständigen einzuholen, um auch für den Fall gerüstet zu sein, dass die Verfügungsbeklagte die Richtigkeit der Verfügungsklägerin selbst durchgeführten Analysen in Abrede stellte. Das gilt umso mehr, als die Verfügungsbeklagte in ihrer Antwort vom 7. September 2012 auf die Abmahnung der Verfügungsklägerin mitgeteilt hatte, sie sehe nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage keine Verletzung der Verfügungspatentansprüche 1, 5 und 8 (vgl. Anlage ASt 20). Der gesamte in der Berufungsbegründung und auch in der Anlage ASt 40a dargelegte Fortgang der Vorbereitungstätigkeiten belegt vielmehr, dass die Verfügungsklägerin den Verfügungsantrag zielstrebig vorbereitet und, nachdem ihr die finale Fassung der Stellungnahme von Prof. Dr. B. vorlag, einen Tag später am 12. September 2012 den Verfügungsantrag beim Landgericht eingereicht hat.

(5)
Dass die Antragsschrift, nachdem die Verfügungsbeklagte sich zu der Abmahnung der Verfügungsklägerin geäußert hatte, nicht in der ursprünglich vorgesehenen Fassung eingereicht werden konnte, sondern überarbeitet und um eine Stellungnahme zu den Einwänden der Beklagten ergänzt werden musste, versteht sich ebenfalls von selbst und schadet der Dringlichkeit ebenfalls nicht.“

I