OLG Düsseldorf: Zur Notwendigkeit der erneuten Zustellung einer einstweiligen Verfügung, nachdem diese im Widerspruchsverfahren teilweise aufgehoben worden ist

veröffentlicht am 20. August 2012

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtOLG Düsseldorf, Urteil vom 20.01.2011, Az. I-2 U 92/10
§ 929 Abs. 2 ZPO, § 936 ZPO

Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass die erneute Vollziehung (Zustellung an die gegnerische Partei binnen Monatsfrist) einer einstweiligen Verfügung, die per Urteil im Verfügungsverfahren abgeändert wurde, nicht in allen Fällen notwendig ist. Sei die Verfügung bestätigt worden, bedarf eine bereits vollzogene einstweilige Verfügung keiner erneuten Vollziehung. Ebenso brauche eine bereits vollzogene einstweilige Verfügung grundsätzlich auch dann nicht erneut vollzogen zu werden, wenn sie nur teilweise bestätigt, im Übrigen aber aufgehoben worden sei, die getroffene Anordnung inhaltlich also nur eingeschränkt worden sei. Eine erneute Vollziehung sei aber dann erforderlich, wenn der vollzogene Verfügungsbeschluss im Verfügungsurteil inhaltlich geändert oder gar erweitert worden ist. Dies sei vorliegend durch Anordnung einer Sicherheitsleistung der Fall gewesen. Eine wirksame Vollziehung durch fristgerechte Zustellung von Anwalt zu Anwalt sei jedoch auch dann anzunehmen, wenn es auf Grund der Kopierqualität zu einzelnen Auslassungen gekommen sei. Die fehlenden Wörter und Buchstaben hätten nicht dazu geführt, dass die insoweit nicht vollständig lesbaren Seiten unverständlich gewesen seien. Auszug aus dem Urteil:

„Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerinnen ist die einstweilige Verfügung innerhalb der in den §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO vorgesehenen Frist von einem Monat beginnend mit der Verkündung des angefochtenen Urteils vollzogen worden.

1.
Gemäß §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO ist die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung unstatthaft, wenn seit dem Tage, an dem das Urteil verkündet wird, ein Monat verstrichen ist. Die nicht mehr vollziehbare einstweilige Verfügung ist wirkungslos, ihr wird die Wirkung von Anfang an abgesprochen. Der Vollziehung bedarf auch eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung, und zwar auch eine Unterlassungsverfügung in Urteilsform. Eine solche muss neben ihrer Zustellung von Amts wegen zusätzlich ebenfalls vom Antragsteller vollzogen werden, um dem Antragsgegner deutlich zu machen, dass er von der erwirkten Eilmaßnahme Gebrauch machen will (vgl. BGHZ, 120, 73 = GRUR 1993, 415, 416 – Straßenverengung; BGH, GRUR 2009, 890, 891 Rdnr. 15 – Ordnungsmittelandrohung; OLG Düsseldorf [20. ZS], GRUR-RR 2001, 94; OLG Stuttgart, GRUR-RR 2009, 194; Ahrens/Berneke, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., Kap. 57, Rdnr. 12 und 13; Berneke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl., Rdnr. 312; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl., Kap. 55 Rdnr. 38 jew. m. w. Nachw.). Eine Unterlassungsverfügung ist jedenfalls in der Regel durch eine Zustellung auf Veranlassung des Antragstellers zu vollziehen (vgl. BGH, GRUR 2009, 890, 891 Rdnr. 15 – Ordnungsmittelandrohung; Ahrens/Berneke, a.a.O., Kap. 57, Rdnr. 15, Berneke, a.a.O., Rdnr. 312). Eine Parteizustellung bringt den Willen des Antragstellers zum Ausdruck, von einer Eilmaßnahme Gebrauch zu machen; die Amtszustellung des Urteils kann diese Absicht naturgemäß nicht zum Ausdruck bringen und ist deshalb als Vollziehungsmaßnahme von vornherein ungeeignet (vgl. BGHZ, 120, 73 = GRUR 1993, 415, 416 – Straßenverengung, OLG Düsseldorf [20. ZS], GRUR-RR 2001, 94; Ahrens/Berneke, a.a.O., Kap. 57, Rdnr. 12 und 13; Berneke, a.a.O., Rdnr. 312; Teplitzky, a.a.O., Kap. 38 Rdnr. 42 jew. m. w. Nachw.). Ist eine zunächst im Beschlusswege ergangene einstweilige Verfügung nach einer mündlichen Verhandlung aufgrund Widerspruchs des Antragsgegners bestätigt worden, bedarf eine bereits vollzogene einstweilige Verfügung zwar keiner erneuten Vollziehung (vgl. OLG Stuttgart, GRUR-RR 2009, 194, 195; Ahrens/Berneke, a.a.O., Kap. 57, Rdnr. 17; Berneke, a.a.O., Rdnr. 300; Teplitzky, a.a.O., Kap. 38 Rdnr. 48 jew. m. w. Nachw.). Eine bereits vollzogene einstweilige Verfügung braucht grundsätzlich auch dann nicht erneut vollzogen zu werden, wenn sie nur teilweise bestätigt, im Übrigen aber aufgehoben worden ist, die getroffene Anordnung inhaltlich also nur eingeschränkt worden ist (vgl. OLG Stuttgart, GRUR-RR 2009, 194, 195; Ahrens/Berneke, a.a.O., Kap. 57, Rdnr. 22; Berneke, a.a.O., Rdnr. 300 jew. m. w. Nachw.). Eine erneute Vollziehung ist aber dann erforderlich, wenn der vollzogene Verfügungsbeschluss im Verfügungsurteil inhaltlich geändert oder gar erweitert worden ist (OLG Stuttgart, GRUR-RR 2009, 194, 195; Ahrens/Berneke, a.a.O., Kap. 57, Rdnr. 23; Berneke, a.a.O., Rdnr. 300; Teplitzky, a.a.O., Kap. 38 Rdnr. 48 jew. m. w. Nachw.). Wird nachträglich eine Sicherheitsleistung angeordnet, muss die Eilmaßnahme wegen dieser inhaltlichen Änderung deshalb nach herrschender Meinung erneut vollzogen werden (vgl. OLG Frankfurt, WRP 1980, 423; OLG Oldenburg, OLGR 2000, 44; BauR 2008, 1932; OLG Stuttgart, WRP 1983, 647; Ahrens/Berneke, a.a.O., Kap. 57, Rdnr. 24; Berneke, a.a.O., Rdnr. 302 m. w. Nachw.). In der Anordnung der Sicherheitsleistung ist keine bloße Einschränkung der einstweiligen Verfügung zu sehen, sondern eine inhaltliche Änderung. Nach diesen Rechtsgrundsätzen musste die einstweilige Verfügung trotz ihrer Aufrechterhaltung durch das angefochtene Urteil von der Antragstellerin erneut vollzogen werden, weil das Landgericht die weitere Vollziehung der einstweiligen Verfügung von der Leistung einer Sicherheit in Höhe von 1.500.000,- EUR abhängig gemacht hatte. Es hatte damit in dem Urteil erstmals eine Sicherheitsleistung angeordnet und den ursprünglichen Beschluss vom 19. Mai 2010 wesentlich geändert.

2.
Das Urteil des Landgerichts ist jedoch innerhalb der Frist im Wege der Parteizustellung wirksam zugestellt worden; auch ist unstreitig die mit diesem Urteil angeordnete Sicherheit geleistet worden. Die Parteizustellung war entgegen der Auffassung der Antragsgegnerinnen wirksam.

a)
Die Parteizustellung einer einstweiligen Verfügung kann nicht nur gemäß §§ 191, 192 ZPO durch den Gerichtsvollzieher, sondern nach § 195 Abs. 1 Satz 1 ZPO auch durch eine Zustellung von Anwalt zu Anwalt erfolgen. Der Antragsteller hat dem Antragsgegner die Ausfertigung der Beschluss- oder Urteilsverfügung zuzustellen, die ihm zuvor selbst vom Gericht zugestellt worden ist. Es reicht hierbei aus, dass dem Antragsgegner eine beglaubigte Abschrift der dem Antragsteller vom Gericht erteilten Ausfertigung zugestellt wird (vgl. Berneke, a.a.O., Rdnr. 302).

b)
Das war hier der Fall. Den Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin ist unstreitig von Anwalt zu Anwalt eine beglaubigte Abschrift (Anlage MBP 9) einer Ausfertigung des Urteils des Landgerichts zugestellt worden. Der die Zustellung bewirkende Rechtsanwalt der Antragstellerin konnte die Beglaubigung selbst vornehmen und auch die Zustellung ausführen. Die Zustellung ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerinnen nicht deswegen fehlerhaft, weil die Beglaubigung durch den angestellten Rechtsanwalt der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin, Rechtsanwalt Dr. L…, durchgeführt worden ist und dieser auch die Zustellung ausgeführt hat. Wie die Antragstellerin unwidersprochen vorgetragen und ihr Verfahrensbevollmächtigter Rechtsanwalt R… auch anwaltlich versichert hat, handelte Rechtsanwalt Dr. L… für die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin in Untervollmacht. Er konnte deshalb sowohl die Beglaubigung vornehmen als auch die Zustellung ausführen. Denn zum einen kann der Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter die Beglaubigungsbefugnis auch einem anderen Anwalt übertragen (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 27. Aufl., § 169 Rdnr. 11). Zum anderen kann sich im Rahmen des § 195 ZPO der zustellende Rechtsanwalt, dem Prozessvollmacht erteilt ist, durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten lassen. Zustellungsberechtigt ist daher auch der hierzu ermächtigte, beim Prozessbevollmächtigten angestellte Rechtsanwalt (vgl. Zöller/Stöber, a.a.O., § 195 Rdnr. 4). Hinzu kommt, dass Rechtsanwalt Dr. L… hier ausweislich des Sitzungsprotokolls des Landgerichts vom 17. Juni 2010 im Verhandlungstermin vor dem Landgericht als Verfahrensbevollmächtigter der Antragstellerin aufgetreten ist.

c)
Unabhängig davon hat die Antragstellerin zuletzt auch unwidersprochen vorgetragen (Schriftsatz v. 09.12.2010, Seite 4 [Bl. 367 GA]), dass sie den Antragsgegnerinnen innerhalb der Vollziehungsfrist auch eine beglaubigte Abschrift der Ausfertigung des angefochtenen Urteils durch den Gerichtsvollzieher hat zustellen lassen. Dem sind die Antragsgegnerinnen nicht entgegengetreten.

d)
Die Zustellung ist auch nicht deswegen unwirksam, weil die den Antragsgegnerinnen von Anwalt zu Anwalt zugestellte Abschrift des angefochtenen Urteils gemäß Anlage MBP 9 Auslassungen aufweist.

aa)
Die Zustellung einer einstweiligen Verfügung erfolgt durch ihre Bekanntgabe (§§ 191, 166 Abs. 1 ZPO). Hierzu wird eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der Urschrift der einstweiligen Verfügung zugestellt. Die einstweilige Verfügung muss hierbei mit dem Inhalt zugestellt werden, mit dem sie ergangen ist (Ahrens/Berneke, a.a.O., Kap. 57, Rdnr. 31; Berneke, a.a.O., Rdnr. 316). Die Wirksamkeit der Zustellung erfordert es, dass die Ausfertigung bzw. Abschrift die Urschrift richtig und vollständig wiedergibt. Ein zur Unwirksamkeit der Zustellung führender wesentlicher Mangel liegt dann vor, wenn in der zugestellten Urteilsausfertigung ganze Seiten fehlen. Das gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auch schon dann, wenn nur eine einzige Seite fehlt (BGH, GRUR 1998, 746 – Unzulängliche Zustellung). Überhaupt darf es grundsätzlich keine Mängel geben, die den Inhalt im Wesentlichen verdunkeln (Berneke, a.a.O., Rdnr. 316). Das bedeutet aber nicht, dass jedweder Mangel die Zustellung unwirksam macht. Erforderlich ist lediglich, dass der Zustellungsempfänger aus der Ausfertigung den Inhalt der Urschrift und insbesondere den Umfang seiner Beschwer erkennen kann (BGH, NJW-RR 2000, 1655, 1666 m. w. Nachw.; OLG Köln, NJW-RR 2010, 864; vgl. a. OLG Naumburg, OLGR 2000, 98 = MDR 2000, 601). Regelmäßig führen nur schwerwiegende Abweichungen, also solche in wesentlichen Punkten, zur Unwirksamkeit der Zustellung (BGH, NJW 2001, 1653, 1654 m. w. Nachw.; OLG Köln, NJW-RR 2010, 864, vgl. a. OLG Naumburg, OLGR 2000, 98 = MDR 2000, 601). Die Zustellung ist auch dann wirksam, wenn durch das Weglassen einzelner Wörter und Buchstaben das Verständnis der Entscheidung zwar erschwert, aber nicht vereitelt wird (BGH, NJW-RR 2005, 1658 m. w. Nachw.; OLG Köln, NJW-RR 2010, 864; OLG Naumburg, MDR 2000, 601).

bb)
Nach diesen Maßstäben ist die Zustellung im Streitfall wirksam erfolgt. Zwar fehlten auf den geraden Seiten der den Antragsgegnerinnen zugestellten beglaubigten Abschrift gemäß Anlage MBP 9 oben rechts jeweils mehrere Buchstaben oder auch einzelne Worte. Entsprechendes gilt für den oberen rechten Bereich mehrerer ungerader Seiten. Dort sind jeweils Dreiecke zu erkennen, die ersichtlich daher rühren, dass die Ausfertigung des angefochtenen Urteils – entsprechend der üblichen Praxis des Landgerichts – an der linken oberen Ecke umgefaltet, mit der dreieckigen Umfaltung geklammert und anschließend auf der Rückseite mit einem Siegel versehen worden ist. Die Anfertigung besserer Kopien von der der Antragstellerin erteilten Urteilsausfertigung war hierdurch nicht möglich. Von den hierdurch bedingten Unleserlichkeiten bzw. Auslassungen war der Urteilstenor jedoch nicht betroffen; die Urteilsformel konnte uneingeschränkt gelesen werden. Die im Tatbestand und den Entscheidungsgründen enthaltenen Unleserlichkeiten bereiteten einem mit dem Streitstoff Vertrauten keine Mühe, die dortigen Ausführungen des Landgerichts zu verstehen. Sie betrafen jeweils nur den oberen rechten bzw. linken Bereich der jeweiligen Seite; es fehlten in den betroffenen Zeilen nur einzelne Buchstaben oder ein einzelnes Wort. Die fehlenden Wörter und Buchstaben führen nicht dazu, dass die insoweit nicht vollständig lesbaren Seiten unverständlich waren. Erst recht ließen sie keinen Zweifel an der gesamten Begründung des Urteils aufkommen.

3.
Damit war die Parteizustellung wirksam, so dass die Antragstellerin die Vollziehungsfrist gewahrt hat. Darauf, ob neben der Parteizustellung noch andere Maßnahmen eine Vollziehung nach § 929 Abs. 2 ZPO bewirken können und wenn ja, welche dies sind (vgl. hierzu Vohwinkel GRUR 2010, 977 ff.; Ahrens/Berneke, a.a.O., Kap. 57, Rdnr. 15; Berneke, a.a.O., Rdnr. 312 u. 313), kommt es unter diesen Umständen nicht an. Es muss insoweit nicht entschieden werden, ob zur Vollziehung auch die Erbringung der vom Gericht angeordneten Sicherheitsleistung bzw. die Zustellung der Hinterlegungsquittung über die Sicherheitsleistung ausreicht. Ebenso muss nicht entschieden werden, ob ein in der Unvollständigkeit des zugestellten Schriftstücks liegender „Zustellungsmangel“ durch die innerhalb der Vollziehungsfrist erfolgte Amtszustellung des angefochtenen Urteils geheilt worden wäre. Schließlich bedarf es, da bereits die von Anwalt zu Anwalt erfolgte Zustellung wirksam war, keiner Aufklärung, ob auch die den Antragsgegnerinnen durch den Gerichtsvollzieher zugestellte beglaubigte Abschrift der Urteilsausfertigung Auslassungen aufweist.“

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