OLG Hamburg: Bei der Bezugnahme auf eine Studie bei Vorstellung eines neuen Arzneimittels darf der Fachverkehr mit einer klinischen Wirksamkeitsstudie rechnen

veröffentlicht am 8. Dezember 2014

OLG Hamburg, Urteil vom 02.10.2014, Az. 3 U 17/13
§ 3 UWG, § 4 Nr. 5 UWG, § 4 Nr. 8 UWG, § 4 Nr. 11 UWG

Das OLG Hamburg hat entschieden, dass die Bewerbung eines neuen Medikaments mit Bezugnahme auf eine Studie irreführend ist, wenn es sich dabei nicht um eine klinische Wirksamkeitsstudie handelt. Eine solche werde vom Fachverkehr ohne weitere Hinweise – zu Recht – erwartet. Seien tatsächlich lediglich klinisch-pharmakologische Studien an gesunden Probanden durchgeführt worden, sei die Werbung in dieser Form zu unterlassen. Zum Volltext der Entscheidung:


Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg

Urteil

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 27, vom 29.11.2012 (327 O 459/12) wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin wegen irreführender Arzneimittelwerbung für das Präparat Filgrastim H. auf Unterlassung in Anspruch.

Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich des Vertriebs von Medikamenten. Die Antragstellerin vertreibt das Produkt N. mit dem Wirkstoff Filgrastim; hierbei handelt es sich um ein Medikament, welches gegen einen Mangel an weißen Blutkörperchen (Neutropenie) wirken soll. Eine Neutropenie tritt häufig als Nebenwirkung einer Chemotherapie auf (sog. Chemotherapie-induzierte Neutropenie).

Die Antragsgegnerin vertreibt das Produkt Filgrastim H., ein sog. Biosimilar des Referenzarzneimittels N.. Bei einem Biosimilar handelt es sich um ein Generikum eines nicht mehr patentgeschützten, nicht durch chemische Synthese, sondern biotechnologisch hergestellten rekombinanten Originalarzneimittels. Anders als im Falle chemisch produzierter Generika ist die Erstellung einer chemisch identischen Kopie eines rekombinanten Arzneimittels hier nicht möglich, weil es sich hierbei um hochkomplexe dreidimensionale Proteine handelt, die aus biologischem Material isoliert oder gentechnisch mit Hilfe von lebenden Zellen produziert werden.

In dem als Anlage Ast 8 eingereichten „Europäischen Öffentlichen Beurteilungsbericht (EPAR)“ der European Medicines Agency (EMA) heißt es, dass der Antragsgegnerin am 6.2.2009 eine Genehmigung für das Inverkehrbringen von Filgrastim H. in der Europäischen Union erteilt worden sei. In dem Bericht wird zu der Frage „Wie wurde Filgrastim H.“ untersucht?“ ausgeführt:

„Die Studien mit Filgrastim H. dienten der Erbringung des Nachweises, dass es mit dem Referenzarzneimittel N. vergleichbar ist. In vier Studien wurden bei insgesamt 146 gesunden Freiwilligen, die Filgrastim H. oder N. erhielten, die Konzentrationen von Neutrophilen im Blut untersucht. Die Studien untersuchten die Wirkungen der einmaligen und wiederholten Verabreichung verschiedener Dosen der Arzneimittel, entweder unter die Haut injiziert oder als Infusion in eine Vene verabreicht. Der Hauptindikator war bei diesen Studien die Neutrophilenzahl im Verlauf der ersten zehn Tage der Behandlung.“

Weiter heißt es in dem Bericht zu der Frage: „Warum wurde Filgrastim H. zugelassen?“

„Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) gelangte zu dem Schluss, dass für Filgrastim H. gemäß den Anforderungen der Europäischen Union der Nachweis erbracht wurde, dass das Arzneimittel ein mit N. vergleichbares Qualitäts-, Sicherheits- und Wirksamkeitsprofil aufweist. Der CHMP war daher der Ansicht, dass wie bei N. die Vorteile gegenüber den festgestellten Risiken überwiegen und empfahl, die Genehmigung für das Inverkehrbringen von Filgrastim H. zu erteilen.“

In der als Anlage AST 7 eingereichten Information der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft heißt es unter „Klinische Studien“ zu Filgrastim H. und Z., einem anderen Biosimilar:

„Eine klinische Wirksamkeitsstudie im Vergleich zu dem Referenzarzneimittel wurde im Zulassungsverfahren nicht gefordert. Es liegen klinisch-pharmakologische Studien an gesunden Probanden mit Beleg der pharmakokinetischen (Bio)äquivalenz (2 Studien) und weitere 2 Studien zum Beleg der pharmakodynamischen Äquivalenz vor. Filgrastim H. und Z. führten bei gesunden Probanden zu vergleichbaren Anstiegen der Neutrophilenzahl im Blut wie N.. Die Sicherheit der Anwendung bei Patienten wurde bei 170 Brustkrebspatientinnen, von denen 154 vier Chemotherapiezyklen erhielten, gezeigt.“

Die Antragsgegnerin warb für Filgrastim H. mit dem in Kopie als Anlage Ast 3 eingereichten Folder, in welchem es auf S. 2 u.a. heißt:

„Filgrastim H.®: vergleichbar in Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit mit dem Referenzprodukt“.

Hinter dem Wort „Referenzprodukt“ verweist die hochgestellte Zahl 4 auf eine auf der letzten Seite des Folders unter dem Punkt „Referenzen“ abgedruckten Fußnotenvermerk. Darin heißt es: „Gascon P et al Ann Oncal 2010 21 1419-1429″

Ferner schaltete die Beklagte in der Zeitschrift Onkologie die in der Anlage ASt 4 wiedergegebene Anzeige in der Zeitschrift „Onkologie“, in der es u.a. heißt:

„Wirksamkeit und Sicherheit vergleichbar mit Referenzprodukt“.

Hinter dem Wort „Referenzprodukt“ verweist die hochgestellte Zahl 2 auf einen unterhalb der fettgedruckten Werbeaussagen abgedruckten Fußnotenvermerk, in dem es heißt „Gascon P et al Ann Oncal 2010; 21 1419-1429″.

Nachfolgend beantragte die Antragstellerin, die verschiedene Angaben in der Anzeige und dem Folder für irreführend hielt, beim Landgericht Hamburg den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Nachdem die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 29.8.2012 ihre zu Ziffer I.4., 5., 6. und 7 gestellten Verfügungsanträge zurückgenommen hatte, verbot das Landgericht Hamburg, ZK 27, mit Beschluss vom 30.8.2012 (Bl. 24f.) der Antragsgegnerin,

das Arzneimittel Filgrastim H.® mit den folgenden Aussagen zu bewerben und/oder bewerben zu lassen:

1. „Schutz und Kontrolle

Von Anfang an zur Prophylaxe der Chemotherapie-induzierten Neutropenie“

und/oder

2. „Filgrastim H.® zur Vermeidung der Chemotherapie-induzierten Neutropenie“

und/oder

3. „Schutz und Kontrolle

Von Anfang an zur Prophylaxe der febrilen Neutropenie“

und/oder

4.-7. …

8. „3 Tage (72 Stunden) vs. keine (0 Stunden) einmalige Lagerung außerhalb des Kühlschranks möglich“

und/oder

9. „72 Stunden = 3 Tage einmalige Lagerung außerhalb des Kühlschranks möglich“

und/oder

10. „Wirksamkeit und Sicherheit vergleichbar mit Referenzprodukt“

und/oder

11. „Filgrastim H.®: Vergleichbar in Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit mit dem Referenzprodukt“

und zwar die Punkte 1, 2, 8, 9 und 11 wie im beigefügten Folder und die Punkte 3 und 10 wie in der beigefügten Anzeige geschehen.

Gegen diese einstweilige Verfügung wendete sich die Antragsgegnerin mit ihrem Widerspruch vom 8. Oktober 2012.

Zur Begründung hat die Antragsgegnerin (zu den im Berufungsverfahren allein noch streitgegenständlichen Verboten gemäß Ziff. 10 und 11 der Beschlussverfügung) vorgetragen:

Die Aussagen seien weder irreführend noch handele es sich um eine Selbstverständlichkeit.

Durch die gesetzliche Regelung in § 24 Abs. 5 AMG und die Vorgaben in der Guideline „Similar Biological Medicinal Products containing biotechnology-derived proteins as active substance:Non-clinical and clinical issues“ (Anlage AG 7) sei sichergestellt, dass ein von der EMA zugelassenes Biosimilar in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit mit dem Referenzprodukt vergleichbar sei. Unabhängig von der Klarheit dieser Vorgaben herrsche jedoch gerade bei Ärzten noch große Unsicherheit. Diese begründe sich nicht zuletzt aus dem mangelnden Wissen zu Biosimilars. Eine erst 2010 durchgeführte Umfrage der Gesellschaft für Markt und Sozialforschung (GMS) habe ergeben, dass 2/3 der Gesundheitspolitiker, Kostenträger und Leistungserbringer im deutschen Gesundheitswesen wenig oder nichts über Biosimilars wisse. Zudem würden durch kritische Äußerungen der Originatorfirmen und ihrer Interessensverbände Unsicherheiten geschürt. Dabei würden Unterschiede zwischen Referenzprodukt und Biosimilar hervorgehoben und zum Teil sogar Falschinformationen gestreut. Verursacht durch derartige Maßnahmen stünden selbst einige Fachgesellschaften den Biosimilars kritisch gegenüber und rieten teilweise sogar von deren Gebrauch ab. Das fehlende Vertrauen in Biosimilars sei somit ein bekanntes und grundsätzliches Problem. Aus diesem Grund sei eine fortlaufende Aufklärung von Ärzten, Apothekern und Patienten von großer Bedeutung. Der Hinweis, dass die Wirksamkeit und Sicherheit vergleichbar sei, sei das probate Mittel, um die notwendige Aufklärungsarbeit zu leisten. Die Intention des Hinweises sei es daher nicht, einen (nicht existenten) Vorsprung vor der Konkurrenz zu suggerieren. Vielmehr diene die Aussage allein der erforderlichen sachgemäßen Aufklärung der Ärzteschaft vor dem Hintergrund, dass die zulassungstechnischen Einzelheiten den Fachkreisen nicht, jedenfalls aber nicht hinreichend bekannt seien und davon auszugehen sei, dass Unternehmen wie die Antragstellerin die Unkenntnis und Zweifel nicht beseitigen, sondern ausnutzen würden.

Die Antragsgegnerin hat beantragt:

die einstweilige Verfügung vom 30.08.2012 aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Antragstellerin hat beantragt,

die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Die Antragstellerin hat vorgetragen, die Aussagen zu Ziff. 10 und 11 seien zum Teil irreführend, zum Teil handele es sich um die Werbung mit einer Selbstverständlichkeit. Da die Vergleichbarkeit mit dem Referenzarzneimittel Zulassungsvoraussetzung sei, handele es sich um eine Werbung mit Selbstverständlichkeiten. Soweit die in diesem Zusammenhang herausgestellte Wirksamkeit betroffen sei, sei die Aussage darüber hinaus irreführend, weil keinerlei Wirksamkeitsstudien im Vergleich zum Referenzarzneimittel durchgeführt worden seien. Der Aussagewert der durchgeführten klinisch-pharmakologische Studien an gesunden Probanden sei naturgemäß begrenzt.

Mit Urteil vom 29.11.2012 hat das Landgericht die einstweilige Verfügung vom 30.8.2012 bestätigt und der Antragsgegnerin die weiteren Kosten des Verfahrens auferlegt. Auf das Urteil des Landgerichts wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung wendet sich die Antragsgegnerin gegen die in Ziff. 10 und Ziff. 11 der einstweiligen Verfügung vom 30.08.2012 ausgesprochenen Verbote. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Ergänzend macht sie geltend:

Sie bewerbe ihr Biosimilar so, wie es die regulatorischen Anforderungen gemäß § 24b AMG für die Erteilung der Zulassung erforderten, nämlich mit der Vergleichbarkeit mit dem Referenzprodukt. Die Zulassung als Biosimilar erfordere nicht, dass die Sicherheit und Wirksamkeit des Präparates durch Head-to-Head-Studien zur Nichtunterlegenheit bzw. zur Vergleichbarkeit belegt sei. Bereits aus dem Namens der streitgegenständlichen Arzneimittelgruppe ergebe sich die Vergleichbarkeit („similar“ = „ähnlich“). Auch im Deutschen bedeute „ähnlich“ nichts anderes als „vergleichbar“. Die Zulassungsbehörde EMA habe im Zulassungsverfahren ausdrücklich geprüft und festgestellt, dass Filgrastim H. mit dem Referenzprodukt vergleichbar sei.

Der informierte und aufmerksame Durchschnittsverbraucher verstehe die streitgegenständlichen Auslobungen zur Vergleichbarkeit in der Bedeutung, wie sie im Duden charakterisiert sei, nämlich mit der Bedeutung „ähnlich“. Ein vergleichbares Produkt sei gerade nicht gleich und daher letztlich beliebig austauschbar, sondern nur in bestimmten Merkmalen übereinstimmend.

Der vom Landgericht geforderte wissenschaftliche Beleg der Vergleichbarkeit in Form eines Nachweises anhand klinischer Studien stelle eine verfassungswidrige Auslegung der gesetzlichen Anforderungen dar. In der produktspezifischen EU-Guideline (Anlage AG 7) sei ausdrücklich festgehalten, dass für den Nachweis der Vergleichbarkeit keine Head-to-Head-Studie im Sinne einer vergleichenden Phase III bei Patienten notwendig sei, sondern dass beispielsweise eine pharmakodynamische Studie mit gesunden Probanden durchgeführt werden könne. Sie habe den Vergleichbarkeitsnachweis geführt, andernfalls hätte sie die Zulassung nicht erlangt. Dass das Landgericht in werberechtlicher Hinsicht strengere Anforderungen gestellt habe, als dies in regulatorischer Hinsicht erforderlich sei, führe zu einem Wertungswiderspruch.

Die Entscheidung des LG stelle schwerpunktmäßig einen Eingriff in die Verwendung eines von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Vermögensgutes dar, nämlich die Vermarktung des Arzneimittels unter Auslobung seiner gemäß Zulassungserteilung bestätigten Vergleichbarkeit zum Referenzprodukt. Gleichermaßen führe die vom Landgericht vorgenommene Auslegung zu einer durch nichts gedeckten Beschränkung ihrer Berufsausübung.

Die Antragstellerin beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 30.08.2012 in Bezug auf Ziffer I Nr. 10 und Nr. 11 des Tenors aufzuheben, dementsprechend das Urteil v. 29.11.2012 abzuändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung insoweit abzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung der Antragsgegnerin zurückzuweisen und die einstweilige Verfügung, soweit Berufung eingelegt wurde, zu bestätigen.

Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Ergänzend macht sie geltend:

Das Urteil des Landgerichts sei zutreffend. Die Zulassung als Biosimilar verschaffe den beanstandeten Aussagen nicht die nach dem Strengeprinzip zu verlangende wissenschaftliche Grundlage. In der Werbung werde die Vergleichbarkeit in Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität herausgestellt. Die Fachkreise erwarteten, dass Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität anhand von wissenschaftlich validen Daten ermittelt worden seien. Eine Einschränkung darauf, dass die werbliche Aussage lediglich auf die Entscheidung im Zulassungsverfahren und die dort erfolgte Prüfung gestützt werde, erfolge nicht.

Nur weil ein Produkt als Biosimilar vermarktet werden dürfe, sei die klinische Vergleichbarkeit der Sicherheit und Wirksamkeit nicht erwiesen. Die Entscheidung der Zulassungsbehörden beziehe sich lediglich auf den normativen Zulassungstatbestand der „Ähnlichkeit“. Soweit man davon ausgehe, dass die Fachkreise die Werbeaussage lediglich auf die Erfüllung dieses normativen Tatbestandes bezögen, handele es sich um eine Werbung mit einer Selbstverständlichkeit. Es sei aber überwiegend wahrscheinlich, dass das Verkehrsverständnis der Fachkreise dahin gehe, dass Filgrastim H. nicht im rein normativen, sondern im klassischen – klinischen – Sinne vergleichbar sei. Schließlich verweise auch die Antragsgegnerin darauf, dass die Fachkreise nicht mit den zulassungsrechtlichen Einzelheiten von Biosimilars vertraut seien. Da Filgrastim H. aber lediglich an gesunden Probanden getestet worden sei, fehle es an der wissenschaftlichen Absicherung der werblichen Äußerungen. Referenzarzneimittel und Biosimilar seien auch nicht identisch, so dass hinsichtlich der Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität Abweichungen möglich seien.

Die Irreführung sei auch nicht aufgrund eines erhöhten Aufklärungsbedarfes „gerechtfertigt“, weil es sich bei der irreführenden Werbung nicht um das probate Mittel handele, wichtige Informationen zu vermitteln.

Auch das Argument der Antragsgegnerin, dass sie ihr Medikament so bewerbe, wie es die regulatorischen Anforderungen für die Zulassung erforderten, greife nicht durch. Es bestehe keine Pflicht, mit der Vergleichbarkeit zu werben. Auch werde durch die an den Aussagen angebrachten Fußnoten in Anspruch genommen, dass die Vergleichbarkeit in einer klinischen Studie festgestellt worden sei.

Ein Verstoß gegen Grundrechte liege nicht vor. Auch entfalte die Zulassungsentscheidung der EMA keine Bindungswirkung für die wettbewerbsrechtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der werblichen Anpreisung.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien und der von ihnen überreichten Anlagen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

II.
Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist unbegründet. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 3 HWG zu.

1.
Gegenstand der Berufung ist das vom Landgericht ausgesprochene Verbot,

– für das Medikament Filgrastim H. zu werben

– mit den Aussagen

„Wirksamkeit und Sicherheit vergleichbar mit Referenzprodukt

und/oder

„FilgrastimH.®: Vergleichbar in Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit mit dem Referenzprodukt“

– wie im beigefügten Folder (Punkt 11) bzw. in der beigefügten Anzeige (Punkt 10) geschehen.

Mithin geht es um auf die konkrete Verletzungsform bezogene Verbote.

2.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere besteht ein Verfügungsgrund. Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG ist nicht widerlegt.

3.
Die Antragstellerin hat gemäß §§ 3, 4 Nr. 11, 5, 8 UWG i.V.m. § 3 HWG Anspruch auf Unterlassung der angegriffenen Angaben im Kontext der konkreten Verletzungsform, weil die darin getroffene Aussage, dass Filgrastim H. hinsichtlich der Wirksamkeit mit dem Referenzarzneimittel N. vergleichbar sei, irreführend gemäß § 3 HWG ist.

a.
Zur Verkehrsauffassung lässt sich dem erstinstanzlichen Vortrag der Antragstellerin die Behauptung entnehmen, die beanstandeten Aussagen würden von den angesprochenen Ärzten dahingehen verstanden, dass zur „Wirksamkeit“ des Produktes klinische Wirksamkeitsstudien im Vergleich zu dem Referenzarzneimittel durchgeführt worden seien, und nicht lediglich klinisch-pharmakologische Studien. Soweit die Antragstellerin mit der Berufungserwiderung ergänzend behauptet, dass die Fachkreise angesichts dieser Werbeaussagen auch erwarteten, dass „Sicherheit“ und „Qualität“ anhand von wissenschaftlich validen Daten ermittelt worden seien, erfolgt dies in dringlichkeitsschädlicher Weise. Auf die Werbeangaben zur „Sicherheit“ und „Qualität“ bezogene Fehlvorstellungen hat die Antragstellerin mit der Antragsschrift nicht vorgetragen.

b.
Das von der Antragstellerin in erster Instanz vorgetragene Verkehrsverständnis trifft insoweit zu, als die angegriffenen Aussagen von den angesprochenen Ärzten jedenfalls aufgrund der Fußnotenvermerke so verstanden werden, dass eine mit N. vergleichbare Wirksamkeit von Filgrastim H. durch klinische Wirksamkeitsstudien nachgewiesen sei. Insoweit ist unschädlich, dass die Antragstellerin erst in der Berufungsinstanz geltend macht, dass die Antragstellerin im Zusammenhang mit den angegriffenen Aussagen die Arbeit von Gascon et al. zitiere. Da die Antragstellerin im Kontext der konkreten Verletzungsform geltend gemacht hat, die beanstandeten Aussagen würden von den angesprochenen Ärzten dahingehen verstanden, dass zur Wirksamkeit des Produktes klinische Wirksamkeitsstudien erstellt worden seien, waren die Fußnotenvermerke von Anfang an Gegenstand des Angriffs und sind daher bei der Prüfung, ob das von der Antragstellerin vorgetragene Verkehrsverständnis der beiden streitgegenständlichen Werbeaussagen zutrifft, zu berücksichtigen.

Maßgeblich ist das Verkehrsverständnis des situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und vernünftigen Arztes, der die Werbung wahrnimmt. Das Verständnis dieses Verkehrskreises vermögen die Mitglieder des Senats selbst zu beurteilen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Beurteilung des Verkehrsverständnisses von Ärzten durch die Mitglieder des Gerichts jedenfalls dann möglich, wenn der Erkenntnisstand der Wissenschaft im Hinblick auf den maßgebenden Sachverhalt vorgetragen wurde und außerdem kein Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass ein Arzt die deutsche Sprache anders verstehen könnte als jemand, der ebenfalls ein wissenschaftliches Studium absolviert hat (Senat, Urteile v. 2.7.2009, 3 U 151/08, zit. n. juris und v. 21.12.2006, Az. 3 U 77/06, PharmaR 2007, 204).

Davon ausgehend ist der Senat der Überzeugung, dass die Angabe, Filgrastim H. sei hinsichtlich der Wirksamkeit vergleichbar mit dem Referenzprodukt, beim Fachverkehr zu der Vorstellung führt, dass klinische Studien durchgeführt worden seien, welche eine mit N. vergleichbare Wirksamkeit von Filgrastim H. ergeben hätten. Dies wird jedenfalls dadurch suggeriert, dass die beanstandeten Werbeaussagen jeweils auf Fußnoten verweisen und dass in den Fußnotenvermerken die Veröffentlichung der Studie „Gascon P et al.“ benannt wird.

Die Erwartungshaltung des Verkehrs geht hinsichtlich des Wirkungsbezugs einer Angabe in der Regel dahin, dass die Wirkungsangabe wissenschaftlich abgesichert sei (Senat, Urteil v. 4.7.2013, 3 U 161/11, MDR 2013, 1113; Riegger, Heilmittelwerberecht, Kap. 3 Rn. 25, 33). Nimmt die Werbung mit einer wirkungsbezogenen Angabe Bezug auf wissenschaftliche Studien, so geht der Arzt davon aus, dass es sich um lege artis durchgeführte klinische Studien handelt, die den werblich herausgestellten Aspekt bewiesen haben und dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen (Senat, PharmR 2007, 290). Davon ausgehen erwartet der Fachverkehr jedenfalls dann, wenn – wie hier – im Zusammenhang mit der Aussage, dass das Arzneimittel eine vergleichbare Wirksamkeit habe wie das Referenzprodukt, zu dem vor seiner Zulassung klinische Wirksamkeitsstudien erstellt worden sind, in einem Fußnotenvermerk auf eine wissenschaftliche Studie Bezug genommen wird, dass es sich hierbei um eine klinische Wirksamkeitsstudie handelt.

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass es sich bei dem Präparat um ein Biosimilar handelt. Der Fachverkehr rechnet auch bei einem Biosimilar angesichts einer derartigen Wirkungsaussage nicht damit, dass aufgrund des vereinfachten Zulassungsverfahrens keine klinischen Wirksamkeitsstudien durchgeführt worden sind. Die Antragsgegnerin selbst trägt vor, dass der Fachverkehr die Einzelheiten des Zulassungsverfahrens nicht – bzw. nicht genau – kenne. Bereits dies spricht gegen die Annahme, der Fachverkehr habe bei einem Biosimilar geringere Erwartungen bezüglich der einer Wirksamkeitsbehauptung zu Grunde liegenden wissenschaftlichen Nachweise. Selbst wenn aber dem Fachverkehr der regulatorische Rahmen bekannt wäre, würde er bei einem Biosimilar nicht davon ausgehen, dass im Rahmen des Zulassungsverfahrens keine klinischen Wirksamkeitsstudien durchgeführt worden sind. Zwar hat der europäische Normgeber die Zulassung von Biosimilars in der Weise privilegiert, dass der Antragsteller durch die Bezugnahme auf das Referenzarzneimittel vom Nachweis bestimmter, bei Zulassung eines Originalarzneimittels erforderlicher Daten entbunden werden kann. Nach § 24 b) Abs. 5 AMG sowie Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG sind für die Zulassung eines biologischen Arzneimittels, das einem biologischen Referenzarzneimittel ähnlich ist und für Generika geltenden Anforderungen nicht erfüllt, weil Unterschiede bezüglich der Ausgangsstoffe oder des Herstellungsprozesses bestehen, die Ergebnisse geeigneter vorklinischer oder klinischer Versuche hinsichtlich dieser Abweichungen vorzulegen. Hinsichtlich der Art und Anzahl der zusätzlich vorzulegenden Daten verweist Art. 10 Abs. 4 auf den durch die Richtlinie 2003/63/EG neu gefassten Anhang I der Richtlinie, in dessen Teil II unter Ziff. 4 geregelt ist, dass zusätzliche Daten hinsichtlich des toxikologischen und klinischen Profils vorzulegen sind, nicht aber das volle, in den Modulen 4 und 5 des Annexes I, Teil I der RL 2001/83 vorgesehene Programm an präklinischen und klinischen Studien. Die Einzelheiten regelt die als Anlage AG 7 eingereichte EMA-Guideline. Darin heißt es u.a.

„Comparable clinical efficacy and safety has to be demonstrated. The principles for this exercise are laid down in this guideline.“

„An appropriate comparability exercise will be required to demonstrate that the similar biological and reference medicinal products have similar profiles in terms of quality, safety and efficacy.“

„The clinical comparability exercise is a stepwise procedure that should begin with pharmacokinetic (PK) and pharmacodynamic (PD) studies followed by clinical efficacy and safety trial(s) or, in certain cases, pharmacokinetic/pharmacodynamic (PK / PD) studies for demonstrating clinical comparability.“

„Normally comparative clinical trials are required for the demonstration of clinical comparability. In certain cases, however comparative PK/PD studies between the similar biological medicinal product and the reference medicinal product may be sufficient to demonstrate clinical comparability, provided that all the following conditions are met (…)“

Danach aber sind Art und Anzahl der vom Antragsteller im Rahmen eines Biosimilar-Zulassungsverfahrens vorzulegenden wissenschaftlichen Nachweise je nach Präparat sehr unterschiedlich; auch klinische Studien können für eine Biosimilar-Zulassung erforderlich sein (Rehmann, AMG, 3. Auflage, § 24b Rn. 9). Angesichts dieses regulatorischen Rahmens verknüpft der Fachverkehr mit dem Begriff „Biosimilar“ nicht schon die Vorstellung, dass im Rahmen des Zulassungsverfahrens keine klinischen Wirksamkeitsstudien durchgeführt worden seien.

c.
Bei Zugrundelegung des von der Antragstellerin zutreffend angenommenen Verkehrsverständnisses erweisen sich streitgegenständlichen Angaben der Antragsgegnerin zu der vergleichbaren Wirksamkeit als irreführend, weil der Feststellung zu der vergleichbaren Wirksamkeit durch die EMA unstreitig keine klinische Wirksamkeitsstudie zu Grunde lag. Vielmehr sind lediglich klinisch-pharmakologische Studien an gesunden Probanden durchgeführt worden.

Insoweit kann die Antragsgegnerin auch aus der von ihr zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes „Basisinsulin mit Gewichtsvorteil“ (Urteil v. 6.2.2013, I ZR 62/11, n. juris) nichts für sich herleiten. In dieser Entscheidung heißt es, dass im Hinblick auf Angaben, die der Zulassung des Arzneimittels wörtlich oder sinngemäß entsprechen, regelmäßig davon auszugehen sei, dass sie im Zeitpunkt der Zulassung dem gesicherten Stand der Wissenschaft entsprächen. Vorliegend geht es jedoch nicht um die Frage, ob die Wirkungsangabe dem Stand der Wissenschaft entspricht. Vielmehr ergibt sich die Irreführung daraus, dass der Fachverkehr die streitgegenständlichen Werbeaussagen dahingehend versteht, dass die Angabe bezüglich der vergleichbaren Wirksamkeit durch eine klinische Wirksamkeitsstudie belegt sei.

Der Feststellung, dass die Werbung irreführend ist, steht die Zulassungsentscheidung der EMA, in deren Rahmen diese zu dem Ergebnis kam, dass Filgrastim H. eine vergleichbare Wirksamkeit aufweise, nicht entgegen, da die Antragstellerin sich gegen die Art und Weise der Bewerbung richtet. Die Zulassung der EMA bezieht sich allein auf das Inverkehrbringen des Arzneimittels, trifft aber keine Aussage für die Bewerbung des zugelassenen Produkts (Senat, Urteil v. 2.7.2009, 3 U 151/08, n. juris). Dementsprechend stellt das Verbot, mit irreführenden Werbeaussagen für ein zugelassenes Arzneimittel zu werben, auch keine Verletzung der Eigentumsgarantie oder der Berufsfreiheit des Werbenden dar.

Die Berufung der Antragsgegnerin ist danach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Vorinstanz:
LG Hamburg, Az. 327 O 459/12

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