OLG Hamm: Fehlende Angabe einer Abgabeschränkung bei Kondomverkauf ist Bagatelle / Verbraucher kommen mit einer 100er-Packung aus

veröffentlicht am 9. April 2010

B.

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Das Landgericht hat den geltend gemachten Unterlassungsanspruch aus §§ 8 I, III Nr. 1; 3; 5 I, II a.F. und §§ 5, 5 a I, II UWG n.F. zu Recht verneint. Die beanstandete Werbeaussage stellt keine relevante Irreführung im Sinne der genannten Vorschriften dar.

Es geht vorliegend um das Problem der Abgabebeschränkung. Diese war früher in § 6 d UWG a.F. geregelt. Dort war die mengenmäßige Beschränkung als abstrakter Gefährdungstatbestand ausgestaltet (von Gamm, UWG, 3. Aufl. 1993, § 6 d Rn. 1). Nachdem diese Vorschrift ersatzlos gestrichen worden ist, ist das Problem der Abgabebeschränkung im Irreführungstatbestand des § 5 UWG n.F. aufgegangen (vgl. OLG Karlsruhe GRUR 1999, 769; Fezer/Peifer, UWG, 2005, § 5 Rn. 30 m.w.N.). Unter Irreführungsgesichtspunkten ist das Problem der mengenmäßigen Abgabebeschränkung unter § 5 II Ziff. 2 UWG zu fassen, indem eine solche Abgabebeschränkung als Irreführung über die Lieferbedingungen zu verstehen ist. Ziel einer solchen Abgabebeschränkung war und ist es regelmäßig, ein Leerkaufen durch Konkurrenten zu verhindern, die dann eine ungenügende Vorratshaltung rügen können, wenn die privaten Verbraucher anschließend leer ausgehen (von Gamm, a.a.O., § 6 d Rn. 6). Abweichend hiervon geht es vorliegend um diese Problematik des Leerkaufens nicht. Die Klägerin rügt vielmehr, dass durch die angegriffene Werbung der Endverbraucher angesprochen und irregeführt werde, weil er glaube, auch mehr als die eine Packung kaufen zu können.

Eine diesbezügliche Irreführung ist – aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils – weder nach altem Recht bezogen auf den Zeitpunkt der geltend gemachten Zuwiderhandlung noch nach neuem Recht unter Berücksichtigung des § 5 a UWG bezogen auf die zukünftige Wirkung zu bejahen. Für den Unterlassungsanspruch aber wäre eine Verbotswidrigkeit nach altem und neuem Recht erforderlich.

Der private Endverbraucher wird nicht getäuscht, wenn die von ihm erwartete Abgabemenge nicht unterschritten wird (von Gamm, a.a.O., § 6 d Rn. 6).

Die angegriffene Werbeaussage selbst sagt zunächst nichts über eine Abgabebeschränkung. Sie erweckt aber andererseits auch nicht den gegenteiligen Eindruck, dass es keine Abgabebeschränkung gibt. Folglich werden die Verbraucher von vornherein nicht getäuscht, die diese Informationslücke erkennen und nach weiterer Aufklärung darüber suchen, wie viel Packungen sie insgesamt erwerben können. Nicht getäuscht werden insofern auch diejenigen Verbraucher, die erkennen, dass die H-Anzeige objektiv zur Abgabemenge keine Aussage macht, und die deshalb nach weiterer Aufklärung über diesen in der Anzeige nicht angesprochenen Punkt suchen.

Aber auch ansonsten ist – wie im Senatstermin ausführlich erörtert worden ist – nicht anzunehmen, dass der Verbraucher bei der streitgegenständlichen Werbung überhaupt erwartet, dass er mehr als eine einzige Packung von 100 Kondomen zu 3,95 € bekommen kann. Hiergegen spricht, dass ihm mitgeteilt wird, dass der Preis „ab“ 3,95 € beträgt. Dies signalisiert bereits, dass dies nur der Einstiegspreis ist und der Warenpreis ansonsten höher ist. Der Verbraucher weiß danach jedenfalls, dass der Preis keineswegs unbeschränkt gilt und je nach Ware und Angebot auch darüber liegen kann. Auch wenn insoweit noch nicht erkennbar ist, dass dies mit einer Mengenbeschränkung verbunden ist, ist der Verbraucher jedoch zumindest in gewisser Weise schon „gewarnt“ und sieht, dass er die Kondome jedenfalls nicht ausnahmslos bezogen auf 100 Stück „für“ den genannten Preis bekommt. Er erkennt, dass die Werbung insgesamt nur schlagwortartig erfolgt, nicht abschließend ist und insofern nicht vorbehaltslos ist und dass die Werbung auch „unvollständig“ insofern ist, als es sich mangels Nennung des konkreten Produkts noch nicht um die Ausgestaltung eines annahmefähigen Angebots handelt. Es ist nach der Art dieser Bewerbung eher fernliegend, dass der Verbraucher den Eindruck hat, er könne mengenmäßig unbegrenzt das beworbene Produkt erwerben (vergleichbar OLG Karlsruhe GRUR 1999, 769 betr. Beschränkung der Abgabe auf 12 Flaschen „hohes C“).

Selbst wenn bei den angesprochenen Verkehrskreisen insoweit zunächst eine Unklarheit oder vermeintliche Fehlvorstellung besteht, reicht diese für die Annahme einer Irreführung noch nicht aus, weil diese bei dem Link auf die Angebotsseite der Beklagten sogleich unschwer von der mengenmäßigen Beschränkung auf „1 Pack/Bestellung“ aufgeklärt werden. Regelmäßig reicht es für die Gefahr einer Irreführung zwar aus, wenn sich der Verkehr als Folge der unrichtigen Angabe überhaupt erst und näher mit dem Angebot des Werbenden befasst. Aufklärende Hinweise in einem nachfolgenden Werbetext können die durch gesonderte Werbeaussagen eingetretene Irreführung im Hinblick auf die missbilligte Anlockwirkung in der Regel dann nicht mehr beseitigen. Diese für die herkömmlichen Werbeformen aufgestellten Grundsätze können allerdings für den hier vorliegenden Fall der Werbung bei H-Adwords nicht mehr uneingeschränkt übernommen werden (vgl. Senat, MMR 2009, 861, betr. „Lieferung innerhalb von 24 Stunden“ mit zeitlichen Einschränkungen bezogen auf den Bestellzeitpunkt). Denn die verknappte schlagwortartige Werbung bei H steht in einem nicht trennbaren Zusammenhang mit der klarstellenden Werbeaussage auf den Angebotsseiten der Beklagten, auf die der Verbraucher stets gelangt, wenn er sich näher auf das Angebot einlassen will. Dort erfährt er in nicht zu übersehender Weise die Einschränkung und wird in der erforderlichen Weise aufgeklärt, bevor er eine Kaufentscheidung treffen kann. Der Fall kann nicht anders behandelt werden als der Fall einer Blickfangwerbung. In einem solchen Fall scheidet eine Irreführung schon dann aus, wenn der Betrachter durch einen deutlichen Sternchenhinweis zu dem aufklärenden Hinweis geführt wird (Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl. 2010, § 5 Rn, 2.98). Ähnlich verhält es sich im Streitfall. Zu dem aufklärenden Hinweis, dass nur eine Bestellung zu dem beworbenen Preis erfolgen kann, wird der Verbraucher zwar nicht per Sternchenhinweis geführt, aber mit einem Link, den er benutzen muss, um näheres über das Angebot zu erfahren, den er also zwangsläufig benutzen muss. Es bleibt somit nur die Anlockwirkung, dass ein Teil der Verbraucher die Startseite der Beklagten aufsucht, der es sonst nicht getan hätte. Diese Wirkung ist aber nicht damit zu vergleichen, dass ein Interessent durch eine unrichtige Werbeaussage bzw. „dreiste Lüge“ in das Geschäft des Werbenden gelockt wird. So sekundenschnell, wie der Internetnutzer zu der Startseite gelangt ist, verlässt er sie auch wieder, wenn er erkennt, dass eine solche beschränkte Liefermenge ihm nichts nutzt. In der Tatsache, dass er die Seite überhaupt angesehen hat, ist in der flüchtigen Welt des Internets kein nur annähernd vergleichbarer Wettbewerbsvorteil zu sehen wie beim Locken in ein Geschäft. Es ist in diesem Fall unwahrscheinlich, dass der Kaufinteressent nur deshalb dort bestellt, weil er sich nun einmal auf der Seite befindet oder sich auf den Erwerb anderer Waren einlässt. Die geringere Beeinflussung des Wettbewerbs ist hier jedenfalls im Rahmen einer Interessenabwägung in der Weise zu berücksichtigen, dass eine in der Anlockwirkung liegende mögliche Beeinträchtigung der Mitbewerber außer Betracht zu bleiben hat (vgl. Bornkamm, a.a.O., Rn. 2.192 ff., 2.196 unter Hinweis auf BGH GRUR 1999, 1122, 1124 – EG-Neuwagen I und BGH GRUR 1999, 1125, 1126 – EG-Neuwagen II). Eine allgemeine Informationspflicht besteht insoweit nicht (Fezer/Peifer, a.a.O., § 5 Rn. 228, 385).

Überdies kommt es nach § 5 II 2 UWG entscheidend darauf an, ob der unterbliebene Hinweis auf die Abgabebeschränkung Einfluss auf die Kaufentscheidung hat (Fezer/ Peifer, a.a.O., Rn. 391 ff). Das ist mit dem Landgericht hier zu verneinen.

Die Verbraucher, die ohnehin nur eine Packung kaufen wollen, berührt die Abgabebeschränkung von vornherein nicht. Für ihre Kaufentscheidung ist der fehlende Hinweis auf die Abgabebeschränkung irrelevant. Es kommen damit für eine Irreführung von vornherein nur die Verbraucher in Betracht, die mehrere Packungen erwerben wollen. Das ist aber bei der großen Mehrzahl der angesprochenen Verbraucher nicht der Fall, auch wenn mitunter größere Einheiten (wie 1000er-Packungen) angeboten werden und Verbraucher gegebenenfalls eine entsprechend größere Menge von Kondomen beziehen möchten. Es ist nach wie vor nicht feststellbar, dass dieser Verbraucherkreis von maßgeblicher Größe ist, auch wenn es einen Markt gibt, der einen Kauf einer deutlich höheren Anzahl von Kondomen verlangt, wie das bei Prostituierten oder Sammeleinkäufen sein mag. Der jedenfalls in relevanter Weise möglicherweise irregeführte Personenkreis ist zahlenmäßig gering. Im Rahmen des § 5 UWG muss eine bestimmte Eingriffsschwelle erreicht sein (Fezer/Peifer, a.a.O., § 5 Rz. 199 ff). Erforderlich ist eine maßgebliche Täuschungsquote, die im Streitfall nicht festgestellt werden kann. Auch die Pressemitteilung des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Anl. BK6), wonach es im Jahr 2007 400.000 Prostituierte gegeben habe, sagt wiederum letztlich nichts Maßgebliches darüber aus, wie viele Prostituierte Kondome in welcher Menge und mit welchem Einkaufverhalten in Online-Shops kaufen. Dabei kann auch keineswegs, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, nur auf die Einkäufer abgestellt werden, die an Mengen von mehreren Packungen zu 100 Kondomen interessiert sind. Bei der auch angesprochenen Mehrheit der Verbraucher, die sich „nur“ für 100 Kondome gegebenenfalls mit anderen Artikeln interessieren und nicht eine Mehrzahl von 100er-Packungen einkaufen möchten, wirkt sich die vermeintliche Irreführung durch die Beklagte nicht aus, zumal der Hinweis auf die Abgabenbeschränkung bereits im nächsten Schritt erfolgt, wenn sich der Internetnutzer mit dem Angebot der Beklagte befasst. Ein wesentlicher Nachteil liegt darin nicht. Der Internetnutzer muss sich lediglich anderen Anbietern zuwenden, ohne dass die zunächst erfolgte Zuwendung zu dem Angebot der Beklagten für ihn irgendwelche Nachteile oder Beschwernisse mit sich bringt, wie es etwa der Fall ist, wenn der Verbraucher aufgrund einer irreführenden Werbung zunächst einmal in das Ladenlokal des Werbenden gelockt worden ist.

Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 01.10.2009 neue Internetausdrucke der Webseite von H (Anl. BK 1 ff.) vorlegt, findet, wie im Senatstermin geklärt und von ihrem Prozessbevollmächtigten auch bestätigt worden ist, keine Änderung des Klagebegehrens bzw. des Streitgegenstandes statt. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung war nach wie vor die beanstandete H-Werbung vom 08.08.2008.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 I, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da es sich um die Beurteilung in einem bloßen Einzelfall handelt. Eine Divergenz zum Beschluss des OLG München vom 06.10.2006 besteht nicht und rechtfertigt auch eine Zulassung nicht, weil zum einen im dortigen Fall der Erwerb jedenfalls von mehr als einer Druckerpatrone der Üblichkeit entsprach. Zum anderen begründet die vorliegende Werbung „… ab 3,95 €“ eine hiervon tatsächlich abweichende Erwartungshaltung des Verkehrs. Ebenso wenig ist abstrakt und unabhängig vom Einzelfall die Frage entscheidungsrelevant, ob, wie die Klägerin meint, bei einer H-werbung grundsätzlich von einer relevanten Anlockwirkung auszugehen sei.

Vorinstanz: LG Bielefeld, Az. 17 O 88/09

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