OLG Hamm: Geltendmachung einer Vertragsstrafe trotz Gesetzesänderung und Rechtsmissbrauchs / 2023

veröffentlicht am 1. August 2023

OLG Hamm, Urteil vom 30.05.2023, Az. 4 U 78/22 – aufgehoben
§ 242 BGB, § 339 BGB, § 315 BGB, § 8 Abs. 4 UWG a. F., § 8c Abs. 2 Nr. 1 UWG n.F., § 8b UWG, § 4 UKlaG

Das OLG Hamm hat entschieden, dass der Unterlassungsschuldner eine strafbewehrt Unterlassungserklärung, die er gegenüber einem Wirtschaftsverband abgegeben hat, kündigen darf, wenn der Wirtschaftsverband nicht mehr (!) in die Liste nach § 8b UWG eingetragen ist. Der Wirtschaftsverband darf allerdings Vertragsstrafen für wiederholte Rechtsverstöße, die vor der Streichung aus der Liste eingetreten sind, geltend machen. Der Senat stellte ferner fest, dass es für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten spricht, wenn in großer Zahl Abmahnungen ausgesprochen werden, ohne dass bei Ausbleiben einer Unterwerfung eine gerichtliche Klärung herbeigeführt wird. Denn dadurch kann sich der Verdacht aufdrängen, die Abmahntätigkeit werde in erster Linie dazu eingesetzt, Ansprüche auf Aufwendungsersatz und ggf. Vertragsstrafenansprüche entstehen zu lassen (BGH, Urteil vom 04.07.2019, Az. I ZR 149/18 – Umwelthilfe; BGH, Urteil vom 26.01.2023, Az. I ZR 111/22 – Mitgliederstruktur). Die Revision wurde in Hinblick auf die abweichende Entscheidung OLG Brandenburg, Urteil vom 16.05.2023, Az. 6 U 47/21 zugelassen. Der BGH hat der Revision stattgegeben (BGH, Urteil vom 07.03.2024, Az. I ZR 83/23 ). Zum Volltext der Entscheidung:

Oberlandesgericht Hamm

Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das am 25.02.2022 verkündete Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen (45 O 23/21) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.
 
1Gründe:

2I.

3Der klagende – weder in die Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG noch in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UklaG eingetragene – Verband nimmt den Beklagten, der unter dem Verkäufer-Namen „I.“ über die Handelsplattform Amazon Haushaltswaren vertreibt, auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5.000,00 € wegen Verstößen gegen eine strafbewehrte Unterlassungsvereinbarung in Anspruch.

4Aufgrund einer Abmahnung des Klägers vom 17.07.2020 (Anlage B1), auf die Bezug genommen wird, gab der Beklagte am 23.07.2020 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, die inhaltlich der der Abmahnung beigefügten vorformulierten Erklärung entsprach und die der Kläger annahm.

5Mit Schreiben vom 24.03.2021 forderte der Kläger den Beklagten wegen eines festgestellten Verstoßes unter Fristsetzung bis zum 12.04.2021 zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5.000,00 € auf.

6Nach Zustellung des der Klage zugrunde liegenden Mahnbescheides erklärte der Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 26.05.2021 (Anlage B2), auf das ebenfalls Bezug genommen wird, die Anfechtung sowie hilfsweise die Kündigung der Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung vom 23.07.2020.

7Die Parteien haben erstinstanzlich mit umfangreichen näheren Ausführungen im Wesentlichen darüber gestritten, ob die Abmahntätigkeit des Klägers unter verschiedenen Aspekten rechtsmissbräuchlich ist und der Geltendmachung der Vertragsstrafe deshalb der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegensteht.

8Der Kläger hat beantragt,

9den Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.04.2021 zu zahlen.

10Der Beklagte hat beantragt,

11die Klage abzuweisen.

12Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Terminsprotokoll vom 10.12.2021 Bezug genommen.

13Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe aus dem Unterlassungsvertrag vom 23.07.2020 i. V. m. §§ 339 Satz 2, 315 BGB.

14Allerdings sei die Unterlassungsverpflichtungserklärung nicht aufgrund der erklärten Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gem. §§ 142 Abs. 1, 123 Abs. 1 BGB nichtig. Die Anfechtung greife nicht durch.

15Der Geltendmachung der Vertragsstrafe stehe jedoch der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegen, weil im vorliegenden Fall die Interessenabwägung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände zu der Annahme einer missbräuchlichen Abmahnung führe.

16Von einem Wettbewerbsverband könne erwartet werden, dass er nur in denjenigen Fällen Abmahnungen ausspreche, die er ggf. einer gerichtlichen Klärung zuführen wolle. Andernfalls könne sich der Verdacht aufdrängen, der Verband setze die Abmahntätigkeit in erster Linie dazu ein, Ansprüche auf Aufwendungsersatz und ggf. Vertragsstrafenansprüche entstehen zu lassen.

17Dies sei hier der Fall. Der Kläger spreche in erheblichem Umfang Abmahnungen aus, ohne den Unterlassungsanspruch bei Ausbleiben einer Unterwerfung gerichtlich geltend zu machen. Allein in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Beklagten lägen seit Anfang des Jahres 2019 100 Fälle vor, in denen der Kläger Abmahnungen ausgesprochen, die Unterlassungsansprüche aber nicht weiter verfolgt habe. In der Kanzlei eines Kollegen lägen weitere 60 Fälle vor, von denen nur sieben weiter verfolgt worden seien.

18Der Kläger könne sich hierbei nicht darauf berufen, dass sich etliche Fälle von selbst erledigten, weil die abgemahnten Unternehmen nicht mehr aufträten oder sich an die Unterlassungsverpflichtungen hielten. Eine nur rein tatsächliche Veränderung der Verhältnisse berühre die Wiederholungsgefahr nicht, solange nicht auch jede Wahrscheinlichkeit für eine Wiederaufnahme des unzulässigen Verhaltens durch den Verletzer beseitigt sei; sie entfalle nicht schon dann, wenn ein Wiedereintreten völlig gleichgearteter Umstände nicht zu erwarten sei. Um die tatsächliche Vermutung des Bestehens der Wiederholungsgefahr zu widerlegen, sei es im Allgemeinen geboten, dass der Verletzer eine bedingungslose und unwiderrufliche Unterlassungsverpflichtungserklärung unter Übernahme einer angemessenen Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung abgebe. Werde eine solche Unterwerfungserklärung nicht abgegeben, entfalle die Wiederholungsgefahr in der Regel (nur) durch ein rechtskräftiges Urteil, durch welches der Schuldner zur Unterlassung verurteilt werde. Es erscheine ausgeschlossen, dass dieser Grundsatz dem Kläger nicht bekannt sei, zumal er hierauf in seiner Abmahnung selbst hinweise.

19Die an den Beklagten gerichtete Abmahnung spreche ebenfalls für einen Rechtsmissbrauch, weil die vorgeschlagene Unterlassungserklärung offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgehe und dies nahelege, dass das vorherrschende Interesse des Klägers darin bestehe, sich über Vertragsstrafen eine Einnahmequelle zu verschaffen. Denn auf diese Weise werde die Gefahr eines Verstoßes und damit die Aussicht auf eine Vertragsstrafe vergrößert.

20Insgesamt lägen in der Gesamtschau ausreichende, vom Kläger nicht entkräftete Indizien für die Rechtsmissbräuchlichkeit der Abmahnung vor.

21Ohne dass es hierauf noch entscheidend ankomme, erwecke die Abmahnung zudem in der Zusammenschau mit der vorformulierten Unterlassungsverpflichtungserklärung den unzutreffenden Eindruck, die Unterwerfungserklärung und das Anerkenntnis der Kostenerstattungspflicht gehörten zusammen.

22Wegen der weiteren Einzelheiten wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

23Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seinen erstinstanzlich geltend gemachten Anspruch weiterverfolgt. Er beanstandet unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens sowie mit näheren Ausführungen insbesondere zu zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofes (Versäumnisurteil vom 19.05.2022 – I ZR 69/21, GRUR 2022, 1163 –Grundpreisangabe im Internet; Urteil vom 26.01.2023 – I ZR 111/22, GRUR 2023, 585 – Mitgliederstruktur) im Wesentlichen, das Landgericht habe ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen zu Unrecht bejaht.

24Soweit es dies daraus herleite, dass er, der Kläger, eine Vielzahl von Abmahnungen trotz Ausbleibens einer Unterlassungserklärung nicht weiterverfolge, habe das Landgericht verkannt, dass er – wie er behauptet – allein im Jahr 2020 insgesamt 528 Gerichtsverfahren geführt und bis auf „einige Ausreißer“ in der Sache gewonnen habe oder sich die Parteien sinnvoll verglichen hätten. In 18 Ordnungsmittelverfahren seien 27.900,00 € an Ordnungsgeldern zu Gunsten der Staatskasse verhängt worden.

25Er, der Kläger, sei nicht gezwungen, jede Abmahnung gerichtlich zu verfolgen. Dies sei „ein Postulat, das das Landgericht für sich frei erfunden“ habe. Das Absehen von gerichtlichen Schritten „im Einzelfall“ und den dementsprechend in Kauf genommenen Verjährungseintritt als Missbrauchsindiz zu werten, sei „abenteuerlich“.

26Erstmals mit der Berufungsreplik vom 12.12.2022 hat der Kläger außerdem das erstinstanzliche Vorbringen des Beklagten zur Anzahl der nach vorangegangener Abmahnung trotz Ausbleibens einer Unterlassungserklärung nicht weiterverfolgten Fälle bestritten. Der Beklagte nenne keine Umstände, aus denen ersichtlich werde, dass jeweils kein vernünftiger Grund vorgelegen habe, solche Fälle nicht weiterzuverfolgen. Das Vorbringen des Beklagten sei nebulös und derart unkonkret, dass dazu nicht im Einzelnen Stellung genommen werden könne. Die Behauptung, der größte Teil der vom Kläger betriebenen Verfahren verlaufe im Sande, sei eine Lüge. Er behauptet stattdessen, der größte Teil der Abmahnverfahren ende durch Abgabe strafbewehrter Unterlassungserklärungen. In den übrigen Fällen klage er, der Kläger, nicht „unabhängig von Erfolgsaussichten und Kostenökonomie in jedem Fall drauf los“. Ein Teil der Fälle, in denen keine strafbewehrte Unterlassungserklärung angegeben werde, erledige sich, weil die Rechtsverfolgung aussichtslos sei, der Fehler beseitigt werde und eine günstige Prognose für die Zukunft bestehe, durch Geschäftsaufgabe oder Wechsel der Branche, Tod oder Wechsel des Inhabers, Insolvenz, dauerhafte Abschaltung der Webseite u. ä.

27Nach Vorlage der Gründe der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 26.01.2023 – I ZR 111/22, GRUR 2023, 585 – Mitgliederstruktur, sieht sich der Kläger in dieser seiner bisherigen Auffassung bestätigt. Die Gründe dafür, dass er trotz Ausbleibens einer Unterlassungserklärung nicht alle Abmahnungen klageweise verfolge, seien – was der Beklagte mit Nichtwissen bestreitet – vielschichtig. Viele dieser Gründe führten zum Wegfall der Wiederholungsgefahr, weshalb eine Unterlassungserklärung dann aus Rechtsgründen nicht mehr verlangt werden könne. In denjenigen Fällen, in denen Abmahnungen nicht weiterverfolgt worden seien, seien auch keine Abmahnkosten gezahlt, die beanstandeten Wettbewerbsverstöße allerdings regelmäßig beseitigt worden.

28Auf den vom Beklagten in Bezug genommenen Zeitraum von 2017 bis 2020 komme es nicht an, weil die streitgegenständliche Abmahnung vom 17.07.2020 datiere. Relevant sei daher lediglich der Zeitraum ab Mitte des Jahres 2020. Im Jahr 2021 seien etwa 1.200 Abmahnungen ausgesprochen worden, von denen er, der Kläger, 378 Fälle gerichtlich verfolgt habe und sich etwa die Hälfte durch Unterlassungserklärungen erledigt habe. Der verbleibende „geringe Rest“ sei aus den genannten rechtlichen und prozesswirtschaftlichen Gründen nicht weiter verfolgt worden. Dies habe „nichts mit Rechtsmissbrauch zu tun, sondern mit rechtlichen Erfolgsaussichten und wirtschaftlicher Vernunft sowie der Vereinsautonomie.“ In den Folgejahren seien keine Abmahnungen mehr ausgesprochen worden.

29Weiterhin sei die Wertung des Landgerichts rechtsfehlerhaft, die unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Unterlassungsvereinbarung sei offensichtlich zu weitgehend. Gleiches gelte für die weiteren vom Landgericht insoweit zur Begründung herangezogenen Umstände. Auch in der Gesamtschau ergebe sich nichts anderes.

30Der Kläger beantragt,

31das am 25.02.2022 verkündete Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen (Az. 45 O 23/21) abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.04.2021 zu zahlen.

32Der Beklagte beantragt,

33die Berufung zurückzuweisen.

34Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

35Das Landgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass von einem Wettbewerbsverband erwartet werden könne, dass er nur in denjenigen Fällen Abmahnungen ausspreche, die er auch tatsächlich einer gerichtlichen Klärung zuführen wolle, weil sich anderenfalls der Verdacht aufdränge, der Verband setze die Abmahntätigkeit in erster Linie dazu ein, Aufwendungsersatz- und ggf. Vertragsstrafenansprüche zu generieren.

36Die Berufungsbegründung lasse jegliche Begründung vermissen, weshalb der Kläger massenhaft Abmahnungen ausspreche, die er dann trotz Ausbleibens einer Unterlassungserklärung in größerer Zahl einfach „im Sande verlaufen lasse“. Das ergänzende Vorbringen des Klägers hierzu aus der Berufungsreplik bestreitet der Beklagte seinerseits mit Nichtwissen und führt mit weiterem Schriftsatz vom 24.02.2023 nach erfolgter Akteneinsicht in die vom Senat (u. a.) beigezogene Akte des Landgerichts Köln (Az. 81 O 7/21) das hierzu vom Kläger im dortigen Verfahren selbst vorgetragene Zahlenwerk in den hiesigen Rechtsstreit ein. Danach sprach der Kläger allein im Jahr 2020 3.520 Abmahnungen aus, woraufhin 1.325 Unterlassungserklärungen abgegeben wurden. Der Kläger führte 528 gerichtliche Verfahren, verfolgte allerdings 1.657 Fälle nicht weiter. Von einem „Absehen von gerichtlichen Schritten im Einzelfall“ könne danach keine Rede sein.

37Ungeachtet dessen habe das Landgericht weiterhin zutreffend darauf abgestellt, dass die vorgeschlagene Unterlassungserklärung offensichtlich zu weit gefasst sei, obwohl der Kläger hinreichend qualifiziertes Personal beschäftige.

38Außerdem erwecke die Abmahnung den Eindruck, dass ein gerichtliches Verfahren nur durch die Unterzeichnung der beigefügten Unterlassungserklärung vermieden werden könne. Für die Rechtsmissbräuchlichkeit der Abmahnung spreche zudem der Umstand, dass in der vorformulierten Unterlassungserklärung gleichrangig neben den Unterlassungsverpflichtungen die (abstrakte) Verpflichtung zur Zahlung der Abmahnkosten aufgeführt sei.

39Das Landgericht habe ferner zutreffend darauf abgestellt, dass im Rahmen der Gesamtschau zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen sei, dass er seine Mitglieder offenbar systematisch anders behandele als Nichtmitglieder, was der Beklagte näher ausführt.

40Jedenfalls sei das Vorgehen des Klägers aber deshalb als rechtsmissbräuchlich zu bewerten, weil seine Tätigkeit vorrangig dazu diene, Abmahnungen auszusprechen, um über die Geltendmachung von Abmahnkosten und nachfolgend die Geltendmachung von Vertragsstrafenansprüchen Einnahmen zu generieren, um so bestimmten Personen unangemessen hohe Zahlungen zukommen zu lassen. Insoweit verweist der Beklagte im Wesentlichen auf die Feststellungen im Urteil des Landgerichts Köln vom 26.01.2022 im Verfahren 81 O 35/21. Im Kern hätten die für den Kläger tätigen Personen mit dem klagenden Verein einerseits und der A. Management GmbH andererseits ein Konstrukt geschaffen und unterhalten, das in erster Linie dazu diene, Einnahmen insbesondere aus Abmahnkosten und Vertragsstrafen zu generieren, um auf diese Weise sich selbst eine fortlaufende und lukrative Einnahmequelle zu verschaffen.

41Weiterhin spreche für die Rechtsmissbräuchlichkeit des Vorgehens des Klägers der Umstand, dass er typischerweise nur passive Mitglieder aufnehme, die kein Stimmrecht in der Mitgliederversammlung hätten, um sie von der Willensbildung im Verein auszuschließen. Außerdem bestehe zwischen den Einnahmen des Klägers und den von ihm eingegangenen Kostenrisiken ein grobes Missverhältnis.

42Letztlich wendet der Beklagte hilfsweise ein, der geltend gemachte Vertragsstrafenanspruch bestehe bereits deshalb nicht, weil er die zugrunde liegende Vereinbarung – entgegen der Auffassung des Landgerichts – wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten habe.

43Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird ebenfalls auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie ferner das Protokoll des Senatstermins vom 30.05.2023 und den Inhalt der vom Senat gem. §§ 525 Satz 1, 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO beigezogenen Akten des Landgerichts Köln (Az. 81 O 7/21 und 84 O 29/21 = OLG Köln – 6 U 36/22) Bezug genommen.

44II.

45Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

461.

47Die Klage ist – wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist und was die Parteien nicht in Abrede stellen – zulässig.

48a)

49Die Parteien haben im Jahr 2020 unstreitig eine wirksame Vertragsstrafenvereinbarung geschlossen. Allein hierauf kommt es für den geltend gemachten Zahlungsanspruch an, weil durch den Unterlassungsvertrag ein neuer, vom gesetzlichen Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG zu unterscheidender vertraglicher und durch die (nunmehr geltend gemachte) Vertragsstrafe gesicherter Unterlassungsanspruch begründet worden ist (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, § 13 UWG, Rn. 166, 197 mwN.; Senatsurteil vom 17.05.2022 – 4 U 84/21).

50b)

51Auch der vom Beklagten erhobene Einwand des Rechtsmissbrauchs führt gegenüber dem hier geltend gemachten Zahlungsanspruch nicht zur Unzulässigkeit der Klage (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Feddersen, aaO., § 8c UWG, Rn. 3, 9 mwN.).

52c)

53Letztlich führt der Umstand, dass Wirtschaftsverbände gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG n. F. nunmehr seit dem 01.12.2021 der Eintragung in die Liste nach § 8b UWG n. F. bedürfen, um gesetzliche (Unterlassungs-)Ansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG geltend machen zu können, zu keinem anderen Ergebnis.

54aa)

55Zwar ist der Kläger weiterhin nicht in diese Liste und auch nicht in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen. Dies berührt aber nach den vorstehenden Ausführungen unter lit. a) seine Klagebefugnis hinsichtlich des hier in Rede stehenden vertraglichen Zahlungsanspruchs nicht.

56bb)

57Soweit dem Beklagten im Hinblick auf die mangels Eintragung in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG zwischenzeitlich entfallene Befugnis des Klägers zur Geltendmachung in Betracht kommender gesetzlicher Unterlassungsansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG hinsichtlich der vertraglich übernommenen Unterlassungs- und Zahlungsverpflichtung ein außerordentliches Kündigungsrecht zuzubilligen ist, wirkt dieses – ungeachtet dessen, dass es sich insoweit um eine Frage der Begründetheit der Klage handelt – lediglich für die Zukunft (vgl. Büscher/Ahrens, 2. Aufl. 2021, § 15a UWG, Rn. 13; Möller, NJW 2021, 1, Rn. 4; BGH, Urteil vom 26.09.1996 – I ZR 265/95, GRUR 1997, 382, Rn. 16, 24 ff., 38, zit. nach juris – Altunterwerfung I; Urteil vom 06.07.2000 – I ZR 243/97, GRUR 2001, 85, Rn. 16, zit. nach juris – Altunterwerfung IV, jew. mwN.), also frühestens ab Zugang der mit Schreiben seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 26.05.2021 hilfsweise erklärten Kündigung der Unterlassungsvereinbarung und mithin zeitlich deutlich nach dem in Rede stehenden Verstoß vom 24.03.2021. Auf die Verwirkung der geltend gemachten Vertragsstrafe konnte die Kündigung danach keinen Einfluss haben.

582.

59Die Klage ist allerdings unbegründet.

60a)

61Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung der begehrten Vertragsstrafe in Höhe von 5.000,00 € aus der zwischen den Parteien zustande gekommenen Vertragsstrafenvereinbarung i. V. m. §§ 339 Satz 2, 315 BGB, § 15a Abs. 2 UWG.

62Einem solchen Anspruch steht jedenfalls der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen.

63aa)

64Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. Urteil vom 26.09.1996 – I ZR 265/95, GRUR 1997, 382, Rn. 45, zit. nach juris – Altunterwerfung I; Urteil vom 06.07.2000 – I ZR 243/97, GRUR 2001, 85, Rn. 19 mwN., zit. nach juris – Altunterwerfung IV), der der Senat folgt, kann es zum einen im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein, wenn sich der Gläubiger auf ein nicht rechtzeitig gekündigtes Vertragsstrafeversprechen beruft. Hiervon ist immer dann auszugehen, wenn der vertraglich gesicherte gesetzliche Unterlassungsanspruch dem Gläubiger aufgrund einer erfolgten Gesetzesänderung unzweifelhaft, d. h. ohne Weiteres erkennbar, nicht mehr zusteht.

65Zum anderen steht der Geltendmachung von Vertragsstrafen wegen Verstößen gegen eine aufgrund einer missbräuchlichen Abmahnung abgeschlossene Unterlassungsvereinbarung schon vor deren Kündigung der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 14.02.2019 –I ZR 6/17, GRUR 2019, 638, Rn. 33 ff. mwN., zit. nach juris – Kündigung der Unterlassungsvereinbarung).

66bb)

67Der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) greift vorliegend allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt, dass dem Kläger seit Inkrafttreten des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG n. F. mangels Eintragung in die Liste nach § 8b UWG n. F. die Befugnis fehlt, Ansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG geltend machen zu können. Denn die Unterlassungsvereinbarung wurde bereits Mitte des Jahres 2000 geschlossen. Auch die vorliegend streitgegenständliche Vertragsstrafe hat der Kläger deutlich vor Inkrafttreten des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG n. F., nämlich bereits im März 2021 festgesetzt und mit dem dem Beklagten am 22.05.2021 zugestellten Mahnbescheid gerichtlich geltend gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger aufgrund der Übergangsregelung des § 15a Abs. 1 UWG sogar noch befugt, Unterlassungsansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG aktiv geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2023 – I ZR 111/22, GRUR 2023, 585, Rn. 10 ff., zit. nach juris – Mitgliederstruktur).

68cc)

69Zur Überzeugung des Senats ist die Unterlassungsvereinbarung jedoch seinerzeit aufgrund einer missbräuchlichen Abmahnung abgeschlossen worden, weshalb der Geltendmachung der Vertragsstrafe unter diesem Aspekt der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegensteht.

70(1)

71Von einem Missbrauch i. S. v. § 8 Abs. 4 UWG a. F. bzw. § 8c Abs. 1 UWG n. F. ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs erfordert eine sorgfältige Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände, wobei der nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu gewährleistende effektive Rechtsschutz zu berücksichtigen ist.

72Ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung kann sich daraus ergeben, dass die Anspruchsberechtigten die Belastung der gegnerischen Partei mit möglichst hohen Prozesskosten bezwecken oder systematisch überhöhte Abmahngebühren oder Vertragsstrafen verlangt werden (vgl. nunmehr § 8c Abs. 2 Nrn. 1 und 4 UWG). Ein Missbrauch kann auch dann vorliegen, wenn die Anspruchsberechtigten kein nennenswertes wirtschaftliches oder wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung haben können. Ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen stellt es ferner dar, wenn bei wettbewerbsrechtlich zweifelhafter Beurteilung in großer Zahl Abmahnungen ausgesprochen werden, ohne dass bei Ausbleiben einer Unterwerfung eine gerichtliche Klärung herbeigeführt wird. Dadurch kann sich der Verdacht aufdrängen, die Abmahntätigkeit werde in erster Linie dazu eingesetzt, Ansprüche auf Aufwendungsersatz und ggf. Vertragsstrafenansprüche entstehen zu lassen (st. Respr., vgl. BGH, Urteil vom 04.07.2019 – I ZR 149/18, GRUR 2019, 966, Rn. 33 f. – Umwelthilfe, sowie zuletzt Urteil vom 26.01.2023 – I ZR 111/22, GRUR 2023, 585, Rn. 40 – Mitgliederstruktur, jew. mwN. und zit. nach juris).

73(2)

74Gemessen an diesen Maßstäben war die Abmahnung des Klägers vom 17.07.2020, die zum Abschluss der Unterlassungsvereinbarung geführt hat, rechtsmissbräuchlich.

75Dabei kann dahinstehen, ob – wie das Landgericht gemeint hat – die vom Kläger vorformulierte Unterlassungserklärung offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht (vgl. nunmehr § 8c Abs. 2 Nr. 5 UWG) und ob die Abmahnung zudem in der Zusammenschau mit der vorformulierten Unterlassungserklärung den unzutreffenden Eindruck vermittelt, die Unterwerfungserklärung und das (zudem abstrakte) Anerkenntnis der Kostenerstattungspflicht gehörten zusammen.

76Denn die Rechtsmissbräuchlichkeit der Abmahnung ergibt sich schon aus der unstreitig großen Zahl der vom Kläger (nicht nur) im Jahr 2020 ausgesprochenen Abmahnungen, ohne dass er bei Ausbleiben einer Unterwerfung eine gerichtliche Klärung herbeigeführt hat. Ein solches Verhalten lässt – zumal in den hier in Rede stehenden Dimensionen – keinen anderen Schluss zu, als dass der Kläger seine Abmahntätigkeit in erster Linie dazu einsetzt, Ansprüche auf Aufwendungsersatz und ggf. Vertragsstrafenansprüche entstehen zu lassen.

77(a)

78Das diesbezügliche detaillierte neue Vorbringen des Beklagten aus dem Schriftsatz vom 24.02.2023 ist in der Berufungsinstanz zuzulassen, weil es unstreitig ist (st. Respr., vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 08.05.2018 – XI ZR 538/17, NJW 2018, 2269, Rn. 25 mwN., zit. nach juris). Der Kläger ist diesem Vortrag nicht entgegengetreten, beruht er doch auf seinem eigenen Vorbringen im Verfahren Landgericht Köln – 81 O 7/21, dessen Akte der Senat beigezogen und in welche er dem Beklagten über seine Prozessbevollmächtigten auf Antrag gem. § 299 Abs. 1 ZPO aus Gründen des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) Einsicht gewährt hat (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 06.03.2014 – 1 BvR 3541/13, NJW 2014, 1581, Rn. 29 mwN., zit. nach juris).

79Soweit der Kläger zuvor erstmals mit der Berufungsreplik vom 12.12.2022 das erstinstanzliche, im Kern zwar gleiche, aber lediglich auf den Erkenntnissen der Prozessbevollmächtigten des Beklagten aus ihrem eigenen Kanzleibetrieb sowie auf Informationen eines weiteren Rechtsanwalts – Z. aus F. – beruhende Vorbringen des Beklagten zur Anzahl der nach vorangegangener Abmahnung trotz Ausbleibens einer Unterlassungserklärung nicht weiterverfolgten Fälle bestritten hat, ist dieses Bestreiten demgegenüber in der Berufungsinstanz nicht zuzulassen, weil weder ersichtlich noch vorgetragen ist, dass die Voraussetzungen der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegen.

80(b)

81Danach hat der Kläger allein im Jahr 2020, als er u. a. auch den Beklagten abgemahnt und dies zum Abschluss der streitgegenständlichen Vertragsstrafenvereinbarung geführt hat, 3.520 Abmahnungen ausgesprochen, woraufhin lediglich 1.325 Unterlassungserklärungen (rd. 38 %) abgegeben und weitere 528 Fälle (15 %) gerichtlich verfolgt wurden. Es verbleiben mithin 1.667 trotz Ausbleiben einer Unterwerfungserklärung nicht verfolgte Fälle, was rund 47 % entspricht.

82Dass es sich hierbei um keinen Einzelfall („Ausreißer“) handelt, ergibt sich aus der Statistik betreffend die Vorjahre sowie das Folgejahr 2021. Danach stehen im Jahr 2017 5.945 ausgesprochenen Abmahnungen 4.966 Unterlassungserklärungen (rd. 84 %) und 421 (rd. 7 %) gerichtliche Verfahren gegenüber, so dass eine Differenz von 558 nicht verfolgten Fällen (rd. 9 %) verbleibt. Im Jahr 2018 sprach der Kläger 4.795 Abmahnungen aus, erhielt 2.919 Unterlassungserklärungen (rd. 61 %) und verfolgte 256 Fälle gerichtlich (rd. 5 %). Es verbleibt eine Differenz von 1.620 nicht verfolgten Fällen, was rund 34 % entspricht. Im Jahr 2019 stehen 4.066 ausgesprochenen Abmahnungen lediglich 1.353 Unterlassungserklärungen (rd. 33 %) und 414 gerichtliche Verfahren (rd. 10 %) gegenüber, so dass sogar 2.299 nicht verfolgte Fälle (rd. 57 %) verbleiben. Im Jahr 2021 sprach der Kläger sodann nach seinem eigenen, wenn auch bestrittenen Vorbringen zwar „nur“ noch rund 1.200 Abmahnungen aus, wobei etwa in der Hälfte der Fälle Unterlassungserklärungen abgegeben worden sein sollen und 378 Fälle (rd. 32 %) gerichtlich verfolgt wurden. Auch hier verbleiben aber etwa (1.200 – 600 – 378 =) 222 trotz Ausbleibens einer Unterwerfungserklärung nicht verfolgte Fälle, was rund 19 % entspricht.

83Dass der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen seit 2022 keine Abmahnungen mehr ausgesprochen hat, ist offenkundig allein seiner (bislang) fehlenden Eintragung in die Listen nach § 8b UWG bzw. § 4 UKlaG und der aufgrund dessen fehlenden Prozessführungsbefugnis geschuldet.

84(c)

85Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, die nicht weiter verfolgten Abmahnungen hätten sich auf unterschiedliche Art und Weise (bspw. Geschäftsaufgabe, Tod des Inhabers, Wechsel des Inhabers, Unzustellbarkeit, Ausland, dauerhafte Abschaltung von Webseiten, Wechsel des Warensortiments, Insolvenz, soziale Aspekte, nicht aufklärbare, aber nach Antwort auf die Abmahnung transparent werdende Umstände, zwischenzeitlich in anderen Verfahren geklärte Rechtsfragen, Anerkenntnisse ohne förmliche Unterwerfung bei kompletter Überarbeitung von Webseiten mit anwaltlicher Hilfe) „erledigt“, so dass die Wiederholungsgefahr entfallen sei.

86(aa)

87Auszugehen ist zunächst von dem Grundsatz, dass die tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr nach einem Wettbewerbsverstoß grundsätzlich nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung oder durch einen rechtskräftigen Unterlassungstitel ausgeräumt wird (st. Respr., vgl. nur BGH, Urteil vom 31.07.2008 – I ZR 21/06, GRUR 2008, 1108, Rn. 23 mwN. – Haus & Grund III).

88(bb)

89Zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr genügen daher entgegen der Ansicht des Klägers weder der bloße Wegfall der Störung noch die Zusage des Verletzers, von Wiederholungen künftig Abstand zu nehmen. Selbst die Aufgabe jeder Geschäftsbetätigung lässt die Wiederholungsgefahr nicht entfallen, es sei denn, es ist auszuschließen, dass der Verletzer denselben oder einen ähnlichen Geschäftsbetrieb wieder aufnimmt. Generell gilt, dass eine nur tatsächliche Veränderung der Verhältnisse die Wiederholungsgefahr nicht berührt, solange nicht auch jede Wahrscheinlichkeit für eine Aufnahme des unzulässigen Verhaltens durch den Verletzer beseitigt ist; sie entfällt nicht schon dann, wenn ein Wiedereintreten völlig gleichgearteter Umstände nicht zu erwarten ist (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm, aaO., § 8 UWG, Rn. 1.49 ff. mwN.).

90Soweit der Kläger seine Argumentation daher auf diese oder vergleichbare Aspekte stützt, dringt er hiermit nicht durch. So erschließt sich bspw. nicht, weshalb die Wiederholungsgefahr etwa allein durch die dauerhafte Abschaltung von Webseiten oder „Anerkenntnisse ohne förmliche Unterwerfung bei kompletter Überarbeitung von Webseiten mit anwaltlicher Hilfe“ entfallen sein sollte.

91(cc)

92Soweit der Kläger auf die ggf. faktisch kaum mögliche oder mit erheblichen Schwierigkeiten verbundene Rechtsverfolgung gegenüber im Ausland ansässigen Verletzern abstellt, muss er sich fragen lassen, aus welchem Grund (außer dem der erhofften Einnahmeerzielung) er zuvor gleichwohl Abmahnungen ausspricht.

93Gleiches gilt, soweit er vorgibt, die nötigenfalls höchstrichterliche Klärung grundsätzlich bedeutsamer Rechtsfragen herbeiführen zu wollen und hierfür nur einige „Musterverfahren“ auszuwählen. Auch dieser Umstand rechtfertigt es nicht, zuvor in offenbar großer Zahl – nach dem eigenen klägerischen Vorbringen (vgl. Bl. 524 d. zweitinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte) soll dies auf 25 % der nicht weiterverfolgten Abmahnungen zutreffen – Abmahnungen in der Hoffnung oder Erwartung auszusprechen, der jeweils Abgemahnte werde sich bereits vor einer höchstrichterlichen Klärung der in Rede stehenden Rechtsfrage strafbewehrt unterwerfen.

94(d)

95Letztlich steht der Annahme des Rechtsmissbrauchs nicht die Entscheidung des BGH vom 26.01.2023 (Az. I ZR 111/22, GRUR 2023, 585 – Mitgliederstruktur) entgegen.

96(aa)

97Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang wiederholt auf seine Prozessführungsbefugnis abstellt, ist diese nach den vorstehenden Ausführungen unter Ziff. 1. nicht zweifelhaft.

98(bb)

99Fragen der Mitgliederstruktur des Klägers sind vorliegend ebenfalls nicht relevant. Die konkret hier streitgegenständliche Problematik der in hoher Zahl nicht weiter verfolgten Abmahnungen wird hingegen gerade nicht thematisiert. Soweit es in der genannten Entscheidung unter Rn. 45 heißt

100„Der Umstand, dass der Kläger eine Vielzahl von Abmahnungen ausspricht, deutet nicht auf ein im Vordergrund stehendes Gebührenerzielungsinteresse. Die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen geschieht in Wahrnehmung des Satzungszwecks des Klägers. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass er damit in erster Linie nicht Wettbewerbsverstöße verfolgen, sondern Einnahmen für andere Zwecke generieren will. Gibt es eine Vielzahl von Verstößen, setzt eine effektive Durchsetzung der Mitgliederinteressen eine damit korrespondierende Vielzahl von Abmahnungen und – soweit keine Unterlassungserklärungen abgegeben werden – gerichtlicher Verfahren voraus. Nimmt ein Wirtschaftsverband seine Aufgabe ernst, zieht eine Vielzahl von Wettbewerbsverstößen zwangsläufig eine entsprechende Anzahl von Abmahnungen und gegebenenfalls gerichtlicher Verfahren nach sich.“,

101entspricht dies auch der Rechtsprechung des Senats (vgl. nur Beschluss vom 24.05.2022 – 4 U 21/22), besagt jedoch nichts darüber, wie die Frage des Rechtsmissbrauchs zu beurteilen ist, wenn – wie hier – Abmahnungen in großer Anzahl ausgesprochen, aber gerade nicht gerichtlich weiterverfolgt werden, falls keine Unterlassungserklärung abgegeben wird. Dieser Aspekt spielte offenbar keine streitentscheidende Rolle.

102b)

103Da nach den vorstehenden Ausführungen der geltend gemachte Vertragsstrafenanspruch nicht besteht, kann der Kläger insoweit auch keine Zinsen verlangen.

104III.

105Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 Satz 1 und 2 ZPO.

106Die Zulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO. Nach übereinstimmenden Angaben der Prozessbevollmächtigten der Parteien im Senatstermin vom 30.05.2023 hat das OLG Brandenburg (Urteil vom 16.05.2023 – 6 U 47/21, dessen Gründe bislang allerdings noch nicht in schriftlicher Form vorliegen) in einem gleichgelagerten Fall (identisches Tatsachenvorbringen zum Rechtsmissbrauch) ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers verneint.

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