OLG Hamm: Vorhaltung eines falschen Barcodes/Strichcodes an einer Selbstbedienungskasse erfüllt nicht den Tatbestand des Computerbetrugs

veröffentlicht am 14. Oktober 2013

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtOLG Hamm, Beschluss vom 08.08.2013, Az. 5 RVs 56/13
§ 242 StGB, § 263a StGB

Das OLG Hamm hat entschieden, dass kein Computerbetrug begangen wird, wenn an einer sog. Selbstbedienungskasse, an welcher das Einscannen und Bezahlen der Ware durch den Kunden autonom vorgenommen werden, für eine Ware der Strichcode einer deutlich billigeren Ware vor den Preisscanner gehalten wird. Der Tatbestand des § 263 a StGB erfordere, dass die Manipulation des Datenverarbeitungsvorgangs unmittelbar eine vermögensrelevante Disposition des Computers verursache. Die Vermögensminderung müsse unmittelbar, also ohne weitere Zwischenhandlung des Täters, des Opfers oder eines Dritten durch den Datenverarbeitungsvorgang selbst eintreten. Daran fehle es, wenn durch die Manipulation der Datenverarbeitung nur die Voraussetzungen für eine vermögensmindernde Straftat geschaffen würden. Allerdings sah der Senat den Tatbestand des Diebstahls als erfüllt an. Zum Volltext der Entscheidung:

Oberlandesgericht Hamm

Beschluss

Der 5. Strafsenat hat … durch … für Recht erkannt:

Die Revision wird mit der Maßgabe als offensichtlich unbegründet verworfen, dass sich der Angeklagte des Diebstahls in drei Fällen schuldig gemacht hat und in den beiden Fällen zu Ziff. II 2 des angefochtenen Urteils (Taten vom 17. Februar 2011) jeweils eine Einzelgeldstrafe von 5 Tagessätzen zu je 10,00 EUR festgesetzt wird.

Die Liste der angewendeten Vorschriften wird wie folgt neu gefasst: §§ 242 Abs. 1, 248 a, 53 Abs. 1 StGB.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte.

Gründe

I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 28.02.2012 wegen Computerbetruges und Diebstahls zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu 10,00 EUR verurteilt und ihn im Übrigen – soweit ursprünglich weitere Straftaten angeklagt waren – freigesprochen. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht F mit Urteil vom 15.10.2012 verworfen.

Das Landgericht hat in der Sache folgende Feststellungen getroffen (Ziff. II 2 der Urteilsgründe):

„Am frühen Nachmittag des 17.02.2011 begab sich der Angeklagte in den Supermarkt „S“, … . Er ging zu dem dortigen Zeitschriftenregal und entnahm einen „Playboy“ für 5,00 EUR. Mit diesem lief er zur Selbstbedienungskasse. Dort scannte er nicht den auf dem „Playboy“ befindlichen Strichcode ein, sondern hielt den zuvor von der Tageszeitung „WAZ“ ausgerissenen Strichcode, den er in seinem Portemonnaie mit sich geführt hatte, unter das Lesegerät. Die Kasse warf daraufhin den Preis für eine „WAZ“ von 1,20 EUR aus, welchen der Angeklagte bezahlte. Sodann verließ er mit dem „Playboy“ das Geschäft.

Nach etwa einer Stunde erschien der Angeklagte gegen 15.30 Uhr erneut in dem Supermarkt. Wiederum ging er zum Zeitschriftenregal, welchem er diesmal einen „Stern“ für 3,40 EUR entnahm. Er ging zur Selbstbedienungskasse und hielt anstelle des Strichcodes der Zeitschrift wieder den ausgerissenen Strichcode der „WAZ“ unter das Lesegerät. Die Kasse warf einen Preis von 1,20 EUR aus, welchen der Angeklagte bezahlte. Sodann wurde er von dem Zeugen Q1, welcher als Detektiv in dem „S“ beschäftigt ist, angesprochen.

Am 21.06.2011 begab sich der Angeklagte gegen 14.45 Uhr in die Geschäftsräume der Firma „T“, … . Er steckte drei Musik-CDs zum Verkaufspreis von insgesamt 28,97 EUR in einen mitgeführten Stoffbeutel. Ohne zu bezahlen lief er an der Kasse vorbei und wurde sodann von dem Zeugen R, welcher als Detektiv bei „T“ beschäftigt ist, angesprochen.“

Das Landgericht hat das Geschehen am 17.02.2011 als Computerbetrug gewertet und insoweit eine Geldstrafe von 10 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen erachtet. Das Geschehen am 21. Juni 2011 hat das Landgericht als Diebstahl angesehen und hier auf 25 Tagessätze erkannt. Als Gesamtgeldstrafe sind sodann 30 Tagessätze zu je 10,00 EUR festgesetzt worden.

Mit der Revision rügt der Angeklagte in allgemeiner Form die Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, wie beschlossen.

II.
Die rechtzeitig eingelegte sowie form- und fristgerecht begründete Revision führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs und ist im Übrigen offensichtlich unbegründet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gebotene Überprüfung des angefochtenen Urteils deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

1.
Die am 17.02.2011 begangenen Taten sind jeweils als selbständiger Diebstahl gem. § 242 Abs. 1 StGB zu werten.

a)
Entgegen der vom Amts- und Landgericht vertretenen Ansicht tragen die Feststellungen keine Verurteilung wegen Computerbetruges gem. § 263a Abs. 1 StGB.

Unabhängig von der Frage nach einer einschlägigen Tathandlung des Computerbetruges fehlt es an dem für § 263 a StGB notwendigen (Zwischen-)Erfolg der Beeinflussung des Ergebnisses des Datenverarbeitungsvorgangs. Dieser tritt in der Entsprechung zu § 263 StGB an die Stelle der (irrtumsbedingten) Vermögensverfügung. Der Tatbestand des § 263 a StGB erfordert daher, dass die Manipulation des Datenverarbeitungsvorgangs unmittelbar eine vermögensrelevante Disposition des Computers verursacht (vgl. OLG Hamm, NJW 2006, 2341; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 263 a Rdnr. 20; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 263 a Rdnr. 16). Die Vermögensminderung muss unmittelbar, d.h. ohne weitere Zwischenhandlung des Täters, des Opfers oder eines Dritten durch den Datenverarbeitungsvorgang selbst eintreten. Daran fehlt es, wenn durch die Manipulation der Datenverarbeitung nur die Voraussetzungen für eine vermögensmindernde Straftat geschaffen werden, z.B. beim Ausschalten oder Überwinden elektronischer Schlösser (vgl. Lackner/Kühl, a.a.O., § 263 a Rdnr. 19). Hier führt das Einscannen des Strichcodes der „WAZ“ allein zu der Anzeige eines im Verhältnis zu den tatsächlich ausgewählten Zeitschriften geringeren Kaufpreises. Diese Anzeige bewirkt noch keinen verfügungsähnlichen Vorgang, der sich als unmittelbare Vermögensbeeinträchtigung darstellte. Die nachfolgende Mitnahme der Zeitschriften wird durch den Datenverarbeitungsvorgang als solchen weder ermöglicht noch erleichtert. Hierzu bedurfte es vielmehr einer selbständigen, den Übergang der Sachherrschaft bewirkenden Handlung des Angeklagten.

Überdies ist keine der Tathandlungen des § 263 a Abs. 1 StGB verwirklicht.

Das unrichtige Gestalten eines Programms (1. Var.) setzt das Neuschreiben, Verändern oder Löschen ganzer Programme oder jedenfalls von Programmteilen voraus (vgl. Fischer, a.a.O., § 263 a Rdnr. 6). Nichts davon geht mit dem Einscannen des „WAZ“-Strichcodes einher.

Das Verwenden unrichtiger oder unvollständiger Daten (2. Var.) erfasst Fälle, in denen eingegebene Daten in einen anderen Zusammenhang gebracht oder unterdrückt werden, wobei eine Programmgestaltung unrichtig bzw. unvollständig ist, wenn sie bewirkt, dass die Daten zu einem Ergebnis verarbeitet werden, das inhaltlich entweder falsch ist oder den bezeichneten Sachverhalt nicht ausreichend erkennen lässt, den Computer also gleichsam „täuscht“ (vgl. Lackner/Kühl, a.a.O., § 263 a Rdnr. 10; Fischer, a.a.O., § 263 a Rdnr. 6). Vorliegend wird über das Einlesen des Strichcodes der Kaufpreis einer Ausgabe der „WAZ“ richtig und vollständig angezeigt, diesen Kaufpreis hat der Angeklagte auch bezahlt.

Das Merkmal der unbefugten Verwendung von Daten (3. Var.) ist nach ganz überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat anschließt, „betrugsspezifisch“ auszulegen (vgl. BGHSt 38, 120, 121; BGH, NStZ 2005, 213; NJW 2008, 1394; OLG Köln, NJW 1992, 125, 126 f.); unbefugt ist die Verwendung danach dann, wenn sie gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte. Insoweit muss auf das Vorstellungsbild einer natürlichen Person abgestellt werden, die sich ausschließlich mit den Fragen befasst, die auch der Computer „prüft“ (vgl. BGHSt 47, 160, 163). Da das Lesegerät einer Selbstbedienungskasse lediglich den in dem Strichcode festgelegten Kaufpreis anzeigt, ohne zu prüfen, ob auch tatsächlich die dem Strichcode zugewiesene Ware bezahlt und mitgenommen wird, würde auch ein „fiktiver Kassierer“ nur eine derart eingeschränkte Prüfung vornehmen und deshalb über den eingelesenen Preis der „WAZ“ nicht getäuscht.

Das sonstige unbefugte Einwirken auf den Ablauf (4. Var.) erfasst – im Sinne eines Auffangtatbestandes – solche strafwürdige Maßnahmen, die nicht unter Var. 1 bis 3 fallen, jedoch beinhaltet das Einscannen des Strichcodes der „WAZ“ keine Einwirkung auf den Ablauf, d.h. auf das Programm oder den Datenfluss (vgl. hierzu Fischer, a.a.O., § 263 a Rdnr. 18). Außerdem kann § 263 a StGB vor dem Hintergrund seiner Entstehungsgeschichte nicht derart weit ausgelegt werden, dass auch solche Verhaltensweisen erfasst werden, die ohnehin bereits nach § 242 StGB unter Strafe gestellt sind. Beide Tatbestände schließen sich aus (vgl. Tiedemann/Valerius, in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 263 a Rdnr. 65).

b)
Die Mitnahme der beiden Zeitschriften erfüllt jeweils den Tatbestand des Diebstahls gem. § 242 Abs. 1 StGB.

Indem der Angeklagte mit den beiden Zeitschriften den Kassenbereich passiert und lediglich jeweils 1,20 € an der Selbstbedienungskasse gezahlt hat, hat er fremde bewegliche Sachen weggenommen.

Beide Zeitschriften waren weiterhin für ihn fremd, weil mit dem Bezahlvorgang an der Selbstbedienungskasse keine Übereignung der Zeitschriften stattgefunden hat, die nicht zuvor durch den ihr zugewiesenen Strichcode eingescannt und sodann zu „ihrem“ Preis bezahlt worden wären.

Eine Wegnahme liegt vor, weil der Angeklagte mit dem Passieren des Kassenbereichs neuen, eigenen Gewahrsam an den Zeitschriften begründet hat, ohne dass der frühere Gewahrsamsinhaber – der Geschäftsinhaber bzw. Geschäftsführer – hierzu sein Einverständnis erklärt hätte. Zwar ist davon auszugehen, dass mit dem Aufstellen von Selbstbedienungskassen durchaus ein generelles Einverständnis in einen Gewahrsamsübergang erklärt werden soll, weil – nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Einsparung von Personalkosten – gerade kein Kassenpersonal zur Verfügung steht, das den einzelnen Kauf- bzw. Zahlvorgang abwickeln soll; die in dem Kassenbereich anwesenden Mitarbeiter dienen allein der Unterstützung bei etwaigen technischen Schwierigkeiten. Jedoch ist unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung und hier namentlich der berechtigten Geschäftsinteressen des Verkäufers zu unterstellen, dass dieser sein Einverständnis nur unter der Bedingung erteilt, dass die Selbstbedienungskasse äußerlich ordnungsgemäß bedient wird. Hierzu gehört unzweifelhaft das korrekte Einscannen und Bezahlen der tatsächlich zur Selbstbedienungskasse mitgebrachten Ware. Da der Angeklagte in beiden Fällen eine andere als die zuvor eingescannte und bezahlte Zeitschrift mitgenommen hat, sind die Bedingungen für ein Einverständnis in den Gewahrsamswechsel nicht gegeben. Soweit die Mitnahme der Zeitschriften durch einen als Detektiv angestellten Mitarbeiter beobachtet worden ist, schließt dies die Gewahrsamserlangung durch den Angeklagten nicht aus, weil § 242 StGB Heimlichkeit gerade nicht voraussetzt (vgl. BGHSt 16, 271, 273 f.; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 1335; Fischer, a.a.O., § 242 Rdnr. 21).

Nach den getroffenen Feststellungen handelte der Angeklagte schließlich auch vorsätzlich und in der Absicht rechtswidriger Zueignung. Die gem. § 248 a StGB notwendigen Strafanträge sind gestellt worden.

c)
Die beiden am 17. Februar 2011 begangenen Straftaten stehen in Tatmehrheit zueinander, § 53 Abs. 1 StGB. Die Wegnahme des „Sterns“ erfolgte nach einer Zeitspanne von mehr als einer Stunde, nachdem der Angeklagte bereits den „Playboy“ entwendet und das Ladenlokal verlassen hatte.

Das Verbot der Schlechterstellung (§ 331 StPO) steht weder der notwendigen Änderung des Schuldspruchs noch der vom Senat vorgenommenen Bildung von Einzelstrafen entgegen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 331 Rdnr. 8, 18). Zwar ist grundsätzlich die Zurückverweisung der Sache geboten, wenn das Revisionsgericht das Urteil dahingehend abändert, dass statt Tateinheit Tatmehrheit gegeben ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 354 Rdnr. 22), jedoch konnte der Senat – unter Beachtung des Verschlechterungsverbots – entsprechend § 354 Abs. 1 StPO für die vorgenannten Taten jeweils die Mindeststrafe von 5 Tagessätzen (§ 40 Abs. 1 StGB) festsetzen, weil damit die frühere Einheitsstrafe nicht überschritten wird und zugleich ausgeschlossen werden kann, dass sich der Angeklagte gegenüber dem Vorwurf des Diebstahls in zwei Fällen anders als geschehen hätte verteidigen können.

2.
Hinsichtlich der am 21. Juni 2011 begangenen Tat ist das Landgericht zu Recht von einem vollendeten Diebstahl ausgegangen. Der für die Wegnahme notwendige Gewahrsamswechsel ist jedenfalls dadurch erfolgt, dass der Angeklagte den Kassenbereich passiert und hierbei die zuvor in den Stoffbeutel gesteckten CDs verborgen hat (vgl. Fischer, a.a.O., § 242 Rdnr. 18).

Es bedurfte keiner abschließenden Entscheidung, ob der Wert der entwendeten CDs mit knapp 29,00 EUR bereits die Grenze der Geringwertigkeit im Sinne des § 248a StGB überschritten hat – der BGH zieht die Grenze derzeit bei 25,00 EUR (vgl. BGH, Beschluss vom 09. Juli 2004, 2 StR 176/04) -, denn jedenfalls ist auch in diesem Fall ein Strafantrag gestellt worden.

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO. Im Fall der bloßen Schuldspruchänderung liegt kein Teilerfolg im Sinne des § 473 Abs. IV StPO vor (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 473 Rdnr. 25a).

I